Corona-Tests waren zu Beginn der Pandemie so schwer in die Hände zu bekommen wie die Keksdose ganz oben auf dem Schrank. Wer keine Leiter hatte – also keinen Kontakt zu einem bestätigten Corona-Fall – kam nicht ran. Das hat sich inzwischen gründlich geändert. Tests machen Türen auf: die von Geschäften, die von Frisören und die der Schulen. Mit Selbst- und Schnelltests sollen sich Menschen wieder freier bewegen und mehr Menschen sicher treffen können.
Das hört sich gut an. Und man wünscht sich ja auch, dass es gut ist. Dass ein negatives Testergebnis das Treffen mit Freund:innen wirklich sicherer macht, Corona-Zahlen runterbringt und so alles langsam wieder „normaler“ wird.
Doch es gibt ein Problem mit falschen Testergebnissen. Selbst- und Schnelltests sind unzuverlässiger, als die Hersteller angeben. Ein negativer Test ist manchmal falsch und damit können Leute ansteckend sein, die dachten, sie seien es nicht. Hat damit die gesamte „Nationale Teststrategie“ ihren Namen nicht verdient und gehört deshalb in Anführungszeichen geschrieben?
Woher die Verwirrung über die Bedeutung von Tests kommt
Schnelltestzentren und freiverkäufliche Selbsttests haben wir erst seit Mitte März. Inzwischen dürfte es aber für die meisten von uns kein Problem mehr sein, sich zweimal pro Woche zu testen. Nach Berechnungen von Michael Mina (Epidemiologe an der Harvard-Universität, USA) und seinem Team, könnte man mit regelmäßigem Testen von 50 Prozent der Bevölkerung einen genügend großen Anteil der symptomfreien Infizierten finden und Infektionsketten unterbrechen. So könnte man die Infektionsdynamik innerhalb weniger Wochen entscheidend eindämmen. Wichtigster Baustein dafür: Möglichst viele Menschen isolieren, die das Virus weitergeben, ohne dass sie das selbst merken.
Nach diesen Berechnungen ist es also sinnvoll, wenn sich die Hälfte der Bevölkerung regelmäßig testet, zum Beispiel alle, die zur Arbeit und in die Schule gehen oder an Freizeitveranstaltungen teilnehmen.
Doch was sagen Politiker:innen stattdessen, sobald sie in ein Mikrofon sprechen dürfen?
Sie sagen, sie wollten die Menschen dazu motivieren, sich selbst zu testen – oder testen zu lassen. Deshalb müsste es einen Anreiz geben. Und dieser Anreiz ist, dass ein negatives Testergebnis Einzelnen mehr Freiheiten ermöglicht. Wie gesagt: einkaufen und Körperpflege, demnächst ein Kännchen Kaffee draußen unterm Sonnenschirm deines Lieblingscafes. Ist alles verlockend und motiviert tatsächlich dazu, zum Schnelltestzentrum zu gehen – auch mich.
Aber wenn das der einzige Grund ist, warum sich Menschen testen lassen, haben wir ein Problem. Tests als Türöffner einzusetzen, legt den Schwerpunkt auf die negativen Testergebnisse. Das ist falsch und kann bei einer hohen Ansteckungsdynamik gefährlich sein.
Wann Tests sinnvoll sind
Das Bundesgesundheitsministerium schreibt auf seiner Website: „Tests helfen dabei, Infektionsketten schneller zu erkennen und zu durchbrechen. Sie können zudem zusätzliche Sicherheit im Alltag geben.“
An diesem Zitat lässt sich eine gewisse Verwirrung ablesen, unter der wir seit Beginn der Pandemie leiden. Ständig wird die individuelle Gesundheit (Krankheitsrisiko einer einzelnen Person) mit der öffentlichen Gesundheit (Krankheitsgeschehen in der Bevölkerung) vermischt. Infektionsketten zu durchbrechen, ist ein Ziel der öffentlichen Gesundheitspflege (Public Health auf Englisch), zusätzliche Sicherheit im Alltag ist das Ziel jedes Einzelnen.
Beides ist legitim, beides ist wichtig. Aber der Staat sollte sich in einer pandemischen Lage vor allem darum kümmern, dass die Gesundheit aller geschützt ist.
