Dick, nackt und verletzlich, so fotografiert sich der ukrainische Künstler Artem Humilevskiy. Auf einer Blumenwiese, in einem in surreales rotes Licht getauchten Feld oder in seiner quietschbunten Küche. Auf keinem der Bilder scheint er sich zu schämen, durch eine Geste verdecken oder klein machen zu wollen. Seine Selbstporträts faszinieren mich. Als Fotograf und auch, weil ich selbst mit meinem Körper unzufrieden bin.
Humilevskiy, 35, ist eigentlich Wirtschaftsingenieur und lebt in der südukrainischen Großstadt Mykolayiv. Seit er seine Serie auf Instagram veröffentlicht, bekommt er weltweite Anerkennung als Fotokünstler, gewinnt Preise und stellt in New York aus. Ich habe mit ihm über Mut und Männerkörper gesprochen. Das Gespräch haben wir per E-Mail geführt, danach übersetzt und für bessere Lesbarkeit editiert.
Ich kenne kaum Fotos von nackten, dicken Männerkörpern. Wie kamst du dazu, dich so intim zu zeigen?
Auf meinem ersten Foto verstecke ich mich in einer Ecke meiner Wohnung mit unbedeckter Brust hinter einer Blume. Ich hatte nur dieses eine Bild gemacht und noch keine Pläne, ein ganzes Projekt daraus zu machen. Nachdem ich es auf Instagram hochgeladen hatte, konnte ich es sechs Stunden lang nicht veröffentlichen. Sechs Stunden lang zögerte ich, wurde ich von Zweifeln gequält.
Wie hast du dich überwunden?
Um ehrlich zu sein, erinnere ich mich nicht mehr genau, aber ich weiß noch, dass es schwierig und beängstigend war. Ich habe beschlossen, dass ich lieber bereue, was ich getan habe, als was ich nicht getan habe. Ich habe meine Gefühle des Zweifels in Gefühle des Handelns verwandelt.
Und als dein erstes Aktfoto im Internet war?
Es hat sich herausgestellt, dass nichts passiert ist. Wie ich mich darstelle, war nur für mich wichtig. Das war meine erste, wichtige Erkenntnis aus dem Projekt: Wir denken darüber nach, wie wir in den Augen anderer Menschen aussehen. Aber wir machen uns oft nur vor, dass das jemanden interessiert.
Ich kenne das Problem eher anders. Ich denke manchmal, Menschen würden mich nicht hübsch finden, weil ich dick bin, aber ich habe noch nie gedacht, dass es Leute nicht interessiert.
Nimm etwas von dir, das du in Ordnung oder sogar ziemlich gut findest, zum Beispiel die Nase. Ich finde meine Nase absolut normal und ich schaue auf andere Menschen nie durch diese Linse. Ich achte nicht darauf, ob jemand eine flache Nase, Stupsnase, Kartoffelnase oder nur eine kleine Kartoffel hat. Das ist mir alles egal.
Menschen, die keine Probleme mit Übergewicht haben, scheren sich oft nicht um ihr Gewicht. Sie betrachten dich durch das Prisma ihrer eigenen Probleme. Wenn es dir egal ist, ob du fett bist, wird es den Leuten auch egal sein. Wenn du dir darüber Sorgen machst, werden die Leute sich darauf konzentrieren.
Heute gewinnen die Bilder aus der Serie „Giant“ weltweit Preise. Dabei bist du gar kein ausgebildeter Fotograf. Wie bist du zur Fotografie gekommen?
Ich habe das Fotografieren zufällig für mich entdeckt. Ich war nach meinem Schulabschluss in einer Band, wir haben sogar ein paar Alben veröffentlicht. Manchmal veranstalteten wir Partys in einem Tonstudio.
Irgendwann wurde der Nachbarraum frei und ich dachte, ich probiere die Fotografie einfach mal aus und eröffnete ein Fotostudio. Das Fotografieren machte mir Spaß. Bald darauf bekam ich erste Aufträge. Ich dachte zu Beginn, was ich machte, würde Kunst sein, aber eigentlich war es nur ein Handwerk.
Deshalb verlor ich schnell die Lust daran, denn in meinem Inneren bin ich kein Handwerker: Ich mag es, Dinge zu kreieren, etwas Neues zu entdecken. Stattdessen belegte ich einen Kurs für Konzeptkunst von Sergej Melnitschenko. Dort begann ich meinen Weg als Künstler.
Wie reagieren die Menschen im Internet auf deine nackten Selbstporträts?
Anfangs hatte ich immer ein paar Hasser, aber nach meinen Fanseiten zu urteilen, waren das Leute aus den unteren sozialen Schichten und sehr weit von der Kultur und Kunstwelt entfernt. Im Gegensatz dazu bekam ich viele positive Rückmeldungen von Künstlern und Kuratoren, deren Meinung für mich wichtiger ist.
Siehst du dich selbst anders, seit du das Projekt gemacht hast?
