Ein Schüler blickt zu einem großen, roten Sprungkasten herauf. Neben dem Kasten ist der schwarze Umriss eines Mannes zu sehen.

Collage - Mensch im Vordergrund: sebastiaan stam, Mann neben Sprungkasten: Jaclyn Moy, Papiertextur: Marjan Blan, Rest und Montage: Philipp Sipos

Psyche und Gesundheit

Diese Demütigungen haben Schüler:innen im Schulsport erlebt

Viele Kinder freuen sich über Fußball, Schwimmen oder Leichtathletik mit der Klasse – für andere war der Schulsport die Hölle. Mehr als 5.000 Leute haben uns davon erzählt.

Profilbild von Martin Gommel
Reporter für psychische Gesundheit

Ich kann mich gut daran erinnern, wie meine Klassenkamerad:innen im Sport gemobbt wurden. Einem Jungen aus der Parallelklasse schenkten sie eine Flasche Fanta, in die sie vorher uriniert hatten. Einen anderen wickelten sie in eine Turnmatte ein und pusteten von außen Magnesiumcarbonat in sein Gesicht, das weiße Pulver zum Geräteturnen, das nur für die Hände gedacht ist.

Und ich? Hatte Glück. Sport war eines der wenigen Fächer, in denen ich nicht gemobbt wurde, weil ich seit dem Kleinkindalter im Handballverein war.

Warum ist es aber ausgerechnet der Schulsport, in dem Kinder so viel Leid erfahren, während andere mit ihren Leistungen glänzen?

Ich habe die Krautreporter-Community gefragt, warum sie in ihrer Schulzeit Angst vor dem Sportunterricht hatten. 5600 Menschen haben meine Umfrage beantwortet – das ist KR-Rekord. An keiner anderen Umfrage haben sich so viele Leser:innen beteiligt. Sie erzählen von unerbittlichen Lehrer:innen, körperlichen Einschränkungen und Verletzungen, auf die keine Rücksicht genommen wurde. Sie schreiben über unangenehme Situationen in der Umkleide und den Druck, vor den Klassenkamerad:innen zu versagen. Und immer wieder übertraten Sportlehrer:innen die Grenze zum sexualisierten Übergriff.

Über 80 Prozent der Teilnehmer:innen der Umfrage glauben, ihre Erfahrungen im Sportunterricht hätten dazu beigetragen, dass sie noch immer nicht gern Sport treiben.

Eine Auswahl der Geschichten zeigen wir hier. Sie verdeutlichen die
Abgründe eines Schulfachs, in dem die körperlich und psychisch Überlegenen gewinnen. Die Geschichten wurden für bessere Lesbarkeit gekürzt. Einige Namen haben wir geändert.


„Ich habe vor Schmerzen und Wut geweint“

Ich erinnere mich an den Schwimmunterricht, bei dem man vom Lehrer ins Wasser geschubst und mit einer Stange vom Beckenrand ferngehalten wurde.

– Peter


Meine Sportlehrerin war ehemalige Profi-Handballerin. Sie verlangte, dass wir Weitsprung über aufgestellte Bananenkisten hinweg üben. Die Kisten stellte sie so weit weg vom Absprung, dass es nur den sportlichsten Leichtathlet*innen der Klasse möglich war, darüber zu springen. Ich hab es geschafft, bin dabei aber umgeknickt und hatte heftige Knöchelschmerzen. Ich sollte weitermachen, weigerte mich aber und setzte mich an den Rand. Später stellte sich heraus, dass mein Bein angebrochen war.

– Cat


Ein Sportlehrer verlangte, dass wir Mädchen zwischen 16 und 18 uns auf einem Sportplatz im Freien umziehen. Bei Verweigerung drohte man uns mit einer Sechs. Wir haben uns in einem kleinen Gerätehaus umgezogen und der Sportlehrer hat sich furchtbar darüber aufgeregt.

Silvana


Einmal hat mir die Sportlehrerin die Hilfe am Hochreck verweigert und ich bin prompt gestürzt und hab mich am Rücken verletzt. Es kam nie eine Entschuldigung.

