Manchen wird direkt beim Vorstellungsgespräch gesagt, dass sie erst mit einem deutschen Nachnamen eingestellt werden. Solche und ähnliche Situationen erleben medizinische Fachkräfte immer wieder.
Eine Million Menschen mit Migrationshintergrund arbeiten im deutschen Gesundheitssystem. Das ist ein Viertel aller Beschäftigten. Sie sind entweder selbst zugewandert oder haben eine familiäre Einwanderungsgeschichte. Es geht also um rund eine Million Menschen, die in Deutschland alte Menschen pflegen, Operationen durchführen oder Medikamente verschreiben, die aber wegen ihres Aussehens, Namens oder Akzents potenziell rassistischen Übergriffen ausgesetzt sind.
Im Gesundheitswesen arbeiten überdurchschnittlich viele Menschen mit Migrationshintergrund. Wegen des Fachkräftemangels wird dieser Anteil wahrscheinlich noch weiter steigen, Deutschland wirbt auch gezielt Fachkräfte im Ausland an. Trotzdem gibt es kaum Studien und nur wenige Medienberichte über Rassismus gegen medizinisches Personal.
Wir wollten das ändern. Deshalb haben wir mit zwei Expert:innen und neun Fachkräften gesprochen, die bei ihrer Arbeit Rassismus erlebt haben. Sie arbeiten als Pfleger, Ärztin, Medizintechniker oder Psychotherapeutin in verschiedenen Regionen Deutschlands. Um sie vor möglichen Konsequenzen mit ihren Arbeitgebern zu schützen, haben wir ihre Namen anonymisiert.
„Mir ist es schon häufig passiert, dass gerade ältere Patient:innen Angst vor mir haben, weil ich Schwarz bin. Sie wollen sich nach einer OP nicht von mir begleiten lassen oder dass ich ihre Sachen berühre. Heute arbeite ich im Ambulanten Pflegedienst, dort ist es auch nicht besser. Die Menschen versuchen nicht einmal, ihren Rassismus zu verstecken. Manchmal wollen sie sich nicht mal von mir die Windeln wechseln lassen.“
– Pflegefachkraft in Norddeutschland
Die meisten Pflegebedürftigen in Deutschland leben zuhause. Sie werden von Angehörigen gepflegt und bekommen oft zusätzliche Unterstützung von einem ambulanten Pflegedienst. Dessen Mitarbeiter:innen kommen zu den Pflegebedürftigen, helfen beim Duschen, geben Medikamente oder wechseln Verbände.
„Als ich eine Angestellte mit Kopftuch einstellte, haben viele Menschen die Praxis verlassen“
Insgesamt arbeiten 4,2 Millionen Menschen in Deutschland im Gesundheitssystem, wie das Jahresgutachten 2022 des Sachverständigenrates für Integration und Migration zeigt. Ein Viertel dieser Menschen ist selbst zugewandert oder hat eine familiäre Einwanderungsgeschichte.
Besonders viele von ihnen arbeiten in der Altenpflege, fast jede:r Dritte der hier Tätigen hat einen Migrationshintergrund. Sie stammen häufig aus Ost- und Südosteuropa. Auch in der Ärzteschaft ist der Anteil von Menschen mit Migrationsgeschichte besonders hoch: Mehr als ein Viertel der Ärzt:innen in Deutschland ist selbst zugewandert oder hat zugewanderte Eltern, rund 14 Prozent haben keinen deutschen Pass. Sie stammen häufig aus Syrien oder Rumänien.
Menschen mit Zuwanderungsgeschichte scheinen „besonders dort Lücken zu füllen, wo es schwer ist, Fachkräfte zu gewinnen“, steht in dem Gutachten des Sachverständigenrates. Das trifft nicht nur auf die Altenpflege zu, sondern auch auf ländliche Regionen. Ausländische Ärzt:innen in Deutschland arbeiten häufiger auf dem Land als deutsche.
