„Ich habe beschlossen, dass mich die Wechseljahre nicht betreffen werden.“ Als mir vor einem Jahr dieser Satz rausrutschte, lachten meine Freundinnen laut auf. Dabei meinte ich es ernst. Ich wollte damit nichts zu tun haben. So wie sich ein Kind die Augen zuhält und denkt, es sei unsichtbar, verschwendete ich keinen Gedanken an diese Lebensphase und hielt das für einen mächtigen Zauberspruch. Glaube ich jedenfalls, denn so richtig bewusst hatte ich mir mein magisches Denken nicht gemacht.
Meine Freundinnen werden nach und nach 50 Jahre alt und das bedeutet für mich, dass ich um die Wechseljahre bald nicht mehr herumkomme. Ohne ihre Berichte (und Klagen) würde ich heute nicht diesen Text schreiben. Dann hätte ich nämlich gar nicht mitbekommen, dass sich auch bei mir etwas verändert. Irgendwann wäre mir dann vielleicht der Satz rausgerutscht: „Ich glaube, ich werde alt.“ Vielleicht an meinem eigenen 50. Geburtstag, der nicht mehr allzu weit entfernt ist.
Die Wahrheit ist, die Wechseljahre betreffen mich schon länger. Aber so richtig bewusst wurde mir das erst bei der Lektüre des Buches „The Menopause Manifesto“. Die Gynäkologin Jen Gunter beschreibt in der Einleitung ziemlich gut meine Beziehung zu diesem unausweichlichen Transformationsprozess: „Die Menopause ist wie eine Reise mit dem Kanu, ohne Reiseführer und nur mit einer vagen Vorstellung, wo es hingehen soll. Man erwartet nur Schreckliches. Es gibt keine Hinweise, wie man am Ziel ankommen soll und wie man Hürden meistert, zum Beispiel Stromschnellen. Vielleicht gibt es ja keine, wer weiß?“ Ja, wer weiß! Hitzewallungen und sturzbachartige Blutungen – vielleicht werde ich das und noch vieles mehr einfach nicht erleben. (Hier setzt eine ängstliche, leise Stimme ein, die fragt: „Was muss ich denn dafür tun?“)
Bis vor Kurzem hatte ich keine Ahnung, was mich beim Übergang in den nächsten Lebensabschnitt erwarten wird und vermutlich geht es den meisten Frauen wie mir. Kein Wunder, denn so richtig viel reden wir darüber ja nicht. Und genau das macht alles so schwierig. Wer nicht weiß, was kommt, was normal ist und worum man sich unbedingt kümmern sollte, fühlt sich ausgeliefert. Und das ist das Letzte, was wir in dieser Phase der Unsicherheit brauchen können. Das habe ich von Jen Gunter gelernt. Auf ihrem Buchcover steht: „Eigne dir deine Gesundheit an – mit Fakten und Feminismus.“
Verrückt, erst beim Lesen dieses Slogans dachte ich zum ersten Mal, dass es einen Unterschied für meine Gesundheit machen könnte, wenn ich mich vorher informiere, anstatt alles einfach auf mich zukommen zu lassen. Und: dass meine Ablehnung der Wechseljahre nicht von ungefähr kommt. Sie betreffen nur Frauen und das ist offenbar ein Grund, warum sie mit Schwäche assoziiert werden. Und natürlich mit dem Altwerden. Dann werden wir Frauen unsichtbar, heißt es.
Jen Gunters Buch hat mir gezeigt, dass die Wechseljahre noch etwas ganz anderes sind als eine Aneinanderreihung von Verlusten. Sie sind nämlich auch ein Gewinn. Sie hat mir klargemacht: Die Unsicherheit legt sich, wenn du die Fakten kennst und die Ängste werden kleiner, wenn du weißt, was du bei Beschwerden tun kannst.
