Ich finde Atze Schröder nicht lustig. Mit seiner blau eingefärbten Pilotenbrille und seinen künstlichen Locken wirkt er wie ein Comedian aus einer anderen Zeit. Und seine Witze auch.
Vor ein paar Jahren aber habe ich einen Kumpel in Kiel besucht. Abends lagen wir auf seinem Sofa, wir schaufelten beide einen riesigen Döner in uns hinein, klickten uns durch Youtube und stolperten über ein Video von Atze Schröder. Nach ein paar Minuten mussten wir so sehr lachen, dass uns die Tränen kamen. Wir konnten uns gar nicht mehr beruhigen, das ging locker eine Stunde so.
Die Erklärung dafür ist simpel. Wir fanden Atze Schröder nicht auf einmal doch witzig. Wir haben auch nicht direkt über seine Witze gelacht, sondern darüber, wie schlecht die Witze waren und wie sehr die Zuschauer:innen darüber gelacht haben.
Und, ach ja, wir hatten vorher gekifft.
Die Bundesregierung hat sich endlich geeinigt, was die Cannabis-Legalisierung angeht. Sie soll im April in Kraft treten. Die Debatte hat die Einigung aber nicht gestoppt: Gegner:innen halten das Gesetz für einen riesigen Fehler. Sie befürchten, dass viel mehr Menschen anfangen zu kiffen. Vor allem junge Menschen. Es ist also höchste Zeit, sich mal genau anzuschauen, was eigentlich im Gehirn passiert, wenn wir kiffen.
Warum lachen sich manche dabei kaputt? Warum werden andere nervös? Reagiert das Gehirn von Jugendlichen anders auf Gras als das von Erwachsenen? (Ja!) Hilft Cannabis beim Schlafen? (Meistens nicht!) Und macht es kreativer? (Naja.) In diesem Artikel blicke ich auf die aktuellen Erkenntnisse der Hirnforschung.
Cannabis gelangt ziemlich schnell in die Blutbahn und damit ins Gehirn
Beamen wir mich zur Veranschaulichung mal zurück nach Kiel. Mein Freund und ich sitzen in seinem Wohnzimmer, er dreht einen Joint und wir rauchen ihn. Für diesen Artikel habe ich eine Umfrage unter den Krautreporter-Leser:innen gemacht. Über 1.600 Menschen haben geantwortet. Mehr als 90 Prozent von ihnen haben Cannabis schon mal so konsumiert wie mein Freund und ich in Kiel: über einen Joint. Immerhin zwei Drittel haben es bereits in Lebensmitteln wie Haschkeksen zu sich genommen. Und mehr als die Hälfte mit einer Bong.
Wenn man kifft, konsumiert man getrocknete Cannabisblüten. Deren wichtigster psychoaktiver Bestandteil ist Δ9-Tetrahydrocannabinol. Klingt kompliziert, kennt man aber unter dem einfachen Namen THC. Außerdem enthält der Stoff noch Cannabidiol, besser bekannt als CBD. In Berlin spaziere ich in letzter Zeit ständig an Läden vorbei, die Produkte mit CBD verkaufen.
Cannabis gelangt sehr schnell in unsere Blutbahn. Innerhalb von 30 Sekunden findet es sich im Gehirn. Nach 30 bis 60 Minuten erreicht es seine höchsten Konzentrationen und wirkt am stärksten. Die Wirkung hält in der Regel zwischen drei bis vier Stunden an, wobei es je nach individuellem Stoffwechsel gewisse Schwankungen gibt.
Um zu verstehen, was Cannabis in diesen drei bis vier Stunden in unserem Gehirn so macht, ist eine Erkenntnis wichtig: Wie unsere Nervenzellen miteinander kommunizieren.
Unser Gehirn produziert auch selbst Cannabis
Unsere Neuronen können entweder erregt werden – oder gehemmt. Erregte Neuronen sorgen dafür, dass ein elektrisches Signal wahrscheinlich auch im nächsten Neuron auftritt. Vereinfacht gesagt: dass es der nächsten Nervenzelle Bescheid sagt.
Gehemmte Neuronen machen genau das Gegenteil: kommt ein Signal, verringert sich die Wahrscheinlichkeit, dass die nächste Nervenzelle aktiviert wird. Die Balance zwischen dieser Erregung und Hemmung ist wichtig.
