Warum der Frauenarztbesuch so demütigend ist – und wie sich das ändern lässt
„Die Frauenärztin kommentiert immer meinen nackten Körper.“ Viele KR-Leser:innen berichten mir von solchen Erfahrungen. Allerdings: Gerade wandelt sich etwas Entscheidendes in der Gynäkologie.
Was Frauen vom Besuch in ihrer Frauenarztpraxis erwarten und was sie bekommen, hat oft so viel gemeinsam wie ein stolzer Schwan und ein gerupftes Huhn.
Wie stressig Frauenarzttermine sein können, lernen junge Frauen häufig schon bei ihrem allerersten Kontakt mit der Gynäkologie, wenn sie über Verhütung sprechen wollen. Ärzt:innen empfehlen oft einfach die Pille, ohne Alternativen ausführlich zu besprechen. Danach geht es oft enttäuschend weiter, sei es bei komplizierten Diagnosen wie Endometriose, oder bei Schwangerschaftsbetreuung, Geburt, Krebsfrüherkennung oder Wechseljahresbeschwerden. Frauenleben hangeln sich von Umbruch zu Umbruch, von Hormonchaos zu Hormonchaos. Bei all dem wäre eine einfühlsame, wertschätzende Kommunikation in der gynäkologischen Praxis des Vertrauens mehr als willkommen. Stattdessen haben die meisten Frauen den Eindruck, um jeden Krümel Respekt und Verständnis mühsam kämpfen zu müssen – und das auch noch unter Zeitdruck.
Dabei geht es nicht nur um emotional anstrengende Situationen, in denen Ärzt:innen Beschwerden abtun. Diese Erlebnisse können nachweislich der Gesundheit schaden, zum Beispiel, wenn Schmerzen nicht fachgerecht behandelt werden. Kein Wunder, dass manche Frauen sagen: „Ich habe Angst vor dem nächsten Termin“, und einige sogar: „Ich gehe nicht zum Gyn. Nach so vielen schlechten Erfahrungen tue ich mir das nicht mehr an.“ Beides sind Zitate aus meiner Umfrage in der Krautreporter-Community.
Als ich vor Kurzem nach den Erfahrungen mit Frauenarztbesuchen fragte, antworteten fast 500 Leser:innen. Ich wollte wissen, welche guten und welche problematischen Erlebnisse Menschen in Gyn-Praxen gemacht haben. Das Schöne zuerst: Fast alle Teilnehmer:innen konnten über etwas berichten, an das sie sich gerne erinnern. Die Zufriedenheit mit der eigenen Frauenärztin oder dem Frauenarzt lag im Durchschnitt bei 7 auf einer Skala von 1 bis 10. Dennoch überwogen die Beschreibungen von schlechten Erfahrungen. Und einige der Berichte waren wirklich erschütternd.
Diese Zitate stammen alle aus meiner Umfrage: „Ekelausdruck im Gesicht bei der Standard-Untersuchung.“ „Reißen Sie sich zusammen, das ist keine Krankheit!“ „Sie hatte Sorge, dass unter meinem Gewicht ihr Untersuchungsstuhl zusammenbricht.“ „Ich werde ausgelacht, wenn ich etwas von Perimenopause sage.“ „Die Frauenärztin kommentiert bei jeder Untersuchung meinen nackten Körper.“
In meiner Umfrage und in diesem Text benutze ich die Bezeichnung Frauenärztin/Frauenarzt, auch weil sie geläufig ist. Inklusiver ist jedoch der Fachbegriff Gynäkologin/Gynäkologe, weil dadurch nicht die Mitglieder der LGBTIQ+-Community ausgeschlossen werden. Wer nicht als Frau gelesen wird, hat bei der Bezeichnung „Frauenärztin oder Frauenarzt“ vielleicht den Eindruck, ausgeschlossen zu sein. Dabei benötigen viele Mitglieder dieser Community regelmäßig gynäkologische Versorgung.