Die Wechseljahre bekämen bei Google nur einen einzigen Stern
Frauen hören meistens nur schlimme Geschichten über die Wechseljahre. Es heißt, es sei die Zeit der unkontrollierbaren Körperflüssigkeiten: Schweiß und Blut fließen ohne Vorwarnung und mit ihnen die Tränen. Denn es sei auch eine Zeit der Verluste: Schlafrhythmus, Knochenstabilität, Hautelastizität, Muskelkraft, Lust auf Sex, Selbstsicherheit – alles schwindet mit den ausbleibenden Eisprüngen. Dafür setzen sich die Speckröllchen richtig fest. Wer jetzt noch abnehmen will, kämpft gegen Kräfte, die stärker sind als jede Brigitte-Diät. Kein Wunder, dass die Stimmung im Keller ist. Depressionen sind in dieser Phase keine Seltenheit.
Die Wechseljahre sind ein Umbauprozess, in dem sich die Weichen für die nächsten Lebensjahrzehnte stellen. Die Fahrt kann dann auch in Richtung „Achtung, ernste Gesundheitsgefahr!“ gehen. Zum Beispiel Herz-Kreislauf-Probleme. Sie sind das Ding, wenn sich das Gleichgewicht der weiblichen Hormone ändert. Eine von drei Frauen wird an einer der Folgen sterben, doch nur acht Prozent der Frauen sind sich dessen bewusst, schreibt Gunter.
Das liegt vor allem daran, dass in den Medien hauptsächlich von Hitzewallungen, Stimmungsschwankungen und Problemen beim Sex die Rede ist. Gefäßveränderungen passieren schleichend, erzeugen aber plötzliche und zum Teil sehr dramatische Ereignisse zu einem Zeitpunkt, in dem die Wechseljahre für die Frauen kein Thema mehr sind. Deshalb wird das eine nur selten mit dem anderen in Verbindung gebracht.
Ähnlich still ist es um die Veränderungen im Genitalbereich. Circa 15 Prozent der Frauen erleben einen deutlichen Umbau der Schleimhäute in der Vagina sowie der Gewebe der Vulva, der Klitoris und der Blase. Etwa 80 Prozent haben einige der dafür typischen Symptome. Dazu gehören Schmerzen, Trockenheit und Juckreiz, aber auch wiederkehrende Harnwegsinfekte und Inkontinenz. Jen Gunter schreibt, dass viele dieser Symptome typisch für den Alterungsprozess sind, aber nicht normalisiert werden sollten. Denn das suggeriert, man müsse sie einfach hinnehmen. Dabei lässt sich einiges tun, um sie zu mildern. Voraussetzung dafür: Man muss wissen, dass es sie gibt, und die Beschwerden ernst nehmen.
„Es ist wie die Pubertät, nur andersrum“
Viele Frauen machen die Erfahrung, dass sogar Ärzt:innen typische Wechseljahrbeschwerden nicht ernst nehmen. Sie hören Sätze, wie: „Das ist normal und geht vorbei.“
Hier kommen wir zu einem schwierigen Punkt. Denn einerseits stimmt das: Die Wechseljahre sind ein normaler (physiologischer) Prozess, der nicht als Krankheitsphase umgedeutet werden sollte. Jen Gunter sagt: „Es ist wie die Pubertät, nur andersrum.“
Aber andererseits gibt es viele Symptome, gegen die man etwas unternehmen kann. Manchen lässt sich durch gesunde Ernährung, regelmäßige Bewegung und viel Ruhe (auch Schlaf, aber vor allem wenig Stress) vorbeugen. Andere lassen sich lindern. Und wieder andere können Anzeichen für ernstere Probleme sein, die behandelt werden müssen.
Es ist wichtig, gut zu unterscheiden, womit du dich abfinden musst und womit du dich auf keinen Fall abfinden solltest. Denn so wie die Pubertät ein anstrengender Umbauprozess ist, in dem die Weichen für die darauffolgenden Jahrzehnte gestellt werden, sind es die Wechseljahre auch. Es geht in beiden Phasen darum, aufmerksam für das zu sein, was die Gesundheit langfristig beeinträchtigen kann.
