Freiwillig einfacher leben
Sinn und Konsum

Freiwillig einfacher leben

Minimalismus - eine Begriffsbestimmung.

Profilbild von Kolumne von Theresa Bäuerlein

1. Leises Glück. Der Begriff Minimalismus stammt eigentlich aus der Architektur und steht für eine klare Formsprache. Er beschreibt aber auch eine Lebensphilosophie, die nicht ganz eindeutig definiert ist: Ein Minimalist ist allgemein gesagt jemand, der Konsum und zu viel Besitz kritisch gegenübersteht und beides hinterfragt. Das ist keine neue Idee. Ähnlich wie die olle Rohkost durch die Raw-Food-Bewegung ein neues, trendiges Image bekommen hat, ist Minimalismus eine Haltung, die gerade wiederentdeckt wird. Die neuen Minimalisten haben keine Lust mehr darauf, dass ihr Leben vom Rhythmus ihres Smartphones bestimmt wird, und sie misstrauen dem Shopping-Glück. Sie wollen die Zeit wiederhaben, die mit E-Mails und sozialen Medien draufgeht und schnelle Erregung statt leisem Glück produziert. Manche wollen auch einfach deswegen weniger konsumieren, weil sie meinen, dass das besser für die Umwelt sei. Klingt logisch: Je weniger Zeug wir kaufen, desto weniger Ressourcen gehen dafür drauf. Wenn es T-Shirts für Minimalisten gäbe, würde also „Weniger ist mehr“ darauf stehen. Es gibt sie nicht, weil solche Shirts niemand braucht - und Minimalisten sie deshalb nicht kaufen würden.

  1. Freiwillig einfacher leben. Wie viele Minimalisten es gibt, ist unklar, weil das niemand gemessen hat. Aber es scheinen mehr zu werden, da es immer mehr Blogs und Bücher zu dem Thema gibt. Die wohl bekanntesten Vorreiter der Bewegung sind die US-Amerikaner Joshua Fields Millburn und Ryan Nicodemus, die den Blog theminimalists.com betreiben, und Kelly Sutton mit The Cult of Less. Deutsche Seiten sind zum Beispiel schlichtheit.com und minimalismus-leben.de und minimalisch.de. Als der Berliner Sebastian Küpers sich 2013 in seinem Blog zu einem einfacheren Lebensstil bekannte, indem er weniger als 100 Dinge besitzen wollte (der durchschnittliche Deutsche nennt etwa 10.000 Dinge sein eigen), befürchtete er Unverständnis. Stattdessen kamen von allen Seiten Schulterklopfen und Interviewanfragen. Offenbar hatte er einen Nerv getroffen.
  1. Technik hilft beim Entrümpeln. Minimalist sein ist jetzt wahrscheinlich einfacher denn je, weil man so vieles digitalisieren kann: Kein Mensch braucht mehr Bücher, CDs und DVDs herumschleppen. Andererseits kann man sich natürlich fragen, ob es wirklich minimalistisch ist, wenn man zig Gigabyte an Literatur und Songs besitzt. Auch praktisch, um Konsum zu reduzieren: die Sharing-Kultur. Man braucht Autos oder Werkzeuge nicht mehr selbst besitzen, sondern kann sie leihen oder auf Tauschplattformen im Internet besorgen. Das machen laut einer Studie der GfK besonders jüngere Menschen. Auch das ist natürlich nicht total neu, unsere Vorfahren haben sich selbstverständlich Dinge geliehen und geteilt. Aber während das früher eine Frage von Knappheit und Notwendigkeit war - man konnte sich einfach keine eigenen Sachen leisten - passiert Teilen und Leihen heute oft freiwillig und aus Überdruss am Überfluss heraus.
  1. Auch mental und emotional entrümpeln. Besitz bedeutet für Minimalisten nicht nur Dinge, die man kaufen kann. Sondern auch unbefriedigende Beziehungen und Tätigkeiten. Indem man ausräumt, was zu viel ist, soll mehr Platz und Aufmerksamkeit für die wichtigen und notwendigen Dinge da sein. Singletasking statt Multitasking. Der Blog theminimalists definiert das Ziel so: „Minimalismus ist ein Werkzeug, mit dem du das Überflüssige im Leben loswirst, damit du dich auf das konzentrieren kannst, was wichtig ist - so dass du Glück, Erfüllung und Freiheit finden kannst.“
  1. Konsumglück ist kurz. Sie kennen bestimmt jemanden, der einem Schnäppchen einfach nicht widerstehen kann. Wahrscheinlich ist der- oder diejenige mit dem Postboten per Du, hat einen überquellenden Schrank voll ungetragener Kleider und sieben Kaffeezubereitungsgeräte in der Küche. Laut der US-amerikanischen Vanderbilt University produzieren die Gehirne solcher Menschen möglicherweise größere Mengen des sogenannten Belohnungshormons Dopamin, weswegen sie eher zu Impulsivkäufen neigen. Dopamin wird ausgeschüttet, wenn wir etwas Neues und Aufregendes erleben - zum Beispiel ein neues Kleid oder eine neue Espressomaschine kaufen. Das geht aber nicht nur Impulsivkäufern und Kaufsüchtigen so, sondern, in unterschiedlichen Abstufungen, allen Menschen. Deswegen macht Shoppen tatsächlich froh - kurzfristig. Dumm nur, dass man sich kurz vor dem Bezahlen am glücklichsten fühlt. Wenig später hat man sich an das neue Kleid oder das abgefahrene Kaffeezubereitungsgerät gewöhnt. Und sehnt sich nach einem neuen Kick. Das ist das Hamsterrad des Konsums, aus dem Minimalisten aussteigen wollen.

