Heute geht es in meinem Newsletter „Das sagt die Wissenschaft – Medizin und Gesundheit verständlich erklärt“ um ein aktuelles Thema: Corona-Impfungen. Zugegeben ein Thema, das sich steigender Unbeliebtheit erfreut. Und das obwohl vor Kurzem neue Impfstoffe zugelassen wurden und die Infektionszahlen wieder beginnen zu steigen. Deshalb komme ich mal lieber schnell zum Punkt – also zur Frage des Monats.
KR-Mitglied Christiane möchte wissen: „Ich kenne Leute, die sich nicht gegen Corona impfen lassen wollen. Und die sagen mir, die Impfung hätte viel mehr und schwerwiegendere Nebenwirkungen als man zugeben würde. Aber das stimmt doch nicht, oder? Wie kann ich nachweisen, dass das nicht stimmt?“
Bevor ich die Frage beantworte, vorab etwas Grundwissen zur Zulassung der Corona-Impfungen. Die Entwicklung, Herstellung und Zulassung von Impfstoffen verläuft in Phasen, wie meine Kollegin Esther Göbel in diesem Artikel erklärt. Für den europäischen Raum übernimmt die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA) die Zulassung, und die EU-Kommission entscheidet, ob der zugelassene Impfstoff in der EU verkauft werden darf.
Corona-Impfstoffe wurden in einem nie dagewesenen Tempo entwickelt, hergestellt und zugelassen. Das hat viele skeptisch gemacht, die auch schon vorher Impfungen gegenüber eher kritisch waren. Noch dazu wurden die Impfstoffe zuerst nur bedingt zugelassen. Das hört sich nach „weniger sorgfältig geprüft“ an, bedeutet in Wirklichkeit jedoch das Gegenteil: Bei der bedingten Zulassung müssen die Hersteller strengere Vorgaben einhalten als bei einer regulären Zulassung. Dazu gehört, dass sie zwei Jahre lang der EMA laufend neue Daten zur Sicherheit und Wirksamkeit ihrer Produkte vorlegen, damit auch seltene Nebenwirkungen entdeckt werden können.
Danke an alle, die mir bereits eine Frage zugeschickt haben! Hast du auch eine Frage? Mach hier mit bei meiner Umfrage.
Nicht nur die EMA sammelt Daten über Nebenwirkungen. In Deutschland ist das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) dafür zuständig. Das PEI ist eine Behörde und als solche dem Bundesgesundheitsministerium unterstellt. Das heißt aber nicht, dass Politiker:innen Einfluss auf die Arbeit der PEI-Wissenschaftler:innen nehmen, sondern nur, dass das Institut im Auftrag des Bundes tätig wird. Dieses Institut geht auch Verdachtsfällen von Nebenwirkungen und Impfkomplikationen nach. Das PEI veröffentlicht regelmäßig Berichte, in denen sowohl die Verdachtsfälle als auch die bestätigten Impfkomplikationen veröffentlicht werden. Übrigens: Jede:r kann dem PEI einen Verdachtsfall melden, nicht nur Ärzt:innen. Wenn du also bei dir selbst eine Impfkomplikation vermutest, bist du nicht auf dein:e Ärzt:in angewiesen, wenn du möchtest, dass dem Verdacht nachgegangen wird.
Verspätete Nebenwirkungen sind theoretisch möglich, aber unwahrscheinlich
Bevor du einen entsprechenden Verdacht meldest, wäre es aber sinnvoll, nachzuschauen, ob die Beschwerden bereits mit einer Corona-Impfung in Zusammenhang gebracht wurden. Das geht zum Beispiel auf der Website von Medizin transparent. Die Redaktion besteht aus unabhängigen Wissenschaftler:innen und Medizinredakteur:innen, die in allen veröffentlichten Studien nachschauen, was die Forschung zu einer bestimmten Frage herausgefunden hat. Zu schweren Nebenwirkungen von Corona-Impfungen schreiben die Redakteur:innen: „Schwere Nebenwirkungen sind sehr selten“ und: „Verspätete Nebenwirkungen – theoretisch möglich, aber unwahrscheinlich.“
Ich lege an dieser Stelle offen, dass ich alle Mitglieder dieser Redaktion bereits mindestens einmal persönlich getroffen habe und mit einer Redakteurin regelmäßig zusammenarbeite. Weil ich die Arbeitsweise der Redaktion gut kenne, empfehle ich die Website uneingeschränkt. Das Angebot ist ein Projekt von Cochrane Österreich. Cochrane ist ein Netzwerk von Wissenschaftler:innen, die ehrenamtlich die Güte wissenschaftlicher Studien prüfen und die Erkenntnisse zusammenfassen.
