Wie sich ausgerechnet Impfgegner viral vermehren
Psyche und Gesundheit

Wie sich ausgerechnet Impfgegner viral vermehren

Im Netz formieren sich neue Protestgemeinschaften. Wie das funktioniert, zeigt der Kampf der Impfgegner. Für ihre Wahrheit, dass Impfen schädlich ist, verbünden sie sich heute online als ansteckendes „Konnektiv“.

Profilbild von Friedemann Karig

Als er zwei Schnitte in die Haut seines Babys ritzt, riskiert Edward Jenner alles. Am 17. Dezember 1789 infiziert der englische Arzt seinen einjährigen Sohn mit Tierpockenviren. Bald bekommt Edward Junior Fieber. Die Krankheitssymptome der „smallpox” treten auf und verschwinden wieder: Ausschlag, geschwollene Lymphknoten, erhöhte Temperatur. Einige Wochen später infiziert Jenner den Säugling erneut, mit den „echten“ Pockenviren der menschlichen Seuche. Mit Viren, die im 18. Jahrhundert geschätzt 60 Millionen Menschen töten.

Jenner beobachtet das Baby in den Tagen danach genau. Doch nichts geschieht. Der Junge ist immun. Der Landarzt aus Berkeley, Gloucestershire, hat die „Vakzinierung“ erfunden, die Impfung. Sie wird unzähligen Menschen das Leben retten. Bis 1980 die Weltgesundheitsorganisation vermeldet: „Die Erde ist frei von endemischen Pocken. Für eine künftige Rückkehr gibt es keinerlei Hinweise.“ Jenners Methode hat die Pocken, wie viele andere Infektionskrankheiten auch, quasi ausgerottet.

Ein zweihundertjähriger Krieg

Doch trotz aller Erfolge kämpft eine Gruppe von Impfgegnern bis heute für eine alternative Wahrheit: „200 Jahre Impflüge: Urheber Edward Jenner“ schreiben sie unter den ersten Suchtreffern zu seinem Namen, und: „Der schwere Irrtum des Edward Jenner.“ Sie sind überzeugter denn je, dass Impfen nicht hilft, sondern schadet. Dass es nur den Interessen der Pharmaindustrie dient. Dass Jenner kein Held war, sondern ein gefährlicher Irrer. Sie sind in der Minderheit. Aber im Netz sind sie ansteckender denn je.

https://soundcloud.com/krautreporter/friedemann-karig-impfen-ist-bose-wie-sich-ausgerechnet-impfgegner-viral-vermehren

Edward Jenner (Pastellzeichnung von John Raphael Smith).

Edward Jenner (Pastellzeichnung von John Raphael Smith). Quelle: Wikimedia, gemeinfrei

Jenner testet seine Methode an dutzenden Fällen und schickt schließlich seine Ergebnisse nach London zur Veröffentlichung. Seuchen und Epidemien sind im England des 18. Jahrhunderts an der Tagesordnung. Besonders gefürchtet: die Pocken. Wen sie nicht nach langem Fieber töten oder blenden, entstellen sie oft grauenvoll. Kaiserin Maria Theresia von Österreich verbannt nach ihrer überstandenen Erkrankung alle Spiegel aus ihren Wohnräumen.

Doch die angesehene Royal Society verlacht Jenner. Seine Kritiker, besonders der Klerus, nennen es „rückständig„ und „unfromm“, jemanden mit dem Gewebe eines kranken Menschen oder gar Tieres zu beflecken.

Heute tobt der Kampf ums Impfen wieder, vor allem in den USA. Auf Twitter, Youtube und Facebook versuchten militante Impfgegner in den vergangenen Monaten vehement, aber vergeblich, die Abschaffung eines Gesetzes („SB-227“) in Kalifornien zu verhindern. Es erlaubte ihnen bisher einen „moralischen Opt-Out“ vom Impfen ihrer Kinder. Diese Impflücke sollte geschlossen, das Impfen ohne Ausnahme Pflicht werden.

