Jeder Mensch kennt schlechte Nächte. Sie sind nichts, worüber man sich Sorgen machen muss. Es sei denn, sie werden zur Regel. Dann spricht man von einer Insomnie, also einer chronischen Schlaflosigkeit. Sie sollte behandelt werden.
KR-Leser Klaus kann schon lange nicht mehr richtig schlafen. Er schreibt: Kannst du mir Hilfe zu chronischer Insomnie geben? Ich weiß nicht mehr weiter. Ich fühle sehr mit Klaus mit. Denn mir geht es ähnlich. Ich antworte ihm deshalb heute in meinem Newsletter (den du hier kostenlos abonnieren kannst.
Ständig müde – außer nachts
Klaus und ich gehören zu den sechs Prozent der Menschen in Deutschland, bei denen das Schlafen zu einem dauerhaften Problem geworden ist. Dauerhaft nicht richtig schlafen, heißt, mindestens drei mal pro Woche nicht gut einschlafen oder durchschlafen zu können oder zu früh aufzuwachen – und das über länger als drei Monate am Stück. Die daraus entstehende Müdigkeit kann so stark sein, dass es kaum möglich ist, die Tage zu überstehen. Viele Betroffene müssen sich tagsüber hinlegen, können sich schlecht konzentrieren und die Aufgaben des Tages kaum bewältigen. Viele werden davon depressiv, haben ständig Konflikte mit Freund:innen und Familie oder ziehen sich zurück.
Insomnie kann zu einer ernsten Gefahr werden. Man hat festgestellt, dass sie das Risiko für Demenz und Herz-Kreislauf-Erkrankungen erhöht, wie zum Beispiel Bluthochdruck. Außerdem steigt das Risiko für Angststörungen, Süchte und sogar Suizid. Eine Insomnie sollte deshalb medizinisch behandelt werden.
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Sorgen, Einsamkeit und Perfektionismus machen schlaflos
Schlafprobleme sind insgesamt ziemlich häufig. Etwa ein Drittel der Menschen hat immer mal wieder Phasen, in denen der Schlaf leidet. Die meisten dieser Menschen kennen auch die bleierne Müdigkeit, die den Körper dann befällt. Doch oft verschwindet das Problem von selbst wieder, wenn der Auslöser weg ist.
Belastende Ereignisse wie Trennungen, der Tod eines geliebten Menschen und die daraus entstehende Einsamkeit oder Arbeitslosigkeit und Geldsorgen können eine Schlafstörung auslösen, aber auch freudige Ereignisse wie Heirat oder die Geburt eines Kindes. Auch Schichtarbeit und Lärm stören den Schlaf dauerhaft. Zum anderen können Faktoren, die sich nur schwer oder gar nicht ändern lassen, Schlafprobleme begünstigen, beispielsweise Persönlichkeitsmerkmale wie Perfektionismus oder das Geschlecht. Frauen sind häufiger betroffen als Männer. Dabei hat das wahrscheinlich mehr mit ihren sozialen Rollen zu tun als mit dem weiblichen Geschlecht an sich. Wer ständig angespannt ist und schlecht abschalten kann, kann oft auch nachts nicht richtig entspannen (das nennt sich Hyperarousal, Arousal heißt übersetzt „Erregung“).
Außerdem können Krankheiten die Ursache sein, zum Beispiel eine Schlafapnoe (nächtliche Atemstillstände) oder das Restless-Legs-Syndrom (unruhige Beine). Aber auch nächtliches Zähneknirschen und Medikamente können zu Schlafstörungen führen. Ältere Menschen schlafen meistens schlechter als jüngere. Das hat aber wahrscheinlich vor allem mit Lebensgewohnheiten und den im Alter häufigeren körperlichen Beschwerden zu tun, wie zum Beispiel mit schmerzenden Gelenken.
Wenn Schlafstörungen chronisch werden, treffen meist mehrere ungünstige Faktoren zusammen. Oft ist es die eigene Sicht auf das Problem, die den entscheidenden Unterschied macht. Zum Beispiel, wenn man dazu neigt, sich Sorgen zu machen: über die Tagesmüdigkeit und ihre Folgen oder darüber, dass die nächste Nacht wieder schlecht werden könnte. Obwohl der jeweilige Auslöser wegfällt, bleibt die Schlafstörung bestehen, ein Teufelskreis fängt an: Grübeln, Sorgen und Angst vor schlechtem Schlaf und seinen Folgen erhöhen die Anspannung und der schlechte Schlaf verstärkt das Grübeln, die Sorgen und die Angst immer weiter.
