Viele Ärzt:innen mit Hauben und Mundschutzen starren von oben herab in die Kamera. Über ihren Köpfen hängt eine OP-Lampe von der Decke.

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Psyche und Gesundheit

Wie ich meine Angst vor dem Zahnarzt überwunden habe

Sieben Jahre lang bin ich nicht hingegangen, erst aus Angst – dann aus Scham. Bis ich keine Wahl mehr hatte.

Profilbild von Bent Freiwald
Bildungsreporter

Ich beiße ab und dann ändert sich alles. Es ist Weihnachten 2019, bei Familie Freiwald gibt es Raclette. Nach dem vierten Pfännchen ist mein Bauch eigentlich voll; was mich nicht daran hindert, weiter zu essen – der Dattel-Dip ist absurd gut. Also schmiere ich ihn mir nochmal auf das Ende meines Baguettes und beiße ab. Es ist der letzte Bissen an einem Tag mit sehr vielen Bissen. Plötzlich kaue ich auf etwas herum, das noch härter ist als das Baguette. Es ist ein Stück eines Zahns. Shit. Ich spucke ihn in meine Hand.

Ich fühle mit der Zunge über die Zähne und der frisch weggebrochene Zahn fühlt sich an wie ein riesiger Krater, ein Kometeneinschlag, mitten in meinem Mund. Also wirklich: Shit.

Im Flur stelle ich mich vor den Spiegel, die Handytaschenlampe in der einen, den Backenzahn in der anderen Hand. Ich sehe: linke Seite, der erste Backenzahn neben den Schneidezähnen im unteren Kiefer – da fehlt was. Ich schmeiße den Zahn weg, stelle mich wieder vor den Spiegel. In diesem Moment wird mir klar, dass ich nach sieben Jahren wieder zum Zahnarzt gehen werde. Einen abgebrochenen Backenzahn kann ich nicht ignorieren. Ach ja: Shit.

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Du hast richtig gelesen: nach sieben Jahren. So lange habe ich es geschafft, so zu tun, als gäbe es Zahnärzt:innen gar nicht. Weil damals etwas passiert ist, das ich nie wieder erleben wollte, ging ich einfach nicht mehr hin. Ich werde gleich erklären, wie es dazu kam. Ich habe mich aber auch umgehört in der Krautreporter-Community, 1.000 Menschen haben mir erzählt, welche Erfahrungen sie mit Zahnärzt:innen gemacht haben. Und wow: Ich bin damit nicht allein. Aber ich bin auch Überbringer einer guten Nachricht: Denn ich habe meine Angst überwunden. Herzlich willkommen zu meiner ganz persönlichen Heldenreise, mit mir in der Hauptrolle.

Kapitel 1: Wie alles begann

Natürlich gab es Zeiten, in denen ich in regelmäßigen Abständen zur Zahnärztin ging. Meine verantwortungsvolle Mutter schleppte mich in die Praxen. Nachdem ich beim Zahnarzt meiner Eltern schrie und um mich schlug, empfahl eine Freundin meiner Mutter uns eine besonders kinderfreundliche Ärztin. Ich erinnere mich heute noch an ihr freundliches Lächeln. Nach jeder Behandlung durfte ich einmal in die Spielzeugkiste greifen, meine Hände durchwühlten kleine Feuerwehrautos, Seifenblasendosen und Playmobilfiguren. „Aber nur ein Teil! Obwohl, na gut, du warst heute so tapfer, heute kannst du dir zwei nehmen!“ Der kleine Bent war jedes Mal „so tapfer“. Genial.

Ich ging gerne zur Zahnärztin. Als ich 16 Jahre alt war, bekam ich sogar noch Komplimente für meine Zähne. Bei irgendeiner Party sagte mir eine Lisa: „Du hast echt schöne Zähne!“ Drei Stunden und einige Wodka-Mischgetränke später saßen wir knutschend auf dem Sofa. Passiert mir heute auch nicht mehr.