Ein Großteil der Balance hängt von Neurotransmittern ab. Das sind chemische Botenstoffe, die Signale zwischen den Gehirnzellen übertragen und so Informationen durch den Körper schicken. Und damit sind wir zurück bei Cannabis.
Dieses wirkt auf das körpereigene Cannabinoid-System ein. Dieses System hat Rezeptoren, die über das ganze Gehirn verteilt sind. Unser Gehirn produziert praktisch körpereigenes Cannabis, sogenannte Endocannabinoide.
Diese Endocannabinoide – und auch Cannabis – haben zwei Besonderheiten, die sie von den meisten anderen Neurotransmittern unterscheiden. Ihre Besonderheiten erklären, warum man nach dem Kiffen an einem Tag einpennt und sich an einem anderen Tag plötzlich total gut konzentrieren kann. Und auch, warum man so oft unbändigen Appetit bekommt, wenn man kifft.
Minus mal Minus ergibt Plus
Die erste Besonderheit: Die meisten Neurotransmitter wandern von einer Nervenzelle zur nächsten, um eine Nachricht zu übermitteln. Das ist wie auf einer Autobahn: (fast) alle fahren in die gleiche Richtung. Endocannabinoide reisen aber in die entgegengesetzte Richtung: Wenn eine Nachricht von einem Neuron zum nächsten gelangt, setzt das empfangende Neuron Endocannabinoide frei. Diese Endocannabinoide wandern zurück und beeinflussen das sendende Neuron, indem sie ihm eine Rückmeldung vom empfangenden Neuron geben.
Man nimmt deshalb an, dass das Endocannabinoid-System in erster Linie dazu dient, andere Arten von Signalen zu modulieren, indem es einige verstärkt und andere abschwächt. Wenn man Cannabis konsumiert, binden die Wirkstoffe nun genau wie die körpereigenen Cannabinoide an sogenannten CB1-Rezeptoren.
Die Rückkopplung durch Endocannabinoide verlangsamt dann die Geschwindigkeit der Neuronen bzw. der neuronalen Signalübertragung. Auch, wenn es sich beim Kiffen oftmals so anfühlt, als würde alles langsamer ablaufen: Es ist nicht zwangsläufig so, dass sich das Verhalten oder die Wahrnehmung verlangsamen.
Wenn zum Beispiel ein Signal von Nervenzelle zu Nervenzelle weitergegeben wird, das den Geruchssinn hemmt und Cannabis jetzt dafür sorgt, dass dieses Signal abgeschwächt wird, dann kann das dazu führen, dass Gerüche intensiver wahrgenommen werden. Minus mal Minus ergibt Plus.
Die zweite Besonderheit: Die körpereigenen Cannabinoide und auch andere Drogen, wie zum Beispiel Alkohol, wirken sich nur auf manche Neurotransmittersysteme gleichzeitig aus – und zwar wohl dosiert. Wenn wir kiffen, wirkt sich das aber gleichzeitig auf fast das gesamte Gehirn aus, weil die Rezeptoren des Cannabinoid-Systems so weit im Gehirn verbreitet sind. Ein Vergleich hilft, sich das vorzustellen: Normalerweise ist das Cannabinoid-System eingestellt wie ein gutes Orchester. Ein Dirigent sorgt dafür, dass die richtigen Instrumente zur richtigen Zeit gespielt werden. Wenn du Cannabis konsumierst, ist es so, als würden einfach alle Instrumente gleichzeitig los tröten.
Wie Cannabis wirkt, hängt auch vom Gehirn ab
Weil die Rezeptoren über das gesamte Gehirn verteilt sind, hängt die Wirkung auch von unseren Vorerfahrungen und Genen ab. Denn alles, was du machst, verändert dein Gehirn. Vielleicht hast du in der einen Hirnregion viel mehr Rezeptoren als ich. Deshalb wirkt Cannabis bei jedem Gehirn ein bisschen anders. Durch den gleichen Joint wird der eine total entspannt und der andere plötzlich nervös. Auch die KR-Leser:innen erleben den Konsum teilweise komplett unterschiedlich:
In erster Linie entspannt es mich.
Bekomme Appetit, muss oft lachen, Überwahrnehmung von Sinneseindrücken.
Manchmal werde ich zitterig und mir wird schlecht, einmal habe ich mich auch schon übergeben.
Totale Entspannung und ungehemmte Fröhlichkeit.
Entspannung, Fokussierung auf gezieltes Thema, meditative Wirkung.
