Eine Fußgängerampel im Morgenlicht. Leute überqueren die Straße.

© Martin Gommel

Psyche und Gesundheit

Warum ich süchtig nach Spaziergängen bin

Klingt pathetisch, ist aber wahr: Spazieren hat mein Leben verändert.

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Reporter für psychische Gesundheit

Am 29. Februar 2024 ging ich los. Ich stand eine Stunde früher auf als sonst, warf den Rucksack über und stiefelte um sieben Uhr aus meiner Haustür in Berlin-Kreuzberg. Ich genoss das Gefühl, zu den Frühaufsteher:innen zu gehören, die in Herrgottsfrühe durch die Gegend geistern. Als ich nach zwei Kilometern auf der Schillingbrücke über die Spree blickte, sah ich, wie sich die Sonne vor der Spree versteckte.

Unterwegs spürte ich, wie meine Beine sich nicht mehr so flott bewegen wollten, am liebsten hätte ich mich auf eine Bank gesetzt. Doch dann ging es nach dem Märchenbrunnen die letzten anderthalb Kilometer bis zum Wasserturm etwas bergauf. Schwer atmend bog ich in die Sredzkistraße im Prenzlauer Berg ein und öffnete nach genau sechs Kilometern Wegstrecke die Eingangstür zur Krautreporter-Redaktion.

Ich ließ mich auf einen Stuhl fallen und dachte völlig fertig: „Pa! Das war einfach!“ Wenn ich begeistert bin, übertreibe ich es gerne, was mir ein paar Wochen später furchtbare Schmerzen bescherte. Dazu gleich mehr.

Neun Stunden später lief ich die Strecke wieder zurück. Das war ungefähr so: Vorbei an dem koreanischen Restaurant, in dem ich mit meinen Kolleg:innen vergangenen Sommer gegessen hatte, quer über die lärmende Prenzlauer Allee. Beige bemantelte Herren lenkten ihren Dackel durch die Schatten des Kollwitzkietzes. Einige Jogger:innen hetzten im Abendlicht über die Kreuzung. Ich lief im Gegenwind an der Kante des Volksparks Friedrichshain entlang.

Plötzlich fliege ich. Alles um mich herum zieht vorbei, ich fühle mich leicht. Gleite dahin, schließe kurz die Augen. Arme und Beine bewegen sich mühelos, ich vergesse meinen Körper, bin eins mit dem Moment. Pappeln rascheln, erfrischender Gegenwind bläst mir um die Schultern, die Zeit steht still. Ich atme frische Frühlingsluft ein und blicke über den Berliner Häuserhorizont.

Psycholog:innen nennen diesen Zustand „Flow“. Das ist ein oft glücklich machender Moment, in dem die erlebende Person das Gefühl für Zeit verlieren und ganz in dem aufgehen kann, was sie tut. Und ich? Habe mich auch deshalb ins Gehen verliebt. Dabei war das nicht immer so.

Seit ich 20 Jahre alt bin, lebe ich in Städten und fand Spaziergänge eher so „meh“. Als ich nach Berlin zog, fuhr ich jede Ministrecke mit der Bahn. Wenn eine Metro 150 Meter zum Supermarkt um die Ecke gefahren wäre, hätte ich lieber fünf Minuten gewartet, um einzusteigen, statt zu laufen. Ein Glück, dass ich kein ÖPNV-Planer geworden bin, sonst gäbe es da, wo ich wohne, 13 Haltestellen.

Mein Leben änderte sich mit einer Geschichte, die mein Kollege Leon beim Mittagslunch begeistert von seinem ehemaligen Chef Alexander erzählte. Der war täglich (!) die Strecke zur Arbeit hin und zurück gejoggt.

Irgendwie joggte die Idee in meinen Kopf, drehte ein paar Runden, bis ich am Abend dachte: warum eigentlich nicht? Das könnte ich probieren! Joggen war mir zu heftig, aber Spazieren zur Arbeit hörte sich schick an. Beim Gedanken daran musste ich ein wenig grinsen, weil Spazieren so gut zu mir passte wie Linsensuppe zum Mittagessen. Nämlich gar nicht.

