Die Wirkung setzte sofort ein. Ich hatte Herzklopfen, spürte Faszination durch meinen Körper blitzen. Ich war begeistert von dem Zeug, das ich konsumierte. Nein, keine Pillen. Nur Lesestoff. Als ich mich zum ersten Mal mit dem Einsatz von Psychedelika in der Psychotherapie beschäftigte, war ich sofort angefixt. Ich konnte keinen Tag mehr ohne und hörte selbst, als ich mit Grippe im Bett lag, täglich Podcasts über LSD, Psilocybin und MDMA.
Alles fing an mit einer Netflix-Serie: „How to change your mind“. In vier Teilen präsentiert darin der amerikanische Journalist Michael Pollan die Wirkung und Geschichte von LSD, Psilocybin, MDMA und Meskalin und deren Einsatz in der Psychotherapie. In der Serie sah ich Jeffrey, den Teilnehmer einer Studie, der seit Jahren unter täglichen Kopfschmerzattacken litt und assistierten Suizid in Erwägung zog. Nach der Behandlung mit LSD habe er fünf schmerzfreie, schöne Tage erlebt und neue Hoffnung gefunden, so Jeffrey.
Auch der Autor James Fadiman, der für seine Forschungen mit geringen Mengen mit LSD bekannt ist (das nennt man Microdosing), sagt, der häufigste Kommentar von Menschen, die Microdosing gegen Depressionen einsetzen würden, sei: „Ich bin wieder ich selbst.“ Ayelet Waldman, eine Autorin, die unter Depressionen und Angststörungen litt, bezeichnete LSD als das effektivste Antidepressivum, das sie je genommen habe. Zeit Online titelte: „Mit LSD-Trips gegen die Depression“. Und ich las, dass Apple-Mitbegründer Steve Jobs sagte, LSD zu nehmen, sei für ihn eine tiefgreifende Erfahrung gewesen, eine der wichtigsten in seinem Leben. Ob dies wohl die Inspiration für den Werbeslogan „Think different“ war, für den Apple berühmt wurde?
„Holy shit!“, dachte ich und schaute völlig drüber den Film „Magic Medicine“, las „Yoga, Tee, LSD“ von Andrea Jungaberle, und hatte schließlich das überwältigende Gefühl, in einer Überdosis LSD-Infos zu ertrinken. Wo, bitte, ist hier der Ausgang? Ich war süchtig.
Deshalb machte ich einen kalten LSD-Info-Entzug. Drei Tage lang keine Serie, kein Podcast, kein Buch. Ich wollte – und musste – Abstand zum Hype bekommen, um clean diesen Text zu schreiben. Eins nach dem anderen, dachte ich, und versuchte zuerst einmal zu verstehen, was LSD eigentlich ist. Kann es wirklich so einfach sein? Ein Rausch – und raus aus der Depression?
Zugedröhnte Rentiere im Gruppenrausch 🦌🦌🦌
Fangen wir vorne an: Was also ist LSD? LSD gehört zu einer Gruppe von psychoaktiven Substanzen, die in hoher Dosis eine halluzinogene Wirkung haben und einen Trip auslösen können: Psychedelika. Allerdings sind sie keine neue Erfindung von altbackenen Hippies oder der Drogenmafia.
Für Zauberpilze, auch Magic Mushrooms genannt, die das Psychedelikum Psilocybin enthalten, gibt es archäologische Belege bis zurück ins Jahr 6000 vor Christus. Für den Gebrauch von Peyote, einem Kaktusgewächs, das Meskalin enthält, gibt es Nachweise von 3200 vor Christus. Psychedelika sind also eng mit der Historie der Menschenheit verknüpft und lassen sich damit schlecht als neumodische Pillen wegdiskutieren.
Auf dem folgenden Bild siehst du eine mindestens 2.000 Jahre alte Höhlenmalerei aus Südalgerien, die einen Schamanen darstellt, aus dessen Körper Pilze sprießen. Der Biologe Terrence McKenna schrieb 1992 in „Food of the Gods“, dass es sich dabei um psilocybinhaltige Pilze handelt.
Übrigens stehen darauf nicht nur Menschen: Wenn Rentiere unter Schnee Fliegenpilze riechen, futtern sie sie so schnell sie können. Nach einer halben Stunde folgt der Rausch. Und wenn das zugedröhnte Tier pinkelt, erlaben sich daran wiederum andere Rentiere. Das schreibt Christian Rätsch in Band 2 der „Enzyklopädie der psychoaktiven Substanzen“.