An meiner Umfrage haben auch einige Menschen aus dieser Community teilgenommen. Ein besonderer Dank dafür. Ich bemühe mich um eine gendergerechte Sprache, indem ich alle relevanten Begriffe und Wortformen abwechselnd benutze.
Nach dem Lesen der Berichte wäre es leicht, schnell ein vernichtendes Urteil zu fällen: Schlechte gynäkologische Untersuchungen und Behandlungen scheinen auf das Versagen der Ärzt:innen zurückzuführen zu sein. Doch so einfach ist es nicht. Denn diese fordern zunehmend selbst, dass sich etwas in der Gynäkologie ändern muss.
Ich habe mit einigen (angehenden) Ärztinnen gesprochen, die sich für die Rechte ihrer Klient:innen einsetzen.
Klient:in ist in vielen Fällen das bessere Wort als Patient:in, weil Frauen et al. ärztlichen Beistand nicht nur bei Krankheiten brauchen, sondern auch bei ganz normalen Ereignissen wie Schwangerschaft und Wechseljahren.
Dabei habe ich gelernt, dass die moderne Medizin die wichtigste Maßnahme gegen die Missstände in den Praxen schon gut kennt, sie muss sie nur noch zum Standard machen.
Probleme von Frauen: egal?
„Grundsätzlich hab ich mich bei meinem langjährigen Frauenarzt gefühlt wie ein Auto in einer Werkstatt, wie ein Ding also, das repariert werden soll.“ So fasst eine Teilnehmer:in ihre Erfahrungen zusammen. Imke charakterisiert ihre Frauenarzterlebnisse so: „Schneller, ruppiger Umgang, wenig Zeit für richtige Beratung, schnelles Abbügeln von Problemen, kaum Zeit für Rückfragen, erst recht nicht für das Erörtern von Problemen und potenziellen Lösungen.“ Eine andere Teilnehmer:in schreibt: „Beschwerden einfach weglächeln und mit ‚Ja, sowas hat jede Frau mal‘ antworten.“
Das klingt, als ob Ärzt:innen ihre Klient:innen unterm Strich als Last empfinden oder als Menschen, die nicht mitreden dürfen, weil sie ohnehin nicht richtig durchblicken.
Andere Frauen sind wütend darüber, dass ihre Schmerzen ignoriert werden. Eine Umfrage-Teilnehmerin schreibt nur drei Worte: „Es tut weh.“ Und meint damit, dass die Untersuchungsinstrumente ihr Schmerzen bereiten. „Mir wurde eingeredet, dass Schmerzen normal seien“, erzählt eine andere und dass sie aufgefordert wurde, starke Schmerzen einfach auszuhalten, während die Ärztin immer weiter machte. KR-Leserin Jessica beschreibt ein Problem, das viele Umfrage-Teilnehmer:innen kennen: „Bei Routine-Untersuchungen wird man nicht wirklich informiert, was gemacht wird. Manches ist da auch mit Schmerzen verbunden. Das trifft einen dann sehr unvorbereitet.“
Viele Teilnehmer:innen meiner Umfrage kritisierten die fehlende Aufklärung darüber, was als Nächstes passiert und warum es notwendig ist. Eine Frau schreibt: „Mein ehemaliger Frauenarzt hat meinen Anus untersucht. Bis heute weiß ich nicht genau, warum.“ Fehlende Aufklärung wird besonders dann zum Problem, wenn Ärzt:innen kostenpflichtige IGeL-Leistungen (individuelle Gesundheitsleistungen) vorschlagen, was häufig vorkommt. Dazu zählt der Ultraschall der Eierstöcke zur Krebsfrüherkennung. Da er mehr Nachteile als Vorteile hat, empfehlen weder medizinische Leitlinien noch gynäkologische Fachgesellschaften diese Untersuchung – es sei denn, ein medizinischer Grund liegt vor. In diesem Fall übernimmt die Krankenkasse die Kosten. Eine Teilnehmer:in bringt es so auf den Punkt: „Im Laufe der Jahre [ist meine Ärztin] immer weniger eingegangen auf meine Anliegen, aber die Versuche, IGeL-Leistungen zu platzieren, wurden immer massiver.“
Wenn ein Ultraschall der Eierstöcke als individuelle Gesundheitsleistung, kurz: IGeL, gemacht wird, schadet das nachweislich mehr, als es nutzt. Zu diesem Ergebnis kommen nicht nur unabhängige Untersuchungen, sondern auch die gynäkologischen Fachgesellschaften selbst. Sie raten seit Jahren ausdrücklich davon ab, es sei denn, es gibt medizinische Gründe dafür, zum Beispiel Schmerzen. Denn oft kommt es zu einem falschen Alarm. Das kann psychisch ziemlich belastend sein und dazu führen, dass letztlich unnötige Untersuchungen gemacht werden oder sogar Operationen. Im schlimmsten Fall werden gesunde Eierstöcke unnötig entfernt.
