Kunstwerk einer von Schizophrenie betroffenen Person. Wir sehen viele durcheinander durcheinander-gewirbelte Farben, in welchen Silhouetten und Schemen von Menschen erkennbar sind.

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Psyche und Gesundheit

Ich war weltberühmt – weil meine Schizophrenie es so wollte

Im Wahn sprach das Radio nur zu Jens, Robert de Niro wollte sein Buch verfilmen. Wie entkommt man einer Krankheit, bei der man selbst die eigene Psychiaterin für einen Teil der Verschwörung hält?

Profilbild von Protokoll von Martin Gommel

Meine erste Begegnung mit meiner Krankheit hatte ich im Alter von 23 Jahren. Ich saß in der Universitätsbibliothek in Köln und bereitete mich auf das Jura-Examen vor. An einem langen Tisch zwischen Bücherregalen saßen sich ungefähr zehn Leute auf jeder Seite gegenüber. Es war sehr still im Raum, alle saßen konzentriert über Büchern und Skripten.

Mir gegenüber setzte sich eine Studentin an den Tisch – und ich fand sie sehr attraktiv. Sie war zierlich und hatte große, braune Augen. Plötzlich dachte ich: Sie setzt sich jetzt an diesen Tisch, weil sie mich gut findet und weil sie etwas von mir will. Schüchtern, wie ich war, traute ich mich nicht, ihr in die Augen zu sehen.

Kurze Zeit später nahm ein Student zwei Plätze rechts von mir Platz. Ihn hatte ich des Öfteren mit der schönen Studentin auf dem Campus sprechen gesehen. Ich dachte: Der setzt sich jetzt an diesen Platz, weil sie ihn geschickt hat, um mich auszuspionieren.

Je länger ich darüber nachdachte, desto stärker wurde mein Eindruck, dass nicht nur die beiden, sondern alle Student:innen nur wegen mir an diesem Tisch saßen. Scheinbar hatten sie sich hinter meinem Rücken abgesprochen und mussten – warum auch immer – jetzt in meiner Nähe sein.

Ich fühlte mich wie ein Promi auf dem Campus

Doch dabei blieb es nicht. In den Tagen und Wochen danach tauchten immer wieder Belege in mir auf, warum bestimmte Menschen, die ich sah, nur wegen mir auf dem Campus waren. Und ich fühlte mich großartig! Wie ein Promi! Schließlich musste ich für all diese Menschen von besonderer Bedeutsamkeit sein.


Schwarz weiß Porträt eines Mannes mit Bart

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Jens Jüttner, geboren 1976, arbeitete als Rechtsanwalt und Betriebswirt in der Steuerberatung. Heute widmet er sich dem Verfassen belletristischer Literatur, treibt Sport, trinkt leidenschaftlich gerne Kaffee und bemüht sich, seinem Sohn ein guter Vater zu sein.


Ich wurde zum Zentrum aller Aufmerksamkeit. Jede Bewegung, jeden Blick bezog ich auf mich. Wenn jemand mit anderen vor einem Hörsaal tuschelte, war ich mir sicher, dass gerade über mich gesprochen wurde. Es war verrückt! ALLE Student:innen waren nur wegen mir an diesem Ort!

Diesen Eindruck hatte ich aber nur auf dem Campus. Zuhause, unter Freunden, schien alles normal zu sein. Ich sprach darüber mit einem Freund. Er meinte: „Pass mal auf, ich komme einfach mit.“

„Du, Jens, ich fand das gerade alles ziemlich normal“

Und so setzten wir uns am nächsten Tag an den langen Tisch der Bibliothek. In meinem Kopf tauchten wieder dieselben Gedanken auf und ich dachte: Das wird meinem Freund auch auffallen! Das ist doch offensichtlich! Auf dem Rückweg meinte ich: Siehst du? Er war völlig unbeeindruckt: „Du, Jens, ich fand das gerade alles ziemlich normal. Eigentlich hat niemand Notiz von dir genommen.“

Natürlich glaubte ich meinem Freund nicht und bestand darauf, der Mittelpunkt der Uni zu sein. Er meinte daraufhin: „Jens, du befindest dich dort sehr viel unter fremden Menschen. Und du machst dich gerade sehr abhängig von irgendwelchen vermeintlichen Werturteilen dieser Menschen, die dich gar nicht kennen. Du verhältst dich wie ein Soldat, der hinter feindlichen Linien operiert. Einer, der meint, er könne mit niemandem über seine echte Identität sprechen und der weiter heimlich Informationen sammelt. Dir muss aber klar sein, dass sich die anderen Student:innen auf dem Campus darüber überhaupt nicht bewusst sind.“ Ich beließ es bei diesem Gespräch, glaubte aber weiter, recht zu haben.