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Also zogen die “Anti-Vaxxers“ ins Feld gegen das Establishment, die Medien, die Pharmaindustrie. „Nein zu von der Regierung aufgezwungenem Gift“ schreibt einer, oder: „Unsere Medien sind von der Pharmaindustrie gekauft.“ Unter dem Hashtag #sb227 bedrohten sie prominente Impfbefürworter und veröffentlichten Bilder ihrer durch Impfungen „misshandelten“ Kinder. So schnell wie massenhaft neue Antivaxx-Accounts eröffnet wurden, kamen die Opfer mit Beschwerden und Klagen nicht hinterher.

Als Edward Jenner die Impfung erfand, waren ihre Gegner in der Mehrheit. Im Juni 1798 veröffentlicht er seine Ergebnisse, nachdem sie die Royal Society wegen „mangelnder Überzeugungskraft der vorgelegten Daten“ ablehnt, auf eigene Kosten. Doch einem unbekannten Provinzdoktor will man nicht glauben. Statt Ruhm erntet er Spott, Schmähungen, Ignoranz. „Impfgift“ nennt ein deutscher Pfarrer die Vakzination; ein Stuttgarter Arzt die impfenden Mediziner eine „gesetzlich privilegierte Kaste von Giftmischern“.

Damals zeigten Karikaturen geimpfte Menschen, denen Kuhköpfe wachsen. Heute rumoren die sozialen Netzwerke. Was hat sich seit 1796 verändert – außer den Mehrheitsverhältnissen?

Das andere Wissen

Was der Erfinder der Impfung erlebte, war die übliche Karriere einer Erfindung. Anfangs steht das Neue im Gegensatz zum „orthodoxen Wissen“ einer Gesellschaft, das sie „Wahrheit“ nennt. Es fällt in die Kategorie des „heterodoxen“, des abweichenden oder einfach „neuen“ Wissens. Und damit in eine Schublade mit Spekulationen und Propaganda. Neues Wissen muss erst seinen Weg zu den akzeptierten Wissensbeständen finden, die vornehmlich von Wissenschaft, Medien und Politik definiert werden. Was „wahr“ ist, wird so jeden Tag aufs Neue definiert. Und „Wahrheit“, schrieb Edward Jenner 1796, „war immer das Ziel meiner Bemühungen.“

Erst galt Jenner als gefährlicher Spinner. Heute gibt es in Gloucester ein Edward-Jenner-Museum. Wenn sie sich also über Zeit verändert – was ist Wahrheit dann?

Wenn man „Wahrheit“ und „Impfen“ googelt, landet man auf „wahrheiten.org“. Dort heißt es über einen impfkritischen Arzt:

Durch den Entzug seiner Approbation hat ihn die Impfindustrie quasi als Aufklärungs-Experten geadelt.

Ist also für eine Minderheit etwas automatisch richtig, weil es von den herrschenden Instanzen für falsch erklärt wird? Auf wahrheiten.org werden auch die offizielle Version der Anschläge von 9/11 („Waren es nicht doch eher amerikanische Terroristen?„), die Bundesrepublik Deutschland (“Die BRD – ein Unternehmen mit beschränkter Haftung?“) oder die Evolution an sich angezweifelt. Studien zeigen: Impfgegner finden sich oft unter anderen Pseudo-Skeptikern, die alles anzweifeln. Außer sich selbst.

Aber ist damit Impfkritik eine Verschwörungstheorie wie die Chemtrails oder die Illuminaten? Ist sie harmloser oder sogar gefährlicher? Und wie geht sie genau vor?

„Stiftung Lügentest“

Am 18.2.2015 explodiert etwas auf der Facebook-Seite der Stiftung Warentest. Nachdem sich das Thema durch einen Masern-Todesfall in Berlin aufgeheizt hat, entzündet sich an dem Artikel „Masern in Deutschland – was Sie jetzt wissen müssen“ die Wut der Impfgegner. Die „Stiftung Lügentest“, heißt es, sei ebenso von der Pharmalobby gekauft wie Politik und Wissenschaft und alle Medien. Die Impfgegner wittern ihre Chance: Eines der Aushängeschilder des Establishments scheint schutzlos ausgeliefert.

