So sehr die Pandemie unseren Alltag auch verändert – der Klimawandel bedroht unsere Gesundheit noch viel mehr. Auf einer wärmeren Erde gibt es häufiger Starkregen oder Hitzewellen. Was bedeutet das für unsere Gesundheit? Wie müssen sich Krankenhäuser, Mediziner:innen und Stadtplaner:innen darauf einstellen? Darüber habe ich mich mit Laura Jung unterhalten. Sie ist Ärztin und engagiert sich in der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit, einem Netzwerk von Gesundheitswissenschaftler:innen und Medizinprofis. Jung meint, im Vergleich zur Klimakrise hatten wir es mit der Pandemie noch recht einfach. Doch sie hat auch Grund zur Hoffnung.
Können Sie sagen, wie gefährlich die Klimaveränderungen für die Menschen bereits heute sind?
Klimaveränderungen sind mit Gesundheitsschäden und Todesfällen verbunden, bereits heute und mitten in Europa. Es ist aber schwierig zu sagen, ob mehr Menschen als früher sterben, weil wir keine genauen Messwerte von vor 100 Jahren haben, zum Beispiel. Aber wir haben Daten, die zeigen, dass Menschen durch extreme Wetterereignisse sterben. Als Europa im Sommer 2003 eine Hitzewelle erlebte, kam eine Studie im Auftrag der EU zu dem Schluss, dass 70.000 mehr Menschen gestorben waren als in anderen Sommern. Frankreich war damals besonders betroffen. In den vergangenen Jahrzehnten sind solche Extremwetterereignisse häufiger geworden. Und sie werden wahrscheinlich zunehmen. Aber nicht immer kann man den Effekt von einzelnen Phänomenen so eindeutig zuordnen wie bei der Hitzewelle 2003. Beim Klimawandel verändert sich vieles graduell.
Haben Sie ein Beispiel für so eine schleichende Gefahr?
Wir wissen, dass es sehr viele vermeidbare Todesfälle durch Luftverschmutzung in Europa gibt. Luftverschmutzung ist natürlich nicht direkt Klimawandel, aber beide haben ähnliche Ursachen, sie entstehen vor allem durch den Verbrauch fossiler Energieträger. Schlechte Luftqualität macht für alle das Atmen mühsam, aber besonders für Menschen mit Asthma oder Lungenkrankheiten. Aber auch Menschen mit Übergewicht, Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen leiden unter solchen Bedingungen. Ihr Zustand kann sich durch Umwelteinflüsse verschlechtern.
Ein anderes Beispiel sind milder werdende Winter. Sie führen zu einem früheren und damit insgesamt längeren Pollenflug. Veränderte Umweltfaktoren bieten immer die Möglichkeit, dass sich neue Arten ansiedeln und weiterverbreiten, wie zum Beispiel Ambrosia, eine Pflanze, deren Pollen stärker allergen sind als die von einheimischen Pflanzen. Millionen Menschen in Deutschland sind von Allergien betroffen, der Leidensdruck kann in Zukunft erheblich steigen.
Sind also vor allem Vorerkrankte und Ältere durch die Klimakrise gefährdet, ähnlich wie bei der Coronapandemie?
Nein, es ist nicht ganz so wie bei der Pandemie. Der Klimawandel greift auf vielen Ebenen an: Hitze beeinträchtigt die Leistungsfähigkeit aller, eine Überschwemmung kann für jeden tödlich enden, schlechte Luft tut keiner Lunge gut und der psychische Stress durch Extremwetter ist für jeden spürbar. Aber natürlich gibt es Menschen, die verletzlicher sind als andere.
An wen denken Sie da?
Ältere und Menschen mit chronischen Krankheiten haben ohne Zweifel ein erhöhtes Risiko, wenn sich das Klima verändert. Hitze beispielsweise belastet das ganze Herz-Kreislauf-System. Für Menschen mit Bluthochdruck oder Herzproblemen sind vor allem die heißen Nächte gefährlich, die sogenannten Tropennächte, in denen es nicht kälter wird als 20 Grad. Wer dann noch in einer Wohnung lebt, die schlecht gegen Hitze gewappnet ist, weil sie alte Fenster hat und die Wände nicht gedämmt sind, muss irgendwann in eine kühle Notunterkunft, wenn es zu lange so heiß bleibt.
Das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist nicht gleichmäßig verteilt. Arme Menschen sind am stärksten von Gesundheitsproblemen betroffen, die mit dem Lebensstil zusammenhängen, zum Beispiel von Übergewicht und Diabetes. Diese Phänomene gehen oft den Herz-Kreislauf-Problemen voraus. Wo jemand wohnt, welche Arbeit man hat, wie viel Geld man für gesundes Essen ausgeben kann und wie viel Zeit für regelmäßiges Bewegen bleibt – all das wirkt sich auch auf die Gesundheit aus.
Auch in der Pandemie erkranken arme Menschen häufiger an Covid, haben öfter schwerere Verläufe und sterben häufiger.
