Wir sehen eine Pflegefachperson, die am Bett eines Patienten steht, das umgeben von vielen Schläuchen ist und Monitoren ist.

© Getty Images / BSIP

Psyche und Gesundheit

Was wir tun müssen, damit Pflegekräfte endlich besser bezahlt werden

Corona hat gezeigt, wie wichtig gute Pflege für uns alle ist. Trotzdem verdienen Pflegefachleute vergleichsweise schlecht. Deswegen fehlt es an Nachwuchs. Ich habe acht Vorschläge gesammelt, wie sich das ändern kann.

Profilbild von Lisa Becke

Am Anfang von Corona waren sie plötzlich Held:innen: Pflegefachleute. Sie verrichteten schließlich in „systemrelevanten“ Berufen wichtige Arbeiten für die Gesellschaft. Das konnte nun jeder sehen. Gesundheitsminister Spahn (CDU) versprach eine Corona-Prämie und auf den Balkonen standen die Bürger:innen und applaudierten.

Nun aber, vermutlich in der Mitte der Corona-Krise, hat sich nicht viel geändert an dem zentralen Problem in unserem Pflegesystem: Pflegefachpersonen verdienen immer noch schlecht. Etwa die Hälfte der heute tätigen Pflegefachfrauen und -männer würden sich mit ihrem heutigen Wissen nicht wieder für den Beruf entscheiden. Ein Grund: die schlechte Bezahlung. Das ergab eine Umfrage der grünen Bundestagsabgeordneten Elisabeth Scharfenberg unter mehr als 4.000 Pflegefachpersonen im Jahr 2016. Die Fachkräfte nehmen ihren Lohn als nicht leistungsgerecht wahr. Also nicht angemessen für das, was sie tatsächlich jeden Tag an Arbeit leisten. Die Corona-Krise verstärkt dieses Gefühl nochmal.

Die konkrete Bezahlung hängt von vielen Dingen ab: Ausbildung, Arbeitsort, Bundesland, Arbeitgeber. Im Schnitt verdient eine deutsche Pflegefachperson laut Bundesagentur für Arbeit in der Altenpflege 2.879 Euro brutto, bei Hilfskräften sind es 800 Euro weniger. Beschäftigte in der Krankenpflege hingegen verdienen deutlich mehr als in der Altenpflege. So haben Fachkräfte in den Krankenhäusern durchschnittlich 3.405 Euro auf dem Lohnzettel.

Man könnte sagen: eigentlich nicht schlecht. Aber: In Deutschland „verdienen Fachkräfte in den Bereichen Gesundheit und Pflege weniger als die Mehrheit aller in Deutschland abhängig Beschäftigten.“ Zu diesem Ergebnis kommen die Wissenschaftlerinnen Lena Hipp und Nadiya Kelle 2016 in einer Studie im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung. Außerdem verdienen Beschäftigte in diesen Berufen „weniger als Beschäftigte mit vergleichbarem Profil und ähnlichen Arbeitszeiten in anderen Berufen.“

Und zweites Aber: In Deutschland fehlen mehr als 25.000 Fachkräfte in der Kranken- und Altenpflege. Das sagte die Bundesregierung dem Bundestag im Jahr 2018. Gleichzeitig steigt der Bedarf an Pflegerfachleuten immer weiter, weil die deutsche Gesellschaft im Schnitt älter wird. Wenn sich die momentanen Trends fortsetzen, werden bis 2030 sogar 500.000 Fachkräften fehlen, so die Bertelsmann Stiftung.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat deswegen die Pflege zu einem zentralen Thema seiner Amtszeit gemacht. In einem ersten Schritt wurden die Mindestlöhne in der Altenpflege angehoben. Nur „zu diesem Mindestlohn lohnt sich eine dreijährige Ausbildung nicht.“ Das sagt die Pflegewissenschaftlerin Martina Hasseler. Wenn ihre eigene Tochter sich für einen Pflegeberuf entscheiden würde, würde sie ihr davon abraten, sagt sie, die selbst ausgebildete Pflegefachkraft ist.