Als ich 18 war, ging meine freundliche Zahnärztin in Rente; wir mussten die Zahnarztpraxis wechseln. Meine neue Zahnärztin konnte auch freundlich lächeln, sie war 30 Jahre jünger. Ihr Lächeln verging, als sie in meinen Mund schaute. „Oh wow!“, sagte sie damals, „hier gibt es einiges zu tun. Bei wem waren Sie denn vorher in Behandlung? Das sieht nicht gut aus.“ Bei zwei Zähnen stellte sie tiefsitzendes Karies fest, bei einem Zahn kamen wir um eine Wurzelkanalbehandlung nicht herum.

In den anschließenden Wochen sah ich meine Zahnärztin öfter als meine Freundin. Eine große OP folgte auf die nächste. Manchmal saß die Betäubung nicht richtig und ich kauerte mich schon beim ersten Bohren vor Schmerzen zusammen. Eines Tages schickte sie mich mit einem offenen Krater im Zahn nach Hause. Die Füllung – oder die Krone – gab es erst am nächsten Tag. Fast 24 Stunden fummelte ich mit meiner Zunge in dem riesigen Loch in meinem Mund herum. Es war grauenhaft. Nach mehreren Wochen schloss sie den OP-Marathon mit den Worten: „So, das nächste Mal sehen wir uns dann erst zur Kontrolle wieder.“

Kapitel 2: Das große Verdrängen

Ich sagte zu ihr: „Ja“, aber ich dachte: „Auf keinen Fall, nicht mal ansatzweise, mich sieht hier erstmal niemand wieder“. Ich zog zu Hause aus, zum Studieren in eine andere Stadt. Osnabrück hatte viele Vorteile und einer davon war, dass ich nie an meiner Zahnarztpraxis vorbeilaufen und ein schlechtes Gewissen haben musste. Ich suchte mir keine neue Praxis. Keine Praxis, keine langen OPs, keine Schmerzen, weil die Betäubung nicht wirkte, kein Problem. Nur: Je länger ich nicht zum Zahnarzt ging, desto größer war die Hürde, es irgendwann doch wieder zu tun. Ich schämte mich. Ich befürchtete, verurteilt zu werden.

Wie lange waren Sie nicht da, Herr Freiwald? Wie sieht Ihr Mund denn aus? Junge, Junge, wie peinlich ist das denn? Sie kleiner, karies-durchzogener Schlumpf!

Wenn man zu lange nicht zum Zahnarzt geht, wird das Folgen haben. Das ist keine Überraschung, aber es ist immer gut, sich die Konsequenzen klarzumachen:

  • verfärbte Zähne
  • abgesplitterte, abgebrochene und gesprungene Zähne
  • Zahnfleischerkrankungen
  • Zahnfleischrückgang
  • Karies und Zahnverfall
  • Schmerzen im Mund
  • Verlust von Zähnen

Und die Folgen beschränken sich nicht nur auf den Mund. Wenn man Karies hat, kommt der Körper nicht mehr so gut mit Viren und Keimen klar, die Immunabwehr wird schwächer. Und es steigt sogar die Wahrscheinlichkeit, an Demenz zu erkranken.

Aber nochmal ein Schritt zurück. Gibt es das überhaupt: Zahnarztangst? Oder haben wir damit nur wieder ein Wort gefunden für etwas, das es schon immer gab: keine Lust, zum Zahnarzt zu gehen? Wie viele Menschen haben in Deutschland Angst vor dem Zahnarzt?

Im Internet findet man alle möglichen Zahlen. Das erste Ergebnis bei Google spricht von 60 bis 80 Prozent. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung schreibt mir, dass sie gar nicht erheben, wie viele Menschen betroffen sind. Deshalb rufe ich Torsten Glas an. Er ist selbst behandelnder Zahnarzt und Oralchirurg und hält auch in Zusammenarbeit mit der Landeszahnärztekammer Sachsen Vorträge über Angst und Phobien beim Zahnarzt. Er sagt: „Eine konkrete Angabe kann man kaum machen.“ Das Spektrum sei groß, man unterscheide zwischen normaler Angst vor einer Behandlung und einer krankhaften Zahnbehandlungsangst, das sei bereits eine milde Form der Phobie. Glas sagt: Ungefähr 20 Prozent der Patient:innen haben eine leichte bis mittelschwere krankhafte Angst. „Und die Hälfte davon geht dann länger oder gar nicht mehr zum Zahnarzt“, schätzt er.