Ja, und es kommt dazu, ob man den Lockdown im Haus mit Garten oder in einer kleinen Wohnung in der Stadt ohne Balkon erlebt. Das müssen wir bei der Klimakrise mit auf dem Schirm haben. Wer sind die Bevölkerungsgruppen, die wirklich Unterstützung brauchen? Wer hat im Zweifelsfall eine Klimaanlage im Haus und einen Pool im Garten und wer muss vielleicht in der Notunterkunft Unterschlupf finden, weil er oder sie es nicht mehr im Haus oder der Wohnung aushalten kann?
Haben Sie den Eindruck, dass diese Unterschiede genug Aufmerksamkeit bekommen?
Die Diskussion, die wir gerade führen, dreht sich eher darum, dass sich arme Familien die Bekämpfung des Klimawandels nicht leisten können. Das ist nicht der richtige Ansatz. Man schiebt arme Menschen vor und benutzt sie als Grund dafür, dass man keine Klimapolitik machen will. Dabei sind das genau die Leute, die am meisten unter dem Klimawandel leiden werden.
Laura Jung ist Ärztin mit einem Masterabschluss in Public Health. Im Vorstand der Deutschen Allianz für Klimawandel und Gesundheit (KLUG) setzt sie sich seit 2019 dafür ein, dass gesundheitliche Aspekte der Klimakrise gesellschaftlich mehr gehört werden. Sie twittert zu Klimakrise und globaler Gesundheit.
Wie könnte man besonders gefährdete Menschen besser schützen?
In unserer Allianz Klimawandel und Gesundheit machen wir Lobbyarbeit dafür, dass bundesweit Aktionspläne erstellt werden: Was ist zu tun, wenn es für mehrere Tage extrem heiß ist? Wie versorgt man allein lebende alte Menschen? Was brauchen Pflegeheime? Wo gibt es eine gut bekühlbare Notunterkunft mit Platz für viele Menschen, wenn eine Hitzewelle kommt? Wir haben in vielen Städten gar keine Aktionspläne für diese Wetterlagen. Es gibt auch kein Register dafür, sodass man nicht so einfach rauskriegen kann, welche Stadt sich darauf vorbereitet, zum Beispiel in heißen Nächten mehr Notfälle versorgen zu können oder Notunterkünfte bereitzustellen. Das Problem ist: In der Klimakrise muss man sich auf viele verschiedene Gesundheitsnotstände vorbereiten.
Was meinen Sie damit?
Das können neue Krankheiten sein. In Baden-Württemberg verbreitet sich zum Beispiel die Tigermücke. Sie ist Überträgerin des Dengue- und des Chikungunya-Fiebers. In Deutschland gab es zwar bisher keine Fälle, in Italien oder Frankreich aber schon. Es können auch bekannte Krankheiten sein, die immer mehr zunehmen. COPD, eine chronische Lungenerkrankung nimmt auch wegen Waldbränden zu. Die Klimakrise ist ja nicht ein einzelnes Ereignis. Sondern ein großes Ganzes, das sich immer weiter verstärken wird in nächster Zeit.
Man muss sich also sowohl auf Hitzewellen und Fluten vorbereiten als auch darauf, dass immer mehr Menschen medizinische Hilfe brauchen werden, weil die Umweltbedingungen insgesamt belastender werden?
Wir haben immer diese zwei Aspekte: die plötzliche und die langsame Veränderung. Das ist übrigens auch für die psychische Gesundheit ganz wichtig. Die Klimakrise bedeutet Stress. Eine Sturzflut zum Beispiel kann eine posttraumatische Belastung auslösen. Es gibt aber auch generelle Klimaangst.
Was versteht man denn unter Klimaangst?
Vielen werden die aktuellen und bevorstehenden Veränderungen mehr bewusst, der Wandel einer vertrauten Umgebung etwa. Wenn es in einem Ort früher jedes Jahr Schnee gab, nun aber nicht mehr. Dazu kommt die Sorge vor drastischen Veränderungen in der Zukunft, Extremwettern und vielleicht die Unbewohnbarkeit der Heimat. Daraus können Überforderung, Verlustgefühle und auch Angst in Bezug auf Klimakrise und Biodiversitätsverlust entstehen. Vor allem bei jüngeren Menschen, die keine lebenswerte Zukunft mehr für sich sehen.
Wie kann man sich am besten auf Veränderungen vorbereiten, wenn nicht ganz klar ist, worauf man sich vorbereiten muss?
Das ist das große Thema Resilienz, also Krisenfestigkeit. Menschen und Gesellschaften müssen die Fähigkeit erlernen, unvorhergesehene Störungen zu tolerieren, sich an neue Gegebenheiten anzupassen und im besten Fall die Krise als Chance für Weiterentwicklung zu nutzen. Leider haben wir da noch viel Bedarf. Denn wir als Gesellschaft haben noch nicht vollständig anerkannt, dass der Klimawandel da ist. Das ist übrigens auch im Gesundheitswesen selbst ein großes Problem. Es ist auf den Klimawandel nicht genug vorbereitet.
Was müsste sich ändern?