Das Urteilsvermögen (die Fähigkeit zur Einschätzung von Sachverhalten) nimmt gravierend ab, bis hin zur Entwicklung völlig überzogener Befürchtungen.
Je älter ich wurde, desto paranoider und nervöser hat sich die Wirkung eingestellt.
Stark erhöht, sensibles Körpergefühl.
Beim Malen komme ich schneller in den Flow, Musik fühlt sich ganz anders an, alles ist spannender, Zeitgefühl verändert sich komplett.
Nach ersten Versuchen folgten Horrortrips. Seitdem kein Konsum mehr.
Gar nicht.
Welche Wirkung Cannabis hat, hängt auch von der Sorte ab. Da gibt es zum Beispiel die Sorte Indica. Die beruhigende Wirkung von Indica kann man sich ganz gut mit dem Namen der Sorte merken: Indica = In die Couch. Die zweite bekannte Sorte heißt Sativa und hat eine eher belebende Wirkung.
Beide Sorten binden an die CB1-Rezeptoren im sogenannten präfrontalen Kortex. Der befindet sich direkt hinter der Stirn. Der präfrontale Kortex wirkt sich stark auf sogenannte interozeptische Schaltkreisen aus. Diese Schaltkreise tracken den Zustand des Körpers, zum Beispiel deine Herzfrequenz. Der präfrontale Kortex fungiert weitgehend als Bremse für diese Systeme, so wie man die Zügel eines Pferdes zurückzieht, das sonst einfach losrennen würde. Die Sativa-Sorten sorgen durch die CB1-Aktivierung im präfrontalen Kortex und in anderen Schaltkreisen dafür, dass Regionen, die Stressschübe veranlassen, beruhigt werden (z.B. die Amygdala).
An diesen Hirnregionen macht Cannabis sich noch zu schaffen
Je nachdem, in welcher Hirnregion die Rezeptoren des Endocannabinoid-Systems sind, sorgt Sativa also für unterschiedliche Wirkungen. Im präfrontalen Kortex werden mehr Neurotransmitter ausgeschüttet (was das Denken steigert und den Fokus auf eine bestimmte Tätigkeit einschränkt), in der Amygdala weniger (was dich entspannt). Die andere Sorte, Indica, sorgt im präfrontalen Kortex übrigens für das glatte Gegenteil: Die Aktivität wird reduziert, das Planen und Denken nimmt ab.
Auch der Hippocampus ist betroffen, ein Bereich des Gehirns, der mit dem Gedächtnis in Verbindung gebracht wird. Deshalb kann der Konsum dafür sorgen, dass dein Kurzzeitgedächtnis Aussetzer hat.
Unabhängig davon, ob es sich um Sativa- oder Indica-Sorten handelt, werden auch die Nervenzellen in den Basalganglien und im Kleinhirn ausgebremst. Diese beiden Bereiche planen Handlungen, halten sie aber auch zurück. Auch die Impulskontrolle nimmt deshalb ab. Ein Grund dafür, warum wir so oft ungehemmt den Kühlschrank plündern.
Der zweite Grund hat mit dem Hypothalamus zu tun. Denn auch im Hypothalamus, der eine entscheidende Rolle dabei spielt, unseren Appetit zu regeln, gibt es eine enorme Dichte an CB1-Rezeptoren. Er wird durch den Konsum aktiver. Und wir? Hauen uns den Bauch voll.
Bei Erwachsenen ist das alles tatsächlich halb so wild. Erwachsene haben wahrscheinlich kaum oder keine Langzeitschäden zu befürchten, darauf weisen Studien schon seit Längerem hin.
Als ich meine Klassenkameraden beim Kiffen erwischt habe
Als ich in der zehnten Klasse war, erwischte ich zwei Klassenkameraden im Park beim Kiffen. Naja, was heißt erwischen? Ich war ja schließlich kein Lehrer. Aber schlimmer: Ich war ein Lehrerkind. Ich hatte damals, mit 16, noch nie selbst gekifft, nicht mal an einer Zigarette gezogen, beides habe ich zum ersten Mal mit 20 im Studium gemacht. Und obwohl es mir ziemlich egal war, dass die beiden Jungs aus meiner Klasse während der Unterrichtszeit einen Joint geraucht haben, fingen sie an, sich vor mir zu rechtfertigen.