Wie mein Witz über Kollegen die Runde machte

Ein Jahr später begann mein Referendariat in einer großen amerikanischen Anwaltskanzlei in Düsseldorf. Ich teilte mir mit zwei Kollegen ein kleines, gemütliches Büro, in dem wir ordentlich qualmten. Wir hatten viel zu tun, wir tranken viel Kaffee, wir rissen einen Witz nach dem nächsten. Meistens machten wir uns über die anderen Anwält:innen lustig. Über die Autos der alten Hasen der Kanzlei und die Schuhe der wirklich wichtigen Typen, die was zu sagen hatten.

Meine Krankheit flüsterte mir von Beginn an ein, dass sich meine Kolleg:innen permanent gedanklich mit mir befassten. Wenn ich also unter uns einen Witz über einen der „ganz wichtigen Anwälte“ machte und zwei Tage später auf dem Gang jemand zufällig die Worte „ganz wichtig“ benutzte, war ich mir sicher: Diese Person weiß, dass ich vor zwei Tagen einen großartigen, megalustigen Witz gemacht habe – und spricht schon mit anderen darüber.

Oder umgekehrt: Wenn ich beim Überprüfen von Akten einen Fehler gemacht hatte und dann später beim Mittagessen in der Kantine das Wort „Akten“ hörte, war mir klar: Die anderen wissen schon von meinem Fehler.

Puh. Anstrengend.

Zu Beginn meiner Krankheit hatte ich noch Phasen, in denen ich überhaupt keine Gedanken dieser Art hatte – gerade, wenn ich unter Freunden war. Und in diesen Momenten kamen durchaus Zweifel auf, ob das, was ich mir im Berufsleben so dachte, der Wahrheit entsprach. Doch mit der Häufigkeit dieser „Beziehungsideen“ (so nennen das Psychiater), die sich täglich vermehrten, verlor ich diese Zweifel. Sie verdichteten sich so sehr, dass ich ein ganzes Jahr lang in dieser intensiven, mich völlig vereinnahmenden Psychose lebte. Die ganze Welt wusste über mich Bescheid und ALLE beschäftigten sich permanent mit nur einem Thema: Jens Jüttner.

Bei Live-Übertragungen im Fernsehen fühlte ich mich direkt angesprochen

Irgendwann spielte mein Fernseher eine entscheidende Rolle dabei. Wenn während einer Übertragung aus dem Bundestag eine Politikerin lächelte, war mir klar, dass das eine direkte Reaktion auf eine Regung meinerseits war. Sie lächelte MICH an! Wenn ein Nachrichtensprecher das Wort „Rechtsanwalt“ gebrauchte, sagte er das, um eine Anspielung auf irgendein Detail meines Lebens zu machen.

Mein Leben wurde nicht nur im Fernsehen und Internet gezeigt und kommentiert, sondern auch im Radio und in allen Zeitungen. Wenn dort etwas über einen Vorfall mit einem Messer stand, dann nur deshalb, weil ich mich vor einer Woche mit dem Küchenmesser geschnitten hatte. Doch dann überlegte ich: Moment mal, da war ich doch alleine in meiner Wohnung! Komisch. Woher, verdammt nochmal, wissen die das alles?

Ich begann, nach Beweisen zu suchen. Schließlich redete niemand mit mir über die große Verschwörung und meine Berühmtheit, kein Schwein sprach mich darauf an.

Ich dachte zuerst an die Nachbarn – „ist ja auch hellhörig hier“ – und verhielt mich fortan sehr leise in der Wohnung. Dann sah ich aus dem Fenster und überlegte: Hm, kann hier jemand reingucken? Hat da jemand ein Fernglas? Also schloss ich die Rolläden.

Ohne Erfolg. Sobald ich den Fernseher anstellte, kommentierten die Menschen am Mikrofon weiter mein Leben. Es war ungeheuerlich.