Doch ich probierte es aus. Obwohl es pathetisch klingt, muss ich es so sagen: Das Gehen hat mein Leben verändert. Ich fühle mich seitdem fitter, fokussierter und gesünder. Mittlerweile habe ich auch herausgefunden, warum das so ist. Denn die Forschung weiß schon lange, welche positiven Auswirkungen Spazierengehen auf Körper und Psyche hat. Gäbe es eine Pille mit der gleichen Wirkung, Menschen würden dafür bezahlen.

Auf dem Bild sehen wir einen Sonnenaufgang von der Schillingbrücke aus. Der Blick geht über die Spree in Berlin. Die Sonne ist gerade über den Horizont gestiegen und taucht die Szene in ein warmes, goldenes Licht. Rechts und links des Flusses stehen moderne Gebäude. Links sind vor allem Bürogebäude, rechts ist ein Gebäude mit einem großen Mercedes-Benz-Stern auf dem Dach erkennbar. Im Hintergrund sieht man die Oberbaumbrücke mit ihren markanten Türmen. Ein Boot fährt auf der Spree in Richtung der Brücke.

Ab und zu zückte ich auf meinen Spaziergängen das Handy und machte eine Aufnahme, wie hier auf der Schillingbrücke mit Blick auf die Spree.

Warum sich Laufen so gut anfühlt

Da ich die Jahre zuvor nur von meiner Wohnung zur Bahnstation und schließlich von der Bahnstation zum Büro gelaufen war (zusammengerechnet sind das 1,5 Kilometer), erlebte ich den Vorher-Nachher-Effekt deutlich. Ich kam morgens, statt mediumgut aufgelegt, mit einem Strahlen ins Büro, als ob ich Plutonium-Cornflakes zum Frühstück verdrückt hätte.

Diese Spaziergänge fühlten sich an wie der Moment an einem heißen und schwülen Tag, nachdem es frisch geregnet hat, du den Temperaturabfall körperlich spürst und denkst: ach, wie schön!

Die positive Wirkung von Bewegung auf das Wohlbefinden ist gründlich erforscht. In einer Übersichtsarbeit aus dem Jahr 1999 stellten Wissenschaftler:innen fest, dass schon einzelne körperliche Aktivitäten wie dreißig Minuten zügiges Gehen die Stimmung und Schlafqualität verbessern können und dass Menschen, die aktiver sind, sehr wahrscheinlich ihr psychisches Wohlbefinden positiv einschätzen. Auch ich hatte den Eindruck, dass es mir besser ging als vorher.

Eine epidemiologische Studie, die das Geh-Verhalten der US-amerikanischen Bevölkerung untersuchte, kam zu dem Ergebnis: Menschen, die regelmäßig spazieren gehen, haben im Vergleich zu denen, die sich seltener bewegen, mehr Selbstvertrauen, während diejenigen, die nie spazieren gehen, eher gesundheitliche Probleme und weniger Energie haben.

Hallo? Ist das nicht grandios? Erst fühlt man sich besser, dann bekommt man obendrauf ein kostenloses Upgrade fürs Selbstvertrauen. Wenn es das als Pille gäbe, Menschen würden dafür bezahlen. (Antidepressiva helfen übrigens weniger, als du denkst.)

Ich probierte verschiedene Routen aus, bis ich die perfekte Mischung aus schnell und ruhig gefunden hatte. Statt wie bisher in die Bahn zu steigen und genervt zu hoffen, dass mir kein schwitzender Alphamann ohne Maske über den Nacken hustet, war ich stolz darauf, meine Zeit zwischen Zuhause und Büro für mich angenehm gestaltet zu haben. Und das wiederum machte mich zufrieden.

Eine Umfrage unter 713 Berufspendlern in den drei größten Städten Schwedens bestätigt mein Gefühl. Die Forscher:innen fanden heraus, dass Zufriedenheit mit dem Arbeitsweg zum allgemeinen Glücksgefühl beiträgt. Zu Fuß und mit dem Fahrrad zu pendeln führte bei den Teilnehmer:innen zu mehr Zufriedenheit, als morgens mit dem Auto oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren.