Dieser Text ist Teil einer Newsletter-Serie von Silke Jäger. Parallel zu unseren langen Magazin-Texten verschicken unsere Reporter:innen immer wieder kurze Analysen, Lesetipps und Rechercheskizzen, die einen Blick in ihre Arbeit hinter den langen Artikeln ermöglichen sollen. Manche Newsletter halten wir für interessant auch für Leser:innen, die die einzelnen Newsletter gar nicht abonnieren. In diesem Fall: In mehreren Teilen schreibt unsere Gesundheitsreporterin Silke Jäger über die zukünftige Bedeutung von Testen, Nachverfolgen von Kontakten, Monitoren der Zahlen und Impfen. Ihren Newsletter kannst du hier oder am Ende des Artikels abonnieren.
Vor einiger Zeit habe ich mit Alexander Beisenherz telefoniert. Er ist Arzt und engagiert sich im wissenschaftlichen Thinktank Rapidtests. Weil ich gegenüber Tests sehr skeptisch war, habe ich ihm erklärt, dass ich sie nicht brauche. Ich würde mich eh nicht darauf verlassen und weiter vorsichtig sein: Möglichst wenig Menschen treffen, die nicht zu meinem Haushalt gehören und wenn, dann nur draußen oder mit Maske.
Alexander Beisenherz sagt: „Tests als Türöffner zu benutzen, ist wirklich sehr riskant.“ Ein negatives Testergebnis dürfte eigentlich keine Konsequenzen haben, meint er. Eine Maske tragen und Abstand halten, Lüften und Corona-Warn-App benutzen, ist auch mit negativen Ergebnis das Gebot der Stunde. (Das Gleiche gilt auch fürs Impfen, aber dazu mehr in Teil vier dieser kleinen Newsletter-Serie.)
„Es geht darum, schneller zu sein als das Virus“, sagt Beisenherz. „Wir müssen die Infizierten finden, bevor sie jemand anderen anstecken. Deshalb kommt es auf regelmäßiges Testen an.“ Das Testen von Menschen, die keine Symptome haben, nennt sich Screening. Bei Screenings gibt es ein paar Fallstricke, weil dabei immer auch Fälle übersehen werden und Menschen für krank erklärt werden, die eigentlich keine Behandlung brauchen.
Alexander Beisenherz ist das bewusst. Er sagt: „Falsche Testergebnisse sind für den Einzelnen ein Problem, das stimmt. Aber in dieser Pandemie geht es ja darum, das Virus einzudämmen. Und dafür reicht es schon, wenn man jede Woche circa 30 Prozent der Infektiösen isoliert, die man ohne die Tests vielleicht nicht gefunden hätte – oder vielleicht zu spät.“ Damit ließen sich regionale R-Werte innerhalb von sechs Wochen unter 1 bringen, meint er.
Weniger Verwirrung mit besserer Kommunikation
Deshalb müssten uns Politiker:innen eigentlich sagen: Für alle, die negativ getestet sind, ändert sich erst dann was, wenn die Zahlen so weit unten sind, dass Gesundheitsämter Kontakte wieder zuverlässig nachverfolgen können. Damit wir da schnell hinkommen, sollten sich alle zweimal die Woche testen (lassen). Damit hilft jede:r mit, dass wir alle bald wieder mehr Freiheiten haben und uns sicherer treffen können. Denn so verringern wir den Vorsprung, den das Virus hat.
Stattdessen gibt es jede Menge Sondererlaubnisse für negativ Getestete und eine Testpflicht nur für die, die noch nicht wählen dürfen. Und kaum ein Wort dazu, dass der Schwerpunkt der Teststrategie auf den positiven Fällen liegt (oder liegen müsste).
Die Infektionszahlen gehen trotz des falschen Umgangs mit Selbst- und Schnelltests zurück. Was für diesen Rückgang sorgt, lässt sich schwer rauskriegen – dafür fehlen entscheidende Daten. Umso wichtiger ist, dass wir uns für den Herbst merken, welche Rolle regelmäßige Tests spielen. Denn wie hoch die Gefahr für eine Herbstwelle sein wird, lässt sich jetzt noch schwer abschätzen.
Redaktion: Belinda Grasnick, Bildredaktion: Till Rimmele