Sie versicherten mir: „Kiffen ist kein bisschen gefährlich! Erwachsene tun immer so, als würde es schaden, aber Kiffen hat sogar positive Effekte!“
Okay, cool, dachte ich. Und ging weg. (Ich war ja immer noch ein Lehrerkind.) Heute weiß ich: Was die beiden erzählt haben, ist Quatsch. Es stimmt: Der Konsum kann positive Effekte haben – bei Erwachsenen. Bei Jugendlichen aber sieht das ganz anders aus.
Es macht einen Unterschied, ob du mit 16 oder mit 60 kiffst
Bis wir 25 Jahre alt sind, befindet sich unser Gehirn noch permanent im Umbau. Das Wichtigste ist, dass verschiedene Gehirnregionen miteinander verbunden werden. Es bilden sich verschiedene neuronale Netzwerke, die über das ganze Gehirn verteilt sind. Das Zusammenspiel dieser Netzwerke macht uns zu dem, der wir sind. Nur durch diese Netzwerke können wir unsere Stimmung regulieren, unsere Gedanken ordnen, Pläne schmieden. Und das körpereigene Cannabinoid-System spielt in dieser Phase eine enorm wichtige Rolle. Wie gesagt: Es scheint Signale zu modulieren, also Verbindungen zu stärken oder zu schwächen.
Wer Krautreporter liest (und an meiner Umfrage teilgenommen hat), hat im Durchschnitt mit 19,6 Jahren zum ersten Mal Cannabis konsumiert. Also noch mitten im Umbau bzw. Aufbau des Gehirns. Wer nur einmal probiert hat, muss nichts befürchten. Wer aber mit 18 angefangen und weiter regelmäßig konsumiert hat, könnte heute noch die Auswirkungen spüren.
Bei einer europäischen Studie, an der auch einige deutsche Einrichtungen beteiligt waren, haben die Forscher:innen die Gehirne von 799 Teilnehmer:innen mithilfe von MRT untersucht. Das Besondere: Die Wissenschaftler:innen haben die Gehirne nicht nur einmal durchleuchtet, sondern fünf Jahre später noch einmal. Bei der ersten Untersuchung waren die Teilnehmenden im Schnitt 14 Jahre alt. In diesem Altern hatten sie alle noch nicht konsumiert.
Aber wie das im Leben nun mal so ist: Manche fingen an, in ihrer Jugend zu kiffen, andere nicht. Als die Gehirne fünf Jahre später noch einmal untersucht wurden, fanden die Forschenden Unterschiede.
Bei denen, die mehr oder weniger regelmäßig Cannabis konsumiert haben, hatte sich die Hirnrinde im Bereich des präfrontalen Kortex verdünnt. So stark war der Effekt allerdings nicht. Es ging um wenige Kubikmillimeter Hirnmasse. Wie viel Einfluss das genau hat, ist schwierig zu sagen.
Es scheint aber so zu sein, dass der Konsum in der Jugend, also während sich das Gehirn noch entwickelt, Einfluss auf unser Gedächtnis hat: Studien haben untersucht, inwiefern sich das Alter, in dem man anfängt, auf das Erinnerungsvermögen auswirkt. Das Ergebnis: Wer mit 18 bis 25 mit dem Kiffen angefangen hat, zeigt kaum oder keine Einschränkung des Erinnerungsvermögens. Wer aber mit 14 oder 15 angefangen hat, schnitt später bei Tests zum Gedächtnis deutlich schlechter ab.
In einer Studie wurden auch Schüler:innen in einer US-amerikanischen High Schools untersucht, die regelmäßig Cannabis konsumieren. Man wollte wissen, was passiert, wenn sie mit dem Kiffen aufhören. Das Ergebnis: Sie lernen besser. Und zwar sofort, innerhalb von einer Woche.
Je mehr THC, desto größer die Gefahr einer Psychose
Der vielleicht wichtigste Aspekt aber ist ein anderer. In einer sogenannte Meta-Studie haben sich die Autor:innen mehr als 4.000 Studien angesehen und dann die 20 wichtigsten genauer untersucht. Sie wollten wissen, wie sich der frühe Konsum auf die spätere Wahrscheinlichkeit der Entwicklung einer Psychose und anderer psychischer Erkrankungen auswirkt. Die Schlussfolgerungen aus dieser Studie sind eindeutig.
Erstens: Chronischer Cannabiskonsum in der Jugend wurde in den untersuchten Studien durchweg mit psychischen Störungen im Erwachsenenleben in Verbindung gebracht. Das eine scheint das andere zu begünstigen.