Falls hier jemand von Google Maps mitliest: Statt die schnellste, hätte ich gern die ruhigste Route. Melde mich hiermit als Tester an!

Das Bild zeigt einen Spazierweg in einer städtischen Grünanlage bei Sonnenaufgang. Eine Person steht mit dem Rücken zur Kamera, trägt einen dunklen Mantel und einen Hut. Die Sonne wirft lange Schatten, die sich über den Weg erstrecken. Links und rechts des Weges stehen kahle Bäume, einige Parkbänke sind zu sehen. Im Hintergrund sind mehrstöckige Wohngebäude, vermutlich Plattenbauten, und einige parkende Autos zu erkennen. Die Szenerie wirkt ruhig und die warme Morgenstimmung wird durch das weiche Licht unterstrichen.

Woher kommt meine neue Konzentrationsfähigkeit?

Wenn ich morgens im Büro ankam, war ich nicht nur glücklicher. Ich hatte auch den Eindruck, mein Gehirn sei mit einer fetten Prise Meeresluft durchgepustet worden.

Ich brauchte nicht mehr so lange, bis ich mich eingegroovt hatte. Was meine ich damit? Die Zeit, die man benötigt, bis man vollends bei der Sache ist und tatsächlich arbeitet. Also der Moment, in denen man seinen Stuhl zurechtruckelt, einen Kaffee holt, den Stehtisch hochfährt (und dann doch wieder runter).

All das fiel kürzer aus und ich war sofort mit Konzentration bei der Sache. Einen neuen Text schreiben? Bäm, los gehts! Noch eine Umfrage bauen und auf Twitter verteilen? Schon dabei! Auch das Konzentrieren selbst, das fokussierte Arbeiten über längere Zeiträume, ging leichter von der Hand.

Da ich aber in derselben Zeit begonnen hatte, täglich Bücher zu lesen und das meine Konzentrationsfähigkeit auch verbesserte, wollte ich meine Euphorie ein wenig zügeln. Schließlich könnte mein neuer Fokus auch vom Lesen kommen.

Das nennt man übrigens Konfundierung. Es bedeutet, dass mehrere Veränderungen gleichzeitig stattfinden und es schwierig ist, den genauen Grund für eine Verbesserung festzustellen.

Um herauszufinden, ob das Laufen oder das Lesen die Hauptursache für meine bessere Stimmung ist, müsste ich genauer untersuchen, wie jede Aktivität einzeln wirkt. Leider kann ich das nachträglich nicht mehr machen. Aber ich habe mir wissenschaftliche Arbeiten angesehen, in denen die Wirkung des Gehens auf kognitive Fähigkeiten untersucht wurden.

So wirkt sich ein Spaziergang auf Kinder mit ADHS aus

Es gibt eine große Menge an wissenschaftlicher Literatur dazu. Ich habe versucht, Studien zu finden, bei denen die Proband:innen (wie ich) in der Stadt gingen. Dabei fiel mir auf, dass in vielen Studien das Laufen in der Stadt mit dem in der Natur verglichen wurde, wobei Letzteres immer für bessere Ergebnisse sorgte.

In einer experimentellen Studie aus dem Jahr 2008 untersuchten Wissenschaftler:innen zum Beispiel Kinder mit diagnostiziertem ADHS oder ADS. Dafür ließen die Forscher:innen sie in einem Stadtpark, einer Innenstadt sowie in einem Wohngebiet spazieren gehen und testeten danach deren Konzentration.

Ein Test war der „Digit Span Backwards Test“. Dabei hörten die Kinder eine Sequenz von zwei bis acht Ziffern (zum Beispiel „2-5-1“) und mussten diese in umgekehrter Reihenfolge wiederholen (zum Beispiel „1-5-2“). Die Ergebnisse zeigten, dass der Spaziergang im Stadtpark die Konzentration der Kinder stärker verbesserte als die Spaziergänge in der Innenstadt oder im Wohngebiet.

Schon ein 20-minütiger Spaziergang in der Natur steigerte bei diesen Kindern die Fähigkeit, sich zu konzentrieren! Da ADHS die Konzentrationsfähigkeit einschränken kann, ist das ziemlich bemerkenswert.

