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KR-Leserin Dagmar fragt: „Wie sinnvoll sind Vorsorgeuntersuchungen und Screenings? Sie sind ja eigentlich keine Vorsorge, sondern Früherkennung.“
Dagmars Frage ist ganz schön vielschichtig. Aber keine Sorge, wir gehen sie Schritt für Schritt durch. Fangen wir am besten damit an, wie sinnvoll Früherkennung ganz allgemein ist und kommen dann zu den Spezialfällen Screening und Vorsorge. Das sind nämlich nicht einfach nur drei verschiedene Begriffe für ein und dasselbe, sondern tatsächlich unterschiedliche Dinge.
Stell dir vor, du möchtest Tiere daran hindern, aus deinem Garten abzuhauen – sagen wir einen Vogel, einen Hasen und eine Schildkröte. Wie nützlich ist dann ein Zaun? Der US-amerikanische Arzt und Krebsforscher Gilbert Welch verwendet dieses Bild, um den Nutzen und den Schaden von Früherkennung zu erklären.
Laut Welch steht der Vogel für schnell wachsende Krebstumore, die Schildkröte für sehr langsam wachsende. In beiden Fällen hilft der Zaun nicht. Denn ein Zaun kann keinen Krebs aufhalten, der so schnell wächst, dass er in der Zeit zwischen zwei Untersuchungsterminen womöglich schon nicht mehr zu reparierenden Schaden anrichtet, der also davonfliegt wie ein Vogel. Bei einer Schildkröte brauchst du dagegen gar keinen Zaun. Sie kommt so langsam voran, dass du dir die Mühe des Zaunbaus sparen kannst. Aber wenn der Krebs sich wie ein Hase verhält, wäre ein Zaun sehr gut. In diesem Video erklärt Welch das sehr fachmännisch (und auf Englisch).
Früh erkannt ist nicht automatisch besser behandelt
Die folgende Grafik verdeutlicht, welche Folgen eine Früherkennungsuntersuchung bei unterschiedlich schnell wachsenden Tumoren hat. Die Vögel erreichen so schnell den tödlichen Punkt, dass sie selbst durch regelmäßige Untersuchungen kaum zu entdecken sind. Die Schildkröten und – Achtung, neues Tier! – die Schnecken kriechen unter der Grenze, an der Symptome entstehen, hindurch oder erreichen den tödlichen Punkt sehr spät. Oft so spät, dass man gar nicht an dem Tumor stirbt, sondern aus anderen Gründen: zum Beispiel durch einen Schlaganfall, einen Herzinfarkt oder Altersschwäche.
Lediglich bei den Hasen besteht die Chance, dass der Zaun einen echten Nutzen bringt. Die Früherkennung führt dann dazu, dass man eine Behandlung einleiten kann, bevor sich Symptome bemerkbar machen. Eine ungelöste Frage in diesem Bild bleibt: Man kann vor der Untersuchung nicht sicher wissen, ob es sich bei einem Tumor um einen Hasen oder eine Schildkröte handelt.
Ob die Früherkennungsuntersuchung wirklich mehr nutzt als schadet, hängt auch davon ab, wie wirksam die zur Verfügung stehenden Behandlungen sind: Ob sie den Krebs nachweislich verkleinern, das Wachstum verzögern oder den Tumor am besten ganz vernichten. Wenn dein Krebs eine Schildkröte oder eine Schnecke ist, dann kann deren frühes Entdecken manchmal Schaden anrichten.
Das Hauptproblem heißt hier „Überdiagnose“. Das bedeutet: Aus einer Diagnose entsteht kein Nutzen, nur die Nachteile einer Krebsdiagnose wirken. Menschen werden also im schlimmsten Fall unnötig behandelt. Eine Krebsdiagnose zu bekommen, ist kein Spaziergang, eine Krebstherapie erst recht nicht. Es macht Angst, Substanzen zu sich nehmen zu müssen, die frisch gewachsene Zellen im ganzen Körper angreifen. Oder Strahlen auf eine Körperstelle richten zu müssen, die das gesamte Gewebe ringsum zerstören. Auch wenn die Forschung bei Krebsbehandlungen beeindruckend schnell große Fortschritte macht und sich die Medizin bemüht, möglichst schonend zu sein, bleibt es bei belastenden Nebenwirkungen.
Und manchmal verlängert sich dein Leben nicht automatisch durch einen früh erkannten Tumor, sondern nur die Zeit deines Lebens, in der du von deiner Krebserkrankung weißt. Diese psychische Belastung kann man auch als „Schaden“ bezeichnen. Deshalb werden Früherkennungsprogramme gründlich wissenschaftlich untersucht, bevor man sie allen Menschen einer Altersgruppe empfiehlt.
So entscheidest du, ob die Früherkennung für dich sinnvoll ist
Eine Liste der empfohlenen Früherkennungsprogramme findest du bei gesundheitsinformation.de. Diese Programme werden von den Krankenkassen bezahlt. Sie werden auch deshalb empfohlen, weil man mit ihnen Krebsarten ausreichend gut entdecken kann, ohne zu viele Nebeneffekte in Kauf nehmen zu müssen. Und weil es dafür nachweislich wirksame Behandlungsmöglichkeiten gibt.
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Manchmal werden dir aber auch Untersuchungen angeboten, die du selbst bezahlen sollst. Sie können unter bestimmten Bedingungen sinnvoll sein. Oft belasten sie aber deinen Geldbeutel, ohne dass es dir etwas bringt. Der IGeL-Monitor schaut sich die Studienlage zu diesen Untersuchungen an und erklärt dir die Details, zum Beispiel für den PSA-Test für Prostatakrebs oder Ultraschall für Gebärmutterhalskrebs.