Trotzdem bieten offenbar immer noch sehr viele Gynäkolog:innen diese Untersuchungen an und viele Frauen kaufen weiterhin einen Ultraschall für ihre Eierstöcke und ihre Gebärmutter. Vielleicht, weil sie keine Zeit zum Nachdenken bekommen. Vielleicht auch, weil sie zu wenig über die möglichen Schäden aufgeklärt wurden.
Beim Lesen dieser Berichte stellst du dir vielleicht dieselbe Frage wie ich: Hat die Gynäkologie ein grundsätzliches Problem?
Die Forschung hinkt bei Frauenkörpern hinterher
Kurz gesagt: Ja. Das liegt vor allem daran, dass die Medizingeschichte männlich geprägt ist. Die Kulturhistorikerin Elinor Cleghorn beschreibt in ihrem Buch „Die kranke Frau“, wie Frauen über Jahrhunderte hinweg in der Medizin missachtet, ihre Bedürfnisse ignoriert und ihre Rechte verletzt wurden. Das hat Auswirkungen bis heute. Medizinische Fragen, die ausschließlich Frauen betreffen, sind häufig nicht gut erforscht. Was hilft am besten gegen prämenstruelle Beschwerden? Was ist die Ursache für unregelmäßige Menstruationszyklen? Was tun gegen schmerzende Brüste? Für viele solcher Fragen gibt es noch kein gesichertes Wissen.
Das heißt, Ärzt:innen wissen oft keine Antwort auf die Fragen ihrer Klient:innen, weil sie sich nicht auf wissenschaftliche Erkenntnisse stützen können. Das ändert sich erst seit ein paar Jahren. Die EU verlangt in ihrem Forschungsförderungsprogramm, dass Frauen in der medizinischen Forschung angemessen berücksichtigt werden – auch in leitenden Positionen.
Die weibliche Perspektive wurde in der Medizin aber nicht nur bei Beschwerden und Krankheiten ignoriert. Auch die Forschung zu Anatomie und weiblicher Sexualität hinkt hinterher. So hielten sich Frauen lange für minderwertig, wenn sie keinen vaginalen Orgasmus erlebten – eine Vorstellung, die auf den Psychoanalytiker Sigmund Freud zurückgeht, der meinte, das ließe auf ein tieferliegendes Problem mit der Sexualität der Frau schließen. Heute ist klar: Die Klitoris spielt immer eine Rolle beim weiblichen Orgasmus. Weil die Forschung dieses Lustorgan systematisch ignorierte, musste die Australierin Helen O’Connell mit einer 3D-Aufnahme einer erregten Klitoris daran erinnern, dass sie keine „Erbse“ ist. Das war im Jahr 2010! Seitdem hat sich der Blick auf dieses Organ und die weibliche Lust insgesamt verändert. Gut so!
Die Klitoris ist im Schnitt elf Zentimeter groß und damit größer als ein nicht erigierter Penis, der neun Zentimeter misst. Außerdem enthält sie doppelt so viele Nervenenden, circa 8.000. Sie entwickelt sich aus dem gleichen Gewebe wie der Penis. Ungefähr in der achten Lebenswoche entscheidet sich, ob sich das Gewebe in ein männliches Geschlechtsorgan oder in ein weibliches Lustorgan ausdifferenziert. Deshalb ähneln sich Penis und Klitoris auch in der Form. Die Eidgenössische Technische Hochschule Zürich erzählt in dieser Arbeit die Geschichte der Klitoris-Erforschung.
