Wir werden gewarnt und es ist dringend. In den Nachrichten, in der Literatur, auf Twitter und sogar auf dem ökumenischen Kirchentag. Alarmiert wird nicht wegen Unwettern, Katastrophen oder Einbrüchen.
Wir werden davor gewarnt, dass uns etwas triggern könnte, also vielleicht, unter Umständen. Autoren, Redaktionen und Influencer wollen vermeiden, dass ich, der Leser, der Zuschauer, getriggert werde.
Das Problem? Ich weiß nicht so recht, was ein Trigger ist – und was nicht. Ich bin Reporter für psychische Gesundheit und beschäftige mich jeden Tag mit harten, schweren Themen. Depressionen, Trauma, Mobbing. Allerdings würde ich verlieren, wenn ich in einer Fernsehshow gefragt werden würde, was genau ein Trigger ist.
Deshalb habe ich mich mit der Psychotherapeutin Ingrid Wild-Lüffe verabredet. Sie ist spezialisiert auf die Behandlung komplexer Traumafolgestörungen. Sie sagt: Triggerwarnungen suggerieren, „du musst Angst haben.“
Frau Wild-Lüffe, was halten Sie von der zunehmenden Verwendung des Wortes „triggern“ in der Alltagssprache?
Nicht viel.
Können Sie das begründen?
Das ist ein Modebegriff. Triggern macht sowas Passives. „Ich kann nicht anders. Es triggert mich halt.“ Man könnte genauso sagen: „Ich muss gerade daran denken, dass …“ Dann hat man mehr Verantwortung.
Und die geben Menschen ab, die das Wort verwenden?
Ich würde eher sagen, es zieht bestimmte Assoziationen nach sich. Wenn ich sage, etwas triggert mich, dann tue ich so, als ob es eine größere Macht gebe, eine bestimmte Kraft, auf die ich keinen Einfluss habe.
Was ist eine gesunde Reaktion auf den Vorwurf: „Du hast mich getriggert“? Was sagt man da?
Das tut mir leid für dich.
Manchmal werden Leute sauer, weil man in einem bestimmten Ton gesprochen hat.
Das ist eine Waffe, dieser Satz. „Du hast mich getriggert! Du bist schuld!“ Und dann kann ich nur sagen: „Tut mir leid, war nicht meine Absicht.“ Und wenn ich „frech“ bin, dann würde ich sagen: „Schau mal, was das mit dir zu tun hat.“ Da schützt mich mein Verständnis von Triggern, mich von so einer Äußerung angegriffen zu fühlen.
Stimmt das überhaupt, zu sagen: „Jemand wird getriggert“? Das klingt so passiv.
Bei einem Trigger ist man sogar sehr aktiv. Das Reaktivieren einer Erinnerung ist ein aktiver Prozess. Und dieses Erinnern kann rasant und scheinbar inaktiv passieren. Etwas in Ihnen greift auf vorhandene Spuren zurück. So bringe ich auch Patienten bei, sich von Erinnerungen ein Stück zu distanzieren, insbesondere wenn sie von Intrusionen geplagt werden. Das sind ungewollte Bilder und Gefühle, die sie immer wieder an die schmerzhafte Situation erinnern.
Was verstehen Sie genau unter einem Trigger?
Ein Trigger hat eine Art Echo-Funktion und erinnert mich an zum Beispiel Schlechtes – oder auch Gutes! Ich nehme immer nur das als Trigger wahr, was für mich eine Bedeutung hat.
Ein Trigger kann an etwas Gutes erinnern?
Korrekt. Ich trinke jetzt einen Apfelsaft und dann denke ich: „Ach, der Geschmack, der erinnert mich an das Meer in Holland, beim Sonnenuntergang. Das war schön!“ Auch das ist ein Trigger.
Wir können jedoch nicht immer sagen, warum etwas uns erinnert, zum Beispiel bei Gerüchen. Wenn ich etwas rieche, dann fällt mir vielleicht plötzlich ein, dass es so in meiner Kindheit gerochen hat, wenn vor unserem Haus der Rasen gemäht wurde.