Ich habe zwar kein diagnostiziertes ADHS, aber auch ich kämpfe an manchen Tagen mit allerlei Ablenkung. Twitter, Zeit Online, Reddit, von Youtube gar nicht zu sprechen, quasseln mir ständig ins Ohr: „Hallooooooo! Hier! Komm mal rüber! Wir haben funkelndes Zeug, neue Hacks, die MUSST DU GESEHEN HABEN! Woooooooooooow.“

Dann reden zwei Kolleg:innen über meinen Lieblingsautor Hans Fallada, draußen vor der Tür läuft jemand mit einer riesigen Bluetoothbox herum, oder jemand spaziert, wie jetzt gerade, während ich das schreibe, in unser Ladenbüro und fängt an, mir aus seinem Leben zu erzählen und Fragen zu psychischer Gesundheit zu stellen.

Nicht falsch verstehen, ich mag meine Kolleg:innen und rede gerne mit Leuten über Krautreporter aber: Wenn ich eine Deadline halten will und keine Zeit dafür habe – einfach stur auf den Bildschirm starren, auch mit Noise-Cancelling-Kopfhörern, wie, bitte wie soll ich das machen?

Seit ich jeden Tag ins Büro laufe, fällt mir das leichter. Gefühlt reagiere ich nur noch in zwei von zehn Fällen, statt in sechs.

Das Bild zeigt einen Sonnenaufgang über einer städtischen Landschaft. Im Vordergrund befindet sich eine Wiese mit feuchtem Gras, hinter der ein Pfad und ein Geländer verlaufen. Rechts steht eine große Werbetafel mit der Aufschrift "Ströer." Im Hintergrund sind moderne Gebäude mit verschiedenen architektonischen Stilen zu sehen, die teilweise von der aufgehenden Sonne beschienen werden. Die Sonnenstrahlen durchdringen den leichten Morgennebel, wodurch eine sanfte und warme Lichtstimmung entsteht.

Wie meine Füße das viele Gehen fanden

In den ersten Wochen wuchs nicht nur meine Begeisterung fürs Laufen, sondern auch kleine Blasen und Schürfungen an meinen Füßen. Und zwar an einem Donnerstagabend, als ich schon den Rückweg angetreten hatte. Mein kleiner Zeh brannte, die Ferse scheuerte, jeder Schritt war einer zu viel.

Mein Problem in solchen Situation ist, dass ich nicht gut darin bin, Dinge abzubrechen, wenn ich sie einmal begonnen habe. Wenn ich im „Ich-gewöhne-mir-gerade-was-Neues-an-Modus“ bin, dann kann kommen, was will.

Statt ein Taxi zu rufen oder die nächste Bahn zu nehmen, ging ich einfach unter Schmerzen weiter. Naja, „gehen“ ist übertrieben. Ich humpelte wie ein Fußballspieler, der im Sprint seitlich und mit Absicht umgesenst wurde. Ich versuchte, dabei jedoch nicht wie ein sterbender Schwan dreinzuschauen. Unterwegs bestellte ich mir neue Laufschuhe, die nicht so ein Betonleder haben wie meine Vans.

Ich weiß bis heute nicht, ob es eine gute Entscheidung war, das so knallhart durchzuziehen. Für meine Füße war es keine Wohltat, aber für meine Psyche schon. Ich hatte mir selbst bewiesen, dass ich dieses Gehen wirklich kann.

Als sich im Laufe der Monate der Sommer ankündigte, entschied ich mich gegen die Disziplin. Abends um 18 Uhr, wenn Saunatemperaturen auf Gehwege drücken, nach Hause gehen? Wollte ich mir nicht antun. So kaufte ich mir wieder eine Monatskarte, ging morgens ins Büro und fuhr nach Feierabend zurück. So halte ich es heute noch.

Wie geil Tageslicht für meine Psyche ist

Wie du spätestens nach diesem Text weißt, habe ich einen Bürojob. Ich sitze von acht bis 18 Uhr in einem Raum und gucke auf einen Bildschirm. Das ist schon deshalb nicht gut für mich, weil langes Sitzen den Blutfluss zum Gehirn reduziert, was eine geringere kognitive Leistungsfähigkeit zur Folge hat.