Was also tun? Wie kann die Bezahlung dauerhaft besser werden? Um das herauszufinden, habe ich in die Geschichte geschaut und in andere Länder. Im Groben gibt es acht Punkte, die die Bezahlung von Pflegefachkräften verbessern könnten. Bei einigen sind die Pflegefachleute selbst gefragt, bei anderen die Politik, bei anderen wir alle. Zusammen könnten sie helfen, das zentrale strukturelle Problem in unserem Pflegesystem zu lösen.

1. Mehr Pflegefachkräfte müssen in eine Gewerkschaft eintreten

„In der Pflege ist es schwer, klassische Arbeitskämpfe zu führen“, sagt Astrid Sauermann von der Gewerkschaft Verdi. Denn nur wenige Pflegefachkräfte in Deutschland sind überhaupt Mitglied in einer Gewerkschaft. Offizielle Zahlen gibt es nicht, Schätzungen gehen davon aus, dass sich nur zehn Prozent der Pflegefachpersonen, die in der Altenpflege arbeiten, in einer Gewerkschaft wie Verdi, Komba oder dem im Mai diesen Jahres neu gegründeten Bochumer Bund organisieren.

Warum ist das wichtig? Weil Gewerkschaften eines der besten Mittel sind, um bessere Löhne zu bekommen.

Warum treten nur so wenige Pflegefachkräfte in eine Gewerkschaft ein? Das erklären Wissenschaftler:innen oft mit einer grundlegenden Eigenschaft von Pflegearbeit: Pflege ist Arbeit am Menschen. Kranke und weniger selbständige Menschen brauchen schlicht jemanden, der sich um sie kümmert. Deshalb hätten viele Pflegefachkräfte Hemmungen, die Arbeit niederzulegen, Druck aufzubauen und eine höhere Bezahlung zu fordern, sagt Sauermann von Verdi. Denn Beschäftigte sorgten sich, dass Patient:innen Schaden nehmen könnten, wenn sie streiken. „Wir erklären immer wieder, dass es im Streik einen Notdienst gibt, der die Menschen versorgt“, sagt sie, „dass Streik also trotzdem geht.“

Noch ein weiteres Problem gebe es: Wenn Verdi-Mitarbeiter:innen in Einrichtungen unterwegs seien, um Pflegefachkräfte für die Gewerkschaft zu gewinnen, stießen sie oft auf Unwissen darüber, was eine Gewerkschaft tue und für was sie gut sei, so Sauermann. Zunächst muss also ein Bewusstsein geschaffen werden, „dass man eine Gehaltserhöhung und gute Arbeitsbedingungen nicht geschenkt bekommt, sondern dass man dafür kämpfen muss“, sagt die Gewerkschafterin.

Gewerkschaften können mit Arbeitgebern bessere Löhne für Beschäftigte aushandeln. Am Ende dieser Verhandlungen steht ein sogenannter Tarifvertrag, in welchem beispielsweise höhere Löhne und sonstige Arbeitsbedingungen festgeschrieben sind. Der Tarifvertrag gilt zunächst einmal nur für die Arbeitgeber, die den Tarifvertrag mit ausgehandelt haben. Hier ist die sogenannte Tarifbindung wichtig: Sie gibt an, für wie viele Betriebe und Beschäftigte in einer Branche die Bestimmungen aus dem Tarifvertrag gelten. Gerade in der Altenpflege ist die Tarifbindung nur sehr gering. Deshalb verhandelt Verdi momentan mit der Bundesvereinigung der Arbeitgeber in der Pflegebranche über einen Tarifvertrag in der Altenpflege. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) sagte im Januar, dass sein Ziel, bessere Löhne zu erreichen, mit den oben erwähnten Mindestlöhnen noch nicht erreicht sei: „Denn der bessere Weg, zu Verbesserungen für die Beschäftigten in der Pflege zu kommen, ist ein Branchentarifvertrag, den ich für allgemeinverbindlich erklären kann.“ Das heißt, Heil will dann dafür sorgen, dass die Bestimmungen, die jetzt ausgehandelt werden, für alle in der Altenpflege gelten.

