Wir sehen eine männlich gelesene Person, die sich in die Armbeuge hustet.

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Psyche und Gesundheit

Wie schlimm wird dieser Corona-Herbst?

Der Sommer geht zu Ende und die Pandemie ist immer noch da. Kommt jetzt die zweite Welle? Wie gut wären wir darauf vorbereitet? Und worauf müssen wir uns in der Grippezeit einstellen? Eine Zusammenfassung der wichtigsten Fakten und Antworten.

Profilbild von Silke Jäger
Reporterin für Kopf und Körper

Wie viele Menschen sind denn gerade mit dem Coronavirus infiziert?

Laut aktuellem Lagebericht des Robert Koch-Instituts gab es am 28. August 1571 bestätigte neue Infektionen. Ungefähr so viele wie schon an jedem einzelnen der zehn Werktage davor.

Wie viele Menschen sich neu infizieren, gibt das Institut täglich bekannt. Diese Zahl steigt seit Mitte Juli kontinuierlich an, ebenso wie der Durchschnitt der Menschen, die sich in den letzten sieben Tagen neu angesteckt haben. Am 28. August meldete das Robert Koch-Institut damit circa genau so viele neue Fälle wie am 28. April.

Es gibt in den letzten Wochen auch immer mehr Landkreise, die sich der kritischen Marke von 50 Neuinfektionen innerhalb einer Woche bezogen auf 100.000 Einwohner nähern oder sie sogar überschreiten. Dieser Wert markiert eine Grenze, ab der es für Gesundheitsämter schwer wird, alle Kontaktketten zuverlässig nachzuverfolgen. Am 28. August meldeten 15 Landkreise mehr als 30 Neu-Infektionen pro 100.000 Einwohner und waren damit gefährdet, die kritische Grenze zu erreichen. Gleichzeitig nahm die Zahl der Landkreise, die keine einzige Neu-Infektion bekannt gaben, zuletzt kontinuierlich ab. Am 28. August meldeten nur noch 19 Landkreise in den letzten sieben Tagen keine neuen Fälle. Am 1. August waren es noch 87.

Okay. Das sind viele Zahlen. Wie schlimm ist es also gerade?

Es ist zumindest beunruhigend. Aus zwei Gründen: Seit Mitte Juli steigt die Kurve von Neuinfektionen und aktiven Fällen stetig. Und: Sie sind gleichmäßiger über Deutschland verteilt, anders als noch im Mai und Juni. Damals gab es vor allem Ausbrüche in Clustern: Die neu entdeckten Infektionen hingen mit bereits bekannten zusammen. Jetzt ist das anders.

Politiker:innen und Gesundheitsexpert:innen machen sich Sorgen, dass sich aus dem kontinuierlichen Anstieg ein exponentieller entwickeln könnte. Denn aus 1571 neuen Fällen können schnell viel mehr werden.

Sind diese Sorgen berechtigt?

Kurze Antwort: Ja. Je mehr Infizierte, desto schneller kann die Situation aus dem Ruder laufen.

Und lange Antwort?

Die wäre: Das ist keine ganz einfache Frage. Wir haben zwar jede Menge Zahlen – aber bei vielen Fragen helfen die nicht weiter.

Woran machst du zum Beispiel fest, ob Deutschland noch gut da steht oder ob die Behörden der Entwicklung hinterherlaufen? Die kritische Marke für Landkreise liegt bei 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner:innen in einer Woche. Aber ab wie vielen Landkreisen, die diese Marke überschritten haben, droht es zu kippen? Und wie viele Landkreise ohne Neuinfektionen brauchen wir, um uns sicher genug zu fühlen?

Natürlich sehnen wir uns nach Klarheit. Aber die Wahrheit ist: Es gibt keine definitive Grenze, an der man festmachen kann, ob ein kontinuierlicher Anstieg der positiv Getesteten in eine exponentielle Entwicklung kippt. Wie schlimm es im Moment ist, kann nie jemand mit Sicherheit sagen. Wir können höchstens sagen, wie dynamisch sich das Virus vor einer Woche in Deutschland ausbreitete. Wenn sich jemand neu infiziert, dauert es nämlich sieben bis zehn Tage, bis ein Testergebnis vorliegt. Das ist also wie Lesen in einer zehn Tage alten Zeitung.

Wenn mehr getestet wird, findet man doch automatisch mehr Infizierte. Steigt die Zahl der bestätigten Neu-Infizierten nicht vor allem deshalb, weil sich so viele Urlauber:innen testen lassen?

