Zwei getigerte Babykätzchen in einem Weidenkorb. Sie befinden sich in einem Fotostudio mit klassischem hellblauen Hintergrund

Amy Baugess/Unsplash, teilweise KI-generiert

Psyche und Gesundheit

Unterkuschelt: Was fehlt, wenn uns niemand berührt

Ich dachte immer: Kuscheln ist was für Pärchen, Kinder und Esos. Dann landete ich in einem Matratzenlager mit Fremden. Und plötzlich weinte ein Mann an meiner Schulter.

Profilbild von Roland Rödermund
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Die Szene irritierte mich über die Maßen: Während wir mit mehreren Freund:innen zusammen auf dem Sofa saßen, Chips futternd und Drinks trinkend, lag eine von uns plötzlich Arm in Arm mit einer anderen Freundin auf dem Boden. Nicht betrunken, nicht schlafend – die zwei kuschelten recht intensiv und mitten im Raum.

Ich spürte sofort diese unangenehme Enge. So wie früher, wenn sich beim Fernsehen auf dem Bildschirm Menschen an die Wäsche gingen und die Eltern saßen daneben. Fremdscham, ohne dass es dafür einen richtigen Grund gab.

„Oha, im Streichel-Kreis gehts wieder los …“, murmelte ich angesichts des Kuschelknäuels auf dem Boden halb im Spaß, halb genervt.

Was mich stresste, war nicht das Kuscheln an sich. Es war die Erinnerung daran, dass ich diese Art von Nähe selbst kaum noch kannte. Dass sie mir fehlte. Dass ich mich in solchen Momenten nicht nur außen vor fühlte, sondern ein bisschen leer. Als wäre da eine Stelle in mir, die andere mühelos füllen konnten, während ich nicht einmal wusste, wo ich überhaupt fragen sollte.

Ich entschuldigte mich später. Meine Freundin lachte und sagte: „Kein Ding, Kuscheln ist ja nicht für jeden was.“

Für sie war das Thema erledigt.

Für mich war es erst am Anfang.

Wie ich vom Knuddler zum Kopfmensch wurde

In den Tagen danach fiel mir ein: Im Vorschulalter war ich der absolute Superkuschler. Ständig wollte ich meine Eltern drücken, wollte auf ihren Arm, um von dort aus anderen Kindern im Gesicht herumzufassen oder ein Ohrläppchen zu kneten. Die Erzieherinnen im Kindergarten nannten mich „unser Schmusekind“, wenn ich mal wieder mit erhobenen Armen vor ihnen stand – die universelle Geste für: Hochheben, Knuddeln. Auch im Sitzkreis klebte ich verlässlich an irgendwem – Hauptsache nah.

Als ich älter wurde, änderten sich die Spielregeln der Berührung schlagartig. Unter Jungs galt bald das ungeschriebene Gesetz: Körperkontakt nur beim Rempeln, Raufen, oder – in einem unbeholfenen Vorgriff auf Erwachsenenwelten – beim simulierten Rammeln, der Nachahmung dessen, was man sich so unter Sex vorstellte. Das Konzept von „einfach so gehalten werden“ muss damals still aus meinem Alltag verschwunden sein wie ein verlorener Handschuh im Winter. Als schwuler Jugendlicher war die Sache ungleich komplexer. Zwischen Zärtlichkeit, Irritation und Ablehnung lag oft nur ein Blick. Also gewöhnte ich mir Nähe wieder ab, drückte sie weg – sicher nicht, weil ich sie nicht wollte, sondern weil ich nicht wusste, wohin mit ihr.

Und heute? Bin ich wie viele so ein typischer „Dreisekunden-Drücker“. Mit Freund:innen wird zur Begrüßung kurz umarmt, dann wieder zum Abschied. Körperkontakt war für mich bisher etwas, das im Rahmen einer Beziehung oder mit Kindern passiert. Da ich kinderlos und derzeit Single bin, war mein Leben bislang eine weitestgehend kuschelfreie Zone. Schon das Wort „Löffelchen“ beklemmt mich, nachts im Bett brauche ich viel Platz auf meiner Seite statt des liebevollen Klammergriffs einer Freundschaft+. „Ich bin underfucked“, habe ich schon öfter in Phasen der Sexlosigkeit gejammert. „Ich bin underhugged“ dagegen nicht mal gedacht. Geschweige denn gefühlt.