2. Menschen aus der Pflege müssen mehr mitbestimmen dürfen

Dass sich die einzelnen Pflegefachkräfte organisieren, ist wichtig – aber reicht nicht aus.

Man mache es sich zu bequem, wenn man die Verantwortung auf die einzelnen Pflegefachkräfte abwälzt, findet die Gesundheitswissenschaftlerin Hasseler. Denn es gebe ein strukturelles Ungleichgewicht dabei, wie wichtige Entscheidungen im deutschen Gesundheitswesen getroffen werden: Die Entscheider:innen hören zu wenig auf Menschen aus der Pflege. Während die Ärzt:innenschaft gut organisiert ist und mitbestimmt, ist das bei den Pflegeberufen nicht der Fall. Das müsse sich ändern, wenn sich an der Stellung der Pflege in der Gesellschaft und auch an der finanziellen Situation der Pflegefachkräfte etwas ändern soll, da sind sich die beiden Pflegewissenschaftlerinnen Hasseler und Gudrun Piechotta-Henze von der Alice-Salomon-Hochschule in Berlin einig. Sie schlagen die sogenannte Verkammerung der Pflege vor.

Mehr zum Thema

Um zu verstehen, was das bedeutet, müssen wir uns anschauen, wie das deutsche Gesundheitswesen organisiert ist. Das deutsche System wird oft als „korporatistisch“ bezeichnet. Das bedeutet, dass der Staat die Gestaltung und Steuerung des Gesundheitswesens an selbstverwaltete Organisationen abgegeben hat. Das bedeutet unter anderem, dass sich Vertreter:innen der Ärzt:innenschaft, der Krankenhäuser und der gesetzlichen Krankenkassen in einem Gremium treffen, wo sie ihre Standpunkte aushandeln und wichtige Entscheidungen treffen.

Hasseler und Piechotta-Henze kritisieren, dass in diesem komplizierten korporatistischen System die Belange der Pflege nicht ausreichend berücksichtigt werden. Sie sagen, dass sich für die Pflegeberufe nur etwas ändern kann, wenn sie in einer eigenen Körperschaft, einer Kammer organisiert, also strukturell im System verankert sind. Die Pflegeberufe sollen „nicht nur nett am Tisch sitzen, sondern tatsächlich mitbestimmen können“, sagt Hasseler. Deshalb fordert sie Pflegekammern, die ähnlich organisiert sind wie die Ärztekammern. Das würde bedeuten, dass jede Pflegefachkraft, die in Deutschland arbeitet, in der jeweiligen Pflegekammer ihres Bundeslandes Mitglied sein muss, und dort auch einen entsprechenden Beitrag bezahlt – so wie das bei Ärzt:innen auch der Fall ist. Diese Kammern würden sich dann für die beruflichen Belange des Pflegepersonals einsetzen. Es gibt Bewegung in dieser Sache: In Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein gibt es jeweils eine Pflegekammer. Noch aber gibt es viel Widerstand dagegen: Die Gewerkschaft Verdi etwa sieht keinen Nutzen in einer Kammer, sondern findet, dass die Aufgaben bereits heute durch „Gewerkschaften, staatliche Behörden und Berufsverbände erfüllt werden.“ Auch einige der Pflegenden selbst wehren sich. Letztes Jahr demonstrierten sie in Niedersachsen gegen die Pflegekammer, denn eine Kammer bedeutet immer auch, dass die Mitglieder Beiträge bezahlen müssen.

3. Mehr Männer müssen in Pflegeberufen arbeiten

Warum die Pflege so schlecht organisiert ist, zeigt ein Blick in die Geschichte. Es waren hauptsächlich Frauen die Pflegearbeit verrichteten – auch heute sind vier von fünf Erwerbstätigen in der Alten- und Krankenpflege weiblich, so die Bundesagentur für Arbeit. Frauen aber durften früher nicht in eine Gewerkschaft eintreten oder Vereine gründen. Hinzu kommt, dass pflegerische Tätigkeiten ursprünglich von Ordensschwestern übernommen wurden, ohne Bezahlung. Deshalb sei die Frage der Entlohnung in den Pflegeberufen auch eine Geschlechterfrage, sagt Piechotta-Henze. „Frauen begreifen sich oft weniger als politische Akteure, die auch Macht haben und etwas bewirken können.“