– Angelika


Unser Sportlehrer war Vater eines Olympiasiegers im Laufen. Einmal kündigte er an, beim Rundenlaufen nur die Zeit von zwei Schüler:innen zu stoppen: Die des besten Läufers und die des schlechtesten Läufers – also mir. Wir fühlten uns beide unter Druck. Er, weil er Leistung abliefern mußte und ich, weil ich gedemütigt wurde. Ich bin an diesem Tag regelrecht um mein Leben gerannt und habe vor Schmerzen und Wut geweint.

– Sandra

„Nach einer Stunde gab sie mir den Tipp, mich doch mal abzuhärten: mit kalten Duschen“

Der Sportlehrer kam beim Umziehen in die Mädchenumkleide. Als wir alle erschraken, sagte er, er „wolle nur gucken, ob alles in Ordnung ist“.

– S.


Ich hatte chronisches Asthma und habe mich immer dafür geschämt. Schon die Treppe hoch zum Klassenzimmer war ein Ritt und oft war ich zu spät zum Unterrichtsbeginn. Sport mochte ich, aber Dauerlauf oder Schwimmen waren heftig. Mein Sportlehrer wusste das eigentlich, schien es aber zu vergessen. Als ich die Bahn mal nicht zu Ende schaffte und an den Rand schwamm, trat er mir mit seinen nackten Füßen auf die Finger, um mich zurück in die Bahn zu lotsen. Die Mischung aus Ekel, Erschöpfung und Wut hat mich fast ins Schwimmbecken erbrechen lassen. In dem Moment konnte ich weder Sprechen noch schreien. Das geht bei einem Asthmaanfall nicht. Sportlich werde ich wohl nie sein, ist zu gefährlich der Shit.

– Johanna


Dieser Text ist der Auftakt zu einem kleinen Zusammenhang, für den ich mich in den kommenden Wochen tiefer mit dem Thema Schulsport und seinen psychischen Konsequenzen auseinandersetzen will. Wenn du die weiteren Texte dieses Zusammenhangs nicht verpassen willst, abonniere meinen Newsletter hier.


Ich hatte Angst vor der Latte beim Hochsprung. Bei einer Prüfung lief ich drei, viermal an, immer stoppte ich vor der Latte. Der Sportlehrer kommentierte das knapp mit „Leistungsverweigerung, sechs“. Ein Jahr später bekam ich einen anderen Sportlehrer, der, als er mein Zögern bemerkte, eine Gummileine spannte. Innerhalb von wenigen Tagen verlor ich die Angst vor dem Sprung.

– Martin


Aufgrund einer damals noch nicht erkannten Sehbehinderung bin ich permanent vom Schwebebalken gefallen. Der Lehrer rief daraufhin zwei Klassen zusammen: Ich sollte vorturnen.

– Christine


Ich wurde von Mitschüler:innen im Sportunterricht gemobbt, oft während die Lehrkraft daneben stand. Nach einer Stunde kam sie zu mir und gab mir den Tipp, mich doch mal abzuhärten. Mit kalten Duschen beispielsweise.

– Sabine


Als dickere Person war mir der Sportunterricht immer sehr unangenehm. Klassenkameraden machten regelmäßig flapsige Kommentare zu meinem Gewicht, ich blieb beim Wählen als einziger übrig. Ein Sportlehrer sagte öfter, dass viele aus unserer Klasse zu „fett“ seien. Er empfahl, dass wir im Bus Klimmzüge machen und jede freie Minute nutzen sollten, um Gewicht zu verlieren.

– Cornelius


„Ich musste meine Mitschüler wortlos um mein Medikament anflehen“

Der Lehrer machte eine Ansage: „Die Guten nach links, die Mädchen nach rechts.“

– Anne


Mein Asthma wurde von der Lehrerin nicht ernst genommen. Sie zwang mich unter Androhung eines Verweises zur Teilnahme an einem Dauerlauf, obwohl ich ärztlich attestiert keinen Laufsport betreiben darf. Mein Notfallmedikament durfte ich nicht spontan aus meinem Turnbeutel holen. Wenn ich jetzt nicht laufe, bekäme die Klasse keine Pause und das wäre dann meine Schuld. Ich war eingeschüchtert, lief, brach zusammen und musste meine Mitschüler wortlos um mein Medikament anflehen. Es wurde kein Krankenwagen gerufen. Danach strengte ich mich nicht mehr an, weil ich nun wusste, dass mir im Fall einer Überanstrengung niemand helfen würde. Ich war die Älteste in der Klasse und hatte als Erstes einen Busen, viel Oberweite. Vor dem Schwimmunterricht hab mich heimlich vorher in der Toilette umgezogen, um der Demütigung zu entgehen.