Man müsste im ersten Schritt damit rechnen, dass eine Situation entstehen kann, in der viele Menschen gleichzeitig Behandlung brauchen. Bei Hitzewellen sind größere Regionen betroffen. In der Pandemie ging es in der öffentlichen Debatte viel um Betten. Aber davon gibt es in Deutschland genug. Das viel größere Problem ist das Personal. Krankenhäuser sind im Sommer schlechter besetzt als im Rest des Jahres. Auch Mitarbeiter im Gesundheitswesen machen Sommerurlaub. Aber es gibt zu wenig Nachwuchs in der Pflege. Man muss den Menschen gute Arbeitsbedingungen bieten, damit mehr Menschen im Gesundheitssektor arbeiten wollen und bereit sind, sich in einem Notfall einzusetzen. Und natürlich müssen die Krankenhäuser fit sein für Hitzewellen.
Sind sie das nicht?
Viele Krankenhäuser haben kein gutes Kühlungsmanagement. Es ist dort einfach furchtbar heiß, sowohl für die Patient:innen als auch für die Mitarbeiter:innen. Und da sind wir noch gar nicht bei der Frage: Wie kann man Emissionen verhindern?
Das Gesundheitswesen trägt selbst zum Klimawandel bei, meinen Sie?
Wir wissen, dass der Gesundheitssektor ungefähr fünf Prozent der nationalen Emissionen ausmacht. Das ist gar nicht so wenig. Eines unserer Ziele ist es, den Gesundheitssektor zu dekarbonisieren.
In der Pandemie hat das Robert Koch-Institut versucht, die Bevölkerung gut durch diese Zeit zu bringen. Wer macht diese Arbeit in der Klimakrise?
Wir brauchen eine Institution, die übergreifend arbeitet. Wir haben keine nationale Struktur, die sich über Ministerien hinweg mit dem Thema Klimawandel und Gesundheit auseinandersetzt. Es gibt keine Behörde, die sich um Aktionspläne kümmern könnte, damit nicht jede Kommune und jedes Bundesland das Rad neu erfinden muss. Wir haben kein Dach, das alle, die daran arbeiten, zusammenhält.
Man sieht dieses Problem auch im Gesundheitswesen selbst. Das Thema ist fächerübergreifend. Jede medizinische Fachgesellschaft müsste sich damit beschäftigen, für welche Krankheitsbilder ein verändertes Klima welche Auswirkungen hat.
Sie sagen, Sie wollen die Debatte über die Klimakrise verändern. Was stört Sie daran am meisten?
Wir führen eine Verlustdebatte. Es heißt oft, wir müssen unseren Lebensstandard aufgeben, wenn wir besseres Klima haben wollen. Aber man kann sie auch als Gewinndebatte führen.
Wenn wir weniger Autos in den Städten haben, schenkt uns das Lebensqualität. Es senkt die Luftverschmutzung, es senkt den Lärm, es senkt das Unfallrisiko von Kindern, Fahrradfahrer:innen und Fußgänger:innen. Wir können in gesünderen Städten leben, wenn die Luft besser ist. Es gibt mehr Schattenplätze an heißen Tagen mit mehr Bäumen in der Stadt.
Das hört sich schön an. Warum reden wir darüber nicht mehr?
Viele Maßnahmen, die gut fürs Klima sind, sind auch gleichzeitig gut für die Gesundheit. Der Kohleausstieg sorgt für eine bessere Luftqualität. Wer mit dem Rad statt dem Auto fährt, nutzt weniger fossile Energieträger, Bewegung beugt aber auch chronischen Erkrankungen vor. Wer weniger Fleisch isst, reduziert Emissionen und das eigene Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Klimaschutz stellt für jeden einen Gewinn dar.
Und es gibt die große Dimension: Wie stelle ich mir eine gesunde Zukunft für unsere Bevölkerung vor? Was haben wir alle davon, wenn wir gesünder essen, uns mehr bewegen und dadurch weniger CO2 produzieren? Diese Frage stellen wir uns fast nie.
Was macht es so schwer, eine positive Zukunftsvision zu entwerfen?
Der Vorteil, den ich durch klimaschonende Maßnahmen erreiche, besteht sehr oft darin, dass etwas Schlechtes nicht passiert. Man spürt nicht, was man verhindert hat. Aber genau so, wie es in Ökosystemen Kipppunkte gibt, gibt es auch in der Gesellschaft Kipppunkte, an denen es zu einem anderen Bewusstsein und zu echtem Handeln kommt.
Ist die psychologische Hürde das größte Hindernis für positive Veränderungen?
Die größte Hürde ist immer noch die Lobbyarbeit. Die Industrie weiß ganz genau, was sie mit uns macht, egal ob es um Zigaretten, Lebensmittel oder um klimaschädliche Industrien geht. Da ist einfach viel Geld im Spiel. Die Klimakrise braucht staatliches Handeln. Deshalb sind die psychologischen Hürden von einzelnen am Ende weniger entscheidend als der fehlende Wille in der Politik.
Redaktion: Philipp Daum; Schlussredaktion: Tarek Barkouni; Bildredaktion: Till Rimmele; Audioversion: Christian Melchert und Iris Hochberger