Die einzige, die mich damals durchschaute, war meine Mutter. Sie konnte in jedem Gespräch das Thema auf Zahnärzte lenken und wie lange ich keinen mehr gesehen hatte.

„Ach, du warst beim HNO-Arzt? Weißt du, wo du auch mal wieder hin müsstest?“
„Dein Bänderriss tut weh? Weißt du, was auch höllisch weh tut, wenn man es jahrelang nicht kontrollieren lässt?“
„Du suchst eine neue Wohnung? Weißt du, was du dir auch mal suchen könntest?“

Ich habe ihr jedes Mal versichert, demnächst hinzugehen – und es trotzdem nie getan. Ich wollte wissen, ob es anderen auch so geht oder ging wie mir. Also habe ich die Krautreporter-Community gefragt, welche Erfahrungen sie mit Zahnärzt:innen gemacht haben.

Werfen wir zunächst ein Blick auf die Zahlen. Genau 1.000 Menschen haben bei meiner Umfrage mitgemacht, sie ist nicht repräsentativ, wenn überhaupt, bildet sie die Krautreporter-Community ab. Die allermeisten Teilnehmer:innen an der Umfrage sind sehr brav. Sie waren innerhalb der letzten Monate beim Zahnarzt, so wie es sich gehört.

Eine grafische Darstellung der Antworten auf die Frage "Wann warst du das letzte Mal beim Zahnarzt?" 32 Prozent geben an, dass der letzte Zahnarztbesuch länger als einen Monat, aber nicht länger als sechs Monate her ist.

Dafür würde ich jetzt am liebsten jedem ein Spielzeug (nein: zwei!) aus der Spielzeugkiste geben.

Anschließend habe ich die Teilnehmer:innen gefragt, welche Erfahrungen sie mit Zahnärzt:innen gemacht haben. Und holy shit.

„Mein Zahnarzt machte sich über meine Angst lustig. Die Betäubung wirkt nicht und er macht einfach weiter.“

„Mit zwölf musste Karies bei mir an einem Zahn entfernt und gebohrt werden. Dabei erwischte er den Zahnnerv, wollte mir aber nicht glauben, dass ich wahnsinnige Schmerzen hatte und machte einfach weiter.“

„Als Kind musste mir ein Backenzahn gezogen werden. Die Spritze wirkte nicht, der Arzt hat mir nicht geglaubt, dass ich noch alles spüre. Hat mir den Zahn trotzdem gezogen.“

„Als Kind war ich bei einem Zahnarzt, der immer damit gedroht hat, dass wenn ich meine Zähne nicht richtig putze, er mit einem Zahnbohrer kommen wird.“

„In meiner Kindheit hat ein Zahnarzt einen Backenzahn, der als Milchzahn nicht richtig herausgefallen war, regelrecht herausgemeißelt. Ohne Betäubung und einfach nur grob.“

„Ich bekam offensichtlich in den ersten Minuten Panik. Der Arzt drückte mich nur noch stärker in den Stuhl. Nur der Schwester ist zu verdanken, dass ich mich wieder beruhigen konnte.“

„Zu viele Betäubungen, trotz Untergewicht. Danach wurde ich, auf wackeligen Beinen und mit schwammigen Blick einfach nach Hause geschickt.“

„Zuletzt wurden Zähne bei einer Zahnchirurgin gezogen und obwohl ich alles merkte und auch Schmerzen hatte, hat sie einfach weiter gemacht. ‚Das ist die Angst. Sie spüren nichts.‘“

Das sind nur einige wenige Beispiele von unzählige ähnlichen Berichten. Natürlich haben einige Teilnehmer:innen auch gute Erfahrungen mit Zahnärzt:innen gemacht. Hier könnt ihr alle Erfahrungsberichte nachlesen. Zuletzt habe ich noch diejenigen, die schon länger nicht mehr beim Zahnarzt waren, nach ihren Gründen gefragt – und Muster gefunden.

