Wir sehen zwei Menschen – es ist eine Illustration und kein Foto – und beide tragen Maske.

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Psyche und Gesundheit

5 Gründe für Hoffnung in diesem Corona-Herbst

Was haben wir seit dem Frühjahr gelernt? Und was kann uns sonst noch Hoffnung geben, dass wir trotz Pandemie gut durch den Herbst kommen?

Profilbild von Silke Jäger
Reporterin für Kopf und Körper

Alle fragen sich, wie schlimm dieser Herbst wird. Das habe ich in diesem Text auch getan. Dabei müssen sich die Befürchtungen ja gar nicht alle bewahrheiten. Schließlich sind wir keine Pandemie-Anfänger:innen mehr. Wir wissen inzwischen Einiges, das uns helfen kann, gut durch den Herbst zu kommen. Fünf Gründe habe ich gefunden, die Hoffnung machen.

Grund 1: Wir beherrschen die freiwillige Selbstkontrolle ziemlich gut

Kurz bevor die Bundesregierung am 23. März weitreichende Kontakteinschränkungen verhängte, blieben schon so viele Menschen freiwillig zu Hause, dass sich die Ausbreitungsgeschwindigkeit des Virus deutlich verlangsamte. Das zeigen Bewegungsdaten von Smartphones.

Interessant ist dabei der Vergleich mit Schweden. Dort verzichtete die Regierung auf Kontakteinschränkungen und appellierte stattdessen an die Bevölkerung. Deshalb gilt Schweden vielen Menschen, die sich Sorgen um die Demokratie in Deutschland machen, als Vorbild. Anhand der Mobilitätsdaten wird jedoch klar: In Deutschland funktionierte die freiwillige Selbstkontrolle im März sogar noch besser als in Schweden.

Einige der Anti-Corona-Maßnahmen würde die Regierung so heute nicht mehr wählen, sagte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) am 1. September. Damit meint er zum Beispiel bestimmt auch eine Regel, die zeitweilig in Bayern galt, wonach es verboten war, auf einer Parkbank im Freien zu sitzen – sonst Bußgeld. In einer Zeit, in der über das Virus noch nicht viel bekannt war (siehe Grund 3) wurde auch über das Ziel hinaus geschossen und die Politik hat Fehler gemacht. Ruprecht Polenz, ehemaliger Generalsekretär der CDU, plädiert bei der Bewertung der Maßnahmen im Nachhinein aber für pragmatischen Realismus (Tweet).

Neuere Umfragen zeigen, dass die überwiegende Mehrheit der Menschen in Deutschland die aktuellen Anti-Corona-Maßnahmen für ausreichend hält. Etwas mehr als ein Viertel der Befragten wünscht sich sogar strengere Regeln. Nur gut jede:r Zehnte der Befragten findet, sie gingen zu weit. Die meisten Menschen halten sich also an die Maßnahmen, nicht, weil sie Angst vor Strafen haben (die viele sogar eher als zu lasch empfinden), sondern weil sie davon überzeugt sind, dass sie helfen, die Pandemie unter Kontrolle zu halten. Damit sind wir näher an dem schwedischen Weg, als viele denken. Wir haben gezeigt, dass wir resilient sind – widerstandsfähig. Ein Faktor für unsere Resilienz scheint genau darin zu liegen: Freiwillige Selbstkontrolle fällt der Mehrheit der Menschen relativ leicht.

Grund 2: Wir können Krankenhäuser schnell genug ausrüsten

Deutschland ist besser durch die erste Phase der Pandemie gekommen, als anfangs befürchtet. Das Gesundheitssystem ist nicht zusammengebrochen. Es ist mit dem drohenden Schock auch deshalb ganz gut zurechtgekommen, weil die Regierung viel Geld dafür ausgegeben hat, Intensivbetten und Beatmungsgeräte vorzuhalten. Das sind Kosten, die normalerweise die Krankenhäuser selbst tragen müssen.

Aber auch ohne diese zusätzlich geschaffenen Kapazitäten – so zeigt sich heute – hätten die Intensivbetten ausgereicht. (Ob das qualifizierte Personal ausreichen wird und ob es motiviert bleibt, steht aber auf einem anderen Blatt.) Dass die technische Ausstattung gut ist, beruhigt. Auch wenn man nicht vergessen darf, dass Krankenhäuser im Frühjahr in den Hotspots zuweilen ziemlich dicht vor der Überlastung standen.