Aber zurück zu uns Menschen.
Der Schweizer Chemiker Albert Hofmann erfand 1938 die Verbindung Lysergsäurediethylamid, kurz LSD. Dafür isolierte er die Stickstoffverbindungen des Getreidepilzes Mutterkorn und versetzte sie mit weiteren Chemikalien. Na? Beim Lesen eingeschlafen? 1943 machte Hoffmann, als er sich nur kurz hinlegen wollte, eine Erfahrung mit LSD, die die Menschheitsgeschichte veränderte. Er notierte:
„Zu Hause legte ich mich nieder und versank in einen nicht unangenehmen rauschartigen Zustand, der sich durch eine äußerst angeregte Phantasie kennzeichnete. Im Dämmerzustand bei geschlossenen Augen — das Tageslicht empfand ich als unangenehm grell — drangen ununterbrochen phantastische Bilder von außerordentlicher Plastizität und mit intensivem, kaleidoskopartigem Farbenspiel auf mich ein.“
Kurz darauf begann die Produktion: Ab 1949 stellte die Firma Sandoz, für die Hofmann arbeitete, LSD her. Eingesetzt wurde es in der Psychiatrie, allerdings nicht sofort bei Patient:innen, sondern erst einmal bei Ärzt:innen. Die Idee war, ihnen aufgrund der halluzinogenen Wirkung für eine begrenzte Zeit zu ermöglichen, eine Psychose zu erleben. So sollten sie sich besser in ihre psychotischen Patient:innen hineinversetzen können. Die Fachwelt sprach von der Modellpsychose.
Und ich denke: Tolle Erfindung! Warum gibt es das nicht für Depressionen und andere Erkrankungen? Es wäre doch toll, wenn sich Psychiater:innen und Psychotherapeut:innen während der Ausbildung mit einer Pille eine Modelldepression reinpfeifen könnten, dann zwölf Stunden lang nicht aufstehen können, weil sie keine Kraft mehr haben, permanent grübeln und für nichts mehr Freude empfinden, um Betroffene besser zu verstehen?
LSD für alle! Oder? 💊
Wenig später ging LSD als „Delysid“ an den Markt. Genutzt wurde es etwa, um Alkoholabhängige zu behandeln. Doch je etablierter das Mittel wurde, desto mehr Leute rissen sich darum. Einerseits begann die CIA in den 1950er Jahren, den Einsatz von LSD als chemische Waffe und als Wahrheitsserum zu erforschen. Andererseits fuhr der Psychologe Timothy Leary mit einem Bus durch die USA, um LSD-Pillen unter die Leute zu bringen. Sein Plan: Er wollte die gesamte Gesellschaft „befreien“. Tatsächlich! Er wollte allen Menschen LSD geben!
Der Erfinder Albert Hofmann war damit nicht einverstanden, aber es war bereits zu spät. Leary wurde schließlich durch einen Satz bekannt, den er vor 30.000 Hippies in San Francisco sagte: „Turn on, tune in, drop out.“ Einschalten, einstimmen, aussteigen. In Los Angeles, New York und London versammelten sich Tausende, um genau das zu tun.
Die Fachärztin für Anästhesie und Notfallmedizin, Andrea Jungaberle formuliert es in „Yoga, Tee, LSD“ so: „Kaum eine andere Droge hat die Gemüter in den vergangenen 60 Jahren derartig erhitzt wie das LSD.“ Für die einen sei es Teufelszeug, für die anderen der Schlüssel zu ihrer Existenz.
Tatsächlich nahm der Konsum von LSD in den 1960er Jahren rasant zu und wurde unter anderem deshalb in den USA 1966 – und in Deutschland 1971 – als nicht verkehrsfähig eingestuft, also verboten. Im selben Jahr kündigte US-Präsident Nixon den Krieg gegen Drogen an und nannte sie „Public Enemy Number one“.
Es ist durchaus ein bisschen skurril, dass „the Greatest Country in the World“ nicht einen Terroristen als größten Staatsfeind nennt, sondern eine Substanz, die Bilder im Kopf erzeugt. Wie dem auch sei, der Konsum von LSD wurde daraufhin in vielen Ländern der Welt untersagt. Und damit auch die Forschung eingestellt.
