Collage: Lindner und Scholz stehen links nebeneinander. Rechts ist Trump auf einer Bühne zu sehen.

Chip Somodevilla, Pool/Getty Images

Psyche und Gesundheit

So bringst du dein Gehirn durch die aktuellen Krisen

Erst die Trump-Wahl, dann das Ende der Ampel: Das erzeugt Angst und Stress. Aber es gibt Strategien, die helfen.

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Bildungsreporter

Ich war ziemlich zuversichtlich, dass Kamala Harris gewinnt. Aus zwei Gründen: Erstens redete ich mir ein, dass die Amerikaner:innen den gleichen Fehler nicht zweimal machen würden (oh boy) und zweitens wollte ich, selbst wenn Trump gewinnen sollte, wenigstens die Tage vorher nicht in voreilige Panik geraten. Aus Selbstschutz.

Nun, Trump ist zurück. Das mächtigste Land der Welt hat einen rassistischen, sexistischen Faschisten zum Präsidenten gewählt, schon wieder. Mir macht das Angst.

Und weil eine Krise pro Tag nicht reicht, hat Bundeskanzler Olaf Scholz am gleichen Abend auch noch Bundesfinanzminister Christian Lindner entlassen. Die Regierung ist am Ende. Neuwahlen stehen an.

In solchen Situationen tendieren wir dazu, alle Infos aufzusaugen. Wir klicken uns von der New York Times zum Spiegel zu Zeit Online, dann zu X, auf Youtube und wieder zurück zu X. Wir verfolgen die Analysen und Entwicklungen im Sekundentakt. Hat Kamala Harris sich schon geäußert? Was sagt Scholz, was Lindner? Wer hat die bessere Rede gehalten?

Unser Gehirn schaltet in den Krisenmodus. Das Problem: Dieser Modus bewirkt das Gegenteil von dem, was er soll. Wir werden ängstlicher und gestresster, als wir sein müssten. Dabei gibt es Strategien, die uns dabei helfen, in solchen Situationen nicht den Verstand zu verlieren.

Was, wenn wir nichts mehr vorhersagen können?

Eine der wichtigsten Funktionen unseres Gehirns ist es, permanent Vorhersagen zu treffen. Wenn jemand mit uns spricht oder wir etwas lesen, berechnet unser Gehirn in Echtzeit, welches Wort wahrscheinlich das nächste sein wird. Das passiert auch jetzt gerade bei dir, während du diese Zeilen isst.

Hä? Während du diese Zeilen isst? Das stimmt doch so nicht!

Dein Gehirn hat gerade ein Fehlersignal ausgelöst, weil das Wort, was es vorhergesagt hat, nicht gekommen ist. Das ist erstmal kein Problem, unser Gehirn liebt es, Fehler zu entdecken!

Zum Problem wird es erst, wenn du keine Vorhersagen mehr treffen kannst, weil nichts mehr vorhersagbar ist. Denn diese ganze Vorhersagerei – beim Zuhören, beim Musikhören, bei allem, was wir tun – hat vor allem einen Sinn: die Ungewissheit zu minimieren.

Es gibt kaum etwas, was bei uns so viel Unsicherheit erzeugt wie Krisen. Wir fragen uns: Wird Trump seine Versprechen wahrmachen? Wie wirkt sich die kaputte Bundesregierung aufs Land aus?

Alles Fragen, auf die wir selbst keine Antwort haben, auf die es aber auch in vielen Fällen noch überhaupt keine Antwort gibt. Wenn zum ersten Mal seit 20 Jahren vorgezogene Neuwahlen anstehen, ist es verdammt schwer, seriöse Vorhersagen zu treffen. Weil sich die Lage ständig verändert. Bei Donald Trump kommt noch erschwerend hinzu, dass die meisten seiner Handlungen und Aussagen sowieso nicht rational zu erklären sind.

Und so trifft unser Gehirn bald Voraussagen, die sich als falsch herausstellen. Und wir? Erleben einen Kontrollverlust.

Was macht dieser Kontrollverlust mit unserem Gehirn? Kurz gesagt, zwei Dinge: Wir bekommen Angst und wir empfinden Stress. Beides hat Auswirkungen auf uns. Jeden Tag. Wir können das aber verhindern.