Wenn mehr getestet wird, steigt die absolute Zahl der positiv Getesteten in der Regel an. Deshalb ist es wichtig, diese Zahl ins Verhältnis zu setzen zur Anzahl der Tests. Das leistet die sogenannte Positivenrate. An ihr kannst du ablesen, wie viel Prozent aller durchgeführten Tests positiv ausfielen. Je höher diese Zahl ist, desto mehr Sorgen muss man sich machen, denn desto wahrscheinlicher ist es, dass viele Menschen, die sich nicht testen lassen (konnten), ebenfalls infiziert sind.

Das Robert Koch-Institut gibt die Positivenrate immer mittwochs bekannt. In der Tabelle werden die Positivenraten der einzelnen Kalenderwochen aufgeführt. Daraus kannst du ablesen, dass in den Augustwochen die Zahl der Tests um circa 400.000 in vier Wochen zugenommen hat, die Positivenrate jedoch relativ gleich geblieben ist. Sie lag im August bei etwa einem Prozent und sank in der 34. Kalenderwoche sogar wieder unter 0,9 Prozent. Das heißt: Absolut betrachtet stieg zwar die Zahl der Neu-Infizierten in dieser Kalenderwoche im Vergleich zur Vorwoche deutlich an, der relative Anteil der positiv Getesteten an allen Getesteten blieb aber ziemlich konstant. Das ist eine gute Nachricht, weil es darauf hindeutet, dass die Tests einen großen Anteil derjenigen finden, die tatsächlich infiziert sind.

Die niedrigste Positivenrate gab es Anfang Juli mit gut einem halben Prozent. Und die höchste Anfang April mit ungefähr neun Prozent.

Okay, wenn ich dich richtig verstehe, haben wir seit Anfang August eine gleichbleibende, kontinuierliche Erhöhung der Infektionen. Also keine zweite Welle?

Wenn die absolute Zahl der frisch Infizierten zunimmt und damit auch die Zahl der aktiven Corona-Infektionen insgesamt, ist das immer ein Grund zur Sorge. Selbst dann, wenn es daran liegt, dass mehr getestet wurde. Mehr Fälle heißt: mehr potenzielle Neuansteckungen und mehr Menschen, die einen schweren Covid-Verlauf erleben oder sogar daran sterben könnten.

Trotzdem darf man nicht nur fragen, wie viele Menschen infiziert sind, sondern auch, wer infiziert ist. Am 28. April war im Gegensatz zum 28. August der Anteil älterer Menschen an den Infizierten viel größer als jetzt. Im Moment sind vor allem jüngere Menschen betroffen. Circa 40 Prozent der positiv Getesteten sind zudem Reiserückkehrer:innen. Das erklärt die Altersstruktur. Weil sie ein geringeres Risiko für schwere Krankheitsverläufe haben, steigt auch die Zahl der Menschen, die wegen Covid-19 im Krankenhaus behandelt werden müssen, derzeit kaum. Noch nicht. Unter anderem damit das so bleibt, sollten sich Reiserückkehrer:innen kostenlos testen lassen. Die Hoffnung war und ist, dass sich weniger Menschen insgesamt neu infizieren, wenn alle, die sich im Urlaub angesteckt haben, erst mal zuhause bleiben.

Aber eigentlich mag ich den Begriff „zweite Welle“ nicht.

Warum?

Er legt nahe, dass wir den Naturkräften hilflos ausgeliefert sind. Und dass wir diese Kräfte wahrnehmen, sobald sie über uns hereinbrechen. Beides traf noch nie auf das Infektionsgeschehen in dieser Pandemie zu. Erstens, bestimmen unser Verhalten und die Maßnahmen der Politiker:innen, wie viele Menschen sich neu anstecken und wo die Infektionsketten unterbrochen werden. Zweitens, können wir dieses Geschehen nicht in Echtzeit messen. Deshalb vermeide ich den Begriff.

Wie gut ist Deutschland auf steigende Infiziertenzahlen vorbereitet?

Das wird jetzt eine Antwort in mehreren Teilen.

Fang vorne an.