Warum fällt mir mein eigenes Unterkuscheltsein erst so spät auf? Wie findet man überhaupt als Single andere Wege, Nähe zu leben – und wie geht das, ohne sich zu verbiegen oder fremdzuschämen?

Ich weiß nicht, ob es ein Klischee ist, dass Männer öfter als Frauen Kuscheln mit Vor- oder Nachspiel beim Sex verwechseln. Mir ging es bisher so. In westlichen Gesellschaften wird ohnehin männliche Berührung oft primär mit Sexualität assoziiert, wodurch nicht-sexuelle Zärtlichkeit unter Männern immer noch ein Tabu bleibt. Körperliche Nähe und Gefühlsausdrücke sind in Freundschaften unter Frauen immer noch viel selbstverständlicher, zumindest in meinem Umfeld aus Xennials und Millennials, während sie bei jüngeren Menschen natürlicher zu werden scheinen. Insbesondere queere Männer wie ich erleben zusätzliche Herausforderungen: Die Notwendigkeit, seine sexuelle Identität zu verbergen, kann dazu führen, dass man seine Bedürfnisse nach Nähe und Berührung unterdrückt. Der französische Philosoph Michel Foucault beschreibt in „Sexualität und Wahrheit“, dass unsere Vorstellungen von Sexualität und Körper nicht einfach natürlich sind, sondern stark davon beeinflusst werden, wie Macht in der Gesellschaft wirkt – also davon, was als normal oder richtig gilt und von wem das bestimmt wird. Das prägt, wie Männer, unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung, Berührung erleben und ausdrücken. Macht drückt sich demnach nicht nur in Verboten aus, sondern auch darin, was gar nicht erst gedacht oder gezeigt werden darf.

Nicht zu vergessen unser nicht gerade besonders kuscheliger Zeitgeist – eine Ära der Distanz, des Zynismus, der sozialen Kälte und der digitalen Nähe-Simulationen.

Es ist für viele kompliziert mit dem Kuscheln.

Viele hätten gerne mehr Berührung

Vor einiger Zeit startete ich dazu eine Umfrage in der Krautreporter-Community. Bei der Frage: „Wie wichtig ist dir Kuscheln?“, war die Antwort eindeutig: Für die Mehrheit (343 von 667 Befragten) ist es sehr wichtig (7 von 7 auf der Skala), 134 vergaben eine 6, weitere 107 eine 5. Man kann also sagen: Kuscheln hat für viele eine hohe emotionale Bedeutung. Es geht nicht nur um körperliche Nähe, sondern um etwas, das tiefer wirkt.

Nur ganz wenige (sieben Personen) halten Kuscheln für komplett überbewertet. Vor meiner persönlichen Kuschel-Epiphanie hätte ich mich da wohl auch verortet, irgendwo zwischen „Meh!“ und „verzichtbar“. Deprimierend wirds, wenn man genauer hinsieht: Während 343 der Befragten angaben, dass Kuscheln ihnen sehr wichtig ist, kuscheln nur 200 regelmäßig. Weitere 99 immerhin „oft“, aber 48 gaben eine 1 auf der Skala an: also selten bis nie. Zwischen Wunsch und Wirklichkeit klafft ein berührungsarmer Graben.

Gekuschelt wird klassisch – in der Beziehung, mit Kind(ern), Freund:innen, Haustier:en.

Aber was tun Menschen, wenn Nähe fehlt? Wenn man allein lebt oder Beziehungen/Freundschaften hat, in denen sich keine Kuschelpraxis etablieren lässt? Die meisten Antworten aus der Community waren ernüchternd:

„Nichts.“

„Traurig sein.“

„Aushalten.“

„Träumen.“

Oder, ganz pragmatisch: „Sexdate oder Hund ausleihen.“

Wenige gehen proaktiv mit dem Thema um. Kuscheln regelmäßig mit Freund:innen, haben private Kuschelgruppen, gehen zur Massage. Doch hinter vielen dieser Antworten steckt das große Thema Einsamkeit. Wer nie gehalten wird, dem fehlt etwas ganz Grundlegendes, nicht nur auf der Haut, sondern im Nervensystem.

