Geburtstagsfeier mit Freunden

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Psyche und Gesundheit

Ich mag Menschen, aber bitte nicht mehr als vier auf einmal

Immer wieder quälte ich mich zu Geburtstagsfeiern und Konzerten. Dabei habe ich eine Sache übersehen.

Profilbild von Martin Gommel
Reporter für psychische Gesundheit

Es beginnt mit dem sanften Neigen seines Kopfes zur Seite. Ich sitze mit meinen Kolleg:innen beim Mittagessen in der Redaktion, wir unterhalten uns amüsiert, aber dann macht Lars diese (noch) unschuldige Bewegung zur Seite und spricht, während sich alle anderen noch unterhalten, Isolde an:

„Lasagne? Sieht gut aus!“, worauf Isolde kauend grinst: „Selbst gemacht!“

Ich stochere im Tomatensalat. Here we go, again. Ab einer Gruppengröße von fünf bis sieben Menschen, so scheint es das Universum festgelegt zu haben, ist es erlaubt, zwei Gespräche parallel zu führen. „Und dann hat Söder dieses unglaubliche Bild.“ … „Im Ofen!“ … Schmatzgeräusche … „Ist echt nichts zu pein“ … Gelächter … „Wie lange gebacken?“ … „Sympathisch!“ … „Sahnesauce“ … „Reicht langsam.“

Mir auch. Es fühlt sich an, als ob links und rechts von mir Leute zu bouncendem Techno tanzen und ich stehe überfordert in der Ecke, wie früher in der Disco, mit 17. Es ist laut, alle genießen den Lärm. Nur nicht Martin, der braucht ne Aspirin. In diesen Momenten, zwischen Menschen, die ich mag, schmerzt meine Stirnhöhle.

Eigentlich möchte ich mein Geschirr abräumen und unauffällig aufstehen, aber ich habe 43 Jahre lang geübt, anständig zu bleiben, und heute ist nicht der Tag, an dem ich ein soziales Experiment riskiere. Aber dieses Gefühl, zwischen Konventionen und dem inneren Zuviel eingesperrt zu sein, erinnert mich an etwas.

🥳 Heute kann es regnen, stürmen oder schneien

Seit ich 20 Jahre alt bin, habe ich keine Lust mehr, meinen Geburtstag zu feiern. An den Leuten lag es nicht, denn ich hatte smarte, kreative Freunde und herzliche Bandkollegen.

Ich mochte sie alle, also jeden für sich. Aber alle auf einmal in meiner Wohnung zu haben, in der ich dann aus fünfzehn Perspektiven angestrahlt werden würde, löste in mir emotionales Sodbrennen aus.

Weil ich emotional ein bisschen blöd war und mir nicht zutraute, meine Bedürfnisse zu äußern, ließ ich mir bis zu meinem 35. Geburtstag von Partnerinnen und Freunden verdammte Partys aufschwatzen. Das war für alle schön, nur nicht für mich.

Denn eine Geburtstagsfeier bestand für mich aus drei, zeitlich ineinander verhäkelten Abschnitten sozialer Folter:

1. Der Moment, wenn mir Leute gratulieren (und ich lächeln muss)

Ich stehe an der Tür und begrüße Nummer eins, der 20 Minuten zu früh erscheint und das Ende meiner freudig-aufgeregten Laune einläutet. Auf die Frage, „Naaa, wie gehts dir?“, antworte ich innerlich: „Noch gehts“. Und äußerlich: „Alles dufte! Schön, dass du da bist!“

Dann wiederholt sich die Begrüßung zu einem beinahe mechanischen Vorgang, während durch die Wohnung ein Potpourri aus Gelächtern, Gesprächsfetzen und Indie-Mucke zu dröhnen beginnt. Irgendjemand findet immer, man müsse doch Musik hören (laut), es riecht nach drei Sorten Essen und mir wird auf weirde Weise warm.

Nummer sieben hat Geschenke, Kuchen, Partnerin und drei Kinder mitgebracht, die für den Rest des Tages meine Wohnung zum Indoor-Kletterspielplatz erklären. Spätestens ab Nummer elf ist jede Umarmung eine zu viel und ich denke: „Schön, dass ihr alle da seid, wollt ihr dann jetzt wieder gehen?“, aber: „Heyyyyyy, wer will nen Kaffee?“, kommt aus meinem Mund.