Dafür gab es nur eine einzige schlüssige Erklärung, dachte ich schließlich: Irgendjemand machte mittels modernster Überwachungstechnik Video- und Tonaufnahmen von mir. Mein ganzes Leben – nicht nur zuhause – wurde ausgestrahlt, gesendet. Ganz Deutschland, nein, die ganze Welt schaute mir zu, am Fernseher und im Internet, rund um die Uhr.

Deshalb zitierte ich in meiner Wohnung regelmäßig sehr laut Gesetzestexte. Dieses Abhören und Verbreiten meines Privatlebens war eindeutig ein Rechtsbruch. Wie unverschämt!

Ich war weltberühmt – und hoffnungslos verzweifelt

Im Supermarkt überlegte ich nervös, ob Gummibärchen wirklich eine gute Wahl gewesen waren, schließlich sahen JETZT gerade alle, wie ungesund ich mich ernährte. Oft stand ich zitternd an der Kasse, denn auch die Kassiererin schien mein ganzes Leben zu kennen. Und wenn ich bei einer Party mit einem Bekannten redete, dann dachte ich: „Ja, klar. Du bekommst das alles im Hintergrund mit, lächelst mich aber an und tust so, als ob nichts gewesen sei.“

Ich wachte mit dem Gedanken auf, im Fernsehen auf Live-Sendung zu sein und schlief mit dieser bedrohlichen Verschwörung gegen mich ein. Und das war furchtbar belastend. Morgens erklärte ich der Welt im Adrenalinrausch meine wichtigen Thesen und fühlte mich unheimlich wichtig – und abends lag ich oft weinend auf dem Bett und schrie: „WAS WOLLT IHR VON MIR? ICH KANN NICHT MEHR! LASST MICH ALLE IN RUHE! KANN ICH DENN GAR NICHTS MEHR FÜR MICH ALLEINE TUN?“

Ich lebte damals mit meiner Freundin und späteren Ehefrau zusammen. Und es war ein Kunststück, meine Krankheit vor ihr geheim zu halten. Aber ich schämte mich. Sie arbeitete als Flugbegleiterin und immer, wenn sie tagelang in der Welt unterwegs war, konnte ich meinen Wahn ausleben. Wenn sie zurück war, musste ich alles verstecken. Hin und wieder schimpfte ich unbestimmt auf die Zeitung (die schließlich auch über mein Leben berichtete), manchmal erzählte ich ihr, dass wir leise in der Wohnung sprechen mussten. Sie bemerkte zu diesem Zeitpunkt, dass ich mich ein bisschen komisch verhielt, aber das volle Ausmaß der Krankheit konnte sie nicht erkennen.

Und dann begann ich, Stimmen zu hören. Zu Beginn bemerkte ich ein undeutliches Gemurmel und dachte, das könnten nur die Studenten von oben sein, die ich ohnehin unter Verdacht hatte, hinter dem ganzen Theater zu stecken. Mit der Zeit aber wurden die Stimmen klarer und es kamen neue dazu.

Nach einer gewissen Zeit hatte ich eine Idee, die mich überzeugte: Meine ganze Wohnung war mit Mikrofonen verwanzt. Und ich hatte scheinbar eine besondere Begabung, über die Mikrofone mitzuhören, was die Menschen, die im Übertragungswagen vor Lautsprechern saßen, über mich sagten. In meinem Kopf wurden die Mikrofone zu umgekehrten, kleinen Lautsprechern – und somit verstand ich jedes Wort vom anderen Ende der Leitung.

Robert de Niro wollte mein Buch verfilmen

Unter anderem hörte ich den Finanzminister von Nordrhein-Westfalen, der im Übertragungswagen saß und meinte, ich solle nun endlich mal meine Steuererklärung abgeben (die ich tatsächlich noch nicht fertig hatte). Dazu gesellten sich Stimmen von Freunden, die alles, was ich tat, kommentierten. Diese Stimmen waren so klar, echt und authentisch, als ob sie aus einem Radio kommen würden. Sie unterhielten sich untereinander und sprachen mich ab und zu an. In dieser Phase begann ich, einen Roman zu schreiben, Geistertanz.

