Wahrscheinlich ist es für Menschen, die den Zustand nicht kennen, nur schwer vorstellbar. Wie ist es, sich jeden Monat für einige Tage oder sogar Wochen so krank zu fühlen, dass an ein normales Leben nicht zu denken ist? Für etwa ein bis drei Prozent der Frauen in Europa gehört dieser Zustand zu ihrem Leben. Sie leiden unter dem prämenstruellen dysphorischen Syndrom, kurz: PMDS. Zusätzlich zu den üblichen Beschwerden, die viele Frauen vor ihren Tagen erleben, haben Frauen mit PMDS starke psychische Symptome: Schlafstörungen, massive Kopfschmerzen, Aggressionen und Depressionen bis hin zu Suizidgedanken.
Ich hoffe, dass es KR-Leserin Marie nicht so geht. Sie möchte wissen: Was sind die aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse über PMDS? Und was sind die besten Therapien?
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Was ist der Unterschied zwischen PMS und PMDS?
Wasser in den Beinen, Schmerzen im Unterleib, unangenehmes Spannen der Brüste, Traurigkeit und Gereiztheit – das kennt so gut wie jede Frau, wenn die Periodenblutung bevorsteht. Mal mehr, mal weniger stark. Das prämenstruelle Syndrom (PMS) ist ein Bündel aus körperlichen und psychischen Beschwerden, das – solange frau denken kann – für reichlich Stigmatisierung sorgt.
Wir müssen uns immer noch mehr oder weniger süffisante Kommentare anhören, wenn wir Grenzen kommunizieren, die andere nicht gleich nachvollziehen können. „Kriegst wohl wieder deine Tage, hm?“, das ist die bekannte Reaktion auf die ungeduldige Frage, wann der Partner gedenkt, die zugesagte Haushaltspflicht zu erfüllen. Um Mental Load soll es zwar heute eigentlich nicht gehen, aber vermutlich ist diese Erfahrung ein Teil der Erklärung, warum Frauen mit PMDS medizinisch kaum Hilfe bekommen. Sie werden als „gereizt“ dargestellt – und nicht ernst genommen.
PMDS, das prämenstruelle dysphorische Syndrom, ist die schwerste Form von PMS und eine Krankheit, die – es überrascht wahrscheinlich niemanden – noch nicht gut erforscht ist. In Europa sind geschätzt zwischen ein und drei Prozent der Frauen von PMDS betroffen, in anderen Weltregionen bis zu acht Prozent. Wie sich PMDS genau definieren lässt, wird noch diskutiert.
Übrigens: Ich benutze in diesem Text absichtlich nicht die geschlechterneutrale Formulierung “Menschen, die menstruieren”. Denn die Studienautor:innen machen keine Angaben dazu, ob auch Menschen daran teilgenommen haben, die menstruieren, sich aber nicht als cisgender identifizieren. Deshalb ist derzeit keine Aussage dazu möglich, ob alle Menschen, die menstruieren gleich stark von PMDS betroffen sind.
Einigkeit besteht darin, dass eine recht hohe Bandbreite an zum Teil schweren psychischen Symptomen auftritt. Die Summe der Beschwerden ergibt eine so große Belastung, dass sie den Alltag betroffener Frauen massiv beeinträchtigt. Die Beschwerden setzen in der zweiten Phase des Zyklus ein, also nach dem Eisprung, oder nehmen ab diesem Zeitpunkt stark zu. Sie enden mit der Blutung. Zu den Symptomen einer PMDS gehören eine ganze Reihe von psychischen Symptomen, von Schlafstörungen bis zu Panikattacken, von Aggressionen bis zu Suizidgedanken.
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Wie PMDS entsteht – oder eher: Wie es entstehen könnte
Prämenstruelle Symptome stehen ganz allgemein mit den hormonellen Veränderungen nach dem Eisprung in Verbindung. Der Östrogenspiegel sinkt in der zweiten Zyklushälfte, während der Progesteronspiegel steigt. Im Gehirn reagieren bestimmte Rezeptoren auf die Abbauprodukte von Progesteron, die in dieser Phase vermehrt entstehen. Man vermutet, dass psychische Beschwerden an den Tagen vor der Blutung mit dieser Reaktion zusammenhängen. Bei Frauen mit PMDS scheint eine höhere Empfindlichkeit gegenüber Progesteron-Abbauprodukten zu bestehen (das zeigt zum Beispiel diese Studie, sie ist leider nicht frei zugänglich). Inwiefern genetische, soziale und Umweltfaktoren bei der vermuteten Überempfindlichkeit der Rezeptoren eine Rolle spielen, ist noch nicht abschließend geklärt.