– Franzi

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In der 5. Klasse hatten wir einen Sportlehrer, den wir den Arschgucker nannten. Ich denke, man kann sich vorstellen, weshalb. Bei jeder Gelengenheit hat er auf den Schlitz zwischen Hose und Shirt gegeiert und die etwas moppeligeren die Bälle aufheben lassen.

– Michelle


Ich habe Gelenkproblemen durch eine chronische Erkrankung. Von der Lehrkraft wurde ich „die Behinderte“ gerufen, einige SchülerInnen haben das dann übernommen.

– Pauline


Unser Sportlehrer hat beim Stufenbarren bei den Mädchen als Hilfestellung immer sehr tief am Bauch die Hand aufgelegt und war auch nach Konfrontation der Schüler*innen nicht einsichtig. Eltern konnten nichts machen, da die Direktion hinter dem Lehrer stand. Es hieß „besser als gar kein Sport“. Es gab angeblich mahnende Worte, aber mehr nicht.

– Friedolin


Der Lehrer hat mich beim Schwimmen als „Schlechtes Beispiel“ vorschwimmen lassen.

– Diane


„Beim Schwimmen riefen mir Klassenkameraden nach, ich hätte einen Ständer“

Ich wollte nicht über umgedrehte Bänke springen weil ich unsicher war ob ich das schaffe. Die Lehrerin blieb dabei, ich müsse mitmachen. Fünf Sprünge schaffte ich im vorgezählten Takt. Beim Sechsten sprang ich zu kurz, blieb hängen und brach mir die drei äußeren Zehen. Die Lehrerin meinte, ich habe das absichtlich gemacht. Weil ich „von Anfang an nicht wollte“.

– Mia


Im Schwimmunterricht sagten die Mädchen zu mir, ich sei behaart wie ein Affe. Ich bin ein Mädchen mit Migrationshintergrund. Seitdem gehe ich nicht mehr ins Schwimmbad. Das ist 13 Jahre her.

– Sarah


Beim Schwimmen riefen mir Klassenkameraden nach, ich hätte einen Ständer, weil unten was quer in der Badehose lag und eine Delle machte. Es hieß, ich müsse offensichtlich schwul sein, im Schwimmunterricht sehe ich ja nur andere Jungs.

– Jan


In der ersten Stunde Geräteturnen sollten wir einen Felgabzug machen. Als die Sportlehrerin erklärte, wie er funktioniert, bekam ich schon Panik, weil kopfüberzuhängen und nicht loslassen zu dürfen, einfach eine üble Vorstellung war. Ich fing an zu weinen, durfte mich aber nicht beruhigen, sondern sollte den Felgabzug mit drei Leuten als Hilfestellung machen – vor allen anderen. „Na, siehste, war doch gar nicht so schlimm“, sagte sie danach. Es gibt kaum einen Satz, den ich seither mehr hasse.

– Rebecca


Ich bin nicht-binär. Alles, was wir nach Mädchen und Jungen getrennt machen mussten, war deshalb der Horror für mich. In der Elften Klasse habe ich mich bei meiner Sportlehrerin geoutet, obwohl ich eigentlich noch gar nicht bereit war. Nur, weil ich mich so unwohl in der Mädchenumkleide gefühlt habe.

– Sirius


Einmal kommentierte ein Sportlehrer, als ich sagte, ich wolle am Nachmittag noch zum See schwimmen gehen: „Na, wenn du da einmal reinspringst, ist ja danach der ganze See leer.“

– Lisa


Ich stand auf dem unteren Holm eines Stufenbarrens, mit beiden Händen an den oberen Holm festgeklammert und sollte dort seitwärts drüber springen. Das ganze Gerät hat gewackelt, weil ich vor Angst zitterte. Meine Lehrerin sagte, ich solle endlich springen. Ich sei ja wohl so gut gepolstert, dass ich mich nicht verletzen würde. Die anderen Schülerinnen haben sich kaputt gelacht.