Doch das hat sich geändert. Zumindest ein bisschen. Die Behandlung von Krankheiten mit LSD erlebt seit den Nullerjahren eine Micro-Renaissance, insbesondere in den USA und in der Schweiz. Dort bekam der Psychiater Peter Gasser 2007 eine Sondergenehmigung für LSD, um in einer Studie Menschen mit Krebsdiagnose und tödlichen Krankheiten damit zu behandeln.
Mittlerweile haben mehr als 15 Schweizer Ärzt:innen diese Sondergenehmigung, die mitunter auch Menschen mit Depressionen behandeln. Man spricht hier von „compassionate use“, also dem Einsatz aus Mitgefühl für schwer betroffene Patient:innen, der im Einzelfall vom Bundesamt für Gesundheit genehmigt werden muss.
Eine LSD-Sitzung kann bis zu 14 Stunden dauern 🕝
Eine Studie gibt es jedoch. Deshalb rufe ich Felix Müller an. Der Oberarzt an den Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel leitet eine Studie zu LSD-Therapie für Personen, die unter mittelgradigen bis schweren Depression leiden. Über die Ergebnisse der Studie kann mir Müller nichts sagen, weil sie noch nicht abgeschlossen ist. Trotzdem gehört er zu den wenigen Ärzt:innen, die überhaupt legal zu LSD forschen dürfen. „Meine Hoffnung ist, herauszubekommen, ob die Behandlung von Depressionen mit LSD möglich ist“, so Müller.
Wer an seiner Studie teilnimmt, bekommt insgesamt zwei Mal eine LSD-Pille verabreicht. Vor der Einnahme sprechen die Studienteilnehmer:innen ausgiebig mit Ärzt:innen über mögliche Ängste, offene Fragen und das, was sie erwartet. Hinterher wird über die gemachten Erfahrungen gesprochen.
In der Fachwelt spricht man von zwei Faktoren, die, neben der Dosierung, maßgeblich für einen guten Verlauf sind: Set und Setting.
Das Set beschreibt die psychische Verfassung, in der sich Menschen vor der Einnahme befinden und die Einstellung zur Einnahme selbst. Wenn eine Person glaubt, einen schlechten Trip zu erfahren, ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass dies auch eintrifft.
Mit Setting ist die Umgebung gemeint, in der ein Mensch eine Substanz zu sich nimmt. Patient:innen müssen sich sicher fühlen. „Deshalb führen wir die Einnahme in einem ruhigen Zimmer durch, in dem man sich wohlfühlen kann – und stets ein Arzt oder ein Psychologe dabei ist“, so Müller. Damit könnten Horrortrips vermieden werden.
Müllers Patient:innen liegen auf einer Couch, meist mit geschlossenen Augen. „Dazu spielen wir oft Musik, weil sich das für viele Menschen als anregend und förderlich erwiesen hat“, so Müller. Bei höheren Dosen dauert eine solche Session acht bis 14 Stunden. Die Ärzt:innen fragen regelmäßig, wie es den Patient:innen geht, wie sie sich fühlen und messen regelmäßig den Blutdruck. „Von außen betrachtet geschieht an diesen Tagen meistens nicht wirklich viel.“ Innen passiert dafür umso mehr, und das kann sehr unterschiedlich ausfallen.
Viele Menschen erleben ihr Innenleben intensiver und detaillierter. Es ist möglich, dass Menschen ihre Ängste und Depressionen stärker wahrnehmen, aber sich auch angenehme, schöne Gefühle verstärken. Für LSD typisch ist ein gedehntes Zeiterleben, bis hin zum kompletten Stillstand des Momentes. Müller bleibt in seinen Formulierungen vorsichtig. „Wenn wir das gesamte Gehirn betrachten, scheinen viele Regionen stärker miteinander zu agieren und bestimmte Sinnesmodalitäten vermischen sich dadurch.“ Menschen können Farben riechen, Musik verwandelt sich etwa in einen Geschmack, festgefahrene Überzeugungen lösen sich auf. Manche Menschen berichten von mystischen und spirituellen Momenten. Manche Teilnehmer:innen sagen sogar, ihr Blick auf das Leben habe sich durch den Trip ganz grundlegend verändert. „Allerdings tritt dieses Phänomen wohl seltener auf, als man aufgrund der Berichterstattung, zum Beispiel von US-amerikanischen Medien, den Eindruck haben könnte“, so Müller.