„Das Dorf, in dem ich wohne und arbeite, hat erstaunlich viele AfD-Wähler:innen. Man munkelt sogar, dass es hier Reichsbürger gibt. Als ich die Praxis übernahm und dann noch eine Angestellte mit Kopftuch einstellte, haben viele Menschen die Praxis verlassen.“
– Hausärztin im Saarland
Für eine Studie aus dem Jahr 2020 wurden 24 Personen befragt, allesamt Mitarbeitende der stationären Altenpflege und mit türkischem Migrationshintergrund. Die Ergebnisse dieser Studie zeigen, dass türkischstämmige Pflegekräfte in der Krankenpflege häufig Diskriminierung an ihrem Arbeitsplatz erfahren. Die Befragten berichten davon, dass die Pflegebedürftigen sie beispielsweise als „Scheiß-Ausländer“ beschimpfen oder nicht von einer Pflegekraft mit Kopftuch betreut werden wollen.
Das ist auch deshalb fatal, weil es wegen des demografischen Wandels immer mehr Alte und Pflegebedürftige in Deutschland gibt. Wir brauchen Pflegekräfte. Doch genau diese Fachkräfte, auf die Deutschland so dringend angewiesen ist, werden oft schlecht behandelt. Die Autorinnen der Studie warnen: Wenn die Diskriminierung nicht bekämpft werde, „könnte die Qualität der Pflege leiden und Pflegekräfte mit Migrationshintergrund könnten den Pflegeberuf aufgeben.“
„Als Auszubildende begleitete ich meine älteren Kolleg:innen. Die Klientin kannte die Kolleg:innen schon. Meine Ausbilderin gab mir die Anweisung, die Strümpfe zu wechseln. Als die Klientin mich sah, verzog sie das Gesicht und sagte: ‚Hey, was macht die Schwarze hier?‘ Sie hatte ihre Füße von mir weggezogen. Meine Kollegin kam mir zu Hilfe und sagte, dass sie entweder von mir die Socken angezogen bekommt oder sie muss barfuß bleiben. Daraufhin entgegnete die Klientin: ‚Sie können mir die Socken gerne anziehen, aber die Schwarze will ich nicht.‘ Ihre Angehörigen standen nur daneben und haben gelacht.“
– Pflegefachkraft in Ausbildung in Rheinland-Pfalz
„Ich habe Angst, etwas zu sagen, weil ich dann immer denke, ich verliere meinen Job“
Elif Can ist Radiologin, ein Bereich der Medizin, der sich mit bildgebenden Verfahren befasst. Sie ist Mitgründerin der Fokusgruppe Migration der Deutschen Röntgengesellschaft und arbeitete 2022 an einer Studie mit, bei der 250 ausländische Fachkräfte befragt wurden. Den Ergebnissen nach geht Diskriminierung seltener von Vorgesetzten oder Patient:innen aus, sondern häufiger von Kolleg:innen. Hier ist allerdings auch wichtig, dass die Studie an zwei Unikliniken durchgeführt wurde, bei denen der Konkurrenzdruck beim Personal besonders hoch ist.