Manche Wissenschaftler:innen schlussfolgern deshalb, dass wir es schaffen müssen, dass mehr Männer in den Pflegeberufen arbeiten. Weil diese oftmals noch immer eher als die Versorger der Familie angesehen werden, könnte es sein, dass ein höherer Männeranteil zu höheren Löhnen führen würde, lautet hier das Argument. Studien haben gezeigt, dass die Berufe mit höherem Frauenanteil schlechter bezahlt sind. Deshalb schlussfolgern auch Hipp und Kelle in ihrer Studie: Damit der Beruf finanziell aufgewertet wird, „müssen Fürsorgeberufe auch für Männer attraktiv werden.“

4. Pflegefachkräfte brauchen mehr Verantwortung

Zu Beginn diesen Jahres hat der Gesetzgeber die Ausbildung der Pflegefachkräfte verändert: Altenpflege- und Krankenpflegekräfte werden nun gemeinsam ausgebildet, die korrekte Berufsbezeichnung für alle lautet nun Pflegefachperson. Das soll den Beruf attraktiver machen, weil Absolvent:innen dann nicht mehr auf das eine Feld begrenzt sind. Auch einige Hochschulen und Universitäten bieten inzwischen ein Studium für die Pflege an. Das heißt es gibt zwei unterschiedliche Wege: Ausbildung oder Studium.

In anderen Ländern ist Pflege oft ausschließlich ein Studium. „Im internationalen Raum haben Pflegefachkräfte höhere Kompetenzen“, sagt Hasseler. Dort gibt es hochqualifizierte Pflegefachkräfte mit Masterabschluss, die in der Gesundheitsversorgung arbeiten. In Großbritannien arbeiten die sogenannten ‚Nurse Practicioners‘, die eigenverantwortlich in einer Praxis arbeiten können. Diese höhere Verantwortung kann sich dann auch in der Bezahlung widerspiegeln. Wenn es um die Qualifizierung der Pflegefachkräfte in Deutschland geht, spricht Piechotta-Henze von einem „Sonderweg“, Hasseler von einem „kleinen gallischen Dorf“, das sich widersetzt. Auch Hipp und Kelle fordern in ihrer Studie eine steigende Professionalisierung der Pflege. Denn das ginge nicht nur mit einer finanziellen Aufwertung einher „sondern würde auch das gesellschaftliche Bild der Arbeit von Alten- und Krankenpfleger:innen verändern.“

Die Qualifizierung hängt damit zusammen, welche Aufgaben Pflegefachkräfte übernehmen dürfen, und welche beispielsweise eine:r Ärzt:in vorbehalten sind. Hier ist deshalb das Verhältnis zwischen der Ärzt:innenschaft und den Pflegefachleuten wichtig. Unser Gesundheitssystem ist „ärzt:innendominiert“, sagt Piechotta-Henze. Gerade im Krankenhaus gebe es bis heute eine starke Hierarchie. Einzelne Ärzt:innen wollten zwar „auf Augenhöhe“ mit Pflegefachleuten zusammenarbeiten. In dem „ärzt:innendominierten Gesundheitssystem mit einer starken Ärzt:innenlobby und starken Ärztekammern“ werde das aber vereitelt. „Es geht hier natürlich auch um ein Machtverhältnis“, sagt sie, dem zwischen Ärzt:innenschaft und Pflegefachfrauen und -männern.