So sieht die Klitoris aus:
Credit: CC SA 1.0
Gesamte Klitoris mit den unter den Schamlippen verborgenen Teilen:
Eichel, Glans clitoridis in der Vorhaut, Praeputium clitoridis, und Klitorisschaft, Corpus clitoridis, umgeben vom Musculus ischiocavernosus
Auch die Strukturen in der Medizin ändern sich gerade. Frauen waren in allen Fachgebieten lange unterrepräsentiert (weil viele Männer das so wollten). Doch inzwischen sind zwei Drittel der Medizinstudent:innen weiblich, das Geschlechterverhältnis bei praktizierenden Ärzt:innen 50:50. Trotzdem gibt es noch viel zu tun. Immerhin sind 65 Prozent der Oberarztpositionen in gynäkologischen Kliniken mit Frauen besetzt, aber nur ein Viertel der Lehrstühle in der Gynäkologie.
Angehende Ärzt:innen werden aber immer noch nicht so über frauenspezifische Themen unterrichtet, wie es sein sollte. Über Schwellkörper bei der Frau (oder auch Abtreibungen lernen Medizinstudent:innen im Zweifel nichts, über die des Mannes hingegen recht viel. Das zieht sich durch bis zu Wechseljahresbeschwerden und Herzinfarkt, der sich bei Frauen anders äußern kann als bei Männern.
Was sagen Frauenärzt:innen dazu?
Laura Hessel studiert Medizin im 7. Semester und weiß schon, dass sie Gynäkologin werden will. Sie engagiert sich in der Pro-Choice-Bewegung. Diese Bewegung setzt sich dafür ein, dass Schwangerschaftsabbrüche legalisiert werden und dass sich die medizinische Versorgung rund um die Abbrüche verbessert. Sie sagt: „Es gibt viele Barrieren für Ärzt:innen. Die Klient:innen gut zu versorgen, ist nicht so leicht.“
Laura sieht in den Abrechnungsbedingungen eine Hauptursache für die Missstände. „Womit Frauenärzt:innen Geld verdienen können und womit nicht, hat einen großen Einfluss darauf, wofür sie sich Zeit nehmen können und wofür nicht. Ingrid Mühlhauser, Gesundheitswissenschaftlerin und langjährige Vorsitzende des Arbeitskreises Frauengesundheit (AKF), bestätigt das. Sie sagte kürzlich in einem Interview: „Wir müssen dafür sorgen, dass das Geld dafür gezahlt wird, was auch für die Patientinnen wichtig ist.“ Damit meint sie die Honorare der Krankenkassen, die Ärzt:innen dafür bekommen, wenn sie Gespräche führen oder Untersuchungen machen.
Auf der AKF-Website findet sich ein Leitfaden, der beschreibt, wie eine gynäkologische Unterleibsuntersuchung ablaufen sollte, sowohl mit Blick auf die Bedürfnisse der Klient:innen, als auch im Sinne der medizinischen Standards. Annette Hasenburg ist Professorin und Direktorin der Klinik und Poliklinik für Geburtshilfe und Frauengesundheit an der Universitätsmedizin in Mainz und hat an einem anderen Leitfaden mitgeschrieben. Darin wird definiert, wie ein respektvoller Umgang mit Klient:innen in Gyn-Praxen und -Kliniken aussieht. Die Leitfäden formulieren Grundsätze, die stark von den persönlichen Erfahrungen der Krautreporter-Community abweichen. Wenn die Empfehlungen über einen respektvollen Umgang in Gyn-Praxen befolgt worden wären, hätten die Teilnehmer:innen meiner Umfrage wohl nicht so viele belastende Erfahrungen machen müssen.