Die chemischen Vorgänge, die im Hirn dabei vor sich gehen, sind allerdings noch nicht abschließend geklärt. „Wir wissen, dass LSD über einen Serotonin-Rezeptor wirkt. Und Serotonin ist in der Psychiatrie ein wichtiger Neurotransmitter, der oft im Zusammenhang mit Depressionen genannt wird.“ Mehr weiß Müller nicht.
Wie bitte? Mein WTF-Moment 😳
Natürlich muss Müller als Wissenschaftler vorsichtig sein mit dem, was er sagt. Dennoch stutze ich. Seine Unsicherheit überrascht mich. Ich spreche mit einem Arzt, der mit Menschen eine Studie zu einer Droge macht – und selbst er kann mir nicht genau erklären, was im Gehirn geschieht, wenn man die Pille wirft?
Meine rosarote Brille hat Müller mir jedenfalls abgenommen. An LSD wird geforscht, aber man weiß noch viel zu wenig über die tatsächliche Wirkung. Über die Risiken allerdings schon.
Am Tag der Einnahme kann man mit Ängsten und schwierigen Stimmungen konfrontiert werden, die einer Depression ähneln. Doch das größere Risiko ist, dass bei entsprechenden Vorerkrankungen eine psychotische Episode ausgelöst werden kann.
Wie die LSD-Therapie langfristig aufs Hirn wirkt, ist bisher nicht bekannt. „Wenn sie eine Psychotherapie machen, kann ihnen bisher auch niemand sagen, was genau im Gehirn abläuft“, sagt er. Klar – aber Psychotherapie ist weder eine Substanz – noch international verboten.
Die Tücken der LSD-Forschung 🔬
Ich rufe an bei Eiko Fried. Er ist Associate Professor am Department of Clinical Psychology an der niederländischen Leiden University. Von sich selbst sagt er, kein Psychedelika-Kritiker per se zu sein, sondern jemand, der sich die Evidenz anschaut. Und diese widerspricht vielen Wissenschaftler:innen, populärwissenschaftlichen Büchern, Serien und Podcasts. Also all dem, was ich in den vergangenen Wochen konsumiert habe.
Eines der größten Probleme ist laut Fried die Langzeitwirkung von LSD. Denn in der Psychedelikaforschung wurden Langzeiteffekte bisher kaum erforscht, da Studien meist nur kurze Zeiträume erfassen. Trotzdem ziehen laut Fried Wissenschaftler:innen häufig unhaltbare Schlüsse. „Es ist sehr problematisch zu behaupten, eine Depression sei ‚geheilt‘, weil es jemandem nach einer Woche LSD besser geht.“ Denn eine Depression ist eine Krankheit, die sich über längere Zeiträume hinweg zieht.
Wenn ich darüber nachdenke, fällt mir auf, wie problematisch ein solches Verfahren sein kann. Ärzt:innen geben Menschen mit einer ernsthaften psychischen Erkrankung eine Pille, die am Tag der Einnahme bis zu 14 Stunden lang alles Mögliche in Kopf und Körper der Betroffenen auslösen kann, sie womöglich heftigst aufwühlt. Was die Substanz in den kommenden Monaten oder Jahren bewirken soll, weiß jedoch niemand.
Der Bananen-Trick 🍌
Ein Problem, das die Durchführung von Studien mit Psychedelika weiter erschwert, ist ihre außergewöhnliche mediale Präsenz. Stell dir mal vor, wir würden eine Studie über die Wirkung von Bananen bei Alkoholabhängigkeit durchführen. Eine Gruppe der Patient:innen bekommt Bananen, die andere nicht.
Ein Jahr zuvor beginnen Journalist:innen und Autor:innen, unzählige Texte und Bestseller wie „Banane, Banane, keine Fahne“ über den heilenden Effekt von Bananen zu schreiben und es werden Filme wie „Banana Medicine“, Netflix-Serien mit dem Titel „How to change your liver 🍌“ produziert, und auf Insta kursieren süße Fotos von Hunden im Banana-Body.
Die Kampagne für Bananen wird die Gruppe der Studie beeinflussen, die Bananen bekommt. „Nicht, weil die Banane so toll ist, sondern weil das Placebo, das durch die Medien gehypt wird, jetzt besser funktioniert“, so Fried. Beeinflusst wird dadurch jedoch auch die zweite Gruppe, die zwar keine Bananen bekommen hat, dem Hype aber auch ausgesetzt war. Das kann demotivieren. „Und das wiederum kann für eine Studie ausschlaggebend sein und zu signifikanten Ergebnissen führen, obwohl die Banane tatsächlich natürlich nicht besser funktioniert als das Placebo der Kontrollgruppe“, so Fried.