Wie geht man chronische Schlaflosigkeit selbst an?
Bisher habe ich mein eigenes Schlafproblem nicht richtig ernst genommen und gedacht: „Wird irgendwann auch wieder weggehen.“ Die Frage von Klaus hat mich dazu gebracht, mich endlich darum zu kümmern: Ich habe in einigen Wochen einen Arzttermin. Bis dahin führe ich zum ersten Mal ein Schlaftagebuch (es gibt sie auch in Apps). Das überraschende Ergebnis: Ich schlafe insgesamt mehr Stunden, als ich dachte und finde den Schlaf auch öfter erholsam als gedacht. Trotzdem bin ich tagsüber häufig müde. Das ist eine wichtige Info für den Arzt. Ich möchte jetzt abklären lassen, ob es für meine Müdigkeit noch andere Ursachen geben könnte.
Bei der Recherche habe ich gelernt, dass viele Menschen mit Schlafstörungen unterschätzen, wie viel sie in Wirklichkeit schlafen. Sie machen sich also möglicherweise unnötig viele Sorgen um den Schlaf.
Viele unterschätzen auch, wie wichtig ihr eigenes Verhalten ist. Bewegung an der frischen Luft ist für den Körper ein wichtiges Signal, um richtig wach zu werden. Dabei spielt vor allem das Tageslicht am Morgen eine entscheidende Rolle. Es ist günstig, immer zur gleichen Zeit aufzustehen (am besten direkt nach dem Weckerklingeln) und erst dann ins Bett zu gehen, wenn du dich müde fühlst. Das Bett solltest du nur zum Schlafen benutzen (oder für Sex) – und nicht zum Lesen, Fernsehen oder Arbeiten. Es hilft, wenn es im Schlafzimmer schön dunkel und kühl ist. Das alles sind Maßnahmen zur sogenannten Stimulus-Kontrolle und sie sollen helfen, negative Verknüpfungen mit Schlaf und Erholung aufzuheben.
Viele Menschen mit Schlafstörungen verbringen nämlich zu viel Zeit im Bett, weil sie Angst haben, zu wenig Schlaf zu bekommen. Wenn du mithilfe eines Schlaftagebuchs herausgefunden hast, wie viele Stunden du im Durchschnitt pro Nacht wirklich schläfst, kannst du deine Bettgehzeit daran anpassen. Auf einen Mittagsschlaf solltest du auch verzichten. Wirst du nachts wach, solltest du aufstehen, das Schlafzimmer verlassen und etwas Monotones tun, beispielsweise stricken, entspannende Musik oder Fantasiereisen anhören oder lesen (keine Krimis!), so lange bis du wieder müde wirst. Also: Nicht nachts lange im Bett wach liegen! Diese sogenannte Bettzeitrestriktion führt am Anfang wahrscheinlich dazu, dass du tagsüber noch müder bist. Aber die Maßnahme soll dazu führen, dass sich der Schlafdruck erhöht und du wirklich die gesamte Zeit, die du im Bett verbringst, schlafen kannst.
Ein abendliches Ritual zum Runterkommen hilft dem Körper, sich zu entspannen. Viele schwören dabei auf Hausmittel wie ein warmes Fußbad, lauwarme Milch oder Kräutertee. Von Schlafmediziner:innen wird empfohlen, ab mittags kein Koffein mehr zu sich zu nehmen, abends keinen Sport zu machen, dafür aber leichte Bewegung wie zum Beispiel einen Spaziergang oder Tai-Chi, nichts Schweres zu essen und keinen Alkohol zu trinken. Eine Stunde vor dem Schlafengehen sollte man nicht mehr auf Bildschirme starren und wenn du nachts wach wirst, nicht auf die Uhr. Ein Handy im Schlafzimmer verleitet dazu, es zu benutzen. Deshalb ist es besser, es nicht neben das Bett zu legen und es nur dann zu benutzen, wenn du nachts aufstehst und dich mithilfe von Entspannungs-Apps wieder müde machen willst. Wer vielen Stressoren ausgesetzt ist, sollte tagsüber Stress abbauen, zum Beispiel durch Bewegung, positive soziale Kontakte und Entspannungstechniken. Solche und weitere Gewohnheiten dienen der Schlafhygiene.