Ingrid Wild-Lüffe ist Klinische Psychologin, Psychologische Psychotherapeutin und gehört zum Vorstand des Traumahilfezentrums München. Foto: privat
Können wir auch von Gefühlen getriggert werden? Zum Beispiel von Angst?
Wir müssen früher ansetzen: Für viele Menschen ist die Tatsache, überhaupt Gefühle zu haben, bedrohlich. Wir erleben schließlich nicht nur Freude und Liebe, sondern auch unangenehme Emotionen.
Bindungstraumatisierte Menschen haben oft Angst vor Nähe. Weil sie das daran erinnert, dass in der Nähe mit anderen Menschen Verrat stattgefunden hat. Das Gefühl der Nähe triggert somit eine Verletzungserfahrung.
Was genau passiert, wenn eine alte Verletzung getriggert wird?
Ein Trigger im negativen Kontext zeichnet sich in der Regel dadurch aus, dass er für den Betroffenen geschichtslos erscheint. Das ist ein Hauptproblem, das wir zu lösen versuchen.
Geschichtslos?
Nehmen wir an, ich habe mit einem Journalisten schlechte Erfahrungen gemacht. Wenn dann wieder eine Interviewanfrage kommt und ich sage: „Nein, auf gar keinen Fall, das ist gefährlich“, dann vergesse ich, dass es einen Kontext für dieses Ereignis gibt.
Ich übersehe, dass meine schlechte Erfahrung mit einer bestimmten Person in einer ganz konkreten Situation meines Lebens stattgefunden hat. Das heißt nicht, dass diese schlechte Erfahrung auf alle weiteren ähnlichen Szenarien übertragbar ist. Das muss ich synthetisieren.
Synthetisieren? Was ist das?
Zusammenbringen. Wenn jemand in der Kindheit zu hören bekommt, „du bist böse, du bist schlecht, dich muss man bestrafen“, und heute immer noch denkt, dass es richtig ist, so behandelt zu werden, dann hat er es nicht synthetisiert. Er glaubt, dass es allgemeingültig für ihn ist.
Ich sage dann: „Das ist dir damals passiert.“ Und frage nach: „Stimmt es immer noch, dass man dich so behandeln soll? Ist dir eigentlich klar, dass hier Menschen schlechte Dinge mit dir gemacht haben?“ Das befähigt die Person, das Erlernte zu hinterfragen.
Lassen Sie uns einen Schritt zurückgehen. Wie prägt die Beziehung zu dem Menschen, der so etwas Schlimmes sagt, unser Verhalten später?
Die Beziehung ist sehr bestimmend. Ich hatte mal eine Patientin, die Taxifahrerin war. Sie kennen das Prozedere am Taxistand: Ein Gast steigt ins erste Taxi, ganz vorn in der Reihe und man fährt los.
Der Täter ging die Reihe der Autos am Bahnhof auf und ab. Er schaute in die Taxis und wählte meine Patientin, die an dritter Stelle stand, und stieg ein.
Dann fragte sie aus dem Fenster raus die anderen Taxifahrer: „Leute, ich weiß auch nicht, ist es okay, wenn ich jetzt die Fahrt nehme?“ Es ist eigentlich ein No-Go, sich vorzudrängen. Die anderen sagten: „Komm, nimm.“ Dieser Fahrgast brachte sie später beinahe um.
Oh mein Gott.
Er zwang sie mit einem Messer, in ein Waldstück hineinzufahren. Sie floh aus dem Auto und versteckte sich. Der fuhr auf die Autobahn und wurde später gefasst. Ich war bei der Verhandlung dabei.
Heftiger Stoff.
Sie konnte hinterher nicht mehr draußen Wäsche aufhängen. Oder Auto fahren. Der Grund war, dass sie das Gefühl hatte, ihr stehe auf der Stirn geschrieben: „Ich bin ein Opfer, ich bin schwach.“ Weil er sie ausgesucht hat. Wäre sie ein neutrales Opfer gewesen, ein Zufallsopfer, hätte sie dieses Gefühl nicht so stark entwickelt.
Nach traumatischen Erfahrungen reagieren viele Menschen empfindlich auf bestimmte Auslöser, die sie an das Erlebte erinnern. Triggerwarnungen sollen genau das tun: sie warnen. Was halten Sie davon?