  • Die meisten, die schlechte Erfahrungen gemacht haben, haben die schon in der Kindheit gemacht
  • Oftmals bestand die schlechte Erfahrung darin, dass Schmerzen einfach ignoriert wurden
  • Viele berichten über schlechte Kommunikation: Es wird nicht jeder Schritt erklärt, Absprachen werden nicht eingehalten
  • Es herrscht Misstrauen, dass die Maßnahmen auch wirklich nötig sind und nicht nur der Kasse des Arztes dienen
  • Viele haben Angst vor den Kosten
  • Die meisten aber Angst vor den Schmerzen
  • Wer länger nicht da war, schämt sich
  • Auf dem Zahnarztstuhl fühlen sie sich ausgeliefert
  • Sie wissen, dass viel gemacht werden muss und gehen deshalb weiter nicht hin. Ein Teufelskreis

Könnten Zahnärzt:innen nicht gegen viele dieser Punkte etwas tun? Sie könnten, aber sie haben es meistens nicht gelernt. Wie die Frankfurter Rundschau vor einem Jahr berichtete, will die Universität Leipzig „das Angst-Management in den kommenden Jahren zu einem festen Bestandteil der Ausbildung der angehenden Zahnärztinnen und -ärzte machen“. Das heißt auch: Bisher war das kein fester Bestandteil der Ausbildung. Torsten Glas sagt: „Es gibt nur wenige Universitäten, bei denen die angehenden Zahnärzte schon in der Ausbildung den Umgang mit Angstpatienten lernen.“

Kapitel 3: Die Feuerprobe

Ich selbst zog wieder um und man kann in Berlin so einiges machen oder eben: nicht machen. Zum Zahnarzt gehen, zum Beispiel. Meine Mutter gab auf und ich wähnte mich in Sicherheit. Bis zum erwähnten Raclette-Essen an Weihnachten 2019.

Ich googelte: „Zahnarzt Berlin Angst“. Die Liste war lang. Ich landete auf der Seite einer Praxis, die ziemlich professionell aussah – und sich nach eigenen Angaben mit Angstpatient:innen auskennt. Sie war 38 Minuten entfernt und im Umkreis meiner Wohnung wären innerhalb von 500 Metern noch sieben (!) andere Zahnarztpraxen. Egal: Das ist sie.

Nach sieben Jahren traute ich mich zum ersten Mal wieder, bei einem Zahnarzt anzurufen. Am Telefon machte ich direkt deutlich, worum es mir ging: „Ich habe im Internet gelesen, dass Sie sich mit Angstpatienten auskennen.“ Dieser Satz veränderet die Stimmlage meiner Gesprächspartnerin. Aus ihrer leicht gereizten „Welcher Patient will da schon wieder einen Termin absagen?“-Stimmung wurde: „Ja, natürlich“. Sie sprach ganz sanft. „Erstmal: Das ist wirklich sehr gut, dass Sie einen Termin machen wollen. Da können Sie stolz auf sich sein!“ Ganz ehrlich: Das war ich auch. Sie sagte: „Beim ersten Termin geht es nur ums Kennenlernen, der Zahnarzt guckt in den Mund, aber es wird nichts gemacht und nichts gebohrt.“ Fand ich fair. Das halte ich aus.

Am Tag der Tage nehme ich das Auto meines Mitbewohners. Mir kommt es falsch vor, zu einem so wichtigen Termin mit der U-Bahn anzureisen. Das Hemd und ein Sakko kann ich mir gerade noch verkneifen. Die Praxis erstreckt sich über mehrere Stockwerke, hier arbeiten mindestens vier Zahnärzt:innen. Ihre Gesichter hängen groß und grau gedruckt im Foyer. Sie lächeln mich an. Echte Profis.

Die Zahnarzthelferin ruft meinen Nachnamen und ich gehe zum Behandlungsraum wie zur Beichte, das wird jetzt unsagbar peinlich, aber es gibt kein Zurück. Mein neuer Zahnarzt sieht aus, als wäre er nur für meine Behandlung aus Miami eingeflogen: weiße Zähne, breites Lächeln, braune Haut, graumelierte Haare. Er fragt, warum ich so lange nicht gekommen bin und ich merke, dass ich dafür keine besonders gute Erklärung habe. Meine Erfahrungen in meiner Heimatstadt, als mich das erste Mal eine Zahnärztin mit einem „Oh wow!“ anblickte, der anschließende OP-Marathon – ich will das nicht Trauma nennen.

„Hm“, erkläre ich meinem neuen Doktor.