Zweitens: Schwerer Cannabiskonsum, das heißt häufiger als zweimal pro Woche, wurde mit einem vierfach höheren Risiko für Psychosen im späteren Leben in Verbindung gebracht, insbesondere für Schizophrenie und bipolar-ähnliche Episoden.
Die Daten deuten auf eine sehr klare Schlussfolgerung hin: Je höher die THC-Konzentration, desto höher die Wahrscheinlichkeit, eine Psychose, eine schwere depressive Episode oder eine schwere Angststörung im späteren Leben zu entwickeln. Kein Wunder also, dass Hirnforscher:innen fordern, Cannabis erst ab einem Alter von 25 zu legalisieren.
Heute denke ich: Wie schade, dass ich das alles meinen Klassenkameraden im Park nicht erzählen konnte. Sie hätten den Joint kaum weggeschmissen, aber sie hätten zumindest die Risiken gekannt.
Mich hat Cannabis immer wahnsinnig müde gemacht
Dass ich erst mit 21 zum ersten Mal gekifft habe, ist also gut, aber eigentlich immer noch zu früh. In meinen Studentenjahren habe ich mehr oder weniger regelmäßig gekifft. Mehr oder weniger vor allem deshalb, weil ich selbst gar keine Joints drehen konnte (und immer noch nicht kann). Deshalb habe ich eigentlich nur dann geraucht, wenn ich mit jemandem unterwegs war, der gut im Drehen war. Und Überraschung: Solche Leute gab es in meinem Studium mehr als in der Krautreporter-Redaktion.
Aber es gibt auch Ausnahmen: vor zwei Jahren hatte ich schon mal die Idee, diesen Artikel zu schreiben. Damals habe ich mich dafür extra abends mit einem Kollegen zuhause getroffen und gekifft. Mein Abend endete, als ich nur mal kurz was am Handy nachgucken wollte, mich dafür aufs Bett gelegt habe, und innerhalb von zwei Minuten eingeschlafen bin.
So geht es vielen. Jetzt, wo der Konsum bald legal ist und man einfacher an Gras kommt, könnte man sich fragen. Hilft Cannabis bei Schlafstörungen? Sollte man vor dem Einschlafen kiffen?
Schon mal im Labor geschlafen?
Schauen wir uns zunächst die medizinische Seite an. Bei ungefähr sechs Prozent der Menschen in Deutschland ist das Schlafen zu einem dauerhaften Problem geworden. Das heißt, dass sie mindestens dreimal pro Woche nicht gut einschlafen oder durchschlafen können oder zu früh aufwachen. Und das länger als drei Monate am Stück. Wenn die wirklich guten Tipps meiner Kollegin Silke Jäger nicht mehr helfen, könnte man also auf die Idee kommen, dass Cannabis die Lösung ist.
Dr. Jennifer Walsh von der University of Western Australia hat die weltweit erste Studie durchgeführt, bei der untersucht wurde, ob der Konsum bei chronischen Schlafstörungen helfen kann. Dafür haben 24 Studienteilnehmer:innen zwei Wochen lang eine Cannabinoid-Mischung genommen, die aus THC, CBD und CBN (Cannabinol) bestand. Ab und zu wurden Placebo-Tabletten untergemischt. Wann die Teilnehmer:innen die Medizin nahmen und wann das Placebo, wussten nicht mal die Forschenden.
Eine halbe Stunde länger geschlafen, 10 Minuten weniger wach gelegen
Über die zwei Wochen hinweg haben die Wissenschaftler:innen den Schlaf der Teilnehmenden gemessen, mit einer Art wissenschaftlicher Smartwatch. Eine Nacht während dieser zwei Wochen verbrachten sie im Schlaflabor, damit ihr Schlaf noch etwas genauer untersucht werden konnte. Die Wissenschaftler:innen wollten wissen: Schlafen die Teilnehmenden besser, wenn sie Cannabis konsumiert haben?