2. Den Rest des Martyriums aushalten (lächeln!)

Nummer fünf fragt irgendwann: „Sind alle da?“, und ich weiß, wie viel Uhr es geschlagen hat: Wir-singen-jetzt-ein-fucking-Geburtstagslied-Uhr, bei dem nur Nummer fünf Lust auf singen hat und der Rest der Versammlung aus Anstand versucht, den Ton zu treffen (ich bin leider Musiker und höre jede Abweichung der Intonation).

Ich beginne, Kuchen und Süßigkeiten in mich reinzustopfen und mich zu den engsten Freunden zu stellen. Dann werfen wir mit Insiderwitzen umher und ich habe kurze Momente der Erleichterung.

Ich gehe auf Toilette, obwohl ich gar nicht muss. Dann sitze ich mit Kopfschmerzen auf der Klobrille und starre auf mein Handy, bis meine Beine einschlafen oder jemand an die Tür klopft und um dringenden Einlass bittet.

3. Der Moment, wenn Leute gehen (schade, dass du schon gehst!)

In meiner Magendarm-Gegend macht sich ein Gefühl prickelnder Wonne breit, wenn eine Person davon erzählt, was sie später vorhat und anklingen lässt, bald meine Wohnung zu verlassen. Ich beginne passiv-aggressiv die Wohnung aufzuräumen und beschäftige mich mit Abspülen, Toilettenpausen und dem Verabschieden der Gäste.

Die Penetrantesten bleiben, obwohl die anderen längst weg sind. Ich denke darüber nach, welche Ausrede sozial akzeptabel ist, aber Grund genug, den finalen Rauswurf einzuleiten. „Lass bald wieder treffen, ja?“, rutscht es mir raus.

🎉 Denn du strahlst ja selber wie der Sonnenschein

Das Feiern meines Geburtstages habe ich selbst nie in die Wege geleitet, meist wurde es von meinen Partnerinnen oder Freunden vorgeschlagen. Wegen dieser angestrengten und für mich anstrengenden Versuche, mir etwas Gutes zu tun, hatte ich den Eindruck, ein soziales Verbrechen zu begehen, wenn ich mich nicht fügte. Alle sonnenscheinstrahlend in Megasuperlaune – ich, der preußische Partypooper.

Das betraf nicht nur meine eigenen Feiern.

Als ich auf der Feier zum 30. Geburtstag eines Freundes nach dem ersten Bier und zwei Marlboro den Heimweg antrat, sah ich an der in Zeitlupe schwindenden Freundlichkeit seines Blickes bei der Verabschiedung, was er davon hielt.

Auf dem Rückweg bekam ich Gewissensbisse und tippte eine SMS, um zu erklären, dass es keine böse Absicht war. „Ja, schade“, seine knappe Antwort sinngemäß. Wochenlang traute ich mich kaum, ihm unter die Augen zu treten.

Dieses Schuldgefühl schob mich auf Hochzeiten (Goldene auch, yippie), ich quälte mich auf Festivals, zwang mich zu Ausflügen mit drei Großfamilien, hielt Gottesdienste aus wie ein Seelachs in der Sauna.

Falls du denkst: „Warum hast du das mitgemacht?“ Ich hatte Angst. Davor, den Anschluss an die Clique und lange, tiefe Freundschaften zu verlieren.

🎂 Heut ist dein Geburtstag, darum feiern wir

Vergangenes Jahr habe ich zum ersten Mal realisiert, dass mehr als vier Leute gleichzeitig psychischen Stress in mir auslösen. Was ich damit meine?

Weil ich verschiedene Stimmen nicht voneinander trennen kann, höre ich jedes Wort gleichzeitig, was nach ein paar Minuten in einen mentalen Overload mündet, den ich nicht regulieren kann.

Außerdem strahlt jede Person Energie aus (nein, keine Aura), die ich spüre. Dieses Wahrnehmen ist kräftezehrend, und mit der steigenden Zahl der Menschen sinkt meine Kapazität für Gespräche.

Minimale Veränderungen in der Gestik und Mimik haben auf mich eine eigenartige Wirkung: Augenzucken, Kratzen der Schulter, Stirnrunzeln, das ruckartige Zurücklehnen in den Stuhl, wenn jemand gestresst durchatmet, registriere ich permanent und parallel, wie eine hochempfindliche, übertrieben hochauflösende Überwachungskamera.