Angst und Stress machen uns dümmer

Wenn wir Angst haben, schaltet unser Steinzeitgehirn automatisch in den Überlebensmodus. Uns bleiben nur noch drei Reaktionen: kämpfen, flüchten oder erstarren. Wenn wir Angst haben, sind Hirnregionen, die für Kreativität zuständig sind, blockiert. Und auch solche, die für langfristiges Planen verantwortlich sind, zum Beispiel der präfrontale Kortex.

Aus Sicht der Evolution ergibt das natürlich Sinn: Wenn unsere Vorfahren einem Säbelzahntiger gegenüber standen (ich weiß ehrlich gesagt nicht, warum Säbelzahntiger in der Hirnforschung ständig eine so große Rolle spielen), dann sollten wir nicht kreativ sein oder an unsere Zukunft in drei Jahren denken, sondern an unsere Zukunft in zehn Sekunden. Und die sollte möglichst weit weg von dem Tiger stattfinden.

Angst killt unsere Kreativität, damit der Tiger uns nicht killt. Denn eins ist klar: Derjenige, der beim Aufeinandertreffen mit einem Säbelzahntiger erstmal nach kreativen Lösungsmöglichkeiten gesucht hat, gehört ganz sicher nicht zu unseren Vorfahren.

Nun ist es aber so, dass die Wiederwahl Trumps, so beängstigend sie ist, kein Angriff eines Säbelzahntigers ist. Und die Krise der Bundesregierung ebenfalls nicht. Unser Gehirn reagiert aber immer noch wie vor zwei Millionen Jahren, mit Angst und Stress. Aber Weglaufen hilft gerade halt wenig. Wenn wir bei dem Bild mit dem Säbelzahntiger bleiben: Die Wahl von Donald Trump ist in etwa so, als würden wir permanent von Angesicht zu Angesicht mit dem Tiger stehen und daran nicht das Geringste ändern können.

Der Tiger steht und starrt und steht und starrt und wir wissen nicht, wohin mit uns.

Das hat Folgen. Egal, ob auf unserer individuellen Ebene oder auf kollektiver Ebene – durch Stress treffen wir unsere Entscheidungen irrational und unsystematisch. Stress beeinträchtigt unser Arbeitsgedächtnis. Stress lenkt uns ab. Stress macht es uns schwerer, Informationen zu verarbeiten. Studien haben gezeigt: Unter Angst und Stress lösen wir Aufgaben schlechter. Mann kann also sagen, dass uns unsere erste Reaktion auf eine Krise gewissermaßen dümmer macht.

Unsere Lösungen werden zum Problem

Und was machen wir dagegen? Wir versuchen, die Kontrolle zurückzugewinnen. Und wie bekommt man Kontrolle zurück? Indem man wieder vorhersagen kann, was als Nächstes passiert! Und wie kann man vorhersagen, was als Nächstes passiert? Durch Informationen! Wissen ist Macht! Wissen ist Vorhersage! Also lesen wir News, schauen fern und hören die News-Podcasts, die uns detailliert erklären, was gerade passiert ist: Wie es so weit kommen konnte, was Kamala Harris falsch und was Donald Trump richtig gemacht hat. Ob die Entlassung Lindners Kalkül hatte und wer die besseren Argumente nennen konnte.

Als am 11. September 2001 das World Trade Center angegriffen wurde, haben Erwachsene im Durchschnitt 8,1 Stunden Fernsehberichterstattung gesehen, Kinder 3 Stunden.

Mehrere Studien zeigen einen möglichen Zusammenhang zwischen dem Konsum dieser TV-Berichterstattung und einem erhöhten Risiko von posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) und klinischen Depressionssymptomen. Wichtig: Ob man sich im direkten Umfeld des betroffenen Gebietes befunden hat oder nicht, spielte dabei nicht unbedingt eine Rolle.

Das belegen weitere Studien: Als es 2013 einen Anschlag auf den Boston Marathon gab, waren z.B. diejenigen, die den Anschlag im Fernsehen verfolgt haben, gestresster als die Personen, die live vor Ort dabei waren.

Dass die US-Wahl rein geographisch so weit weg ist, heißt nicht, dass sie sich für uns nicht trotzdem anfühlen kann wie eine Krise, von der wir selbst betroffen sind.

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Der Grund für diesen schier unstillbaren Nachrichtendurst ist simpel: Wir wollen endlich wieder valide Vorhersagen treffen können, wir wollen die Kontrolle zurückgewinnen. Aber weil in Krisen niemand wissen kann, was als Nächstes kommt, passiert das genaue Gegenteil: Die vielen News überfordern unser Gehirn. Es macht dicht.