Das erste Ergebnis war wenig überraschend: Wenn die Teilnehmer:innen die Nacht im Labor verbrachten, schliefen sie schlechter. Wenig überraschend deshalb, weil das Set-up ungefähr so aussah:
Da würde ich auch nicht gut schlafen. Das viel wichtigere Ergebnis aber war, dass die Patient:innen zu Hause, mit ihrer coolen Smartwatch, nach dem Konsum pro Nacht durchschnittlich 33 Minuten länger schliefen. Außerdem lagen sie pro Nacht 10 Minuten weniger wach. Sie haben berichtet, dass es sich so angefühlt hat, als hätten sie besser geschlafen und auch, dass sie sich erholter fühlten am nächsten Tag. Zur Erinnerung: Sie wussten nie, ob sie am Abend zuvor Cannabis bekommen haben oder ein Placebo.
Vor dem Schlafengehen also einfach mal kiffen?
Heißt das jetzt, dass du – falls du Schlafprobleme hast – dich abends mit einem Joint aufs Sofa setzten solltest? Nicht wirklich, hier wird es etwas komplizierter. Das hat vier Gründe:
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Wenn du Cannabis über einen Joint konsumierst – was die meisten tun –, rauchst du auch den Tabak. Wie schlecht der sich auf deine Gesundheit auswirkt, muss ich dir wahrscheinlich nicht mehr erklären.
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Wenn du Cannabis konsumierst, das nicht (wie bei der Studie) von Schlafmediziner:innen zusammengestellt wurde, weißt du nicht genau, was darin ist. Sprich: Wie das Verhältnis von THC zu CBD zu CBN ist.
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Selbst, wenn man die Zusammensetzung wüsste oder genau bestimmen könnte, kommt es nicht nur darauf an, sondern auch auf dich. Wie beschrieben, wirkt sich die gleiche Zusammensetzung von Cannabinoiden auf jeden Menschen unterschiedlich aus. Vielleicht hast du in manchen Hirnregionen mehr Cannabinoid-Rezeptoren als die 24 Studienteilnehmenden?
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Zuletzt ist die Datenlage noch viel zu schlecht. Die Studie oben ist eine Studie mit 24 Teilnehmer:innen mit einer Zusammensetzung von Cannabinoiden. Daraus sollte man keine Rückschlüsse auf die Allgemeinheit ziehen.
Statistisch gesehen hast du wahrscheinlich sowieso nicht so gravierende Schlafprobleme, dass du eine medizinische Behandlung brauchst. Die genannten Gründe sind auch eher pragmatisch. Es gibt aber noch ganz andere Gründe, warum Kiffen vor dem Schlafen keine gute Idee ist. Schauen wir deshalb noch darauf, wie sich der Konsum auf schlafende Gehirne auswirkt, die keine chronische Schlafstörung haben. Ich teile die Erkenntnisse mal auf: in die guten Nachrichten und die schlechten Nachrichten.
Die guten Nachrichten
Zunächst zeigen Studien, dass der einmalige Konsum von Cannabis dazu führen kann, dass du schneller einschläfst, länger schläfst und dein Schlaf seltener unterbrochen wird. Problematisch wird es, wenn du die Substanz über einen längeren Zeitraum zu dir nimmst (dazu gleich mehr).
Studien legen außerdem nahe, dass der Konsum von CBD (also dem nicht-psychoaktiven Teil der Blüte) deine Körpertemperatur senken könnte. Das ist deshalb gut, weil dein Körper beim Einschlafen um ungefähr 1,5 Grad abkühlen sollte. Du schläfst also schneller ein. Zusätzlich scheint CBD sich darauf auszuwirken, wie sensitiv dein Gehirn auf Adenosin reagiert. Das ist ein Molekül, das sich tagsüber in deinem Gehirn bildet und dich müde macht.
Koffein zum Beispiel scheint die Adenosin-Rezeptoren zu blockieren und unter anderem so dafür zu sorgen, dass du nicht so müde bist. CBD scheint das Gegenteil zu bewirken. Zuletzt scheint CBD die Aktivität in der Amygdala zu reduzieren. Das ist eine der Regionen, die bei Emotionen wie Angst eine Rolle spielt. Wenn die weniger aktiv ist, sind wir entspannter.
Das Problem: Bisher weiß man nicht, wie hoch die Dosis von CBD sein muss, damit es diese Effekte überhaupt haben kann. Wenn die Dosis zu gering ist, scheint uns CBD sogar wach zu machen. Das allerdings ist noch die harmloseste der schlechten Nachrichten.