Bevor du dich für eine Früherkennungsuntersuchung entscheidest, können dir einige Fragen helfen, zum Beispiel: Bin ich durch die Krankheit wirklich gefährdet? Manche Krankheiten sind so selten oder betreffen hauptsächlich Menschen mit einem bestimmten Risikoprofil, dass dir eine Früherkennungsuntersuchung vielleicht nicht viel bringt. Oder die Frage, ob die Untersuchung auch vor der Krankheit selbst schützen kann? Das ist eher die Ausnahme, aber zum Beispiel bei der Darmspiegelung ist es so. Bei gesundheitsinformation.de findest du ausführliche Antworten und weitere wichtige Infos zu Früherkennungsprogrammen, Wissenswertes zu den Tests, die in den Programmen verwendet werden, und was bei einem Verdachtsbefund passiert.
Vorsorge? Screening? Das ist der Unterschied
Du hast sicher schon oft den Satz gehört, dass Früherkennungsprogramme Krebs verhindern und Leben retten. Leider ist es so einfach nicht. Und damit kommen wir zu den Begriffen Vorsorge und Screening. Mit einer Vorsorgeuntersuchung lassen sich auffällige Zellveränderungen entdecken und gleichzeitig entfernen. Eine Vorsorge kann also tatsächlich Krebs verhindern. Nur ganz wenige Untersuchungen gehen als echte Vorsorge durch, zum Beispiel die Darmspiegelung. Von tausend Frauen im Alter von 65 Jahren sterben eine bis drei Frauen weniger an Darmkrebs, wenn sie an der empfohlenen Untersuchung teilnehmen. Bei Männern sind es sogar drei bis sechs Personen. Die Darmkrebsvorsorge ist aber bereits ab 50 Jahren für Männer und ab 55 Jahren für Frauen nützlich.
Der Nutzen von Früherkennungsprogrammen kann aber auch weniger eindeutig sein. Das ist bei den meisten Screeningprogrammen so. Screening heißt: Alle werden untersucht, egal ob sie ein höheres Risiko haben oder ein Verdacht auf Krebs besteht. Ein gutes Beispiel dafür ist das Hautkrebsscreening. Ab 35 Jahren kannst du deine Haut alle zwei Jahre nach Hauttumoren absuchen lassen. Doch erst ab einem Alter ab 65 Jahren können statistisch betrachtet Tode durch Hautkrebs in den darauffolgenden zehn Lebensjahren verhindert werden. Hier stimmt der Satz, dass Früherkennung Leben rettet, also nur, wenn du über 65 bist (wohlgemerkt: statistisch betrachtet). Trotzdem kann das Screening auch für junge Menschen sinnvoll sein, wie die Details bei gesundheitsinformation.de zeigen. Du kommst um eine eigene Entscheidung also kaum herum.
Wenn du den Begriff Vorsorge hörst, musst du ihn in der Regel in Früherkennung übersetzen. Bei einem Screening ist der Nutzen meist nicht so eindeutig, wie du intuitiv vielleicht annimmst.
Solltest du Untersuchungen zur Früherkennung selbst bezahlen?
Ob Früherkennungsprogramme bei Krebs insgesamt Leben retten, ist übrigens noch unklar. Dass sie die Gesamtsterblichkeit senken, ist nämlich nicht nachgewiesen. Studien konnten bisher lediglich für einzelne Krebsarten belegen, dass Früherkennungsprogramme Todesfälle bei dieser Krankheit verhindern, zum Beispiel das Mammographie-Screening bei Brustkrebs oder die Darmkrebsfrüherkennung. Aber es lohnt sich, genau hinzuschauen. Selbst bei der Brustkrebs-Früherkennung profitiert nicht jede Frau automatisch. Zum Glück gibt es für diese Entscheidung aber gute Aufklärungsflyer.
Wenn du noch tiefer in die Wissenschaft der Früherkennung einsteigen willst, habe ich hier noch zwei Links zu interessanten Texten: Pharmazeutische Zeitung und Riffreporter.
Ich persönlich mache es so: An den von der Krankenkasse empfohlenen Früherkennungsuntersuchungen nehme ich meistens teil (wenn ich es nicht vergesse); an denen, für die ich selbst zahlen muss, nicht. Das führt bei meiner Frauenärztin schon mal zu Stirnrunzeln, weil ich auf die Frage, ob ich einen Ultraschall von den Eierstöcken machen lassen will, im Gegenzug frage: „Gibt es denn einen Hinweis, dass das medizinisch notwendig ist?” Sie weiß, dass sie mir in diesem Fall gar keine Selbstzahlerleistung anbieten müsste, weil die Untersuchung dann auch die Krankenkasse zahlt.
Danke auch an Liou und Andreas für ihre Fragen zu diesem Thema. Liou wollte wissen, wie sinnvoll Mammographie-Screenings für Brustkrebs sind. Andreas hat erlebt, dass jemand 40 Jahre beschwerdefrei mit Krebs gelebt hat und wunderte sich, dass über solche Fälle so wenig öffentlich gesprochen wird.
Redaktion: Lisa McMinn, Schlussredaktion: Tarek Barkouni, Bildredaktion: Philipp Sipos; Titelfoto: Louis Reed, Owen Beard, Towfiqu barbhuiya, Ash Hayes / Unsplash, Audioversion: Christian Melchert