Ein Trigger ist nicht allgemeingültig, sondern muss biografisch sein, damit er eine Wirkung hat. Was für den einen schlimm ist, empfindet der andere als harmlos.
Man kann Triggerwarnungen also nicht pauschal festlegen?
Nein. Es bringt einen erst auf die Idee: „Oh Gott, da kommt etwas ganz Schlimmes.“ Das ist so, als würde ich zum Arzt gehen und der sagt: „So, jetzt hole ich die große Spritze raus. Und jetzt könnte es gefährlich werden und wehtun.“
Das macht Angst.
Es bringt mich auf eine Idee, auf die ich vielleicht vorher noch gar nicht gekommen wäre. Es hat sozusagen einen bahnenden Effekt.
Bahnend?
Die Triggerwarnung bahnt meine Angst und macht mich klein. Sie suggeriert: „Du musst Angst haben.“ Es ist bekannt, nicht nur aus der Literatur, sondern auch aus dem psychotherapeutischen Alltagsleben, dass Menschen in aller Regel die Ressourcen, die sie in der Therapie üben, in solchen Situationen nicht anwenden.
Was meinen Sie mit Ressourcen?
Bei einem Film kann das sein: Ich schalte das Bild ab und höre nur den Ton. Oder ich schalte den Ton ab und sehe nur das Bild. Oder ich platziere alle Kissen, die ich habe, vor mich. All das kann helfen.
Eine Warnung unterstützt dabei nicht?
Im Gegenteil. Eine Triggerwarnung lässt eine traumatisierte Person eher in Hilflosigkeit und Überforderung stehen.
Es kommt gar nicht dazu, dass man alle Kissen vor sich stellt und den Ton ausmacht.
Selten! Man bleibt in der Angst oder dem Unwohlsein stecken. Dabei ist das Leben selbst fragil. Man könnte über jede Geburtsanzeige kleben: „Achtung, Achtung, Triggerwarnung! Leben leben endet mit dem Tod.“
Bereits die Tagesschau müsste voller Triggerwarnungen sein. Mehr Grausamkeit finden Sie in keinem Spielfilm. Aber das filtriert einem das Gehirn nach. Man versteht, Menschen sind so.
Nehmen wir das Thema Suizid, das ist für viele Menschen ein schwieriges Thema. Ist es kein gutes Zeichen, wenn über derartigen Inhalten eine Triggerwarnung steht? Schließlich passen wir hier aufeinander auf.
Das ist Unsinn. Ich habe in meinem ganzen 45-jährigen psychotherapeutischen Berufsleben, in dem ich mich zu 95 Prozent mit Traumapatienten beschäftigt habe, noch nie gehört, dass jemand suizidal wurde, weil er einen Film gesehen hat, in dem jemand sich umbringt. Dass eine Triggerwarnung ein Zeichen von besonderer Fürsorglichkeit wäre, offen gesagt: nein.
Besondere Fürsorglichkeit wäre, wenn die Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) strenger gehandhabt werden würde. Ich bin entsetzt, wie viel Brutalität Kindern und Jugendlichen als harmlos zugemutet wird. Dahinter stecken kommerzielle Interessen.
Das hat eine schleichende Normalisierung von Gewalt in den Medien zur Folge. Kinder würden aber auf „Triggerwarnungen“ nicht reagieren. Eher im Gegenteil. Deshalb müsste die Gesellschaft Verantwortung und Fürsorge übernehmen.
Ich habe über Suizid geschrieben, auch muss man Verantwortung übernehmen. Das Wichtigste für eine gute Berichterstattung ist, dass man nicht über Methoden, sondern über Lösungen schreibt.
Ich gebe Ihnen vollkommen recht, wenn es darum geht, dass wir mit Respekt, Würde und Verständnis für ausweglose Situationen über Suizid sprechen. Nicht einladend, sondern so, dass man darüber nachdenken kann. Gerne auch mit Telefonnummern, die man anrufen kann, wenn man nicht mehr weiterweiß. Aber das ist etwas anderes als eine Triggerwarnung.