Die schlechten Nachrichten
Ähnlich wie Alkohol scheint Cannabis sich auf Phasen deines Schlafes auszuwirken, die besonders wichtig sind: die REM-Phasen, also die Rapid-Eye-Movement-Phasen. Cannabis scheint dafür zu sorgen, dass die erste REM-Phase später eintritt. Und dass die REM-Phasen kürzer werden. Deshalb berichten Menschen, die regelmäßig konsumieren, dass sie deutlich seltener träumen. Das wiederum kann sich negativ auf dein Gedächtnis und deine Konzentrationsfähigkeit tagsüber auswirken.
Menschen, die über einen längeren Zeitraum Cannabis zu sich genommen haben und dann darauf verzichten, träumen nicht nur deutlich öfter. Sie berichten außerdem, dass ihre Träume besonders intensiv sind. Dahinter steckt der sogenannte Rebound-Effekt: Das Gehirn weiß eigentlich ganz gut, wie viel REM-Schlaf es braucht. Wenn es über einen bestimmten Zeitraum zu wenig davon bekommt, versucht es, den fehlenden REM-Schlaf nachzuholen. (Komplett gelingt ihm das aber fast nie.)
Das größte Problem ist, dass sich beim regelmäßigen Konsum eine Art Toleranz einstellen kann. Um die gleichen Effekte zu erreichen, müssen Konsument:innen immer mehr THC zu sich nehmen. Die Wirkung ist dann viel stärker, deshalb kommt es leicht zu Überdosierungen. Dann können Krampfanfälle, Psychosen und Herzinfarkte auftreten. Unter anderem deshalb führt Kiffen langfristig dazu, dass du eben nicht schneller, sondern langsamer einschläfst und dein Schlaf nicht seltener, sondern öfter unterbrochen wird.
Eine Studie zeigte eine um 45 Prozent erhöhte Wahrscheinlichkeit für Schlafstörungen bei regelmäßigen Konsument:innen. Im schlimmsten Fall versuchen diese Menschen also ihre von Cannabis-Konsum ausgelösten Schlafprobleme mit Cannabis zu behandeln.
Hätte ich diesen Artikel lieber bekifft schreiben sollen?
Zuletzt müssen wir uns noch einer der dringendsten Fragen stellen: Hätte ich diesen Artikel lieber bekifft schreiben sollen? Oder etwas allgemeiner gefragt: Macht Cannabis kreativer?
Diese Frage wollten schon viele Forschenden beantworten und ihr Set-up war oftmals ähnlich: Man lässt eine Gruppe von Teilnehmenden Cannabis konsumieren und eine Kontrollgruppe nicht. Anschließend durchlaufen sie verschiedene Tests. Meistens geht es darum, wie kreativ die Lösungsideen für Problemstellungen sind.
Schnell findet man Studien, die zeigen: Wer konsumiert, steigert seine Kreativität! Das Problem ist nur: Es gibt mindestens genauso viele Studien, die das Gegenteil zeigen. Wer bis hierhin gelesen hat, weiß, warum diese widersprüchlichen Ergebnisse gar nicht so überraschend sind: Es kommt eben aufs Gehirn an, wie die Substanz wirkt.
Zwei Wissenschaftlerinnen der Washington State University wollten sich damit aber nicht zufriedengeben. Sie wollten wissen, warum manche Studien zum Ergebnis kommen, Cannabis würde kreativer machen. Deshalb haben sie typische Studien-Set-ups durchbrochen. Statt die Konsument:innen direkt nach dem Konsum zu testen, führten sie die Experimente durch, wenn alle nüchtern waren – sowohl diejenigen, die sowieso nie rauchen, als auch diejenigen, die normalerweise Cannabis konsumieren.
Das Ergebnis: Die Gruppe der Konsument:innen war tatsächlich kreativer. Der Grund dafür muss aber nicht der Konsum sein. Laut der beiden Wissenschaftlerinnen ist die Verbindung zwischen Kreativität und Kiffen wahrscheinlich eine Scheinkorrelation. Die Gruppe der Konsument:innen war demnach offener für neue Ideen und Erfahrungen, sie hatten eine weniger ängstliche Denkweise. Cannabis erhöht also nicht unbedingt die Kapazität der Hirnareale, die mit Kreativität in Verbindung gebracht werden. Es scheint eher die Offenheit für Neues zu erhöhen. Oder Menschen, die offener für Neues sind, kiffen öfter.
Redaktion: Theresa Bäuerlein, Schlussredaktion: Rebecca Kelber, Fotoredaktion: Philipp Sipos, Audioversion: Iris Hochberger