  2. Wir kaufen immer mehr. Hier findet ihr eine beeindruckende Infografik, wie Deutschland in Echtzeit konsumiert.

  3. Man kann es aber auch übertreiben. Nachdem Sebastian Küpers sich vom größten Teil seines Besitzes getrennt hatte, zog er die folgende Bilanz: „Nach anderthalb Jahren, in denen ich mit weniger Dingen gelebt habe, kann ich sagen, was für mich der größte Nutzen war: Ich werde täglich daran erinnert, mich auf meine beiden Hauptziele im Leben zu konzentrieren. (…) Wie oft setzt man sich Ziele oder wie oft kommt man zu einem sehr wichtigen Schluss, der dann mit der Zeit verschwindet, weil man von anderen Dingen und anderen wichtigen Prioritäten total abgelenkt wird?“ Anschließend beschreibt er, was passieren kann, wenn man beim Aussortieren ein bisschen übers Ziel hinausschießt, als er zum Beispiel ins Freibad gehen wollte und merkte, dass er keine Badehose mehr besaß. Alex Rubenbauer, ebenfalls bloggender Minimalist, gibt deshalb in einem Interview zu bedenken, dass es albern sei, zu Hause auf Dinge zu verzichten, nur um sie anderswo ständig zu kaufen, etwa, wenn jemand ohne Kaffeemaschine ständig bei Starbucks sitze. Der Soziologe Bernd Vonhoff rät daher, sich immer zu fragen: „Was benötige ich?“ Minimalistisch zu leben sei eben auch Übungssache. „Wenn die Einstellung stimmt, ist der Prozess leicht“, sagt er in einem Interview.

  4. Wir müssen die Arterien unseres Lebens freimachen.“ Das fordert Autor und Designer Graham Hill in einem Vortrag über das Glück, weniger Dinge zu besitzen. „Wussten Sie, dass wir Amerikaner ungefähr drei Mal so viel Platz zur Verfügung haben wie noch vor 50 Jahren? Man würde ja denken, mit all diesem zusätzlichen Platz hätten wir jede Menge Raum für all unser Zeug. Nein. Es gibt inzwischen eine neue Industrie, eine 22-Milliarden-Dollar, 200-Millionen-Quadratmeter Industrie: persönlicher Lagerraum.” Weniger zu haben bedeutet Freiheit und mehr Zeit. Es spart Geld und macht das Leben ein bisschen einfacher. Denn, so Bernd Vonhoffs Erklärung: Die Welt werde immer komplexer. Diese Komplexität zu bewältigen und zu reduzieren sei stressig. 20 Prozent der Berufstätigen würden Stresssymptome aufweisen. Wer sein Leben minimalistisch gestalte, reduziere den Druck. Minimalisten sind deshalb ein kleines bisschen glücklicher.

 


Mitarbeit: Susan Mücke