Grund 3: Wir kennen das Virus gut genug, um Feintuning zu machen

Am Anfang der Pandemie haben wir eigentlich nur auf eine Methode gesetzt, um zu viele Ansteckungen in zu kurzer Zeit zu verhindern: zu Hause bleiben. Viele Menschen gingen damals höchstens zur Arbeit, zum Arzt, in den Supermarkt und alleine in den Park. Es war eine grobe Maßnahme, und sie hatte schmerzhafte Folgen für Menschen, Unternehmen und die Volkswirtschaft.

Doch inzwischen haben wir so einen Hammer nicht mehr nötig. Wir wissen viel mehr darüber, wie sich das Virus verbreitet und wir lernen jeden Tag etwas über die Behandlung der Krankheit Covid-19 dazu.

Wir wissen, dass sich das Virus hauptsächlich durch kleine und größere Tröpfchen überträgt. Die kleinsten Tröpfchen werden Aerosole genannt. Sie entstehen bereits beim Atmen. Weil sie so leicht sind, können sie lange in der Luft schweben, bevor sie zu Boden sinken. Sie verteilen sich innerhalb von Minuten im ganzen Raum. Je mehr Menschen in einem Raum sind und je lauter sie sprechen, desto mehr Aerosol entsteht.

Wir wissen also, dass das Ansteckungsrisiko draußen viel geringer ist als drinnen, mit steigendem körperlichen Abstand abnimmt und Masken dabei helfen, Ansteckungen zu verhindern.

Wir wissen, dass die Ansteckungsgefahr sinkt, wenn sich wenig Viren in der Raumluft befinden. Das lässt sich erreichen, indem möglichst wenige Menschen in einem Raum zusammenkommen. Oder wenn alle eine Maske tragen. Oder wenn viel gelüftet wird. Oder wenn die Raumluft künstlich gereinigt wird. Und am besten alles zusammen.

All das bedeutet: Wir können recht normal leben – sogar reisen –, wenn wir einige Verhaltensregeln beachten: Abstand halten, Hygiene hochhalten, Alltagsmaske tragen. Du kennst das. Diese drei Grundregeln lassen sich aber immer weiter verfeinern: Wenn du Leute im Krankenhaus oder Pflegeheim besuchst, wählst du statt Alltagsmaske lieber eine OP-Maske, weil sie Erreger besser filtert als die selbstgenähte aus Stoff. Wenn du ins Kino oder Theater gehst, setzt du dich nicht direkt neben eine fremde Person. Wenn du ins Fitnessstudio gehst, achtest du stärker darauf, dass die Gerätegriffe desinfiziert sind als zu Hause. Und gehst vielleicht lieber dann ins Studio, wenn es leerer ist.

Noch dazu gibt es bessere Informationen, wo sich das Virus gerade viel und wo wenig ausbreitet. Für jeden Landkreis wird die Zahl der bestätigten Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in den letzten sieben Tagen bekannt gegeben. Das hilft, das individuelle Ansteckungsrisiko besser einzuschätzen. Und demnächst kommt vielleicht noch eine Corona-Ampel nach österreichischem Vorbild, mit der man auf Anhieb sehen kann, wie die Lage in der eigenen Region ist.

Grund 4: Wir werden besser im Testen

Es ist utopisch, alle neu infizierten Menschen zu entdecken. Aber das ist auch gar nicht nötig, um die Pandemie zu kontrollieren. Denn dafür reicht es, genügend Infizierte rechtzeitig zu finden. Da inzwischen bekannt ist, dass sich die meisten Menschen in Deutschland in ihrem Wohnumfeld angesteckt haben, heißt das auch: Die meisten geben das Virus nur an sehr wenige Menschen oder gar niemanden weiter. Es ist also wichtig, diejenigen rechtzeitig zu finden, die viele Menschen infizieren könnten. Das sind die sogenannten Superspreader. 80 Prozent aller Übertragungen gehen auf zehn Prozent aller Infizierten zurück. Es geht also darum, möglichst viele dieser Superspreader zu finden.

Wichtig zu verstehen: Jede:r könnte ein Superspreader sein und bei Feiern, in Kneipen oder auf der Arbeit Dutzende Menschen anstecken (die Infektionen in der Fleischfabrik Tönnies gingen zum Beispiel auf einen Superspreader zurück). Das Problem: Infizierte geben die meisten Coronaviren ab, bevor sie merken, dass sie krank sind und wenn das Virus günstige Bedingungen zur Verbreitung bekommt, nutzt es sie auch – möglicherweise sehr effektiv.