„Und wie lange ist es her?“, fragt er.

„Sieben Jahre“, gebe ich zu.

Der Arzt kontrolliert meine Zähne und macht Röntgenbilder. Neben dem abgebrochenen Backenzahn muss er sich mit mindestens zwei Zähnen nochmal ausführlicher beschäftigen, sagt er. Aber: Es bleibt tatsächlich beim Kennenlernen. Er schickt mich noch zur Zahnreinigung.

Die Fachkraft begrüßt mich mit den Worten „Ach, Sie sind also der kleine Angsthase?“ Ich bin noch dabei zu verstehen, dass das das eine unfassbar unangemessene Begrüßung für einen möglichen Angstpatienten ist, als sie schon weiterredet. Sie erklärt mir jeden einzelnen noch so kleinen Schritt der Zahnreinigung. Und sie macht ein Bild vorher – und eines danach. Was für ein Unterschied! Meine vorher hellgelb verfärbten und in unregelmäßigen Abständen mit hellbraunen Streifen überzogenen Zähne, sie glänzen jetzt weiß!

Ich poste die Bilder in unsere Familien-Whatsappgruppe. Mein Bruder schreibt: „Wow!“ Und meine Mutter: „Das hat sich gelohnt!“ Zwei Wochen später habe ich den nächsten Termin beim Zahnarzt. Dieses Mal wird es ernst. Wir kennen uns ja jetzt.

Kapitel 4: Der Schweißausbruch

„Mein Gott, Herr Freiwald, was ist denn mit Ihnen los?“

Mein neuer Zahnarzt blickt mich erschrocken an. Ich blicke erschrocken zurück.

Zehn Minuten zuvor hatte er mir eine sehr dünne Nadel mit örtlichem Narkosemittel in den Mund gespritzt und dann den Raum verlassen. Es dauert etwas, bis das Mittel wirkt.

Mein Mund fängt an zu kribbeln. Das kenne ich noch von früher. Ich taste mit der Zunge an der Einstichstelle entlang, langsam fühlen sich das Zahnfleisch und die Wange tauber an. Ich streiche mir mit dem Ärmel über die Stirn: Schweiß. Mir wird warm, oder eher: heiß. Wieder streiche ich meinen Ärmel über die Stirn: mehr Schweiß. Mir wird schlecht, richtig übel.

„Geht es Ihnen gut, Herr Freiwald?“, fragt mich die Zahnarzthelferin. Ich sehe blass aus, sagt sie.

„Nein“, sage ich, „gut würde ich nicht sagen.“

„Oh. Ich hol’ mal den Doktor.“

Der blickt nun also erschrocken. Das mit dem Schweiß auf der Stirn sei ja irgendwie komisch, sagt er. Finde ich auch.

„Ist das die Narkose?“, frage ich. „Vertrage ich die nicht?“

„Naja“, sagt der Doktor. „Das wäre ungewöhnlich. Ich würde eher sagen: Sie haben Angst.“

Da habe ich es also, vom Experten bescheinigt: Ich habe Angst vor dem Zahnarzt. Und wenn der Experte falsch liegen würde – mein Körper schreit es mir geradezu zu.

„Haben Sie Angst, dass es weh tut?“, fragt er mich.

„Ja.“

„Ich kann nochmal nachspritzen, dann spüren Sie sicher absolut gar nichts. Soll ich?“

Natürlich soll er. Der nette Mann aus Miami hat recht. Als er das erste Mal mit dem Bohrer ansetzt, höre ich zwar das grelle Kreischen des Aufsatzes, der meinen Zahn wegfräst (wer würde dieses Geräusch je vergessen?) – ich spüre aber: nichts.

Nach zehn Minuten macht er eine Pause.

„Nun, Herr Freiwald. Sie sind gerade nochmal rechtzeitig gekommen. Ein bisschen später, und wir hätten jetzt zwei Wurzelkanalbehandlungen vor uns.“

Gerade nochmal rechtzeitig nach sieben Jahren. Glück muss man haben. Die Behandlung verläuft okay. Zwei Wochen später gehe ich wieder hin. Drei Wochen später noch einmal. Mein Zahnarzt verspricht: Danach ist erstmal alles erledigt. Er spritzt mir die Betäubung, verlässt den Raum, ich fange nicht an zu schwitzen, werde nicht blass und übel wird mir auch nicht. Die Angst ist weg.