Wir fühlen uns bestens vernetzt, verkümmern aber emotional

Mich ließ das nicht mehr los. Warum berühren wir uns so wenig? Ja, meiden viele Körperkontakt sogar? Die Sache ist brutal einfach: Wir leben in einer Gesellschaft, die gleichzeitig hypersexualisiert und berührungsphobisch ist. Wir Menschen verkümmern emotional, während wir glauben, bestens vernetzt zu sein. Natürlich hatte nicht meine auf dem Boden liegende Freundin „das Problem“, sondern ich mit meiner übertrieben ablehnenden Haltung. War es nicht ohnehin gerade jetzt, wo gefühlt so vieles gesellschaftlich und politisch auseinander driftet, an der Zeit, radikale Nähe auszuprobieren? Ist nicht Berührung auch Widerstand gegen das ständige Funktionierenmüssen, gegen Einsamkeit, gegen diese scheiß soziale Kälte? Echter Kontakt eine essenzielle Strategie in Zeiten wachsender Spaltung?

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Ich musste wohl dringend daran erinnert werden, dass ich nicht nur Verstand bin, sondern auch Körper. Ich wollte berührt werden und meine offensichtlich sehr ungerade „Kuschelbiografie“ erforschen. Mit Freund:innen, auf einer Kuschelparty mit Fremden. Auf dem Weg kämpfte ich gegen Erregung, verlor mehr das Interesse an Fast-Food-Sex, schämte mich manchmal, überwand mich und entdeckte so etwas wie meinen persönlichen Soft Spot für Selbstberührung wieder. Ich fand heraus: Berührung ist nie nur Körper, sondern auch Geschichte. Sie kann heilen, aber auch wunde Punkte aufreißen. Dass sich etwas verändern kann, wenn man Körperkontakt nicht nur als optionale Wellness- oder Befriedigungsmaßnahme hält, sondern für ein Grundbedürfnis.

Jede:r ist sich selbst am nächsten? Nicht beim Kuscheln

Die naheliegende Frage liegt auf bzw. in der Hand. Warum nicht einfach selbige gezielt an sich selbst anlegen, ich meine auch mal unsexuell? Anders gesagt: Kann ich mit mir selbst kuscheln? Leider nicht wirklich, sagt die Neurowissenschaftlerin Rebecca Böhme. Berührung ist der Fokus ihrer Forschung. In ihrem Buch „Human Touch“ beschreibt sie uns Menschen als Kontaktwesen, für die Berührung kein emotionaler Luxus, sondern ein physiologisches Grundbedürfnis ist – mit messbaren Effekten auf unsere körperliche und geistige Gesundheit.

„Das, was die Berührungsrezeptoren registrieren, ist zwar vergleichbar, allerdings kann unser Gehirn vor einer Eigenberührung nahezu perfekt vorhersagen, wie sie sich anfühlen wird.“ Und Signale, die perfekt vorhersehbar sind, lösen nun mal keine starke Reaktion aus, da sie nicht so intensiv verarbeitet werden. Wer schon mal versucht hat, sich selbst zu kitzeln, ist aus diesem Grund daran gescheitert. Bei Berührung durch andere dagegen werden nicht nur die Areale aktiviert, die für taktile Reize zuständig sind, sondern auch jene für soziale Kognition, Belohnung und emotionale Bedeutung, erklärt Böhme.

Trotzdem erfüllt laut ihr die Selbstberührung eine wichtige Funktion: Sie wirkt regulierend und stabilisierend, vor allem dann, wenn äußere Reize überfordern. „Man sieht, dass Menschen sich besonders dann berühren, etwa ins Gesicht fassen, wenn sie unter Druck stehen.“ Die Vorhersehbarkeit der Selbstberührung mache sie zwar weniger intensiv, aber genau darin liege wiederum auch ihr beruhigendes Potenzial. Natürlich habe ich Körperstellen, die ich oft und gerne anfasse. Groß darüber nachgedacht, habe ich aber noch nie wirklich. Nach unserem Gespräch packe ich mich aufs Sofa. Stimmt, da war ja was. An der rechten Hand, genauer gesagt in der Senke zwischen Mittel- und Ringfingerwurzel ist mein persönlicher Wohlfühlpunkt bei der Selbstberührung. Sitze ich gestresst am Schreibtisch oder liege grübelnd im Bett, fährt bald wie automatisch der Zeigefinger der anderen Hand immer wieder über diese Stelle. Zuverlässig wird dieses beruhigende Kribbeln ausgelöst. Zudem bin ich sicher, dass es einen Reflexzonenpunkt mit Verbindung zum Nerv hinterm rechten Ohr geben muss. Weil es da dann auch kribbelt.

