Ernst ist 30 Jahre alt, hat Philosophie in Würzburg studiert und arbeitet als selbstständiger Uhrmacher und Uhrenrestaurator. „Die Frage stellte sich mir”, schreibt er, „vor dem Hintergrund, da wir alle jeden Tag konsumieren und man selbst nie genau weiß: Was ist viel? Was ist normal? Und was ist zu wenig?”
Lieber Ernst, deine Frage ist sehr breit gefächert und lässt sich, wie du selbst sagst, im Prinzip auf alles Mögliche übertragen. Sie reicht letztlich von Salz über Saft bis zu Koks. Ich erlaube mir deshalb, nur Schlaglichter darauf zu werfen. Wenn euch, liebe Krautreporter-Leser, noch spezielle Konsum-Themen interessieren, hinterlasst eine Nachricht unten im Formular oder schreibt mir eine E-Mail an: susan@krautreporter.de. Ich werde die Daten sammeln und in einem Fortsetzungsbeitrag veröffentlichen.
Ich beginne mit den großen Zahlen, die das Statistische Bundesamt einmal im Jahr erhebt. Demnach geben die Deutschen das meiste Geld für Wohnen aus. Mehr als ein Drittel ihres verfügbaren Einkommens fließt in Miete, Haushaltsreparaturen und Immobilienkredite. Danach kommen schon Essen, Trinken und Bekleidung, die zusammen knapp ein Fünftel ausmachen. Durchschnittlich 434 Euro gibt ein Haushalt hierzulande pro Monat dafür aus. Darunter 43 Euro für Damenbekleidung, 21 Euro für Herrenkleidung, 12 Euro für Haustiere, 21 Euro für Zeitungen und Zeitschriften, 8 Euro für Schmuck. (Hier geht es zu den ausführlichen Ergebnissen, PDF, S. 21-23.)
Woher weiß das statistische Amt das aber so genau? Es sammelt Stichproben. Die Datensammler schwärmen alle fünf Jahre aus, um wie es so schön heißt, private Haushalte anzuwerben, d.h. Freiwillige zu finden und zu ihrem Konsumverhalten zu befragen. Die insgesamt 60.000 Haushalte, davon 14.000 in den neuen Bundesländern und Berlin, werden nach einem Quotenplan ausgewählt. Haushaltstyp, soziale Stellung der Haupteinkommensperson und das Haushaltsnettoeinkommen spielen dabei eine wichtige Rolle. Wer teilnimmt, muss drei Monate lang Buch über sämtliche Einnahmen und Ausgaben führen.
Das diszipliniert wahrscheinlich schon. Denn mir geht es oft so, dass ich schon am Ende des Tages kaum noch weiß, wofür ich mein ganzes Geld eigentlich ausgegeben habe. Für das Führen des Haushaltsbuches zahlt das statistische Amt eine Prämie von etwa 70 Euro – der Betrag kann je nach Bundesland variieren. Abschließend listet jeder fünfte Haushalt zusätzlich einen Monat lang penibel sämtliche Ausgaben für Speisen und Getränke auf, nach Mengen und Preisen.
Bei Lebensmitteln geben die Deutschen das meiste Geld also für Fleisch aus, nämlich knapp 17 Prozent des Budgets für Essen und Trinken. Und das nicht nur, weil Fleisch und Wurst recht teuer sind, sondern weil sie auch in großen Mengen konsumiert werden. Durchschnittlich etwa vier Scheiben Wurst werden hierzulande täglich gegessen. Im Jahr sind das 29,5 Kilogramm pro Kopf. Wobei Männer doppelt so viel verzehren wie Frauen. An erster Stelle stehen übrigens Bierschinken, Wiener und Leberkäse, gefolgt von Salami und Mett. Alles Wissenswerte über das tierische Lebensmittel erfahrt ihr übrigens in unserem Zusammenhang: Die Fleisch-Frage.
Im „Ernährungsreport 2016“ des Bundeslandwirtschaftsministeriums sind interessante Fakten dazu gesammelt. So nascht jeder dritte Deutsche zwischen 30 und 44 Jahren gerne, zum Teil mehrmals täglich Schokolade, Gummibärchen und Kekse, häufig vor dem Fernseher oder Computer. Bei den Jüngeren (19 bis 29 Jahre) sind es nur zwölf Prozent, bei den Älteren 17 Prozent. Und bei allem Konsum musste fast die Hälfte der Befragten zugeben, dass sie mindestens ein Mal in der Woche Lebensmittel wegwerfen, besonders häufig in Familien mit mehr als vier Personen und am meisten Brot, gefolgt von Wurst und Milchprodukten.
Was bedeutet das nun in Kalorien? Als dreißigjähriger Mann hast du laut Deutscher Gesellschaft für Ernährung einen Kalorienbedarf von bis zu 3.000 Kilokalorien pro Tag, wenn deine Freundin so alt ist wie du, sollte sie normalerweise bis zu 2.400 Kilokalorien täglich zu sich nehmen. Dafür kannst du entweder Pommes satt futtern, die große Portion schlägt mit knapp 500 Kilokalorien zu Buche, oder zur Salatschüssel greifen (etwa 130 Kilokalorien). Magersüchtige essen häufig nicht einmal die Hälfte dessen, was ihr Körper zum Leben braucht.
Die Mehrzahl der Deutschen scheint sich an diese Regeln aber nicht zu halten. 62 Prozent der Männer und 43 Prozent der Frauen sind übergewichtig, weil sie zu viele Kalorien zu sich nehmen und sich zu wenig bewegen. Wenn du also mehr futterst, als du solltest, bist du statistisch gesehen durchaus normal, auch wenn du deiner Gesundheit damit schadest.
Ob all unser Konsum auch unter ethischen Gesichtspunkten normal ist, ist eine andere Frage. Genauso alt wie der Konsum ist auch die Kritik daran. Einen Kommentar dazu hat mir Krautreporter-Leser Klaus geschickt. Es handelt sich um eine Sequenz aus dem Film „Human“ von Yann Arthus-Bertrand. Der französische Fotograf und Journalist hat für seine Dokumentation mehr als 2.000 Menschen aus mehr als 60 Ländern interviewt, unter anderem José aus Uruguay, der über Konsum nachdenkt.
https://www.youtube.com/watch?v=0JXMpQf2XyE
Krautreporter-Leser Uwe empfiehlt das Buch „Der Mann ohne Geld“ von Mark Boyle. Der britische Wirtschaftswissenschaftler Boyle hat ein Jahr lang ohne Geld gelebt und seine Erlebnisse aufgeschrieben. Seine wichtigste Erkenntnis: „Wenn wir unser eigenes Essen anbauen würden, würden wir nicht ein Drittel wegschmeißen, wie es heute der Fall ist. Wenn wir unsere eigenen Tische bauen müssten, würden wir sie nicht einfach auf den Sperrmüll schmeißen, sobald sich die Mode ändert. Wenn wir unser Trinkwasser selbst reinigen müssten, würden wir es nicht verschwenden.“ Uwe legt uns das Buch ans Herz, denn „nachdem ich es gelesen habe, bin ich der Ansicht, dass selbst ein ‚normales’ Konsumverhalten alles andere als normal ist“. Auch solche Aktionen müssen aber kritisch hinterfragt werden, ebenso wie etwa die selbst ernannte Schenker-Bewegung um den Aussteiger Öff! Öff! oder die Containerer, denn sie partizipieren letztlich ebenso vom Konsum, wenn auch von dessen Kehrseite.
Aufmacherbild: Loriot in „Pappa ante Portas“ (© Tobis).