Ein Mann sitzt am Tisch. Er hat Spaghettisieb auf dem Kopf, das mit einem Apparat verbunden ist.

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Psyche und Gesundheit

Warum der Dunning-Kruger-Effekt falsch sein könnte

Es heißt, wer keine Ahnung hat, weiß nicht mal, dass er keine Ahnung hat. Die Forschung eines Mathematikprofessors zeigt: Das stimmt so nicht.

Profilbild von Eric C. Gaze

John Cleese, der britische Komiker, fasste die Idee des Dunning-Kruger-Effekts einmal so zusammen: „Wenn man wirklich, wirklich dumm ist, dann ist es unmöglich, dass man weiß, dass man wirklich, wirklich dumm ist.“

Eine kurze Suche in den Nachrichten ergibt Dutzende von Schlagzeilen, die den Dunning-Kruger-Effekt mit allem Möglichen in Verbindung bringen – von der Arbeit bis zur Empathie und sogar damit, warum Donald Trump zum Präsidenten gewählt wurde.

Als Mathematikprofessor, der seinen Studenten beibringt, wie man Daten nutzen kann, um fundierte Entscheidungen zu treffen, bin ich mit den häufigsten Fehlern vertraut, die Menschen im Umgang mit Zahlen machen. Der Dunning-Kruger-Effekt besagt, dass die am wenigsten begabten Menschen ihre Fähigkeiten stärker überschätzen als alle anderen. Oberflächlich betrachtet klingt das überzeugend und eignet sich hervorragend für Comedy. Meine Kollegen und ich haben aber herausgefunden, dass der mathematische Ansatz, mit dem dieser Effekt nachgewiesen wurde, möglicherweise falsch ist.

Was Dunning und Kruger gezeigt haben

In den 1990er Jahren waren David Dunning und Justin Kruger Psychologieprofessoren an der Cornell University im Bundesstaat New York. Sie wollten testen, ob inkompetente Menschen sich ihrer Inkompetenz nicht bewusst sind.

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Um das zu testen, gaben sie 45 Student:innen einen Logiktest mit 20 Fragen und baten sie anschließend, ihre eigene Leistung auf zwei verschiedene Arten zu bewerten.

Zunächst baten Dunning und Kruger die Student:innen zu schätzen, wie viele Fragen sie richtig beantwortet hatten – eine recht einfache Bewertung. Dann baten Dunning und Kruger die Teilnehmenden, einzuschätzen, wie sie im Vergleich zu den anderen Teilnehmer:innen, die den Test absolvierten, abschnitten. Diese Art der Selbsteinschätzung erfordert, dass die Studierenden Vermutungen darüber anstellen, wie andere abgeschnitten haben. Dieser Schritt unterliegt einem häufigen kognitiven Fehler: Die meisten Menschen halten sich für besser als der Durchschnitt.

Untersuchungen zeigen, dass 93 Prozent der Amerikaner:innen glauben, sie seien bessere Autofahrer als der Durchschnitt, 90 Prozent der Lehrkräfte halten sich für fähiger als ihre Kolleg:innen. Diese Selbstüberschätzung ist bei vielen Fähigkeiten weit verbreitet – auch bei Logiktests. Es ist jedoch mathematisch unmöglich, dass die meisten Menschen bei einer bestimmten Aufgabe besser als der Durchschnitt sind.

Die inkompetentesten Student:innen überschätzten ihr Ergebnis um etwa 20 Prozentpunkte

Nachdem sie den Studierenden den Logiktest vorgelegt hatten, teilten Dunning und Kruger sie auf der Grundlage der Ergebnisse in vier Gruppen ein. Das Viertel der Studenten mit der niedrigsten Punktzahl konnte im Durchschnitt zehn der 20 Fragen richtig beantworten. Im Vergleich dazu konnte das beste Viertel der Student:innen im Durchschnitt 17 Fragen richtig beantworten. Beide Gruppen schätzten, dass sie etwa 14 Fragen richtig beantwortet hatten. Dies ist keine schlechte Selbsteinschätzung. Die inkompetentisten Student:innen überschätzten ihr Ergebnis um etwa 20 Prozentpunkte, während die besten ihr Ergebnis um etwa 15 Punkte unterschätzten.

Auffälliger sind die Ergebnisse, wenn man sich ansieht, wie die Studierenden sich im Vergleich zu ihren Kommilitonen einschätzen; hier kommt der überdurchschnittliche Effekt voll zur Geltung. Die Student:innen mit der niedrigsten Punktzahl schätzten sich besser ein als 62 Prozent der Testteilnehmer:innen, während die Studierenden mit der höchsten Punktzahl glaubten, dass sie besser abschnitten als 68 Prozent.

Der Unterschied zwischen dem tatsächlichen Prozentsatz der Student:innen (blau) und dem wahrgenommenen Prozentsatz der Student:innen (rot) ist die Grundlage für den so genannten Dunning-Kruger-Effekt, der besagt, dass sich die am wenigsten begabten Student:innen ihrer mangelnden Fähigkeiten nicht bewusst sind.

Der Effekt kommt zustande, weil die Teilnehmer:innen sich untereinander verglichen

Definitionsgemäß bedeutet eine Platzierung unter den unteren 25 Prozent, dass man bestenfalls besser abschneidet als 25 Prozent der Teilnehmer:innen und im Durchschnitt nur besser als 12,5 Prozent. Wenn man davon ausgeht, dass man besser als 62 Prozent der Teilnehmer:innen abgeschnitten hat, obwohl man nur besser als 12,5 Prozent von ihnen abgeschnitten hat, ergibt sich eine Überschätzung von 49,5 Prozentpunkten.