Wenn ich im Fernsehen Anspielungen auf meine Person wahrnahm, dann schrieb ich in den Roman verklausulierte Antworten auf diese Anspielungen. In meinem Kopf wurde der Roman vor meiner Veröffentlichung längst von „denen“ im Netz gestreut und auf der ganzen Welt diskutiert. Weil das Buch so ein immenser Hit war, meldete sich dann Robert de Niro – der zum Übertragungswagen zwischengeschaltet wurde – und mein Buch verfilmen wollte. Allerdings sprach er mit seiner deutschen Synchronstimme – hier hätte ich eigentlich stutzig werden müssen.

Irgendwann bemerkten meine Freundin und meine Eltern, dass ich permanent nervös und angespannt und in vielen Gesprächen fahrig und nicht wirklich anwesend war. Sie gingen davon aus, dass ich mich überarbeitet hatte und mitten in einem Burnout befand. Meine Eltern rieten mir deshalb dazu, bei einem Psychiater einen Termin zu machen. „Vielleicht kann der dir was verschreiben.“

Ich erzählte einer Psychiaterin von meinen Wahnvorstellungen

Schon bald hatte ich ein Gespräch bei einer niedergelassenen Psychiaterin. Dieser offenbarte ich meine Verschwörungsfantasie, jedoch gehörte sie ja auch zu „denen“. „Sie wissen doch auch Bescheid! Die ganze Welt folgt mir auf Schritt und Tritt – bestimmt sitzt jemand im Nebenzimmer und belauscht mich, stimmts?“ Sie fragte: „Worüber weiß ich Bescheid?“

Ihr wurde sehr schnell klar, dass es sich in meinem Fall nicht um Burnout, sondern um ein anderes psychisches Problem handelte. „Herr Jüttner, ich möchte dass Sie in eine Klinik gehen.“ Mir fiel im Traum nicht ein, ihrem Rat zu folgen. Warum sollte ich denn in eine Klinik? Sie versuchte, mich weiter zu überzeugen und eine Zwangseinweisung war vom Tisch, da ja keine Fremd- oder Eigengefährdung vorlag.

Daraufhin gab sie nach und meinte: „Dann nehmen sie doch wenigstens die Medikamente, in Ordnung?“ – und verschrieb mir Neuroleptika. Und diese nahm ich, aus folgendem Grund: Ich hatte in meinem Zivildienst in einer Kontaktstelle für psychisch Kranke gearbeitet und wusste daher schon einiges über Schizophrenie und hatte mir zusammengereimt, dass ich unter einer Scheinpsychose litt. Ich hatte also dieselben Symptome wie jemand, der in einer echten Psychose steckt, mit einem entscheidenden Unterschied: Ich hatte recht mit meinen Verschwörungsvorstellungen. Ich hoffte, die Medikamente würden mich beruhigen und wieder zu Kräften zu bringen.

Und die Medikamente wirkten. Schnell. Nach ein paar Tagen verschwand ein Großteil des Wahns – und es fiel mir wie Schuppen von den Augen. Ich saß vor dem Fernseher und dachte: „Ach du meine Güte! Das war ALLES überhaupt nicht wahr! Ich habe nun ein ganzes Jahr lang mit diesem ganzen Scheiß verbracht!“ Ich fiel in ein tiefes, sehr tiefes Loch.

Meine Freundin und ich entschieden, dass ich Hilfe brauchte, und zwar sofort. In eine Psychiatrie wollte ich immer noch nicht und besuchte daher sechs Wochen lang eine psychiatrische Tagesklinik. Das bedeutet: Man nimmt tagsüber an verschiedenen Therapieangeboten teil und geht abends und am Wochenende nach Hause. Diese Zeit verging ohne Zwischenfälle, jedoch hatte ich wieder neue, wahnhafte Beziehungsideen.

Gegen Ende des Aufenthaltes machten mir die Ärzte eine vollstationäre Aufnahme schmackhaft. Ich entschied mich dafür – und blieb ein halbes Jahr. Ich war gerne dort und genoss die therapeutischen Möglichkeiten des klinischen Alltags: Musiktherapie, Gruppentherapie, Psychoedukation, und sogar die Tanztherapie gefiel mir sehr gut. Meine Psychotherapeutin arbeitete mit mir an meinen Zukunftsängsten und nahm mich eines Tages mit nach draußen. Straßenbahn fahren. Ich war schüchtern, fühlte mich unwohl und konnte Menschen nicht ansehen. Dabei lernte ich, genau das auszuhalten, jeden Tag mit der Bahn zu fahren und mich Stück für Stück daran zu gewöhnen.