Was man über wirksame Behandlungen weiß – und was nicht
Der neuronale Botenstoff Serotonin spielt bei der Reaktion der Rezeptoren für Progesteron-Abbauprodukte eine Rolle. Medikamente, die die Wiederaufnahme von Serotonin hemmen, sogenannte Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI), sind die wichtigsten Medikamente zur Behandlung von PMDS. Sie werden auch bei Depressionen eingesetzt. (Wenn du mehr über diese Mittel erfahren willst: Mein Kollege Martin Gommel beschreibt in seinem Text Antidepressiva wirken weniger, als du denkst, warum sie auch in der Kritik stehen – und warum sie trotzdem ihre Berechtigung haben.)
Bei PMDS sollen SSRI in geringerer Dosis eingenommen werden. Mit der Einnahme der Medikamente erst nach dem Eisprung zu beginnen, scheint dabei genauso effektiv zu sein, wie sie durchgängig zu nehmen. Dazu gibt es aber widersprüchliche Studienergebnisse, auch abhängig davon, welches SSRI die Frauen einnahmen. Die Wirkweise der Antidepressiva unterscheidet sich bei PMDS von der bei Depressionen. Man geht davon aus, dass SSRI auch den Abbauprozess von Progesteron direkt beeinflussen. Auch andere Antidepressiva könnten wirksam sein. Das muss aber noch genauer untersucht werden.
Frauen, die nicht schwanger werden wollen, können auch hormonelle Verhütungsmittel nehmen. Dabei haben Kombipräparate der Pille im Vergleich zu anderen Mitteln den größten Effekt gezeigt. Allerdings sind die Ergebnisse der Studien auch hier nicht einheitlich, auch weil sie unterschiedliche Präparate untersuchten und sich die Studien nicht leicht miteinander vergleichen lassen.
Andere Sexualhormone, Benzodiazepine, Mineralien wie Kalzium und Zink, Vitamine (B1, B6, D), Omega-3-Fettsäuren, Akupunktur, Kamille, Kurkuma, Johanniskraut und Safran: Bei all diesen Mitteln gibt es keine eindeutigen Hinweise, dass sie gegen prämenstruelle Beschwerden helfen. Die Studien sind nicht aussagekräftig und liefern widersprüchliche Ergebnisse. Mönchspfeffer scheint aber gegen körperliche Beschwerden bei PMS eine gewisse Wirkung zu haben. Es gibt auch Hinweise darauf, dass Frauen mit PMS und PMDS von Physiotherapie, Psychotherapie und Stressreduktion profitieren. Diese Behandlungen werden oft mit SSRI kombiniert.
PMDS verschwindet mit der letzten Blutung nach den Wechseljahren. Eine sichere Methode, um PMDS vorher loszuwerden, ist die Entfernung der Gebärmutter und Eierstöcke. Doch diese Operation hat Risiken und Frauen können danach nicht mehr schwanger werden.
Frauen mit PMDS sind oft auf sich gestellt
Die meisten Frauen mit PMDS diagnostizieren ihre Krankheit selbst. Dabei spielen Tagebücher eine große Rolle. Mir ist bei der Recherche aufgefallen, dass ein wissenschaftlich bestätigtes Diagnose-Instrument in Tagebuchform nicht ins Deutsche übersetzt ist und in Deutschland auch nur in abgewandelter Form genutzt wird. Das liegt wahrscheinlich an Lizenzgebühren, die für die Nutzung des Instruments anfallen, wenn man es professionell einsetzen will. In Deutschland gibt es auch nur wenige Expert:innen für PMDS. Das Wissen zur Krankheit verbreitet sich nur langsam.
Wichtig bei der Selbstbeobachtung ist, dass du durchgängig über zwei Zyklen jeden Tag die Tabelle ausfüllst. Es gilt herauszufinden, wie sehr deine Symptome in der zweiten Zyklushälfte von denen in der ersten abweichen. Frauen, die eine psychische Erkrankung haben, wie zum Beispiel eine bipolare Störung, scheinen ein höheres Risiko für PMDS zu haben. Da PMDS mit einem erhöhten Suizid-Risiko assoziiert wird, ist eine Behandlung der PMDS gerade für diese Frauen sehr wichtig. Wenn du eine PMDS bei dir vermutest, kann dir vielleicht auch dieses Buch weiterhelfen.
Die meisten Informationen in diesem Text stammen aus dieser Übersichtsarbeit aus dem Jahr 2022. Sie bezieht die Forschung der letzten 20 Jahre ein. Die Hauptautorin gibt aber an, auch Gelder von Unternehmen bekommen zu haben, die zu Medikamenten gegen PMDS forschen. Inwieweit das die Ergebnisse der Studie beeinflusst haben könnte, bleibt offen.
Der Text wurde am 17. Februar 2023 aktualisiert: Klarstellungen zur geschlechtersensiblen Forschung wurden eingefügt.
Redaktion: Lisa McMinn, Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Philipp Sipos, Audioversion: Iris Hochberger