Der Dunning-Kruger-Effekt kommt dadurch zustande, dass die Student:innen sich mit anderen verglichen und nicht mit ihren tatsächlichen Ergebnissen. Er übertreibt die Überschätzung der unteren 25 Prozent und scheint zu zeigen – wie Dunning und Kruger ihre Arbeit betitelten –, dass die am wenigsten qualifizierten Teilnehmer:innen „inkompetent und ahnungslos“ waren.

Unter Verwendung des von Dunning und Kruger festgelegten Protokolls haben seitdem viele Forscher:innen diesen Effekt in ihren eigenen Studienbereichen „bestätigt“, was zu dem Eindruck geführt hat, dass der Dunning-Kruger-Effekt auf die Funktionsweise des menschlichen Gehirns zurückzuführen ist. Für den Normalbürger scheint der Dunning-Kruger-Effekt plausibel, denn der übermäßig arrogante Trottel ist ein vertrautes und lästiges Klischee.

Wie wir den Dunning-Kruger-Effekt entlarvt haben

Es gibt drei Gründe, warum die Analyse von Dunning und Kruger irreführend ist:

  1. Die schlechtesten Testteilnehmer überschätzen ihre Leistung auch deshalb am meisten, weil sie einfach am weitesten von einem perfekten Ergebnis entfernt sind.

  2. Außerdem gehen die am wenigsten begabten Personen, wie die meisten Menschen, davon aus, dass sie besser als der Durchschnitt sind.

  3. Schließlich schätzen die Personen mit den niedrigsten Punktzahlen ihre objektive Leistung nicht wesentlich schlechter ein.

Um nachzuweisen, dass der Dunning-Kruger-Effekt ein Artefakt des Forschungsdesigns und nicht des menschlichen Denkens ist, haben meine Kolleg:innen und ich gezeigt, dass er mit zufällig generierten Daten erzeugt werden kann.

Zunächst erstellten wir 1.154 fiktive Personen und wiesen ihnen nach dem Zufallsprinzip sowohl eine Testpunktzahl als auch eine Rangfolge der Selbsteinschätzung im Vergleich zu ihren Altersgenossen zu.

Dann teilten wir – genau wie Dunning und Kruger – diese fiktiven Personen auf der Grundlage ihrer Testergebnisse in Quartale ein. Da den Selbsteinschätzungen ebenfalls nach dem Zufallsprinzip eine Punktzahl von 1 bis 100 zugewiesen wurde, wird jedes Viertel auf den Mittelwert von 50 zurückfallen. Definitionsgemäß wird das unterstee Viertel im Durchschnitt nur 12,5 Prozent der Teilnehmer:innen übertreffen, aber aufgrund der zufälligen Zuweisung der Selbsteinschätzungsergebnisse werden sie sich für besser halten als 50 Prozent der Testteilnehmer:innen. Daraus ergibt sich eine Überschätzung von 37,5 Prozentpunkten, ohne dass ein Mensch beteiligt ist.

Die Inkompetenten können sich ziemlich gut einschätzen

Um den letzten Punkt zu beweisen, dass die am wenigsten Qualifizierten ihre eigenen Fähigkeiten angemessen beurteilen können, war ein anderer Ansatz erforderlich.

Mein Kollege Ed Nuhfer und sein Team gaben Studierenden einen Test mit 25 Fragen zur wissenschaftlichen Kompetenz. Nach der Beantwortung jeder Frage sollten die Teilnehmer:innen ihre eigene Leistung bei jeder Frage entweder als „richtig“, „unsicher“ oder „keine Ahnung“ bewerten.

In Zusammenarbeit mit Nuhfer fanden wir heraus, dass inkompetente Teilnehmer:innen ihre eigene Kompetenz ziemlich gut einschätzen können. In dieser Studie haben nur 16,5 Prozent der inkompetenten Teilnehmer:innen ihre Fähigkeiten deutlich überschätzt. Und es stellte sich heraus, dass 3,9 Prozent ihr Ergebnis deutlich unterschätzten. Das bedeutet, dass fast 80 Prozent der schlechten Teilnehmer:innen ihre tatsächlichen Fähigkeiten recht gut einschätzen konnten, was weit von der von Dunning und Kruger vertretenen Auffassung entfernt ist, dass Menschen mit wenig Ahnung ihre Fähigkeiten durchweg überschätzen.

Nein, der Großteil der Bevölkerung ist nicht ignorant

Die Originalarbeit von Dunning und Kruger beginnt mit dem Zitat: „Es ist eines der wesentlichen Merkmale von Inkompetenz, dass die betroffene Person nicht in der Lage ist zu wissen, dass sie inkompetent ist.“ Dieser Gedanke hat sich sowohl in der wissenschaftlichen Literatur als auch in der Popkultur weit verbreitet. Die Arbeit meiner Kolleg:innen und von mir hat jedoch gezeigt, dass nur sehr wenige Menschen wirklich inkompetent und ahnungslos sind.

Im Experiment von Dunning und Kruger wurde ein echter Effekt festgestellt – die meisten Menschen halten sich für besser als der Durchschnitt. Aber laut der Arbeit meines Teams ist das alles, was Dunning und Kruger gezeigt haben. Die Realität ist, dass Menschen eine angeborene Fähigkeit haben, ihre Kompetenz und ihr Wissen einzuschätzen. Wer etwas anderes behauptet, unterstellt fälschlicherweise, dass ein Großteil der Bevölkerung hoffnungslos ignorant ist.


Eric C. Gaze ist Direktor für quantitatives Denken und Dozent für Mathematik am Bowdoin College in den USA.

Dieser Artikel ist zuerst auf Englisch bei The Conversation erschienen. Hier könnt ihr den Originalartikel lesen.

Übersetzung und Redaktion: Bent Freiwald, Schlussredaktion: Susan Mücke, Fotoredaktion: Philipp Sipos

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