Annette Hasenburg beobachtet, dass viele Kolleg:innen darum ringen, ihre Arbeitslast, ihren eigenen Anspruch und die begrenzte Zeit unter einen Hut zu bringen. Sie sagt: „Ein Großteil der ärztlichen Arbeit wird wirklich engmaschig kontrolliert, zum Beispiel ob OP-Berichte und Arztbriefe rechtzeitig geschrieben wurden. Das einzige, was nicht dokumentiert werden muss, ist: Wie viel Zeit wurde darauf verwendet, sich sinnvoll mit den Patient:innen auszutauschen?“
Laura Hessel meint, dass man die Missstände nicht allein auf das System schieben kann. Aber was zweifellos stimmt: „Das System setzt alle unter Stress. Und der wirkt sich auch auf der zwischenmenschlichen Ebene aus.“
Warum der Frauenarztbesuch oft schon am Anfang schiefgeht
„Machen Sie sich schon mal untenrum frei. Der Doktor kommt gleich.“ Diesen Satz nannte eine Krautreporter-Leser:in als Antwort auf die Frage: „Was war eine schlechte Erfahrung bei deiner Frauenärztin oder deinem Frauenarzt?“ Wahrscheinlich haben viele Frauen das erlebt. Wenn der Besuch beim Frauenarzt so beginnt, ist kaum noch etwas zu retten. Dieser Satz steht für ein ziemlich hartnäckiges Machtverständnis in der Medizin.
Fast 500 Menschen aus der Krautreporter-Community nahmen an meiner Umfrage teil. Die meisten wünschten sich vor allem eines: ernst genommen zu werden. Ob das klappt, hängt zu einem großen Teil an der Kommunikation. Ein Blickkontakt zur Begrüßung, ein Lächeln, eine persönliche Vorstellung – all das macht einen Unterschied. Doch viele erleben stattdessen Ärzt:innen, die ohne aufzusehen in den Computer tippen, mürrisch fragen: „Warum sind Sie hier?“ Oder wortlos auf den Untersuchungsstuhl deuten.
Oft gehen Frauen schon angespannt in die Praxis. Nicht nur wegen schlechter Erfahrungen bei früheren Besuchen. Viele Frauen erleben im Laufe ihres Lebens Gewalt, auch sexualisierte. Die Dunkelziffer ist groß, das Thema ist tabuisiert und kaum eine Frau wird es von sich aus ansprechen. Gynäkolog:innen sollten dafür sensibilisiert sein und bedenken: Was für sie alltägliche Routine ist, die Untersuchung von Brüsten und des Unterleibs, birgt für viele Frauen ein Risiko der Retraumatisierung. Und Sexualität ist für viele nicht in erster Linie mit Lust verbunden.
Die traditionelle Sichtweise, dass Ärzt:innen am besten wissen, was für ihre Klient:innen richtig ist, wirft die Frage nach dem Machtgefälle im Sprechzimmer auf. Doch erstens ist diese Sichtweise veraltet, weil sie auf patriarchalen Einstellungen beruht. Das ist spätestens passé, seitdem Patientenrechte im Jahr 2013 gesetzlich verankert wurden. Und zweitens ignoriert so eine Einstellung die entscheidende Frage: Was brauchen Frauen, non-binäre und trans Personen, wenn sie zu ihrer Gynäkologin oder ihrem Gynäkologen gehen?
Viele stellen sich diese Frage vielleicht gar nicht, weil sie nicht erwarten, dass ihre Wünsche eine Rolle spielen. Viele trauen sich wahrscheinlich auch nicht, ihrer Ärztin oder ihrem Arzt zu sagen, was sie sich wünschen. Auch das ist kein Wunder, denn nicht nur schlechte Kommunikation kann einen Gyn-Besuch einschüchternd wirken lassen. Das ganze Setting ist unbehaglich. Das schreibt auch eine Leserin in meiner Umfrage: „Mein Arzt ist eigentlich immer verständnisvoll und freundlich, aber trotzdem fühle ich mich unwohl.“
Warum schon die Praxisräume den Frauenarztbesuch unangenehm machen
Wer an Frauenmedizin denkt, hat sofort das Bild des gynäkologischen Untersuchungsstuhls vor Augen. Er ähnelt einem Zahnarztstuhl mit zwei Beinschalen und bringt Frauen in die sogenannte Steinschnittlage. Diese Lage heißt so, weil früher so Blasensteine entfernt wurden. Die ersten gynäkologischen Stühle waren von OP-Tischen inspiriert, später wurden sie auch bei Geburten eingesetzt (die Beine der Frauen konnten bei den frühen Holzmodellen an den Schalen festgebunden werden!).