Gut, fangen wir bei den Gesundheitsämtern an. Sie sind entscheidend. Wenn sich zu viele Menschen gleichzeitig anstecken, können sie die Infizierten vielleicht nicht schnell genug finden und isolieren. Vor allem dann nicht, wenn diese Menschen in der Inkubationszeit, also der Zeit zwischen Ansteckung und ersten Symptomen, Kontakte zu vielen anderen hatten. Zwei bis drei Wochen nach der Ansteckung laufen dann in betroffenen Regionen die Krankenhäuser heiß, weil etwa 15 Prozent der Infizierten einen schweren Krankheitsverlauf erleben.

Wenn sich zu viele Menschen gleichzeitig infizieren und damit die Zahl der schweren Verläufe zu sehr steigt, wären wir in einer ähnlichen Situation, wie wir sie im Frühjahr hatten. Damit dann Kontakteinschränkungen nicht deutschlandweit erlassen werden müssen, haben die Bundes- und Landesregierungen die Grenze von 50 Neuinfektionen in den letzten sieben Tagen pro 100.000 Einwohner festgelegt. Damit haben jeder Landkreis und die kreisfreien Städte die Möglichkeit, durch strengere Kontakteinschränkungen zu verhindern, dass die Gesundheitsversorgung in der Region in Not gerät. Diese Maßnahme hilft den Gesundheitsämtern, die Kontrolle zu behalten. Allerdings ist das Personal in den Ämtern immer noch sehr knapp, und es wird schwer, wenn auf einen Schlag sehr viele Menschen gefunden werden müssen, die sich infiziert haben könnten. Das war zum Beispiel in Gütersloh so. Da musste die Bundeswehr dann mithelfen, alle Kontakte zu finden.

Ich stelle mir auch vor, dass die Arztpraxen ziemlich überrannt werden könnten im Herbst. Wie gut sind sie vorbereitet?

Die Ärztekammern bereiten ihre Mitglieder schon auf diese Situation vor. Es gibt mehr Grippe-Impfstoff als in den Vorjahren und es sollen bei steigenden Zahlen wieder Testzentren eingerichtet werden, damit nicht alle, die befürchten, mit Corona infiziert zu sein, zur Hausarztpraxis gehen müssen. Das Testen ist für die Praxen auch schwierig zu organisieren, denn jeder Verdachtsfall sollte nicht mit anderen Patient:innen in Kontakt kommen und auch die Praxisteams müssen sich schützen. Nicht jede Praxis ist so gebaut, dass das gut klappen kann. Deshalb kann es wichtig werden, Testzentren einzurichten, zu denen die Corona-Verdachtsfälle geleitet werden können.

Und wie steht es um die Krankenhäuser? Wie gut sind sie gewappnet?

Die technische Ausstattung der Krankenhäuser ist gut: Es gibt inzwischen ausreichend Beatmungsgeräte, auch wenn der Bedarf Spitzenwerte erreichen sollte. Auch Intensivbetten und Isolierstationen lassen sich in relativ kurzer Zeit einrichten. Das zeigen die Erfahrungen aus dem Frühjahr.

Was jedoch unklar ist: Gibt es genug Personal? Intensivbetten und Beatmungsgeräte müssen betreut werden. Dafür braucht man hochqualifizierte und motivierte Fachkräfte. Die Diskussionen um ausreichende Schutzausrüstung und eine gute Teststrategie für das Personal und der Streit um Gefahrenzulagen und angemessene Bezahlung der Pflegefachkräfte sorgt bei den Beschäftigten nicht gerade für mehr Vertrauen in die Politik. Es ist schwer abzuschätzen, ob es zu Problemen führen wird, wenn man von den Krankenhausmitarbeiter:innen verlangt, über die Belastungsgrenze hinaus zu arbeiten – was sie sicher tun müssten, wenn die Infiziertenzahlen zu hoch werden.

Herbst ist Fieber- und Schnupfenzeit. Muss ich mich jetzt ständig gegen Corona testen lassen?

Das wird schwierig. Die Rohstoffe für Tests werden durch die Testungen der Urlauber:innen jetzt schon knapp. Deshalb läuft diese Regelung in den meisten Bundesländern Mitte September aus. Wenn sich jede:r mit Erkältungssymptomen testen ließe, wären die Labore schnell überfordert. Und das, obwohl die Testkapazitäten ständig ausgebaut werden und jetzt schon bei circa einer Million pro Woche liegen.