– Sabine


„Ich lag am Boden und weinte, bis sie keinen Spaß mehr hatten und aufhörten”

Ich wurde nach dem Sport beim Duschen fotografiert. Die Schulleitung zwang mich, weiter mit denselben Personen zu duschen.

– Nemo


Geräteturnen war am schlimmsten. Ich war klein, schüchtern, zierlich, hypersensibel und sehr introvertiert. Meine Sportlehrerin drückte beim Turnen nach jedem gescheiterten Versuch meine beiden Hände fest auf den Kasten. Dann schlug sie mehrfach darauf, um zu verdeutlichen, dass ich mich fester abstützen müsse. Je mehr ich weinte, desto lauter wurde sie. Ich habe davon noch heute Albträume – fast 30 Jahre später.

– Romy


Ich erinnere mich an ein Völkerballspiel. Ich wurde als letzte ins Team gewählt. Das Team, das mich wählen musste, beschwerte sich lautstark bei der Lehrerin. Im Spiel wurde ich dann mit mehreren Bällen beworfen, von allen Seiten, von beiden Teams. Ich lag am Boden und weinte, bis sie keinen Spaß mehr hatten und aufhörten. Ich habe mich und meinen Körper gehasst.

– Julie


Ein Vertretungslehrer hat am Stufenbarren bei der Hilfestellung nicht nur mir, sondern allen Schülerinnen immer wieder an den Hintern und in den Schritt gefasst. Wir haben untereinander darüber gesprochen und uns an unsere Sportlehrerin gewandt, als sie wieder da war. Ihre Antwort: „Jetzt habt euch doch nicht so!“ Wir waren elf Jahre alt, ein Nachspiel hatte das Ganze nicht.

– Katharina


„Weil kein Geld für einen Sport-BH übrig war, wurde ich von den Jungs unangenehm angegafft und angequatscht“

Eine Lehrperson hat meine Entschuldigung wegen Menstruation nicht akzeptiert. Ich musste in Unterwäsche mitturnen, als „pädagogische Maßnahme.“ Das war furchtbar. Diese Doppelstunde hat zwar an meinem Zyklus nichts geändert, aber an das Gefühl, erniedrigt zu werden, erinnere ich mich bis heute.

– Anna


Ich hatte nie adäquate Kleidung und andere Kinder auch nicht. Besonders schlimm war es im Schwimmunterricht. Bis heute schaudert es mich bei der Erinnerung an die Jungs in zu kleinen engen Badehosen, mit denen ich dann ins selbe Wasser steigen musste. Für mich war das alles eine permanente Grenzverletzung.

– Julia


Meine Mutter hatte wenig Geld und ich deshalb nie vernünftige Sportkleidung. Dafür wurde ich von den anderen Kindern aufgezogen. Weil kein Geld für einen Sport-BH übrig war, wurde ich von den Jungs unangenehm angegafft und angequatscht.

– Natalie


Ich fehlte wegen meiner Depression oft in der Schule. War ich zurück, musste ich oft alleine vor der Gruppe vormachen, was ich verpasst hatte.

– Marlene


Redaktion: Thembi Wolf, Bildredaktion: Philipp Sipos; Schlussredaktion: Theresa Bäuerlein; Audioversion: Christian Melchert


Das „Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen“ berät bundesweit Frauen, die Gewalt erlebt haben oder noch erleben. Die Nummer 08000 116 016 ist rund um die Uhr erreichbar. Männer können sich per Chat oder Telefon (innerhalb der Sprechzeiten) an das „Hilfetelefon Gewalt an Männern“ wenden: 0800 1239900.

Das Hilfetelefon Sexueller Missbrauch berät Betroffene – aller Geschlechter – unter 0800 22 55 530. Anzeige gegen den Täter oder die Täterin erstattest du bei der Polizei in deiner Nähe.

Diese Demütigungen haben Schüler:innen im Schulsport erlebt

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