Menschen werden nicht nur auf Webseiten an Trauma erinnert, sondern auch im „echten Leben“. Was raten Sie einer traumatisierten Person, die im Kino sitzt und einen sexuellen Übergriff sieht? Sie beginnt zu weinen, wird getriggert.
Ich empfehle ihr, das Kino zu verlassen. Und zu merken, dass sie eine Situation, die zu viel ist, verlassen kann. Sie soll verstehen: Etwas, was mir zu nahe geht, muss ich nicht aushalten. Sie könnte auch eine Runde drehen und dann schauen, wie es ist. Oder auf die Uhr schauen, auf ihr Handy, rechts oder links fragen: „Haben Sie mal ein Taschentuch für mich?“ Sich bewegen und verstehen: Ich bin hier, ich lebe, mich gibt es. Und das, was ich sehe, erinnert mich, aber es passiert jetzt nicht mir.
Wenn die Person vor dem Kinobesuch in einer Triggerwarnung sieht, dass es diese Szenen gibt, kann sie sich aber vorher dagegen entscheiden, den Film zu schauen. Was ist an solchen Warnungen falsch?
Es ist nicht falsch, aber meines Erachtens sinnlos. Trauma heißt: Ich habe keine Kontrolle und es verletzt mich. Aber das Ziel ist es, wieder die Verantwortung für die eigenen inneren und äußeren Reaktionen übernehmen.
Wie meinen sie das?
Ich halte es für wichtig, als Betroffene nicht in der Opferposition zu bleiben. Sondern aus dem Trauma der traumatischen Erfahrung etwas Neues zu machen, wobei ich das Gefühl habe: „Und ich kann heute für mich sorgen!“
Dafür gibt es einen Begriff: posttraumatisches Wachstum. Rettungskräfte erleben das. Gerade die werden pausenlos mit grausamen Situationen konfrontiert. Und viele sehen es so: „Es war furchtbar, aber ich habe ein neues Verständnis vom Wert des Lebens. Ich habe gemerkt, dass ich in der Lage bin, trotz dieser Erlebnisse freundlich zu bleiben. Und mich zu verändern.“
Wow.
Das ist das Beste, was man überhaupt haben kann. Dann sind sie, sagte man früher, ein weiser Mensch geworden. Der weiß, wovon er redet. Dann haben Sie wirklich Dreck am Finger und etwas Grausames erlebt. Und trotzdem sind Sie menschlich geblieben. So bekommen Trigger eine andere Bedeutung.
Das ist ein langer Weg.
Und das können Sie niemandem vorschreiben. Das ist die Arbeit und der Weg der Betroffenen.
Um den zu gehen, benötigen traumatisierte Menschen therapeutische Unterstützung. Aber in Deutschland wartet man im Schnitt fünf Monate darauf, weil es zu wenige Therapieplätze gibt. Was raten Sie Betroffenen?
Das ist eine Frage, die mich wirklich traurig macht. Natürlich kommt es sehr auf die Person an, aber ich würde sagen: So gut es geht versuchen, weiter am Leben teilzuhaben. Gruppenaktivitäten, und wenn es eine Häkelgruppe ist. Aus der traumatischen Isolation gehen. Aber nicht unbedingt viel und mit jedem darüber reden.
Ist das nicht gerade heilsam?
Reden über Traumata hilft oft nicht. Wieder und wieder sagen Leute: „Ich muss unbedingt darüber reden, damit ich es verarbeite.“ Das glaube ich nicht.
Warum?
Weil Menschen sich meistens in die gleichen Gefühle wieder hineinreden: „Es war so furchtbar, es war so schlimm, es war so grausam, die waren so blöd zu mir.“ Immer und immer wieder. Davon wird nichts besser. In der Regel verstärken Sie das, was ohnehin unhaushaltbar ist. Und dann muss man manchmal stoppen, auch als Therapeut und fragen: „Hilft Ihnen das?“
Eine berechtigte Frage.
Man benötigt Leute, die fragen: „Was wäre ein guter Schritt? Was würdest du trotz all dem vielleicht hinbekommen?“ Die sagen: „Ich bin bei dir, ich lasse dich nicht alleine.“ Das ist wichtig.
Redaktion: Bent Freiwald, Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Philipp Sipos, Audioversion: Christian Melchert und Iris Hochberger