Dafür hat mir das Buch von Jen Gunter die Augen geöffnet: Wer um die normalen Prozesse weiß und um die ernsten Probleme, die dabei entstehen können, lebt länger und dabei gesünder. Bescheid zu wissen hilft dabei, die eigene Gesundheit besser einschätzen zu können. Die Wechseljahre ignorieren zu wollen (zum Beispiel durch magisches Denken) oder sich zu verkämpfen (weil man so bleiben will, wie man war), hält Frauen in einer Abhängigkeit, die Schaden anrichtet.
Die Wechseljahre sind eine evolutionäre Errungenschaft
Bis hierhin hört es sich an, als ob sich einst starke Frauen in den Wechseljahren in bemitleidenswerte Kreaturen verwandeln. Niemand hört gerne Geschichten, in denen die Heldin von Naturgewalten besiegt wird. Am liebsten sehen wir sie auf dem Siegertreppchen. Doch kann unsere Heldin in dieser Geschichte unter dem Podest kauern – oder selbstbewusst eine Trophäe hochhalten, auf der steht: „Die Phase der Fruchtbarkeit ist bezwungen! Bereit für neue Abenteuer!“
Jen Gunter schreibt, dass die Wechseljahre ein evolutionärer Vorteil sind. Sie bezieht sich dabei auf die sogenannte Großmütter-Hypothese. Viele Frauen durchleben in ihrer fruchtbaren Phase anstrengende Schwangerschaften und riskante Geburten. Es ist für die Überlebensfähigkeit der Spezies Mensch nicht sinnvoll, dass Frauen bis zum Ende ihres Lebens fruchtbar sind. Das Risiko, bei der Geburt eines Kindes zu sterben, steigt mit dem Alter. Der Verlust der Mutter ist für einen Säugling unter Umständen lebensgefährlich, aber auf jeden Fall ein großer Nachteil für seine gesamte Entwicklung. Je älter eine Frau ist, desto riskanter werden Schwangerschaften für sie und ihre Kinder.
Großmütter federn das allgemeine Risiko ab, das Geburten für Frauen darstellen. Jen Gunter schreibt: „Großmütter schafften einen Mehrwert für Familien. Für jede Dekade, die sie länger lebten, konnte eine Familie zwei Kinder zusätzlich versorgen.“ Die Menschheit als Ganzes profitiert davon, dass erfahrene Frauen ihr Wissen übers Kinderkriegen und das Leben insgesamt an jüngere Frauen weitergeben können. Erst recht profitiert sie aber davon, dass ältere Frauen jüngere Frauen mit Tatkraft unterstützen. Das hat vor allem damit zu tun, dass sich Großmütter um das Essen und die Kinderbetreuung kümmerten.
In westlich geprägten Kulturen ist der Wert von Großmüttern für die Gemeinschaft im Alltag jedoch nicht mehr so spürbar. Die Moderne hat das Mehrgenerationen-Modell zurückgedrängt. Deshalb sehen sich viele Frauen in ihren Wechseljahren heute mit der Frage konfrontiert, worin ihr gesellschaftlicher Wert danach noch liegt.
Es gibt ein Problem mit der Großmütter-Hypothese. Sie suggeriert, nur ältere Frauen, die gleichzeitig Großmütter sind, wären wertvoll. Doch Jen Gunter schreibt: „Diese Hypothese sollte man vor allem als Tritt in den Hintern des Patriarchats verstehen, das nur gebärfähige Frauen als wertvoll ansieht. Denn Frauen haben die Evolution und die Entwicklung der Menschheit vorangebracht, weil sie nach dem Ende der fruchtbaren Phase weiterleben.“
Dass Frauen nach den Wechseljahren weiterleben, ist also ein Zeichen für ihre Stärke. Denn das ist ziemlich einzigartig. Bei fast allen Tierarten sind die Frauen bis zum Ende ihres Lebens fruchtbar. Außer bei den Zahnwalen. Zahnwahlweibchen erleben im Alter von circa 40 Jahren eine Menopause und können bis zu 90 Jahre alt werden, wohingegen die männlichen Zahnwale mit 50 Jahren sterben.