Das Sitzen in Innenräumen hat noch einen Nachteil. Meine Haut bekommt kaum Tageslicht ab. Wenn ich aber jeden Tag mindestens 90 Minuten zu Fuß unterwegs bin, ändert sich das.

Dass Tageslicht wichtig für unser Wohlbefinden ist, wissen die meisten. Mir war bislang aber nicht klar, dass Licht sogar die Wahrscheinlichkeit, Antidepressiva nehmen zu müssen, reduzieren kann. In einer Kohortenstudie mit über einer halben Million Erwachsenen in England wurde untersucht, wie sich Zeit im Freien bei Tageslicht auf die psychische Gesundheit auswirkt.

Die Forscher:innen verwendeten Fragebögen, um Daten zu Stimmung, Lebensstil und anderen Aspekten der Gesundheit zu erfassen. Dabei kamen sie zu folgendem Ergebnis: Menschen, die sich länger Tageslicht aussetzten, hatten ein geringeres Risiko, Depressionen zu bekommen und Antidepressiva nehmen zu müssen.

Für mich sind das keine Kinkerlitzchen-Ergebnisse. Denn ich leide seit meiner Kindheit unter rezidivierenden, also wiederholt auftretenden Depressionen und ich musste fünfmal in die Psychiatrie. Meine Krankheit ist der mieseste, furchtbarste und gefährlichste Faktor in meinem Leben. Wenn sie zuschlägt, werde ich oft suizidal.

Deshalb möchte ich alles dafür tun, um dieser Störung keine Chance geben. Tageslicht ist dieser Studie nach eine Möglichkeit, die das Risiko zu erkranken senkt.

Und falls ich doch mal wieder depressiv werde: Forscher einer Review, die wissenschaftliche Arbeiten dazu untersuchte, wie Spazierengehen die psychische Gesundheit beeinflusst, kamen 2017 zu dem Schluss, dass Spazierengehen zur Behandlung von Depressionen eingesetzt werden sollte. Sie betonten jedoch, dass mehr Forschung nötig ist, da die acht Studien in dieser Übersicht eine relativ kleine Evidenzbasis darstellen.

Das Bild zeigt eine Parkszene in Schwarz-Weiß. Im Vordergrund erstreckt sich eine grasbewachsene Fläche mit vereinzelten Bäumen. Die tiefstehende Sonne scheint durch die Äste der kahlen Bäume, wodurch lange Schatten auf dem Boden entstehen. Mehrere Menschen sind zu sehen, die durch den Park spazieren. Auf der linken Seite des Bildes ist ein modernes Gebäude mit einer Glasfassade und Baugerüsten zu erkennen. Im Hintergrund sind weitere städtische Strukturen und ein Bus zu sehen.

Wie mir Laufpausen beim Arbeiten helfen

Ich finde Spazieren so toll, dass ich sogar viele Arbeitspausen damit verbringe. Statt irgendwelchen Typen auf TikTok dabei zuzugucken, wie sie beim Toilette putzen überschäumen oder auf Insta von reichen Typen erklären lasse, dass ich mit 400 Euro im Monat reich werden kann, laufe ich lieber ein Stück.

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Das ist wie einmal schön Fenster auf Durchzug – und ich spüre dieses „Frischsein im Kopf“ nach der Pause. Auch dazu gibt es eine wissenschaftliche Arbeit. 2014 führten Forscher:innen mit 153 Büroarbeiter:innen eine Studie durch, um zu untersuchen, wie sich Spaziergänge und Entspannungsübungen in den Pausen auf Wohlbefinden und Stresslevel auswirken.

Dafür wurden die Arbeiterin:innen in drei Gruppen aufgeteilt: die Parkspaziergang-Gruppe mit 51 Personen, die Entspannungsübungen-Gruppe mit 46 Personen und die Kontrollgruppe mit 56 Personen.

Vor, während und nach der Pause wurden sie gebeten, per SMS oder Papier-und-Bleistift-Fragebögen anzugeben, wie erholt sie sich fühlten. Das Ergebnis? Beide aktiven Gruppen fühlten sich nach der Pause weniger müde als die Kontrollgruppe, wobei sich die Spaziergang-Gruppe auch den Rest des Tages weniger müde fühlte.