Felix Müller bestätigt das. „Vermutlich beeinflusst das die Studienergebnisse, keine Frage. Deshalb brauchen wir größere Studien, die Menschen erfassen, die gegenüber der Behandlung mit Psychedelika kritischer eingestellt sind.“
„Shit“, denke ich. Der Bananentrick funktionierte auch bei mir. Was habe ich wohl noch übersehen?
Wie Psychedelika-Studien manipuliert werden ✍🏻
Fried spricht tatsächlich noch ein Problem an, das in klinischen und somit auch in Psychedelika-Studien zum Vorschein kommt: Outcome Switching, also die nachträgliche Manipulation von Studienergebnissen. Was das bedeutet? Gute klinische Studien halten zu Beginn fest, welche Messinstrumente sie nutzen, um Ergebnisse auszuwerten. Bei Studien über Depressionen sind das Fragebögen, die Studienteilnehmer:innen davor und danach ausfüllen müssen und die Symptome wie etwa Schlaflosigkeit, Konzentrationsprobleme und Suizidalität abfragen.
Da sich Wissenschaftler:innen nicht einig darüber sind, welche Symptome die wichtigsten sind, bekommen Proband:innen mehrere Fragebögen vorgelegt. Diese werden im Studiendesign gewichtet. Beispielsweise ist Fragebogen A der primäre, B der sekundäre. Fried sagt: „Wenn nun Fragebogen A bei einer Studie keinen Unterschied zwischen einem Placebo und einem Medikament zeigt, Bogen B aber schon – und Wissenschaftler:innen deshalb entscheiden, dass B nun der primäre Fragebogen ist, dann sprechen wir von Outcome Switching.“
So können unerwünschte Ergebnisse ausgeblendet werden, wie es in der berühmt-berüchtigten „Studie 329“ der Fall war. Aufgrund dieser hatte ein Pharmaunternehmen ein Antidepressivum (Paroxetin) für Kinder und Jugendliche als „gut verträglich und wirksam“ deklariert und millionenfach verkauft. Nebenwirkungen wie Selbstverletzungen und sogar Suizidversuche führten das Unternehmen nicht auf, wie durch eine Analyse aufgedeckt werden konnte.
Warum ist das wichtig? Fried kritisiert, dass Outcome-Switching häufig bei Psychedelika-Studien betrieben wird, um Ergebnisse zu beschönigen. Bei einer aktuellen Psilocybin-Studie, an der Forschungsgrößen wie David Nutt und Robin Carhart-Harris mitarbeiten, kam es zu einer solchen Manipulation, die die Autoren erst nach einer Kritik zugaben. Fried und andere Wissenschaftler hatten das auf Twitter aufgegriffen, das Vorgehen weiter infrage gestellt und als unprofessionell bezeichnet.
Felix Müller: „Outcome Switching ist ein Problem, definitiv nicht in Ordnung, und wenn es aufgedeckt wird, hat eine Studie einiges an Glaubwürdigkeit eingebüßt.“ Studien, die auf diese Art manipuliert seien, dürften für keinerlei Arzneimittelzulassung anerkannt werden, und ein solches Vorgehen sollte sanktioniert werden. Müller kritisiert die Forschungsgruppe um David Nutt und Carhart-Harris, die beiden hätten nicht das erste Mal umstrittene Methoden angewandt.
Ich lehne mich zurück und seufze. Was für ein chaotisches Schlamassel! Wenn sich schon Wissenschaftler:innen gegenseitig an die Gurgel gehen, weil Studien nicht sauber durchgeführt werden, wie sollen Betroffene den Überblick behalten oder sogar darauf vertrauen, dass Psychedelika wie LSD keine derben Nebenwirkungen haben, die einfach unterschlagen werden?
Ich kenne die Antwort: gar nicht. Als Betroffene sind wir auf die hundertprozentige Verlässlichkeit von publizierten Studien angewiesen, die propagieren, unserem Leidensdruck Abhilfe zu verschaffen. Es kann nicht sein, dass wir uns hochakademisches Wissen einverleiben müssen, um Studien zu bewerten. Das ist die Aufgabe der Wissenschaftler:innen, Prüfer:innen und Gesundheitsmagazine.