Doch einer stellt sich ihnen in den Weg: Sebastian Hirsch, Online-Redakteur der Stiftung. Er beantwortet fast jeden einzelnen Kommentar. „Wir haben in den Wochen vorher schon gemerkt, dass da was brodelte“, sagt er. So heftig habe er den Shitstorm allerdings nicht erwartet: “3.500 Kommentare nur bei uns, tausende weitere bei den geteilten Links. Dazu Twitter und so weiter. Ich habe mich sehr gefreut.“

Gefreut? Fielen die Impfgegner nicht über seine kleine Online-Redaktion her wie, Entschuldigung, Viren über ein ungeimpftes Wirtstier? „Mich hat das alles eher ermutigt, dem Wahnsinn weiter die Stirn zu bieten. Von allen Mails und Nachrichten, die wir bekamen, war nur eine einzige negativ. Alle anderen bestärkten uns, dass wir dagegen halten sollen.“ Dass eine kleine, aber laute Gruppe den Ton angibt und dadurch überlegen erscheint, konnte Hirsch nicht täuschen. “Es gibt ja neben den unbelehrbaren Impfgegnern eine Mehrheit, die vernünftig diskutieren will. Die war dankbar.“

Hirsch ist aber wichtig, dass „das die meisten keine Spinner sind. Viele kommen aus der gut situierten Mittelschicht.“

Und auch das ist Sebastian Hirsch wichtig: Kritische Fragen zu medizinischen Methoden müssen erlaubt sein. Als Mitte der 00er-Jahre die Impfung gegen Gebärmutterhalskrebs erregende HPV-Viren (Humane Papillomaviren) bei jungen Frauen propagiert wurde, begann ein Wettrennen der Hersteller. Informationskampagnen und Lobbyarbeit ließen wenig Raum für Kritik.

Als diese dann 2008 umso heftiger ausfiel, sanken die Impfraten auf zehn bis zwölf Prozent. Obwohl zwei Todesfälle von HPV-geimpften Mädchen auch nach eingehender Untersuchung keinen Zusammenhang zu den Impfungen aufwiesen, benutzten Impfgegner sie als Argumente. Von diesen Rückschlägen hat sich die HPV-Impfung nie erholt, obwohl sie heute als sehr sicher und wirksam gilt. Eine vernünftige Diskussion hätte viel früher alle Bedenken ausräumen können. Impfen birgt, wie jede medizinische Maßnahme, gewisse Risiken. Über sie aufzuklären, sieht auch Hirsch als ersten Schritt zur Akzeptanz.

Klassische verschwörungstheoretische Muster

Kritik ist also ungleich Kritik. Man muss genauer hinschauen, auf die Ebene der Argumentation und der Kausalitäten. Dort überwiegen bei den amerikanischen Anti-Vaxxern, aber auch den deutschen Impfgegnern oft klassische verschwörungstheoretische Muster: An der Spitze stehen Bösewichter, in diesem Fall die Pharmaindustrie, die Wissenschaft und Politik gekauft hat. Die Bevölkerung ist das unwissende Opfer. Obwohl sie bekannte Sprachrohre hat.

Die amerikanische Gesundheitsbehörde CDC nennt der Schauspieler Jim Carrey, vielleicht der prominenteste Anti-Vaxxer, „korrupt“. Institutionen wie sie zwängen die nichtsahnende Bevölkerung zum Impfen. Was angeblich nicht nur nichts bringt, sondern sogar schadet, weil es beispielsweise Autismus fördert.

https://twitter.com/JimCarrey/status/616076731254902784

Das glaubt auch der milliardenschwere Unternehmer Donald Trump, ein weiteres Aushängeschild der Anti-Vaxxer, der twitterte:

https://twitter.com/realdonaldtrump/status/449525268529815552

Solches „Super-Wissen“, das scheinbar nur eine auserwählte Minderheit kennt und das mit einem Schlag alles erklärt, sogar eine in ihren Ursachen noch gänzlich ungeklärte Kondition wie Autismus, verunsichert auch gemäßigte Skeptiker, die von Todesfällen schockiert sind. Diese Überbewertung von negativen Signalen und Nachrichten ist nur menschlich. Und evolutionär bedingt. Der Mensch neigt angesichts von abstrakten Risiken dazu, wie ein nervöses Zebra in der Steppe lieber falsch-positive als falsch-negative Annahmen zu treffen. Lieber einmal zu oft wegrennen – als einmal zu wenig. Denn dann ist man tot.