„Das sind Kolleg:innen, die auf derselben Ebene sind und zum Beispiel Schichten oder Patient:innen übergeben“, sagt Can. Es gehe etwa darum, wer die besseren Schichten bekomme oder Nachtdienst machen müsse. „All diese Dinge sind total wichtig im Krankenhausalltag“, sagt Can, „und dann hat jemand das Nachsehen, der sich nicht so gut artikulieren kann oder die Stelle gerade neu angenommen hat.“
„Ich war bei Schulungen, in denen es eigentlich um Deeskalationstraining gehen sollte. Sehr schnell kam das Gespräch dann auf die sogenannten Migranten und Ausländer aus Arabien, bei denen es besonders wichtig sei, deeskalierend zu sein. Diese Bezeichnungen und Herabstufung fanden in den Schulungen statt. Die grundsätzliche Haltung war immer, dass man mit diesen Menschen schwer umgehen könne, weil sie so schwierig seien und sie die Behandlung schwerer machten. Während der Schulung zu dem Zeitpunkt war ich die Jüngste und gleichzeitig die einzige Person mit Migrationshintergrund.“
– Psychotherapeutin in Ausbildung in Nordrhein-Westfalen
„Ich werde oft nicht so ernst genommen wie meine weißen Kolleg:innen. Ich biete Weiterbildungen an und wenn es darum geht, einen Termin zu finden, werden die anderen Kolleg:innen gefragt, welcher Termin ihnen passt. Mir wird einfach einer genannt. Auch bei Raumänderungen kriege ich nie oder sehr kurzfristig Bescheid. Meine Räume sind auch qualitativ schlechter. Ich habe aber Angst, etwas zu sagen, weil ich dann immer denke, ich verliere meinen Job.“
– Ehemalige Pflegefachkraft, berät Mitglieder der afrikanischen Community bei gesundheitlichen und sozialen Anliegen in Berlin
Die Untersuchung von Elif Can und ihren Kolleg:innen ergab, dass Sprache einer der Hauptfaktoren für Diskriminierung ist. Sprache ist wie ein „Einfallstor“, das rassistische Diskriminierung überhaupt erst möglich macht. „Jemand, der eine rassistische Grundeinstellung hat, nutzt jede mögliche Schwäche, um eine andere Person herabzusetzen“, sagt Can. Das könne das Aussehen sein, der Name oder eben besonders oft ein Akzent oder Grammatikfehler.
Aber nicht nur Sprache spielt eine Rolle, sondern auch der Abschluss oder das Ansehen des eigenen Berufs. Cans Studie ergab ebenfalls, dass nicht-akademisches Personal häufiger diskriminiert wird als akademisches. „Das sind Leute, die in der Hierarchie eh schon weiter unten stehen“, sagt Can, „und die haben dann im Zweifel das Nachsehen.“
„Jetzt, da ich in der Krankenhaushierarchie aufgestiegen bin, wird meine Herkunft immer weniger zum Thema gemacht. Als ich noch im Pflegepraktikum war, kamen häufiger negative Bemerkungen und abwertendes Verhalten vor.“
– Radiologe in Berlin
„In meiner Produktlinie war ich der erste mit akademischem Titel, inzwischen haben alle einen akademischen Titel. Aber als Ausländer muss man wesentlich höher qualifiziert sein, um den gleichen Job zu kriegen. Wir müssen wesentlich besser sein als der deutsche Kollege, der von neun bis 17 Uhr arbeitet. Das ist eine Selbstverständlichkeit.“
– Medizintechniker in Berlin
„Ich appelliere an meine Kolleginnen und Kollegen, das wirklich ernst zu nehmen“
Keine Branche leidet so unter Fachkräftemangel wie das Gesundheitswesen. Wie aus einer Studie des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) hervorgeht, waren in den Jahren 2023 und 2024 durchschnittlich etwa 47.000 Stellen offen. Das Statistische Bundesamt hat berechnet, dass bis zum Jahr 2049 voraussichtlich zwischen 280.000 und 690.000 Pflegekräfte fehlen werden.
Es ist sicher kein Allheilmittel, Fachkräfte aus dem Ausland anzuwerben. Doch es ist zumindest eine Möglichkeit, um gegen die Personallücken vorzugehen. Verschiedene Agenturen und Programme versuchen deshalb gezielt, Menschen im Ausland anzuwerben. Dazu gehört zum Beispiel das „Programm Triple Win“ der Bundesagentur für Arbeit und der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ). Triple Win bedeutet, dass drei Parteien davon profitieren sollen: die Herkunftsländer, das Zielland Deutschland und die Fachkräfte selbst.
Doch nicht alle, die kommen, werden mit offenen Armen empfangen.