Wer glaubt, dass nur fruchtbare Menschen wertvoll für eine Gesellschaft sind, kommt hoffentlich spätestens jetzt ins Grübeln. Ich dachte das zwar nicht, habe mich aber schon gefragt, welchen Sinn es hat, so viel von dem aufgeben zu müssen, an das ich mich als Frau zuerst mühsam gewöhnt und mit dem ich mich irgendwann identifiziert habe – regelmäßig zu bluten und verhüten zu müssen. Das ist verknüpft mit „jung sein“ und auch mit „attraktiv sein“.
Meine Freundinnen sagen, mit den neuen Spielregeln kommen auch mehr Freiheiten. Das klingt schön. Aber wie sehen die neuen Regeln eigentlich aus?
Hormon- und Gefühlschaos – und was noch?
Der Körper verabschiedet sich von der fruchtbaren Phase durch eine Umstellung des hormonellen Gleichgewichts. Das alte geht, ein neues entsteht. Das bedeutet erst mal vor allem eins: hormonelles Chaos. Jeder Umbauprozess ist anders. Deshalb erleben Frauen ihn auch sehr unterschiedlich. Manche bekommen kaum etwas mit und sind überrascht, wenn die Blutungen irgendwann ausbleiben. Andere haben schon Jahre vor der letzten Blutung sehr belastende Beschwerden. Bei manchen bleiben sie sogar noch lange nach der letzten Blutung bestehen – manchmal bis zum Lebensende.
In der Phase vor der letzten Blutung steigt das Östrogenniveau zuerst an und fällt dann ziemlich drastisch ab. Dieser Abfall setzt circa ein Jahr vor der letzten Blutung ein. Auch das Progesteronniveau fällt ab. Dadurch entsteht ein relativer Testosteronüberhang.
Für alle Frauen bedeutet das neue hormonelle Gleichgewicht, dass sie sich um ihre Gesundheit anders kümmern müssen. Gesunde Ernährung, regelmäßige Bewegung und Stressmanagement bekommen eine neue Bedeutung. Sie werden zu wichtigen Hilfsmitteln, um die Gesundheit zu erhalten. Wenn es vor den Wechseljahren oft darum ging, sie zu nutzen, um gut auszusehen, geht es nun darum, länger gesund zu bleiben. Die Knochen-, Herz- und Muskelgesundheit wird zu einem wichtigen Thema.
Der Platz reicht hier nicht, um zu besprechen, was die hormonelle Umstellung genau bewirkt und was gegen die hormonbedingten Beschwerden hilft. Zwei Drittel von Jen Gunters Buch handeln allein davon, was das vorübergehende Chaos und das neue Gleichgewicht mit dem weiblichen Gehirn, der Lust auf Sex, den Knochen, den Muskeln, dem Herzen, den Blutungen, der Stimmung und dem Unterleib anstellen und was man im Einzelnen dagegen tun kann. Welche Ernährungsform, welches Training und welche Hormone wann gut tun und wann die ganzen Maßnahmen sogar wichtig sind, um langfristigen Schaden zu verhindern oder zu mildern.
Die Essenz aus Jen Gunters Buch ist für mich die Erkenntnis, dass die Wechseljahre anders sind, als ich dachte. Sie sind keine Phase, die ich einfach ignorieren kann. Sie sind auch keine Krankheit, können aber Krankheiten begünstigen. Sie ändern vieles. Und machen uns Frauen bewusst, dass wir viel mehr sind als das, was Eierstöcke und Uterus aus uns machen.
Ich möchte den Schmerz, der mit dem ganzen Chaos verbunden sein kann, nicht romantisieren. Aber solange wir lauter besiegte Heldinnen vor Augen haben, wenn wir an die Wechseljahre denken, werden sich Frauen den Veränderungen ausgeliefert fühlen und sich dafür schämen. Deshalb wünsche ich mir mehr Bücher wie das Menopausen-Manifesto, mehr Frauen, die über ihre Erfahrungen sprechen (auch im Fernsehen) und mehr Frauen, die sich dafür feiern, dass sie älter werden.
Ich danke meinen Freundinnen. Ihr seid großartig!
Redaktion: Theresa Bäuerlein, Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Till Rimmele; Audioversion: Iris Hochberger