Ich habe, weil mir das Laufen so viel gute Laune macht, vor ein paar Wochen damit begonnen, Leute auf der Straße zu grüßen. Als ich das einer Kollegin erzählte, meinte sie sinngemäß: „Was? Das ist in Berlin wohl das makaberste, was man tun kann!“

Denn in Berlin grüßt niemand jemanden. Wir laufen aneinander vorbei wie Zombies und sind meistens froh, wenn wir nicht wahrgenommen werden. Die Leute, die ich beim Spaziergang spontan grüßte, reagierten aber nicht so, wie ich es erwartet hatte. Ich rechnete damit, komplett ignoriert zu werden.

Berlin wollte es anders. Bis heute haben fast alle zurückgegrüßt, als sei es das Normalste. Vom Bauarbeiter, über Handwerker von den Wasserwerken, über ältere Fräuleins, die morgens ihr Hündchen ausführen, habe ich immer eine Reaktion bekommen. Manche sagten einfach „moin“ zurück, andere waren sofort per du: „Grüße dich“. Ist das nicht herrlich? Warum sollte ich auf diesen Spaß verzichten wollen?

Das Bild zeigt eine ruhige städtische Straße bei Sonnenaufgang. Auf beiden Seiten der Straße parken Autos, darunter ein Wohnmobil. Die Gebäude auf der rechten Seite sind in verschiedenen Farben gestrichen, darunter Rot, Gelb und Weiß. Links säumen Bäume die Straße, und die tief stehende Sonne scheint durch das Laubwerk, was eine warme, goldene Lichtstimmung erzeugt. Ein Straßenschild für einen Fußgängerüberweg ist sichtbar, und die Straße zeigt leichte Risse im Asphalt. Im Hintergrund erstreckt sich die Straße in die Ferne, gesäumt von mehrstöckigen Wohnhäusern.

Wie sich mein Tag ohne Laufen ins Büro anfühlte

Vor zwei Wochen habe ich einen Test gemacht. Ich fuhr morgens mit der Bahn ins Büro, weil ich zu spät aufgestanden war. Und bereute es sofort. Schon in der ersten Stunde im Büro dachte ich: nie wieder! Ich spürte den Unterschied primär in den Augen; hatte den Eindruck, dass sie die Welt noch gar nicht richtig aufnehmen konnten.

Als ich versuchte, einen Text zu lesen, musste ich mich anstrengen und ganz bewusst auf die Buchstaben und Worte schauen. Aber auch meine Laune war betroffen. Ich war (im Vergleich) schneller von Kleinigkeiten genervt, meine Konzentration war für die Katz. Ständig lenkte mich eine Kleinigkeit ab. Was tun? In meinen Pausen ging ich 10 Minuten spazieren, was ich heute noch tue.

🚶 Willst du mit mir gehen?

Zum Abschluss lade ich dich zu einer Geh-Challenge ein, besonders wenn du dich selten bewegst. Dass Spazierengehen gesund ist, wirst du schon vor diesem Artikel gewusst haben. Mir helfen die wissenschaftlichen Erkenntnisse aber dabei, mich mehr zu bewegen, weil ich die Vorteile genießen will.

Deshalb rufe ich die KR-Geh-Challenge aus! Versuche in der kommenden Woche zwei bis drei Spaziergänge zu machen – du bestimmst die Länge. Mach gerne ein Foto von unterwegs und poste es mit #willstdumitmirgehen auf dem sozialen Netzwerk deiner Wahl.

Wenn du Lust hast, verlinke gerne dazu diesen Text. Ich lese jeden Post – und manche teile ich. Und schreibe mir gerne, wenn du die Challenge geschafft hast, an martin@krautreporter.de. Vielleicht schaffen wir eine kleine Bewegung?


Redaktion: Bent Freiwald, Fotos: Martin Gommel, Schlussredaktion: Rebecca Kelber, Fotoredaktion: Philipp Sipos, Audioversion: Christian Melchert

Warum ich süchtig nach Spaziergängen bin

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