Blöd ist, dass die häufigsten Symptome von Covid-19 solche sind, die man in der dunklen Jahreszeit dauernd hat, ohne sich mit dem Coronavirus infiziert zu haben: Husten, Fieber, Krankheitsgefühl. Nur der vorübergehende Geruchs- und Geschmacksverlust deutet auf eine Infektion mit dem Coronavirus hin.

Hinter jedem Husten und Schnupfen könnte theoretisch Corona stecken. Und es ist verständlich, dass du in dieser Situation wissen willst, ob du infiziert bist. Aber du musst damit rechnen, dass du im Herbst nur schlecht einen Termin für einen Test bekommen wirst. So war es schon im Frühjahr.

Nicht nur die Symptome sind ein wichtiger Indikator für eine Coronainfektion, auch die Frage, ob man zu infizierten Menschen Kontakt hatte, ist es. Deshalb solltest du dich immer fragen: Wie wahrscheinlich ist es, dass ich mich angesteckt habe? Dieser Entscheidungsbaum hilft dir, die Wahrscheinlichkeit besser einzuschätzen, ob du dich mit dem Coronavirus angesteckt haben könntest.

Okay. Hast du sonst noch Tipps für den Herbst?

Durch die lange Inkubationszeit ist es oft schwierig, alle Menschen zu finden, die möglicherweise angesteckt sein könnten. Deshalb ist es eine gute Idee, aufzuschreiben, zu wem du alles Kontakt hast, also ein Kontakttagebuch zu führen. Und in Situationen, in denen du unter Fremden bist, hilft es, die Corona-Warn-App zu nutzen – zum Beispiel bei Zugfahrten. Das erleichtert es sowohl den Arztpraxen, zu entscheiden, ob du einen Test brauchst, als auch den Gesundheitsämtern, alle Kontakte schnell zu finden.

Wie schlimm der Herbst für mich persönlich wird, hängt aber nicht nur davon ab, wie gut Deutschland insgesamt vorbereitet ist, oder?

Sicher nicht. Bisher haben wir die Pandemie eigentlich nur bei relativ gutem Wetter erlebt. Spazieren gehen, im Park oder draußen im Café sitzen – alles war problemlos möglich, nachdem die strengste Phase der Kontakteinschränkungen vorbei war. Das wird sehr viel schwieriger bei Regen oder Schnee und kaltem Wind. Wir werden wieder viel mehr drin sein müssen. In Innenräumen ist jedoch das Ansteckungsrisiko bis zu 19-mal höher.

Das wird wohl dazu führen, dass wir freiwillig weniger unter Menschen gehen, nicht zusammen essen, feiern oder Sport treiben. All das kann dein Stresslevel nach oben treiben. Gleichzeitig nimmt die Dunkelheit zu. Zu den üblichen Herausforderungen der dunklen Jahreszeit kommt die Unsicherheit bei jedem Husten, ob du dich mit Corona angesteckt haben könntest. Diese Unsicherheit wird sich nicht in jedem Fall beseitigen lassen. Dadurch steigt dein Stresslevel weiter. Wenn dann noch Angst dazu kommt, den Arbeitsplatz zu verlieren, oder Überlastung, weil du Kinderbetreuung und Arbeiten unter einen Hut bringen musst, wenn Schulen und Kitas nicht im Regelbetrieb funktionieren, kann das mit dem Stress ziemlich schlimm werden.

Es ist sinnvoll, wenn du dir schon jetzt einen kleinen Plan machst, was du tun willst, wenn du dich down fühlst. Überlege dir, was dir wirklich gut tut. Ist das Netflix? Oder eher ein guter Roman? Vielleicht gibt es eine App, die dir hilft, dass du dein tägliches Bewegungspensum bekommst, auch wenn es draußen regnet und du nicht ins Fitnessstudio oder in die Trainingshalle gehen magst. Erkläre deinen Freund:innen und Verwandten, wie die Kommunikation über das Internet über Skype oder Zoom funktionieren, falls sie bei solchen Tools Berührungsängste haben. So kannst du mit ihnen in Kontakt bleiben, auch wenn ihr euch mal nicht treffen wollt oder könnt.

Puh. Dann ist das Motto wohl: Nüsse sammeln für den Winter.

Ja, das ist sicher eine gute Idee. Diese Pandemie ist eine ziemliche Herausforderung für alle. Viel hängt davon ab, wie gut wir das, was wir im Frühjahr gelernt haben, umsetzen. Was dazu gehört, schaue ich mir in meinem nächsten Text genauer an.


Redaktion: Philipp Daum, Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Martin Gommel