Frontalansicht auf eine männlich gelesene Person die einen dicken Joint raucht.

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Psyche und Gesundheit

Der Hanf ist frei – jetzt reguliert den Tabak!

Cannabis gilt als Einstiegsdroge. Das stimmt, aber nicht für harte Drogen, sondern für Tabak. Und deswegen ist die Legalisierung ein großes Problem.

Profilbild von Silke Jäger
Reporterin für Kopf und Körper

Cannabis ist jetzt legal. Manche halten das für den größten Fehler, den die Ampel-Regierung gemacht hat, anderen fallen noch wesentlich größere ein, zum Beispiel das Heizgesetz. In den teilweise hitzigen Debatten geht schnell unter, dass eine andere Droge wesentlich mehr Schaden anrichtet als Cannabis – und zwar seit Jahrzehnten: Nikotin.

Fast viereinhalb Millionen Menschen in Deutschland sind süchtig nach diesem Nervengift. Damit führt die Tabaksucht die Statistik haushoch an. Fast 130.000 Menschen sterben in Deutschland pro Jahr an den Folgen des Rauchens. 2018 waren das über 13 Prozent der Todesfälle. Zum Vergleich: Die Bundesregierung geht von circa 300.000 Cannabis-Abhängigen aus. Angesichts dieser Zahlen kann man sich fragen, warum wir nicht viel mehr über das Rauchen reden.

Der Widerstand gegen eine Regulierung von Zigaretten war und ist riesig. Federführend dabei: die Tabakindustrie, auch Big Tobacco genannt. Um ihre Ziele zu erreichen, beeinflusste sie Forschungseinrichtungen, schmierte Wissenschaftler:innen, setzte Politiker:innen unter Druck, manipulierte ihre Produkte und investierte in irreführende Werbung. In Deutschland tut man sich nach wie vor schwer, das Rauchen stärker einzuschränken. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) kritisiert diese Nikotinpolitik als „zu lax“. Das Rauchen ist zwar auf vielen öffentlichen Plätzen und in Gaststätten seit 2007 verboten, aber das Verbot wird in vielen Bundesländern nicht streng genug umgesetzt. Auch beim Werbeverbot hinkt Deutschland hinterher. In den meisten anderen EU-Ländern darf seit 20 Jahren nicht mehr für Tabakprodukte geworben werden, in Deutschland dürfen Tabakunternehmen zum Beispiel immer noch Gratiszigaretten auf Veranstaltungen verteilen.

Der Beauftragte für Sucht- und Drogenfragen, Burkhard Blienert, hat nun eine neue Initiative gestartet. Er sagte der Bild-Zeitung: „An der Ernsthaftigkeit, mit der das Thema Rauchen in anderen Ländern angegangen wird, können wir uns ein Beispiel nehmen.“ Damit spielt er auf die Pläne der britischen Regierung an. Sie will Tabak illegal machen für alle, die nach dem 1. Januar 2009 geboren wurden. Das Mindestalter für Tabakkauf soll schrittweise angehoben werden. Dann würde es irgendwann für alle illegal sein zu rauchen.

Der Drogenbeauftragte möchte für Deutschland erst mal nur ein Werbeverbot für Tabakprodukte. Außerdem soll der Tabakindustrie verboten werden, Veranstaltungen oder Ähnliches zu sponsern. Auf solche Maßnahmen hatten sich die Ampel-Parteien auch in ihrem Koalitionsvertrag geeinigt. Die Diskussion, die Blienert anstößt, ist überfällig und sie hat viel mit der Diskussion über die Freigabe von Cannabis zu tun.

Denn: Wie Cannabis konsumiert wird, hat großen Einfluss darauf, wie gesundheitsschädlich die Droge ist. Wer Cannabis zusammen mit Tabak raucht – so wie 90 Prozent der Europäer:innen – schadet seiner Gesundheit massiv. Das eigentliche Problem am Joint-Rauchen ist nämlich das Rauchen.

Tod durch Tüte

Cannabis gilt als Einstiegsdroge. Viele denken dabei an den Einstieg zu härteren Drogen wie Kokain oder Heroin. Doch der Umstieg auf diese Drogen passiert viel weniger leicht, als angenommen. Das legt eine kürzlich erschienene Übersichtsarbeit wieder einmal nahe. Lange bevor das passieren kann, kommen Cannabiskonsument:innen beim Joint-Rauchen aber mit einer anderen Droge in Kontakt: Tabak. Dieses Phänomen nennt sich Reverse Gateway Effect , umgekehrter Einstiegseffekt. Kurz gesagt: Wer Cannabis mag, fängt an zu rauchen.

Rauchen ist schlecht für die Lunge. Es entstehen Giftstoffe, die Krebs auslösen können. Rauchen beeinträchtigt die kognitiven Funktionen, vor allem bei Jugendlichen. Weltweit sterben circa acht Millionen Menschen im Jahr an den Folgen von Tabakkonsum – meistens an Krebs und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Studien, die die gesundheitsschädliche Wirkung von Cannabis untersuchen, kämpfen mit der Frage, wie sehr die beobachteten Schäden auf Cannabis zurückzuführen sind – und wie sehr auf Nikotin. Wie viele Todesfälle auf das Konto von Cannabiskonsum gehen, ist nicht bekannt.

Eine Statistik. "Wer raucht Cannabis mit Tabak?" mit 65% weltweitem Durchschnitt. Italien 93% Deutschland 82% und die USA 8%

© KR/ Till Rimmele

Auf dem amerikanischen Kontinent ist die Konsumkultur anders als in Europa. In den USA rauchen zum Beispiel nur circa acht Prozent der Cannabis-Fans Joints. Viel verbreiteter ist dort das Dampfen mithilfe eines Verdampfers oder einer Wasserpfeife – oder das Essen von Keksen oder Kuchen (Edibles).