Meine Ehe überstand den Tiefpunkt meiner Krankheit nicht

Geheilt war ich jedoch noch nicht, sondern fiel über einen Zeitraum von insgesamt sechs Jahren in die sogenannte Negativsymptomatik – die sich für Betroffene wie eine schwere Depression anfühlt. Mich überkam eine massive Lethargie und Antriebslosigkeit. Und trotzdem hatte ich mich noch in der Klinikzeit bei einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft als Rechtsanwalt beworben und schleppte mich Tag für Tag an diesen Ort – an dem ich nur so tat, als ob ich arbeiten würde. Drei Jahre lang hielt ich durch. Und dann ging gar nichts mehr.

Und dann ging meine Ehe in die Brüche.

Wir hatten trotz meiner Krankheit geheiratet und ein Kind bekommen. Ich lag allerdings nur im Bett und war völlig eingenommen von dieser niederdrückenden Antriebslosigkeit. Zu Beginn war meine Frau sehr verständnisvoll und versuchte, mich aufzumuntern. „Komm, wir gehen mal zusammen raus, ein bisschen spazieren.“ So lange ich noch die Kraft dafür aufbringen konnte, ging ich ihr zuliebe mit. Jedoch fühlte ich mich wie ein Zombie, sprach kein Wort und eigentlich war mir das alles zu viel.

Meine Frau hatte nun ein Kleinkind, musste arbeiten und einen Ehemann, der ständig klagt: „Ich kann nicht.“ Ein Mann, der auf die einfachsten Bitten („Räum mal die Spülmaschine aus“) sagte: Ich kann nicht. Die ganze Situation setzte sie so sehr unter Druck, dass sie wütend wurde und mich anschrie: „Jetzt steh endlich von diesem scheiß Sofa auf!“ Wir gerieten dadurch monatelang in eine ungesunde Dynamik. Tränen flossen, wir waren verzweifelt und enttäuscht zugleich.

Und irgendwann sagte sie: Ich kann nicht (mehr).

An den Tag unserer Trennung erinnere ich mich sehr gut. Ich lag zuhause im Bett, während meine Frau in ihrem 9-to-5-Job arbeitete und unser Sohn in der Kita war. Gegen 13 Uhr rief meine Frau an und bat mich, unseren Sohn abzuholen, da sie nicht pünktlich zur Kitaschließzeit um 16 Uhr dort sein konnte. Und ich konnte nicht aufstehen – obwohl die Kita nur fünf Minuten Fußweg von unserer Wohnung entfernt war.

Die Zeit verging. Meine Frau rief mich immer wieder an, doch ich ließ klingeln. Ich schämte mich und verkroch mich unter der Bettdecke. Gegen 16.45 Uhr standen beide in der Wohnung.

Sie sagte: „Jens, es reicht. Ich kann mich bei nichts, aber auch gar nichts auf dich verlassen. Du lässt unseren Sohn alleine in der Kita stehen – er hat eine halbe Stunde weinend auf dich gewartet! Ich kann nicht mehr und ich will nicht mehr. Morgen ziehst du aus.“ Am nächsten Tag fuhr sie mich zu meinen Eltern.

Heute lebe ich von der Berufsunfähigkeitsrente und begleite psychisch Kranke

Die Trennung von meiner Frau ist nun sechs Jahre her.

Auch, wenn ich es damals noch nicht sehen konnte, war die Trennung für mich eine Erleichterung. Ich bekam so mein Leben und meine Krankheit immer mehr in den Griff. Ich arbeite heute als Autor, Referent und als Genesungsbegleiter – womit ich psychisch kranke Menschen auf ihrem Weg unterstütze.

Ich bin immer noch nicht besonders belastbar. Zwar schaffe ich heute mehr als vor fünf Jahren, trotzdem bringen mich Alltagsaufgaben regelmäßig an meine Grenzen. Ich habe das Glück, mir immer mal wieder ein, zwei Tage Auszeit nehmen zu können. Und das tue ich auch.

Seit drei, vier Jahren kann ich sagen: Es geht mir wirklich gut.


Redaktion: Philipp Daum; Schlussredaktion: Susan Mücke; Bildredaktion: Till Rimmele; Audioversion: Christian Melchert.

Ich war weltberühmt – weil meine Schizophrenie es so wollte

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