Aller Anfang ist awkward

Passiert Berührung mit einem anderen Menschen einvernehmlich, reguliert sich unser Stresslevel, weil wir weniger Cortisol im Blut haben. Atem- und Herzfrequenz gehen runter, es gibt sogar einen Puffer-Effekt: Wer morgens die Berührung eines nahestehenden Menschen erlebt hat, empfindet seinen Arbeitsalltag als weniger stressig. Dafür sorgen Oxytocin, das auch Bindungen stärkt, Endorphine als unsere Wohlfühlhormone und vermutlich sind auch Dopamin und Serotonin involviert, was laut Rebecca Böhme derzeit noch untersucht wird. Wegen dieses Hormon-Potpourris an guter Laune wollen wir denselben Reiz immer und immer wieder. Berührung macht ein bisschen high.

Laut der Berührungsforscherin nimmt die Häufigkeit von Berührung bei uns Menschen ab dem mittleren Alter deutlich ab. Dies könne zum Teil ein biologischer Mechanismus sein, da wir Berührung für die Entwicklung möglicherweise nicht mehr so stark benötigen. Gleichzeitig nehmen die kulturellen Normen, die körperliche Distanz fördern, mit den Jahren eher zu. Und im fortgeschrittenen Alter, besonders zum Lebensende hin, findet dann noch viel weniger Berührung statt, obwohl es gerade dann besonders wichtig für unser Wohlbefinden wäre, etwa bei Demenz.

Ich gehe erstmal in die Vollen: Eins der offenen Gruppen-Kuschel-Angebote in Hamburg, ein Abend im Kuschelraum mit anderen Menschen steht an, angeleitet von Aske und Lorenz Hansen-Hoffmann. Vor allem die Verpartnerten im Freundeskreis reagieren skeptisch bis leicht angewidert, als ich davon erzähle. „Fremde anfassen? Never!“ „MUSS man da mitkuscheln?“ „Schau, dass die Fluchtwege frei sind“, sind so Sprüche. Es ist diese Unwissenheit oder mangelnde Fantasie der Versorgten: Wer in einer halbwegs intakten Beziehung mit Körperkontakt lebt oder Kinder hat, mit denen er selbstverständlicher passiert, geht ja nicht unbedingt über vor Sehnsucht nach Berührung (wobei Partnerschaft/Kinder natürlich kein Garant sind!).

„Pssst, wir kuscheln!“

Eine hübsche Altbauwohnung in einem eher rauen Stadtteil, 14 Teilnehmende, viele Kissen. Beim Tee in der Küche vorab fühlt es sich an wie Kaltstart. Die meisten scheinen sich schon zu kennen, ich versuche alle anzulächeln und weiß jetzt schon nicht, wohin mit meinen Händen. Nach der Vorstellungsrunde starten wir mit einer Übung: paarweise gegenüberstehen und spontan „Ja“ oder „Nein“ zu einer Umarmung sagen. Die Ansage: Jede:r soll dreimal „Nein“ sagen, um eigene Grenzen zu spüren, auch wenn es schwerfällt.

Für mich fühlt sich das widersprüchlich an. Als ich von einer Teilnehmerin ein „Nein“ bekomme, trifft mich das überraschend hart. Selbst schaffe ich es nur einmal, „Nein“ zu sagen, aus Angst, jemanden zu verletzen.

Der Raum wird zu einem großen Matratzenlager umgebaut. Menschen strecken sich aus, finden einander, ich lande in einer Dreierkonstellation mit einem Mann und einer Frau, nennen wir sie Ben und Nina, beide schätzungsweise Anfang 30 und damit rund 15 Jahre jünger. Es hilft mir, dass ich sie beide nicht nur sympathisch, sondern auch attraktiv finde, auch wenn ich das nicht denken will. Ich liege in der Mitte, beide auf der Seite mit ihren Köpfen auf meiner Brust, sie halten meine Hände, streicheln mein Gesicht, wir verschmelzen zu einer kuscheligen Dreieinigkeit. Krass, wie einfach das plötzlich geht.