Dazu beigetragen hat auch, dass Cannabis reguliert und kommerzialisiert wurde. Weil es so viele verschiedene Cannabisprodukte gibt, wird das Joint-Rauchen immer unattraktiver.

Cannabis verdampfen hat deutlich weniger gesundheitsschädliche Nebenwirkungen. Verdampfer erhitzen das Cannabis nur so weit, bis die aktiven Bestandteile THC (Tetrahydrocannabinol) und CBD (Cannabidiol) eingeatmet werden können. Man braucht weniger Stoff und weniger Züge, bis die Wirkung einsetzt. Leute, die ans Joint-Rauchen gewöhnt sind, haben deshalb aber oft Schwierigkeiten, die richtige Dosierung beim Verdampfen zu finden.

Auch Cannabis ohne Tabak kann gefährlich sein

Die Gesundheitsgefahren sind in den vergangenen vier Jahrzehnten sogar gestiegen, wie eine britische Überblicksstudie schon 2017 festgestellt hat. Seitdem wuchs der THC-Gehalt auf das Doppelte. Und damit das Risiko für Abhängigkeit, Psychosen und kognitive Veränderungen, wie Konzentrationsprobleme. Vor allem Menschen, die bereits mit psychischen Problemen zu tun haben, sind gefährdet.

Das Risiko für Nebenwirkungen sinkt, je höher der Gehalt an CBD ist, denn CBD gilt als therapeutische Komponente. Es gibt Hinweise darauf, dass es den negativen Effekt von THC abmildern kann. Doch der CBD-Gehalt von Cannabis ist in den vergangenen 40 Jahren ungefähr gleich geblieben, nämlich niedrig bis nicht nachweisbar.

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Die THC-CBD-Verhältnisse haben sich verschoben, weil Cannabispflanzen immer mehr hochgezüchtet wurden – insbesondere für den illegalen Verkauf. Die Anbaumethode Sinsemilla bringt beispielsweise samenlose Cannabispflanzen hervor, die besonders viel THC enthalten. Die Verfahren, mit denen aus den Pflanzen die Droge gewonnen wird, werden immer ausgeklügelter – und auch dabei steigt der THC-Gehalt. Ein weiterer gefährlicher Trend ist künstlich erzeugtes Cannabis, denn die Nebenwirkungen können sogar tödlich sein, was auch den Dealern selbst bewusst ist.

Die Wirkung ist viel stärker, deshalb kommt es leicht zu Überdosierungen. Krampfanfälle, Psychosen und Herzinfarkte können auftreten.

Cannabis wird in Gramm gehandelt. Deshalb werden den Tütchen oft Stoffe beigemixt, die das Verkaufsgewicht erhöhen, zum Beispiel Sand. Auch diese Verunreinigungen können krankmachen.

Mein Kollege Christian Gesellmann hat über einige dieser Gefahren sehr ausführlich geschrieben und fand damals noch: Es ist noch viel zu früh, Cannabis zu legalisieren!

Die Tabakindustrie reibt sich schon die Hände

In die nun beschlossene Regulierung setzt die Regierung einige Hoffnungen. Die Entkriminalisierung soll die Polizei entlasten, Cannabis machte zuletzt etwa 60,2 Prozent der Rauschgift-Handelsdelikte aus. Um das zu ändern, soll Hanf nur noch in Cannabis-Clubs erhältlich sein. Sie spielen bei der Legalisierung die Hauptrolle.

Außerdem sollen Drogenkontrollverfahren sicherstellen, dass der Stoff sauberer wird. Konsument:innen, die Drogen auf dem Schwarzmarkt kaufen, haben die Möglichkeit, sie auf ihren Reinheitsgehalt testen zu lassen.

Cannabis zu nehmen, könnte nun also weniger gesundheitsschädlich werden, denn die Gefahren, die durch den illegalen Handel entstehen, nehmen ab: kontrollierterer Anbau und Handel, weniger Verunreinigungen, mehr Aufklärung über sicherere Konsummethoden. Das ist auch gut so, denn Regierungen haben immerhin den Auftrag, ihre Bürger:innen vor vermeidbaren Gesundheitsgefahren zu schützen.

Sicher ist aber: Dafür reicht es nicht, die Konsument:innen zu entkriminalisieren und den illegalen Handel zurückzudrängen. Das große Geschäft wittert vor allem die Tabakindustrie. Sie erhofft sich dadurch eine Belebung des schwieriger gewordenen Geschäfts.

Wie also die positive, fortschrittliche Wirkung der neuen Gesetzgebung behalten – ohne Millionen Menschen wieder zu Rauchern zu machen? Ein guter erster Schritt wäre, den Koalitionsvertrag der Ampel-Koalition einfach umzusetzen, auch wenn sich die europäische Konsumkultur nicht so einfach ändern lassen wird, weil die meisten Menschen bei Cannabis ans Rauchen denken. Wer Cannabis nimmt, greift in der Regel zum Joint. Den Umgang mit Edibles und Verdampfern müssten Konsument:innen erst üben.

Die Aufgabe besteht jetzt also darin, die Gesundheitsgefahren aller legalen Drogen in den Mittelpunkt zu stellen.


Redaktion: Thembi Wolf, Susan Mücke; Schlussredaktion: Susan Mücke; Bildredaktion und Grafik: Till Rimmele, Audioversion: Iris Hochberger

Der Hanf ist frei – jetzt reguliert den Tabak!

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