Mein Leben ist interessanter geworden, weil ich begonnen habe, mich auf wichtigere Dinge zu konzentrieren als mein Aussehen. Ich habe gelernt: Menschen sind keine Hüllen. Es hat mein Leben und meine Einstellung zu mir selbst radikal verändert. Zwei Jahre lang habe ich mich dafür fotografiert. Es ging dabei nicht um Body Positivity.
Vor dem Projekt habe ich nur so getan, als würde ich mich lieben, während ich insgeheim mein Aussehen hasste. Jetzt ist mir das egal, ich will abnehmen oder besser nicht abnehmen, sondern: gesünder werden.
Das Aussehen meines Körpers interessiert mich nicht und macht mir keine Sorgen. Dicke Menschen denken oft, dass sie schlecht behandelt werden, weil sie schlecht aussehen, aber in Wirklichkeit werden sie so behandelt, weil sie sich selbst hassen.
Ich finde diesen Satz schwierig, denn ist gibt ja durchaus ein gesellschaftliches Stigma, unter dem viele dicke Menschen leiden.
Meine persönliche Beobachtung ist, dass unser Aussehen in erster Linie uns selbst betrifft und erst dann die Menschen um uns herum. Das ist wie in diesem Film „I Feel Pretty“. Ein dickes Mädchen ist nicht sehr schön und lebt mit einem Haufen Komplexe. Sie versucht ständig abzunehmen.
Die Gesellschaft akzeptiert das Mädchen nicht, weil sie sich selbst nicht mag, dann passiert ein Unfall. Sie stößt sich den Kopf und sieht im Spiegel eine schlanke Schönheit, die ihr ein gutes Gefühl gibt. Ihr Verhalten ändert sich und die Gesellschaft beginnt zu reagieren. Sie hat eine Menge Verehrer und jeder bewundert sie.
Ich habe in meinem Leben auch viele unattraktive Mädchen gesehen, die dick sind oder große Nasen haben. Und trotzdem sind sie der Hit beim anderen Geschlecht. Ich habe auch schöne, perfekte Mädchen getroffen, die keine Beziehung eingehen konnten, weil sie das Gefühl hatten, nicht gut genug zu sein.
Wie geht es dir denn selbst mit deinem Körper?
Ich war mein ganzes Leben lang dick, seit ich klein war, aber ich hatte immer großen Erfolg bei Frauen. Ich habe eine schöne, schlanke Frau, die Angst hat, mich zu verlieren, weil sie das Interesse anderer Frauen sieht.
Ich sehe das so: Die Menschen sehen uns nicht so, wie wir wirklich sind. Sie sehen uns, wie wir uns selbst sehen. Körperästhetik ist ein Konzept, das sich je nach Kultur und Zeit verändert. Deshalb bin ich zu dem Schluss gekommen, dass dicke Menschen schlecht behandelt werden, weil sie sich selbst nicht mögen.
Auf dem folgenden Foto ist dein Kind zu sehen. Wie ist das Bild entstanden?
Das ist nichts Besonderes. Ich habe ein Foto auf der Couch gemacht, weil ich die Textur mochte, die meiner Hautfarbe ähnelt. Für meinen Sohn war das ein Spiel, bei dem er mitmachen wollte. Er ist einfach auf meinen Rücken gesprungen und hat seiner Mutter gesagt, sie soll Fotos machen.
Ich habe mir die Komposition ausgedacht, die Kamera aufs Stativ gestellt und sie drückte den Knopf. Das machen wir immer so: Alle Einstellungen und den Standort der Kamera mache ich selbst. Bei vielen meiner Aufnahmen sind aber andere Leute dabei, die den Auslöser drücken. Nur manchmal mache ich die Fotos nur mit einem Stativ und Selbstauslöser.
Auf vielen deiner Fotos spielt Wasser eine Rolle, die Bilder sind aus dem Wasser heraus fotografiert, oder dein Körper ist unter Wasser.
Mich reizt, wie das Wasser die Form des Körpers ästhetisch verändert. Es ist interessant, das zu beobachten. Ich liebe das Wasser sehr, ich träume ständig davon, im Meer zu baden.
Auf dem folgenden Bild sieht man dich inmitten eines brennenden Feldes. Es ist vor dem Krieg entstanden, es zeigt lediglich eine Brandrohdung. Jetzt aber lebst du mit deiner Familie mitten im Krieg. Wie geht es dir damit?
Psychisch ist es schwer, mit der Situation fertig zu werden – wir haben häufige Angst- und Panikattacken und manchmal sogar Depressionen. Aber wir versuchen, nicht aufzuhören und durchzuhalten. Unsere Psyche passt sich der neuen Realität an.
Artem Humilevsky veröffentlicht seine Fotos auch auf seinem Instagram-Account. Informationen zu Ausstellungen seiner Bilder findet man auf seiner Webseite.
Redaktion: Thembi Wolf, Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Martin Gommel, Fotos: Artem Humilevskiy, Audioversion: Christian Melchert und Iris Hochberger