Um uns herum ist viel Bewegung, Kichern, Gespräche, aber nach meinem Gefühl haben sich unsere drei Körper auf denselben Takt eingegroovt. „Pssst, wir kuscheln“, möchte ich noch zischeln, bevor ich mich diesem Zustand hingebe. Und es rührt mich auch, dass jede:r hier so seinen eigenen Kuschel-Vibe hat. Wir halten Hände, legen Köpfe aneinander, sind uns nah – ohne Worte, ohne Plan, soweit ich das sagen kann. Bald leises Schniefen zu meiner Linken, Ben weint an meiner Schulter, ich glaube zu spüren, dass es befreiende Tränen sind. Nina drückt sich enger an mich, legt ihre Hand auf meinen Bauch. Eine Frau, zwei Männer – schlagartig tauchen in meinem Kopf drastische Porno-Bilder auf. Wie kann ich nur? Schäme mich augenblicklich, ziehe die Gedanken-Notbremse: Steuererklärung, Wurzelbehandlung, Mettbrötchen, schließlich mein persönlicher mentaler Eiswasser-Eimer bei unliebsamen Erektionen: der von meinem Jägervater im Hochsommer vor Jahrzehnten überfahrene und dann zwei Wochen im Kofferraum vergessene Fasan …

Das hilft, alles wird wieder innig, langsam und still. Während andere durch den Raum huschen wie bei einer Übernachtungsparty in der Kita, sich neue Konstellationen suchen, bleiben wir die nächste Stunde einfach liegen. Mikrobewegungen passieren, eine abgelegte Hand, ein Griff, leichtes Neigen eines Kopfes. Atmen wir synchron? Nichts davon ist spektakulär, aber ich fühle mich aufgelöst, leicht, ganz da.

Am Ende des dreistündigen Abends soll reflektiert werden. Wie wars? Was hats ausgelöst? Ich merkte nur: Meine Stimme ist weg. Ich will, und das passiert mir selten, hier gar nichts analysieren, lieber kurz in dem bleiben, was war. „Sehr schön, das mit einem Mann und einer Frau zu erleben“, sagt Ben. „Wir hätten auch bis morgen hier liegen bleiben können“, sagt Nina. Ich nickte nur und grinse stumm, als hätte ich was geraucht.

Löffelchen spezial

„Nicht jeder Mensch, der unterkuschelt ist, ist einsam“, sagt Alexandra Ueberschär. „Aber jeder, der einsam ist, ist unterkuschelt.“ Ueberschär ist Kuscheltherapeutin, Coachin und Veranstalterin von Kuschelevents. Sie ist selbst KR-Leserin und kam auf mich zu, als sie die Umfrage las. Noch ganz bewegt von dem berührungsintensiven Abend, möchte ich von ihr wissen, ob Umarmen und Anfassen auch heilende Wirkung haben können. Wir sprechen erstmal über das, was viele spüren, aber oft nicht benennen können: fehlende Nähe und Berührungen. Viele Menschen, vor allem vom Typus Homeoffice-Single, seien durch Corona in so eine Art Dauerunterversorgung geraten, sagt Ueberschär. Bis zum Burnout oder zu einer Depression fehle oft nicht mehr viel.

„Kannst du dir vorstellen, gehalten zu werden?“, fragt sie. Sie setzt sich auf das Bett, ich setze mich zwischen ihre Beine und gebe das Gewicht meines Oberkörpers an ihren ab, lasse mich sinken und … wie auf Knopfdruck laufen bei mir Tränen. Es fühlt sich nicht dramatisch an, es ist eher ein leises Überlaufen. Einige Minuten verharre ich in einem seltsamen Zustand, wo ich gar nicht sagen kann, was abgeht und wie es mir geht. Ich weiß nicht, was sich da gerade löst, aber etwas löst sich. Später liege ich auf der Seite. Alexandra rückt nach, liegt hinter mir, aber nach oben versetzt. „Ich nenne diese Position immer ‚Löffelchen spezial“, sagt sie. Ich muss zugegeben ein Kichern unterdrücken, lasse mich dann komplett fallen. Und fühle mich kleiner, irgendwie kindlicher. Nicht ausgeliefert. Eher geborgen.

Berührung, merke ich deutlich, ist nicht nur Trost und Genuss, sondern auch Erkenntnis. Menschen wie ich, sagt Alexandra, hätten oft sehr gut funktionierende Manageranteile: organisiert, leistungsfähig, mit hohem Anspruch an sich selbst. „Aber wenn dann plötzlich ein Ort da ist, an dem man nichts leisten muss, kommt etwas hoch, das sonst keinen Platz hat.“

Tatsächlich war etwas in mir aufgeknackt. Unter all den Schichten aus Ironie, Coolness und Selbstzensur versteckte sich eine Sehnsucht nach Berührung, die ich so lange weggeredet hatte, dass ich gar nicht mehr wusste, dass sie existierte.