Kapitel 5: Die Routine

Ich gehe jetzt seit fast vier Jahren wieder regelmäßig zum Zahnarzt. Ich weiß bis heute nicht, ob ich nun Angst hatte, eine Phobie entwickelt habe oder einfach wahnsinnig gut im Verdrängen war. Ich weiß nur: Ich ging sieben Jahre nicht zum Zahnarzt. Und das harte Ende eines Baguettes war mein Glücksfall. Das aber klingt nach einem wahnsinnig schlechten allgemeingültigen Tipp: Esst mehr harte Brote! Es muss andere Tipps geben, wie man seine Angst überwinden kann – auch ohne abgebrochenen Backenzahn beim Weihnachtsessen.

Man sollte hier aber wieder zwischen Patient:innen mit leichter Angst und krankhafter Angst unterscheiden. Torsten Glas sagt: „Die leichteren Angstpatienten überwinden sich meistens selbst, weil sie sich zum nächsten Vorstellungsgespräch beim neuen Arbeitgeber nicht mehr hintrauen oder ihnen ihre Zähne unangenehm werden.“

Wer schon so weit ist – diese Tricks haben mir geholfen:

  • Such im Internet nach einer Zahnarzt-Praxis, die sich mit Angstpatient:innen auskennt. Ruf bei der Praxis an und sag, dass du länger nicht beim Zahnarzt warst, dich aber jetzt überwinden möchtest. Diese Praxen kennen sich mit den verschiedenen Möglichkeiten der Behandlung auch unter Angst aus.

  • Frag einen Freund oder eine Freundin, ob er oder sie dich begleiten kann. Du kannst die Person im Wartezimmer warten lassen oder mit in den Behandlungsraum nehmen. Das hilft dir erstens, den Termin auch wirklich wahrzunehmen und zweitens, dich bei der Behandlung zu entspannen.

  • Sag deinem Zahnarzt, dass du Angst hast. Selbst, wenn du schon am Telefon davon erzählt hast – manchmal erreicht diese Information den behandelnden Arzt nicht. Sag es also im Behandlungszimmer ruhig nochmal.

  • Stell Fragen, zu allem, was dich verunsichert. Wenn Instrumente gemein aussehen oder du nicht weißt, welcher Schritt als Nächstes kommt – frag einfach. Das beruhigt dich und könnte dabei helfen, dass der Zahnarzt anschließend von sich aus jeden Schritt erklärt.

Patient:innen mit krankhafter Angst müssen wahrscheinlich anders vorgehen. „Da hilft oftmals nur Hilfe von außen, im besten Fall durch psychotherapeutisch geschulte Zahnärzte oder durch eine professionelle Psychotherapie“, sagt Torsten Glas. Zahnärzt:innen haben viele Möglichkeiten, mit Angstpatient:innen umzugehen. Das Spektrum reicht von entspannter Musik oder einem humorvollen Umgang bis zu Hypnose, Psychotherapie, Akupunktur und der Behandlung unter Vollnarkose.

Vor vier Wochen war ich wieder beim Zahnarzt, zur Kontrolle. Was früher mein absoluter Horror war, bereitet mir heute Freude. Es gibt kaum schönere Momente, als wenn dein Zahnarzt Zahn für Zahn mit diesem kleinen runden Spiegel anguckt, ab und zu mit seinem spitzen Instrument an den Zähnen entlang schabt, verwirrende Zahlen vor sich hinbrabbelt und nach jedem Zahn sagt: „Okay“.

Zwei Minuten dauerte der Kontrolltermin. Am Ende meinte er enttäuscht: „An Ihnen ist kein Geld mehr zu verdienen.“ Und: Ich solle doch bitte künftig nicht mehr alle sechs Monate zur Kontrolle kommen. Alle zwölf Monate reichen auch. Das kriege ich hin.


Redaktion: Theresa Bäuerlein, Schlussredaktion: Isolde Ruhdorfer, Fotoredaktion: Philipp Sipos, Audioversion: Christian Melchert

Wie ich meine Angst vor dem Zahnarzt überwunden habe

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