„Ich habe mich 2015 auf eine Stelle in einem Krankenhaus in Erlangen beworben. Damals war ich seit zwei Jahren in Deutschland. Ich wurde zum Gespräch eingeladen und der Klinikdirektor sagte zu mir: ‚Sie können gleich wieder gehen. Kommen Sie erst wieder hierher, wenn Sie einen Müller geheiratet haben!‘ Ich bin osteuropäisch und hatte zu dem Zeitpunkt auch einen entsprechenden Namen. Heute habe ich einen deutschen Namen, weil ich einen deutschen Mann geheiratet habe. Aber nicht wegen des Klinikdirektors. Dessen Aussage damals hat mich echt fertig gemacht.“
– Gynäkologin in Nordrhein-Westfalen
Selbst wenn es keine Anfeindungen auf persönlicher Ebene gibt, kämpfen ausländische Fachkräfte mit der deutschen Bürokratie. Vor allem die Anerkennungsverfahren sind kompliziert und für Zuwanderer:innen schwer zu durchschauen. Der Sachverständigenrat für Integration und Migration fordert in seinem Gutachten deshalb einen „Transparenz- und Effizienzschub“.
„Ich habe Medizin in Kuba studiert. Dort wurde immer gesagt, geht nach Deutschland, dort werdet ihr gebraucht. Uns wurde versprochen, dass alles ganz leicht werden wird und wir dort positiv aufgenommen werden. Als ich hier ankam, stellte sich das schnell als falsch heraus. Es wurde mir auf allen Ebenen schwer gemacht. Ständig sagten die Menschen in Behörden, dass sie nicht zuständig sind, aber sagten mir nicht, zu wem ich sonst hätte gehen sollen. Manchmal wurde mir sogar direkt gesagt, dass niemand Interesse an einer ausländischen Ärztin hat.“
– Hausärztin in Berlin
Wie lässt sich dagegen vorgehen? „Ein Problem dabei ist, dass das Gesundheitssystem sehr hierarchisch ist“, sagt Pedram Emami. Er ist Präsident der Ärztekammer Hamburg und hat dort eine Antidiskriminierungsstelle geschaffen. Laut Emami gibt es in Deutschland einen starken Fokus auf Patient:innen, deshalb dürfen sich bei der von ihm geschaffenen Antidiskriminierungsstelle ausdrücklich auch Ärzt:innen melden. „Viele trauen sich nicht, darüber zu sprechen“, erklärt er. Es komme häufig vor, dass ihn Menschen informell ansprechen würden, anstatt sich bei der Antidiskriminierungsstelle zu melden, weil sie Angst hätten, Probleme mit ihrem Arbeitgeber zu bekommen.
„Ich appelliere an meine Kolleginnen und Kollegen, das wirklich ernst zu nehmen“, sagt Emami. Das bedeute aber nicht, pressewirksame Fotos zu veröffentlichen oder Programme auf die Tagesordnung zu rufen. „Wenn man am Ende auf die Mitarbeiterliste der Abteilung guckt, dann sieht man ein hierarchisches Gefälle zu Ungunsten der Leute mit Migrationsgeschichte. Da sollte es nicht nur beim Reden bleiben, sondern man sollte wirklich ernst machen und das Thema offen angehen.“
Die Radiologin Elif Can schlägt ein paar konkrete Maßnahmen vor. Vorgesetzte sollten darauf achten, dass Schichten gerecht verteilt werden, Arbeitgeber sollten Sprachkurse finanzieren und das Personal gegebenenfalls freistellen, um ihnen so zu ermöglichen, neben der Arbeit noch Kurse zu besuchen.
Denn nur weil man nicht selbst aktiv diskriminiert, sei noch lange nicht alles in Ordnung, so Elif Can. „Es kann auch so sein, dass man Strukturen akzeptiert, die solche Diskriminierung begünstigen.“
Redaktion: Theresa Bäuerlein, Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Philipp Sipos, Audioversion: Christian Melchert und Iris Hochberger