Dieses Verhaltensmuster setzt sich jenseits der Steppe fort: Alarmismus ist viral. Die schlimmste Nachricht ist immer die wichtigste. Besonders in den Echokammern des Netzes, in denen sich besonders von Wut und Angst besetzte Inhalte verbreiten. In denen verschiedene Verschwörungstheorien sich nachweislich gegenseitig befruchten, weil die User leicht von einer an die nächste geraten. „Daran sind wir Medienschaffenden selbst schuld„, sagt Online-Redakteur Hirsch. “Jahrelang haben wir Journalisten, aber auch die Leser die Kommentarspalten oft den Verschwörungstheoretikern überlassen.“

Die fünfte Gewalt

Warum gibt sich eine Bewegung den Namen „Google WTC-7!“? Warum wird ausgerechnet die Aufforderung namensgebend, alternatives Wissen zum am 11. September 2001 eingestürzten Gebäude „WTC-7“ via Google zu finden?

In der dezentralen Struktur des Netzes hat es „neues“ Wissen leichter. Das liegt auch an Google. Als Inhaltsverzeichnis des Netzes fördert es eher die Ränder des kollektiven Gedächtnisses. Suchmaschinen machen präsent, was früher nicht veröffentlich worden wäre. Die Wikipedia hingegen unterscheidet – wie Lexika als Archive des verfügbaren Wissens seit jeher – klar zwischen etablierten und „neuem“ Wissen. Ihre Seite zu 9/11 enthält nur die offizielle Version. Erst die Seite „Verschwörungstheorien zu 9/11“ bietet auch alternative Erklärungen.

Zu Edward Jenner findet man im Netz viele Unterstellungen. Sein Sohn sei infolge der Impfung „geistig behindert“ gewesen, ein anderer Junge an einer durch die Impfung verursachten Tuberkulose gestorben. „Ich weiß nicht, ob ich nicht doch einen furchtbaren Fehler gemacht und etwas Ungeheuerliches geschaffen habe“, zitieren die Impfgegner Jenner, obwohl sie das Zitat nicht belegen können. Oder wie sie es ausdrücken: „Primärquelle bleibt aufzufinden.“

„So arbeiten diese Leute“, sagt Sebastian Hirsch von der Stiftung Warentest. „Da werden unzählige Links zu verschwörungstheoretischen Seiten gepostet. Da hat Verlag X ein Buch rausgebracht, von dem wird in Blog Y abgeschrieben, und das zitiert dann Verlag X wiederum. So hat sich eine publizistische Subkultur gebildet, die sehr mächtig wirkt. Unsichere Leute lassen sich davon nicht selten einschüchtern.“

Die lose, aber sehr wirksam organisierten Impfgegner sind ein Paradebeispiel für die neue Form des „Konnektivs“, wie es der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen, Professor an der Universität Tübingen, definiert. „Ein Konnektiv ist eine digital vernetzte, prinzipiell offene Gruppe, die im Austausch, im Kommentieren und Teilen von Information gleichzeitig Individualität und Gemeinschaft erlebt. Kurz: Eine Organisation ohne Organisation.“

Die Anti-Vaxxer in den USA nutzen als Konnektiv vor allem Twitter, die deutschen Impfgegner eher Facebook. Dabei überschneiden sich bestimmte Bewegungen: Viele Anti-Vaxxer stehen der ultrakonservativen Tea Party nahe, die jede Einmischung des Staates und damit auch eine Impfpflicht ablehnt. In Deutschland fällt Sebastian Hirsch auf, dass “alle kruden Theorien, die mit Gesundheit, Ernährung und dem damit verbundenen Sicherheitsgefühl zu tun haben, durchaus auch gut gebildete Anhänger haben.“

Dabei ist die Marschrichtung eines Konnektivs in den allermeisten Fällen ein klares Dagegen. „Das Konnektiv tritt als eine Protestgemeinschaft in Erscheinung“, sagt Pörksen. “Die Gemeinsamkeit ist der Modus der Negation. Ganz unterschiedliche Menschen, die sicher keinen entspannten Abend miteinander verbringen könnten, treffen sich in der Abwehr des Abgelehnten.”