Noch ein Wort zu verspäteten und seltenen Nebenwirkungen, die viele Menschen bei den neuartigen mRNA-Impfstoffen befürchten. Es ist theoretisch möglich, dass es eine seltene Nebenwirkung gibt, die nur bei einer Person nach Millionen von Impfungen vorkommt. Aber wie relevant ist diese Überlegung für deine persönliche Impfentscheidung? Bei einer informierten Entscheidung wägst du Nutzen und Risiken einer Infektion mit denen einer Impfung ab. Und dafür spielt ja die Wahrscheinlichkeit, mit der ein Schaden auftreten kann, eine große Rolle.
Bei komplexen Entscheidungen sind oft Grafiken sehr hilfreich, die Nutzen und Risiken übersichtlich vergleichen. Solche Grafiken erstellt das Harding-Zentrum für Risikokompetenz. Sie heißen Faktenboxen (falls du das mal googeln willst).
Hier als Beispiel die Faktenbox zum Risikoprofil der mRNA-Impfung von Biontech/Pfizer für Erwachsene unter 60 Jahren:
Auch für andere Altersgruppen hat das Harding-Zentrum solche Faktenboxen zu Corona-Impfungen erstellt.
Das Besondere, sowohl beim Harding-Zentrum als auch bei Medizin transparent ist, dass du auch erfährst, wie sicher sich die Wissenschaftler:innen mit ihren Aussagen sind. Das heißt, du kannst einschätzen, wie gut die Beweislage (Evidenz) ist. Es will dich also niemand zu irgendetwas überreden oder dich gar nötigen. Die Haltung ist vielmehr: Wir wollen dir eine informierte Entscheidung ermöglichen und nach allem, was wir wissen können (und das ist inzwischen deutlich mehr als zu Beginn der Impfkampagnen) sind die Impfungen sicher und wirksam. Im Vergleich zu einer Infektion haben Impfungen in jedem Fall weniger Nebenwirkungen.
Verlässliche Infos kommen weder emotional noch dramatisierend daher
Inzwischen mehren sich Hinweise, dass es nach einer Impfung zum sogenannten Post-Vac-Syndrom kommen kann. Es ist dem Long-Covid-Syndrom ähnlich. Dabei spielen Autoimmun-Reaktionen eine Rolle, wie eine aktuelle Studie feststellt. Wie viele Menschen betroffen sind, ist im Moment unklar. Betroffene haben ähnliche Schwierigkeiten, mit ihren Beschwerden ernst genommen zu werden wie Long-Covid-Betroffene, wenn sie medizinische Hilfe suchen. Wer bei sich selbst oder in seinem Umfeld einen Fall von Post-Vac-Syndrom vermutet, kann bei Rheumatolog:innen um Rat fragen. Sie sind die Spezialist:innen für Autoimmunkrankheiten und überblicken die Behandlungsmöglichkeiten.
Zu den kürzlich zugelassenen bivalenten Impfstoffen, die je eine Wirk-Komponente gegen die Ursprungs- und Omikron-Variante des Coronavirus enthalten, gibt es nur begrenzte Daten aus klinischen Studien. Die Ständige Impfkommission STIKO, die die Impfempfehlungen für Deutschland ausspricht, geht davon aus, dass sie genauso sicher und wirksam sind wie die zuvor verwendeten Impfstoffe, da sie sich nur in einigen wenigen mRNA-Bausteinen unterscheiden. Die STIKO fordert die Hersteller ebenfalls auf, zeitnah klinische Daten nachzuliefern, das PEI wird wie gehabt entsprechende Meldungen von Nebenwirkungen überwachen.
Über soziale Netzwerke werden immer wieder emotionale und dramatische Berichte über schwere Fälle von Impfschäden verteilt. Solchen Meldungen sollte man eine gesunde Skepsis entgegensetzen. Das wichtigste Merkmal für verlässliche Infos ist, dass sie eben nicht emotional oder dramatisierend daherkommen. Woran du sie noch erkennst, verrät dir diese Checkliste.
Redaktion: Lisa McMinn, Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Philipp Sipos; Audioversion: Iris Hochberger