Wie kann man Superspreader finden? Im Moment geht das noch nicht besonders gut, weil der Test zum Virusnachweis, der sogenannte PCR-Test (mehr Infos beim Klick auf das i), recht aufwändig ist: Die Auswertung dauert lange, und er wird nur zufällig im richtigen Zeitfenster gemacht. Weil es im Durchschnitt eine Woche dauert von der Infektion bis zu den ersten Symptomen, kann ein zu früher Test falsch negativ sein. Das Gleiche kann passieren, wenn zu spät getestet wird. Auch deshalb sind Massentests mit dem PCR-Verfahren nicht besonders sinnvoll (diesen Satz bitte an Herrn Söder weiterleiten).

Doch bald soll ein neues Testverfahren zugelassen werden, mit dem sich massenhaft testen lässt: der sogenannte Antigen-Test. Dieser Test ist ein Selbsttest. Vorteil: Er ist billig, schnell und überall einsetzbar. Er funktioniert mit Spucke, die auf einen Teststreifen gegeben wird. Nach 15 Minuten hat man ein Ergebnis. Aber es gibt auch einen Nachteil: Dieser Test ist weniger genau als der PCR-Test. Das heißt, er findet nicht alle, die sich infiziert haben, zuverlässig genug. Dieser Nachteil könnte in der Praxis zum Vorteil werden. Denn der Antigen-Test findet Menschen, die eine hohe Viruslast im Rachen haben, zuverlässig genug. Und das sind genau die Menschen, die Superspreader-Ereignisse auslösen könnten.

Man könnte mit Antigentests zum Beispiel an Schulen, an denen es einen Corona-Fall gibt, für eine gewisse Zeit alle testen, um sehr infektiöse Personen herauszuziehen. Man müsste dazu einfach beim Eingang auf einen Test spucken.

Grund 5: Wir sind besser beim Unterbrechen der Kontaktketten

Vielleicht hilft es uns, die Perspektive eines Gesundheitsamtes einzunehmen: Schaffe ich es, die Kontrolle über die Ereignisse zu behalten oder kann ich nur noch den Schaden minimieren? Am Anfang der Pandemie ging es schnell nur noch um Letzteres. Viele Gesundheitsämter wurden überrannt von der Dynamik der Ausbreitung. Das Ziel, die Kontaktketten zu unterbrechen, war zeitweise nicht mehr erreichbar.

Inzwischen haben die Gesundheitsämter mehr Geld, mehr Personal, bessere Technik und besseres Know-how – wie dieser Text erklärt, in dem ein Containment-Scout eines Gesundheitsamtes von seiner Arbeit berichtet. Das heißt: Theoretisch verkraftet es das System jetzt besser, wenn sich mal mehr Menschen infizieren, bevor die Kontaktkettennachverfolgung zusammenbricht.

Gesundheitsämter können ihre Aufgaben dann erfüllen, wenn sich nur wenige Menschen in einem kurzen Zeitraum anstecken oder wenn viele angesteckte Menschen nur wenige Kontakte hatten. In beiden Fällen gelingt es, alle Kontakte rechtzeitig zu finden.

Gesetzt den Fall, es stecken sich im Herbst wieder mehr Menschen an, weil wir öfter in Räumen bei schlechter Belüftung zusammensitzen, bleibt das so lange kein Problem, solange die Kontakte schnell gefunden werden. Dazu kann jede:r beitragen: Kontakttagebuch führen und da, wo viele fremde Menschen zusammenkommen, Corona-Warn-App nutzen.

Fazit

Es gibt also zu Beginn des Herbstes gute Gründe, optimistisch zu sein. Sicher hilft es auch, etwas weniger nervös zu werden, wenn andere Menschen die Situation anders bewerten. Es wäre ziemlich unnatürlich, wenn wir alle einer Meinung wären. Wichtig ist nur, Fakten von Meinungen möglichst sauber zu trennen – gerade bei einem Thema, das so existenzielle Ängste schürt wie eine Pandemie. Da geht es nicht nur darum, sich körperlich zu schützen.

Zum Selbstschutz gehört auch, dass du verantwortungsvoll mit der Informationsflut umgehst. Musst du wirklich jeden Text über Corona lesen? Wirklich jeden Tag die Zahl der positiv Getesteten checken (wo es doch viel bessere Kenngrößen gibt, die mehr über die Lage aussagen)? Dich wirklich über jeden Satz aufregen, den jemand sagt, der oder die anderer Meinung ist als du? Oder ist es nicht besser, möglichst gelassen zu bleiben?

Ich weiß jetzt schon: In diesem Winter wird mein Hund viel Auslauf bekommen. Das ist gut für ihn und mich: Mein Immunsystem bleibt gesund und mein Stresslevel (hoffentlich) unter Kontrolle.


Redaktion: Philipp Daum; Schlussredaktion: Susan Mücke; Bildredaktion: Martin Gommel.