Wenn wir uns in so einer Krisensituation den News aussetzen, sind wir noch gestresster, als wenn wir gar keine Nachrichten konsumiert hätten.

Das ist schlecht. Denn unter Stress stellen wir höhere Anforderungen an Gehirn und Körper, als wir an Ressourcen zur Verfügung haben. Wenn wir permanent in diesem Alarm-Zustand sind, kommt die Erholung logischerweise zu kurz. Auch hier zeigen Studien, dass damit die Gefahr für psychische und andere chronische Krankheiten steigt.

So hältst du Trump und die Ampel aus deinem Kopf heraus

Wir wissen jetzt, was Krisen mit dem Gehirn machen. Also wissen wir auch, an welchen Stellschrauben wir drehen müssen: Wir müssen Stress und Angst reduzieren, um wieder Vorhersagen treffen zu können, die stabil sind.

Fünf Dinge, die man direkt aus der Forschung ableiten kann, können uns dabei helfen. Ich werde mich in den nächsten Tagen penibel an sie halten.

  • Tipp 1: Konsumiere nicht mehr, sondern weniger News! Nachrichten gucken oder lesen führt nicht dazu, dass wir die Kontrolle wiedererlangen. Es passiert genau das Gegenteil: Wir sind noch gestresster. Deshalb sollten wir ganz klare Zeiten definieren, in denen wir News konsumieren. Einmal morgens checken, was passiert ist (zum Beispiel in der Krautreporter-Morgenpost), reicht völlig aus. Dazu gehört auch Twitter bzw. X, Threads, Instagram oder Mastodon.

  • Tipp 2: Akzeptiere die Situation! Studien zeigen, dass wir den Stress, den wir mit einer Situation verbinden, verringern können, wenn wir die Situation akzeptieren. Es ist in Ordnung, ängstlich zu sein. Mach dir das immer wieder klar. Nimm dir ruhig ein paar Tage Zeit, um in Panik zu verfallen. Danach solltest du aber in die Normalität zurückkehren.

  • Tipp 3: Rede darüber, wie du dich fühlst! Studien belegen, dass schon das Benennen von Gefühlen eine tiefgreifende Wirkung auf das Nervensystem hat, Stressreaktion des Körpers werden dadurch gedämpft. Man nennt das: Affect Labeling. Schon das Aufschreiben kann helfen, aber auch Gespräche mit Freund:innen. Hier gilt: Je mehr Begriffe du für deine Gefühle findest und je präziser du deine Gefühle benennst, desto mehr verringert sich der Stress.

  • Tipp 4: Konzentriere dich auf deinen eigenen Einflussbereich! Die meisten Dinge, die mit den heutigen Krisen in Verbindung gebracht werden, liegen weit außerhalb unserer Kontrolle. Du kannst nichts an der Wahl in den USA ändern. Das ist unglaublich frustrierend und ein Hauptgrund für Ängste. Der beste Weg, mit dieser Angst umzugehen ist, sich auf die Dinge zu konzentrieren, die in unserem Einflussbereich liegen: ein Ehrenamt, politisches Engagement in einer Partei, Demokratiearbeit in einem Sportverein. Frag dich also: Was kannst du kontrollieren?

  • Tipp 5: Suche nicht die Unterschiede, sondern Gemeinsamkeiten! Unter Stress neigen wir dazu, Gruppen zu definieren, denn die verschaffen Sicherheit: Geimpfte vs. Ungeimpfte, Klimaaktivist:innen vs. Klimaleugner:innen, Republikaner vs. Demokraten. Studien zeigen aber, dass funktionierende soziale Beziehungen der wichtigste Faktor für ein gesundes und glückliches Leben sind. Deshalb sollten wir gucken, was die kleinsten gemeinsamen Nenner sind.

Das alles macht Trump nicht weniger gefährlich und die Regierung nicht weniger kaputt. Aber es sorgt dafür, dass wir uns nicht dümmer machen als nötig – und dass wir langfristige Entscheidungen treffen können, ohne vom Stress gehetzt zu werden.


Dieser Text ist zuerst als Ausgabe meines Newsletters „Das Leben des Brain“ erschienen. Anlässlich der aktuellen Situation habe ich ihn für Krautreporter aktualisiert.

Redaktion: Rebecca Kelber, Schlussredaktion: Astrid Probst, Fotoredaktion: Philipp Sipos, Audioversion: Christian Melchert

So bringst du dein Gehirn durch die aktuellen Krisen

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