Bitte nicht jedes Mal Matratzenlager

Spätestens jetzt ist klar: Die Sache mit dem Kuscheln geht tiefer, als ich anfangs dachte. Wenn man sich in seinem Körper wohlfühlt, vielleicht kann man wirklich sogar sagen: genährt, auch, wenn das Wort immer was von Antifaltencreme hat, verändert sich logischerweise das Verhältnis zur Außenwelt. Wo sonst Grübeln herrscht, entstehen plötzlich Weichheit und Durchlässigkeit. Ich lächle die Tage nach unserem Treffen öfter in mich hinein.

Bis zur nächsten Kuschelaktion vergehen ein paar Wochen. Nein, ich schwebe nicht dauerhaft über pastellfarbenen Wolken. Der Wunsch, mehr davon in meinen Alltag zu holen, wächst, aber ich sags wie es ist: Ich will nicht jedes Mal ein Matratzenlager mit einem Dutzend Unbekannter, nicht immer in ein Therapiesetting. Frage mich, ob und zu wem im Freundeskreis ich die Fühler ausstrecken kann. Schiebe dabei etwas verschämt den Vorwand „Recherchezwecke“ vor. Es hagelt Abfuhren, was mein nun weiches Kuschlerherz schnell verstimmt. Meine eingangs erwähnte kuschelige Freundin wohnt weiter weg. Eine andere sagt: „Mit dir? Das fänd ich irgendwie komisch. Wir sind doch sonst nicht so.“ Eben. Die nächste: „Kuscheln für eine Reportage? Das ist ja wie Vögeln für Geld.“ Ouch! Ein Freund sagt, dass es nur mit seinem Mann zusammen ginge, was wiederum mir zu heikel ist, da ich Angst habe, das fünfte Rad am Wagen oder der Auslöser für einen Ehestreit zu sein.

Dann treffe ich jemanden wieder, mit dem ich vor ewig mal was hatte. Damals war ich eher in die Idee verliebt, von ihm geliebt zu werden – weniger in ihn selbst. Trotzdem war ich über die Maßen verletzt, als er es beendete. Wir treffen uns auf ein Bier. Als ich merke, dass keine alte Spannung mehr da ist, frage ich: „Könntest du dir vorstellen, dass wir diese Unterhaltung Arm in Arm auf dem Bett weiterführen?“ Seine Antwort überrascht mich: „Ich hab mich schon immer gefragt, ob ich einen Mann mal ganz unsexuell anfassen und in seinem Arm liegen kann.“ Und ich? Dann doch nicht so sicher. Kann ich das denn? Ohne Hintergedanken, ohne diese kleine Sorge, dass doch irgendetwas kippt?

Es fühlt sich beim nächsten Treffen dann fast logisch an. Wir liegen zwei Stunden im Arm, reden sehr viel, schweigen dann. Das fühlt sich heilsam an. Nicht nur körperlich. Auch in mir schließt sich ein bisschen das Überbleibsel einer Wunde. „Könnte mir vorstellen, dass wir das wieder machen“, sagt er. „Quatschen und dabei kuscheln.“ Konnte ich mir auch.

And just like that … habe ich meinen ersten Hug-Buddy.

Größer als jede Angst vor Ablehnung oder Scham

Was mit einer peinlich berührten Reaktion auf kuschelwillige Freundinnen begann, hat mich zu einem Ort geführt, den ich lange nicht mehr betreten hatte: zurück in die Welt der absichtslosen Berührung. Ich habe herausgefunden, dass Unterkuscheltsein kein Schicksal ist, sondern ein Zustand, den man ändern kann, auch wenn das bedeutet, die eigene Komfortzone zu verlassen und sich dem anfänglichen Fremdeln zu stellen.

Die nächste Umarmung wartet nicht auf einen. Sie steht auch nicht mit offenen Armen vor der Tür und klingelt, aber sitzt vielleicht schon neben uns auf der Couch oder ist in der Whatsapp-Gruppe und braucht nur eine ehrliche Frage, ein bisschen Neugier und die Bereitschaft, sich fallen zu lassen. Und ja, auch den Mut, ein „Nein“ zu riskieren oder zu bekommen.

Nervöses Kichern, Unsicherheit, ein bisschen Stress – all das gehört dazu. Aber was man zurückbekommt, ist vielleicht größer als jede Angst vor Ablehnung oder Scham.


Redaktion: Theresa Bäuerlein, Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Philipp Sipos, Audioversion: Christian Melchert

Unterkuschelt: Was fehlt, wenn uns niemand berührt

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