Die Stühle von heute sind nicht mehr vergleichbar mit den ersten ihrer Art. Trotzdem ist dieser Stuhl nach wie vor für viele Frauen das Symbol einer Demütigung. Interessant ist, dass der Stuhl zwar keine deutsche Besonderheit ist, in anderen Ländern aber nicht so häufig genutzt wird. In Großbritannien finden zum Beispiel gynäkologische Routineuntersuchungen auf einer Liege statt. Manche Praxen, die sich von der Frauengesundheitsbewegung inspirieren lassen, handhaben das ähnlich. Sie nutzen den Gyn-Stuhl nur, wenn es nötig ist, zum Beispiel beim Einlegen von Spiralen.
„In einigen Praxen ist der Stuhl dann auch noch so aufgestellt, dass alle, die zur Tür hereinkommen, direkt auf den Unterleib der Frauen gucken können“, sagt Laura Hessel. Die Medizinstudentin hat sich viel damit beschäftigt, wie eine Praxiseinrichtung aussehen sollte, damit die Intimsphäre der Frauen so gut es geht gewahrt bleibt. Aber immer noch machen Frauen Erfahrungen wie Anette sie gemacht hat: „Das Schlimmste war wohl, dass ich mich oben und unten gleichzeitig ausziehen musste, der Untersuchungsstuhl war in der einen Ecke des Raumes, die Umkleide in der anderen Ecke, in der dritten Ecke saß der Gynäkologe und schaute zu, wie man nackt von der einen zur anderen Ecke lief, ein Riesenraum, die Diagonale betrug mehr als 15 Meter. Ich war 21 und fühlte mich komplett ausgeliefert.“
Auch das wichtigste Untersuchungsinstrument, der Scheidenspiegel (Spekulum), ist symbolträchtig. Heute ist er meistens aus Metall. In den Anfängen war das Instrument kleiner und erlaubte einen nicht so weiträumigen Blick auf die Scheidenstruktur wie heute. Viele Praxen wärmen das kalte Metall an. Aber nicht alle. Erfunden wurde die heutige Form des Spekulums in den 40er Jahren des 19. Jahrhunderts vom amerikanischen Arzt James Marion Sims, einem Pionier der Gynäkologie. Aus heutiger Sicht ist seine Arbeit jedoch hochgradig problematisch, weil er medizinische Versuche an Sklavinnen machte (ohne Betäubung) und auch selbst Sklavenhalter war. Ein weiteres schweres Erbe, das die moderne Gynäkologie mit sich herumträgt.
„Nach den Wechseljahren schmerzt das Einführen des Spekulums sehr“, schreibt mir eine Frau. Das Untersuchungsinstrument bereitet vielen Frauen Schmerzen. Für manche ist es zu groß und für andere passt zudem die Form nicht. Für Frauen, die vergewaltigt wurden oder aus anderen Gründen Verletzungen an Vulva und Vagina erlitten haben, ist dieses Instrument noch eine ganz andere Herausforderung. In der feministischen Philosophie symbolisiert es die männliche Herrschaft. Inzwischen arbeiten einige Start-ups an Alternativen, zum Beispiel aus Kunststoff oder aus Silikon. Sie haben sich aber noch nicht in der Praxis durchgesetzt.