„Wir hätten hier ein vielversprechendes Medikament gegen ihre Depressionen!“
„Moment, ich muss mal eben in die Universitätsbibliothek rüberjoggen, ich komme in zwei Semestern wieder.“
Allerdings: Hat LSD überhaupt Zukunft, wenn die Studienlage so fragil und unzuverlässig ist? Diese Frage stelle ich Henrik Jungaberle, den ich in Berlin besuche. Jungaberle ist ein Pionier, er hat die MIND Foundation gegründet, eine Wissenschafts- und Bildungsorganisation, die psychedelische Forschung und Therapie fördert. Er ist kein Arzt, beschäftigt sich aber seit fast zwei Jahrzehnten mit dem Gebrauch von psychoaktiven Substanzen. Heute forscht er an der Ovid-Klinik, die seine Frau, die Ärztin Andrea Jungaberle, leitet.
„LSD wird mit dem Wunderpillen-Narrativ verkauft“
Für LSD sieht er kurzfristig kaum eine Zukunft: „LSD ist zwar eine Substanz, die sehr bekannt ist, aber in Deutschland nicht in naher Zukunft als Arzeimittel zugelassen wird“, sagt Jungaberle. Das liegt auch an ihrem Ruf: Noch immer seien viele Menschen überzeugt, LSD würde Menschen nicht helfen, sondern eher schaden. Auch deshalb ist LSD in der US-amerikansischen Forschung kein populäres Thema. Weltweit existiert nur eine Firma, die die Erforschung finanziert, in Kanada. Außerdem gibt es einen ganz banalen Grund, warum LSD bei Ärzt:innen unbeliebt ist: Die Einnahme passt nicht in die Acht-Stunden-Dienste der Psychiater:innen und Psychotherapeut:innen.
Ich übersetze das mal: LSD wird NICHT die Psychotherapie bei Depressionen revolutionieren. Der schillernde Zug ist abgefahren. Allerdings reagieren bestimmte Menschen bockig und wollen das nicht akzeptieren. Laut einem Schweizer Experten gibt es in Deutschland zwischen 500 und 1.000 Untergrundtherapeuten, die nicht auf die Zulassung von LSD und anderen Psychedelika warten wollen und deshalb am Gesetz vorbei Menschen damit behandeln. Das größte Problem hierbei ist, dass die Konsumenten nicht überprüfen können, welche Substanzen sie in welcher Dosis verabreicht bekommen.
Jungaberle selbst will bei der psychedelischen Therapie neu durchstarten, bleibt aber kritisch: „In der von Investoren getriebenen Psychedelika-Welt wird LSD mit dem Wunderpillen-Narrativ so verkauft, als würde nicht nur psychisch Kranken geholfen, sondern die ganze Welt gerettet werden. Das ist natürlich Unsinn.“
Aus der Arbeit mit Ketamin, ebenfalls ein Psychedelikum, mit dem Patient:innen in der OVID Klinik Berlin behandelt werden, weiß Jungaberle, dass die eigentliche Arbeit nach den Sitzungen beginnt, gerade wenn Menschen aus einer depressiven Lähmung erwachen. „In den 70ern hat man erzählt, Therapie würde durch die Substanzen beschleunigt. Dabei ist unsere klinische Erfahrung, dass die therapeutische Arbeit nach einer Einahme von Psychedelika oft erst beginnt – und dann auch länger dauern kann“.
Nüchtern betrachtet wird mir nun also klar: LSD mag zu Unrecht einen schlechten Ruf erlangt haben und auch das internationale Verbot ist fragwürdig. Aber meine Hoffnung setze ich nicht mehr in die Pille. Die Forschung steht so gut wie still, die Langzeitstudien bleiben bisher aus und LSD wird sobald wohl nicht als Medikament zugelassen werden.
Jungaberle setzt seine Hoffnung nicht auf LSD, sondern in einen anderen Stoff: „Die Substanz, die am ehesten als Arzneimittel bei Depressionen zugelassen wird, ist Psilocybin – der Wirkstoff aus den Zauberpilzen.“ Dazu wird gerade eine Studie mit 144 Patient:innen durchgeführt. Hier in Deutschland.
Redaktion: Lisa McMinn; Schlussredaktion: Susan Mücke; Bildredaktion: Philipp Sipos, Audioversion: Christian Melchert