Wer von Alltagsproblemen wachgehalten wird und zu Hyperarousal, also Übererregung neigt, kann Gedankenübungen ausprobieren. Das Ziel ist, schlafhinderliche Gedanken zu erkennen, zu begrenzen oder zu verändern. Beispiel: Du suchst dir tagsüber immer zur gleichen Zeit einen gemütlichen Stuhl und beschäftigst dich dort mit deinen Problemen (nachdenken, aufschreiben, Lösungen planen). Das Ziel ist, nur dort diese Arbeit zu machen und nicht nachts.
Alle diese Tipps können hilfreich sein, aber man muss sie nicht alle befolgen, um wieder schlafen zu lernen. Du kannst ausprobieren, was dir hilft und was zu deinem eigenen Leben passt. Eine alleinerziehende Mutter hat weniger Spielräume für Verhaltensänderungen als ein Single.
Wie wird chronische Schlaflosigkeit behandelt?
Bleiben Selbsthilfemaßnahmen erfolglos oder gibt es möglicherweise organische Ursachen für die Insomnie, ist eine sogenannte Polysomnographie die Standarduntersuchung. Dabei werden viele Körperfunktionen für ein bis zwei Nächte in einem Schlaflabor überwacht: Hirnströme, Augenbewegungen, Muskelspannung, Herzrhythmus, Sauerstoffgehalt des Blutes, Körpertemperatur, Atmung, Körperbewegungen und das Schnarchen. Manche Apps versprechen ebenfalls, die Schlafqualität messen zu können. Studien zeigen jedoch, dass die Ergebnisse nicht mit denen aus einem Schlaflabor übereinstimmen.
Wird durch die Polysomnographie eine organische Ursache ausgeschlossen, wird normalerweise eine kognitive Verhaltenstherapie empfohlen. Sie wird auch als internetbasierte Behandlung angeboten. Zu beiden Therapieformen gibt es Studien, die auf eine Wirksamkeit hindeuten, allerdings sind die Studienergebnisse bei den internetbasierten Behandlungen weniger aussagekräftig. Untersucht wurden spezielle Insomnie-Programme, die auf sechs Sitzungen begrenzt sind und sowohl als Einzel- als auch als Gruppentherapie angeboten werden. In manchen Fällen ist es aber ratsam, eine längere Verhaltenstherapie zu machen.
Mit Medikamenten hält man sich inzwischen sehr zurück. Sie werden, wenn überhaupt, nur kurzfristig eingesetzt. Viele der möglichen Mittel haben problematische Nebenwirkungen (Antipsychotika, Antidepressiva), einige Substanzen können schnell abhängig machen (Benzodiazepine, Z-Substanzen) und wieder andere zeigen eine zu geringe Wirksamkeit bei Insomnie (Melatonin, Baldrian). Für andere häufig in den Medien empfohlene Verfahren fehlt der Wirksamkeitsbeleg, wie zum Beispiel für Akupunktur und Akupressur. Ausführliche Infos zu den belegten und unbelegten Behandlungsmethoden, die bei Insomnie eingesetzt werden können, findest du bei gesundheitsinformation.de. In dieser Kurzfassung der offiziellen Behandlungsleitlinie kannst du außerdem noch mehr Details zu den hier beschriebenen Verfahren nachlesen.
Ich bin durch die Recherche zu diesem Thema übrigens gar nicht mehr so sicher, dass ich tatsächlich unter schwerer Insomnie leide. Ich habe aber wieder mehr Hoffnung geschöpft, dass ich meine Schlafstörung selbst in den Griff bekommen kann. Zum Beispiel, weil mir jetzt bewusst geworden ist, dass ich jede Nacht zu lange wach im Bett liege. Das hat bei mir das Selbstbild genährt, eine sehr schlechte Schläferin zu sein. Und das ist möglicherweise ein wichtiger Teil des Teufelskreises, der meine Schlafstörung am Leben hält.
Redaktion: Lisa McMinn, Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Philipp Sipos, Audioversion: Iris Hochberger