Dazu kommt: Viele Praxen sind nicht barrierefrei. Die Ausstattung ist für mehrgewichtige oder behinderte Menschen nicht passend, es gibt kein Informationsmaterial in leichter Sprache oder in anderen Sprachen als Deutsch und die Mitarbeiter:innen sind nicht geschult im Umgang mit psychischen Belastungen, Traumata oder körperlichen Beeinträchtigungen. Auch das kann Menschen einschüchtern.
Wie sieht respektvoller Umgang in der Frauenarztpraxis aus?
Viel wäre schon gewonnen, wenn eine grundlegende Sache zuverlässig klappen würde: dass Ärzt:innen vor jeder Untersuchung den nächsten Schritt verständlich erklären.
Annette Hasenburg sagt: „Ich vereinbare mit meinen Patient:innen auch gerne ein Stopp-Signal, zum Beispiel das Heben der linken Hand. Denn manchmal fällt das Sprechen schwer, wenn es unangehm ist.“ Zu einem respektvollen Umgang gehört auch, dass niemand die Untersuchung stört, dass sich Frauen nicht komplett ausziehen müssen, wenn Brüste oder Unterleib untersucht werden, und dass es ein ausführliches Vor- und Nachgespräch gibt.
Laura Hessel weist noch auf ein besonderes Problem hin: „Es wird viel misgendert in Gyn-Praxen.“ Und es komme regelmäßig zu Diskriminierungen aufgrund von Geschlechtsidentitäten. Ein Grund dafür sei die große Unsicherheit bei diesen Themen. Es fehle an Fortbildungen, aber auch an Forschung. Wie sich Menschen aus der LGBTIQ+-Community fühlen, verdeutlicht eine Nachricht, die ich während der Recherche zu diesem Text auf Bluesky bekam. „Gerade als nicht-binäre Person kommen noch andere Sorgen und Ängste dazu: Wird man ernst genommen oder abgestempelt und was für einen Rattenschwanz bringt das mit sich? Gerade, wenn man selbst vielleicht ein schwieriges Verhältnis zum eigenen Körper hat.“
Frauen müssen sich selbst als Expert:innen wahrnehmen
Die Gynäkolog:innen der Uniklinik in Mainz versuchen nach einer Mission zu handeln, die sie sich selbst gegeben haben: Frauen – Leben – Stärken. Das gilt für alle Situationen, in denen sie Frauen begleiten: bei Schwangerschaft und Geburt, bei Untersuchungen und Behandlungen, aber auch am Lebensende.
Das Mainzer Beispiel zeigt, wie moderne Medizin gelebt werden kann. Ärzt:innen agieren als Partner:innen und unterstützen ihre Klient:innen dabei, informierte Entscheidungen zu treffen. Das erfordert aber auch von den Klient:innen ein Umdenken. Sie müssen sich selbst als Expert:innen für ihr eigenes Leben wahrnehmen. Schließlich müssen sie mit den medizinischen Entscheidungen leben, die in der Arztpraxis getroffen werden. Das Konzept dazu heißt in der Fachwelt: gemeinsame Entscheidungsfindung oder Shared Decision Making. Dabei sollen Wissen aus klinischen Studien und die Erfahrungen von Ärzt:innen mit den Wünschen und Bedürfnissen der Klient:innen zusammenkommen. Es ist das gute Recht von allen, die gynäkologische Versorgung brauchen, informierte Entscheidungen zu treffen. Die Rolle der Ärzt:innen ist, sie dabei zu unterstützen.
Sonja fasst gut zusammen, was sich die meisten Teilnehmer:innen aus meiner Umfrage wünschen: „Aufklärung und Wahrung meiner Selbstbestimmung, Freundlichkeit, Ehrlichkeit, ernst genommen werden.“ Wenn du bei deinem nächsten Frauenarztbesuch etwas anderes erlebst, kannst du sicher sein: Es liegt nicht an dir, aber auch nicht immer an deiner Gynäkologin oder deinem Gynäkologen. Dafür spielt ganz sicher eine Rolle, wie viel Geld die Krankenkassen wofür ausgeben, nämlich im Zweifel nicht für Gespräche, die informierte Entscheidungen ermöglichen.