Vielleicht wird jetzt klarer, warum Geburtstagsfeiern, auf denen sich alles um mich dreht, mein innerer Exitus sind. Erlebt habe ich diesen Stress mit Gruppen über vier schon immer, aber genau benennen konnte ich ihn erst im Sommer 2024, im Alter von 43 Jahren. Aber dann habe ich das, was für viele erwartbar wäre, nicht getan.

Statt an mir herumzuoptimieren, archäologisch mit meinem Therapeuten biopsychosoziale Ursachen auszugraben, mein „inneres Kind“ an einem imaginären Teneriffa-Strand zu besänftigen oder einen Termin beim Diagnostiker zu machen, um mir möglicherweise drei weitere psychische Besonderheiten anzuziehen, habe ich mein Limit akzeptiert.

Ich lasse mich so, wie ich bin.

Dieser Gedanke ist befreiender, als mich (wieder) in etwas zu zwängen, das ich nicht mag. Selbstoptimierung ist in meinem Fall der Verzicht auf die Selbstoptimierung. Keine eigenen Geburtstagsfeiern mehr, für immer. Keine Festivals, Konzerte oder Konferenzen. Wer mir das krummnimmt, ist nicht mein Freund.

👯 Alle deine Freunde freuen sich mit dir

Eigentlich könnte ich sagen: Alles super, easypeasy. Martin ist geheilt, lebt nur noch mit sich allein, fühlt den Frieden forever und lässt gar nichts mehr anbrennen, weil er so resistent, resilient und relaxed ist. Und alle meine Freunde freuen sich mit mir (jeder für sich von zuhause aus).

Wäre da nicht eine Sache.

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Kinos, Konzerte, Konferenzen, Ausstellungen, Lesungen, Festivals, Restaurants, jedes kulturelle Angebötchen ist darauf ausgelegt, möglichst viele Menschen wie eine Schrottpresse zusammenzudrücken.

Mir ist klar, dass dies logistisch begründet ist. Je mehr Leute ein Konzert besuchen, desto mehr Menschen können gleichzeitig dasselbe erleben, desto höhere Gagen bekommen die auftretenden Bands und die Veranstalter sind zufrieden. Und, Boy, die Menschheit reizt das aus:

  • 2006 spielten die Rolling Stones vor 1,6 Millionen Menschen in Rio de Janeiro.
  • Dagegen ist das Metallica-Konzert 1996 in Moskau vor knapp 500.000 Leuten ein kleines Kerzendinner.
  • Und die Lichtburg in Essen gibt damit an, mit 1.250 Sitzplätzen den größten Kinosaal Deutschlands anzubieten.

Diese Massenveranstaltungen gehören zur Gesellschaft, sie sind „normal“. Nur nicht für alle. Leute wie ich meiden diese Orte, weil wir größere Menschengruppen, egal wie, egal wo, nicht länger als 25 Sekunden aushalten – und 25 Stunden benötigen, um uns davon zu erholen.

Viele kulturelle Angebote bleiben so denjenigen vorbehalten, für die es kein Problem ist, wenn sie sich überall durchdrängeln müssen. Für die es keinen Stress bedeutet, mit 25.000 anderen ein Fußballspiel anzusehen, mit Bier in der einen, Handy in der anderen Hand und lautstarkem Gebrüll links und rechts.

Auch deshalb, aus Rücksichtnahme, solltest du wissen, ob Menschengruppen für deine Freund:innen und Kolleg:innen ein Problem sind. Wenn du dir nicht sicher bist, frag gerne nach. Nach meiner Erkenntnis habe ich mein Umfeld über mein Limit informiert. Auch mein berufliches. „Leute, ich hab euch gern, aber ich gehe nicht mit euch zu zwölft essen.“ Was mich wunderte? Niemand kritisierte das, im Gegenteil, wie die folgende Szene zeigt:

Als ich mit meinen Kolleg:innen gemeinsam die 10-Jahre-Krautreporter-Party plante, von der ich wusste, dass mindestens 30 Gäste anwesend sein und die letzten um drei Uhr morgens nach Hause wackeln würden, sagte meine Kollegin Isolde nebenbei: „Martin, wir wissen, dass du große Gruppen nicht magst und es ist okay, wenn du früher gehst.“

Ich kann die Erleichterung nicht in Worte fassen, die dieser Satz in mir auslöste.


Redaktion: Bent Freiwald, Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Gabriel Schäfer; Audioversion: Iris Hochberger

Ich mag Menschen, aber bitte nicht mehr als vier auf einmal

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