„Sie denken, dass sie eine andere Wahrheit gefunden haben“, sagt Sebastian Hirsch. „Und weil sie sich als David gegen Goliath sehen, wollen sie diese Wahrheit unbedingt verbreiten. Solch eine Mission setzt unheimlich viel Energie frei.“ Weil im Digitalen dieser erregte Austausch, die Vernetzung von Protest so einfach ist, gewinnen diese „vernetzten Vielen“ die Macht, ihr neues „dagegen“-Wissen zu verbreiten, als sei es schon akzeptiert. Damit sind sie nicht alleine: Klimawandel-Skeptiker beispielsweise fühlen sich ebenso als David gegen den Mainstream-Goliath.

Zwielichtige Seiten statt Information

Dass sie eine sehr kleine Minderheit sind, die mit ihrem Verhalten die Mehrheit gefährdet, sehen Impfgegner nicht. Sie unterliegen der netzwerk-typischen „Majority Illusion“. Wer sich viel mit einer Perspektive und den dazu angebotenen Quellen beschäftigt, glaubt irgendwann, die Mehrheit würde es genau so sehen. Und genau das macht dieses Konnektiv so gefährlich.

„Es gibt viele arglose, vielleicht etwas leichtgläubige Menschen, die auf der Suche nach Haltung leicht zu beeinflussen sind“, erklärt Sebastian Hirsch. David Bardens, ein deutscher Allgemeinmediziner, der dem Impfkritiker Stefan Lanka auf dessen Aufforderung hin die Existenz von Masernviren bewies und seitdem einen aufsehenerregenden Prozess um das versprochene Preisgeld führt, klagt: „Wenn sich Eltern im Internet über Impfungen informieren wollen, landen sie schnell auf irgendwelchen zwielichtigen Seiten.“

Im Falle der Impfgegnerschaft, die mit verantwortlich ist für eine relativ geringe Impfrate in Deutschland in den letzten Jahren, folgt aus geistiger Ansteckung im schlimmsten Falle die körperliche. Die letzten Todesfälle durch Masern, namentlich die siebenjährige Alina, wären bei einer vollständigen Impfung der Bevölkerung vermutlich fast auszuschließen.

Wie also das Kollektiv gegen die Verirrungen dieses Konnektivs impfen?

„Man kann einem Konnektiv keine Befehle erteilen“, sagt Medienwissenschaftler Pörksen. “Niemand kann sagen: So, Schluss jetzt! Nun aber in die andere Richtung! Nun lasst mal Eure blöden Tweets, das passt hier nicht!“ Weil ein Konnektiv wenig bis keine Hierarchie kennt und sich immer wieder spontan neu organisiert – per Hashtag, Facebook-Seite oder in einer Kommentarspalte – ist es von außen nicht kontrollierbar. Und im Zirkelschluss des „wer nicht für uns ist, ist gegen uns“ werten Fanatiker jede Gegenwehr als Bestätigung ihrer Thesen. Wieso, wenn nicht zur Unterdrückung ihrer unbequemen Wahrheit, sollte man sie bekämpfen?

Für die Stiftung Warentest ist klar: „Alles ist besser als ignorieren. Das schafft erst Raum für Zweifelhaftes“, so Social-Media-Redakteur Hirsch. “Wenn wir aber dagegenhalten, unser Knowhow und die Recherche zeigen, motivieren wir andere Nutzer, uns zu folgen.”

Nicht um Fanatiker umzustimmen, sondern um ihre Wirkung einzudämmen, darf man sie nicht gewähren lassen, findet Hirsch. Für ihn gibt es keine Alternative zur argumentativen Arbeit gegen das Dagegen. Denn „geistiges Impfen“, also die Infektion der Neutralen mit einer schwächeren Variante, um sie gegen den großen Unsinn zu immunisieren, wird nicht funktionieren.


Aufmacherbild: Schutzimpfung aus der Sicht des Satirikers James Gillray. Wikipedia, gemeinfrei

Der Text wurde gesprochen von Alexander Hertel von detektor.fm