5. Mehr Einrichtungen müssen wieder in öffentlicher Hand sein

Durch die Einführung der Pflegeversicherung Mitte der 1990er-Jahre wurde die Altenpflege aus der Krankenpflege herausgelöst, und gleichzeitig der Pflege-Markt für private Investoren geöffnet. „Das hat auch zu weniger Beschäftigungsstabilität und geringeren Einkommen geführt“, sagt Piechotta-Henze. In kommerziellen Einrichtungen ist die Tarifbindung viel geringer als bei kommunalen Trägern. „Es sollten grundsätzlich keine kommunalen oder freigemeinnützigen Kliniken mehr an kommerzielle Träger verkauft werden. Bereits privatisierte Einrichtungen sollten rekommunalisiert werden“, fordert deshalb Grit Genster von der Gewerkschaft Verdi. Freigemeinnützig sind beispielsweise solche Einrichtungen, die von einer Kirche oder dem Roten Kreuz betrieben werden. Piechotta-Henze schlägt vor, verstärkt auf Gesundheitszentren zu setzen, die in kommunaler Hand sind mit Löhnen nach Tarif. Solche Gesundheitszentren mit mehreren Ärzt:innen unter einem Dach könnten nicht nur die Löhne verbessern, sondern hätten noch weitere Vorteile für die Gesundheitsversorgung in Deutschland.

6. Es muss mehr Geld in den Sektor fließen

Um das erreichen zu können, müsse mehr Geld in den Sektor fließen, sagt Piechotta-Henze. Dabei ist es natürlich wichtig, die Ausgaben nicht nur zu steigern, sondern sie müssen auch „so gelenkt werden, dass sie tatsächlich den Beschäftigten zugutekommen“, so Hipp und Kelle in ihrer Studie.

„Wir müssen uns das leisten“, sagt der Gesundheitsökonom Heinz Rothgang von der Universität Bremen. Gerade im Bereich der Altenpflege sieht er großen Handlungsbedarf. Er skizziert drei unterschiedliche Wege: höhere Beitragssätze, einen Steuerzuschuss, oder die Einbeziehung der Privatversicherten, die wesentlich besser verdienen. Das zweigleisige Versicherungssystem in Deutschland, also die Aufteilung in gesetzlich oder privat versichert, könne rational nicht gerechtfertigt werden, sagt Rothgang. Weil damit aber viele Privilegien verbunden sind, denkt er nicht, dass sich da tatsächlich etwas ändern wird – zumindest in dieser Legislaturperiode. Auch für steigende Beitragssätze sieht er aktuell keine große Akzeptanz. Für eine höhere Finanzierung aus Steuermitteln hingegen schon eher.

Der Vorschlag einer verstärkten Finanzierung aus Steuermitteln hängt auch mit der Idee des Gemeinwohlcharakters der Gesundheitsversorgung zusammen. Natürlich sind in erster Linie Kranke und Pflegebedürftige auf die Arbeit von Pflegefachpersonen angewiesen. Gleichzeitig ist es aber auch für die ganze Gesellschaft von Vorteil, wenn beispielsweise Krankheiten früh erkannt und abgewendet werden können oder wenn die Heilung schnell verläuft. Denn das bedeutet dann beispielsweise, dass diese Person wieder zur Arbeit gehen kann. Diese positiven Effekte einer guten Gesundheitsversorgung für die ganze Gesellschaft, die über die einzelne Patient:in hinausgehen, werden bisher nicht ausreichend wertgeschätzt.

7. Wir brauchen ein neues Verständnis von Produktivität

Für höhere Löhne muss jemand bereit sein, mehr Geld für professionelle Fürsorgearbeit auszugeben. Das wird aber dadurch erschwert, dass wir an einem alten Verständnis von Produktivität, und also Leistung, festkleben. Dieses alte Verständnis ist oftmals auf produzierte Güter festgeschrieben, nach dem Motto „wie viel wurde in einer Stunde produziert“, sagt der Sozialwissenschaftler Bruno Palier, der sich mit dieser Unterscheidung von Arbeit in produktiv und unproduktiv beschäftigt. Jobs in der Pflege zählt er dabei zu letzterer Kategorie. Auch Piechotta-Henze sagt: „Die Arbeit, die als produktiv angesehen wird, beispielsweise Jobs in der Autoindustrie, wird als sehr wertvoll eingeschätzt und gut bezahlt.“ Nur wenn wir davon abkommen, könne man eine bessere Wertschätzung der Pflegeberufe erreichen. Und nur durch mehr Wertschätzung kann sich auch die Bezahlung verbessern.

8. Wir müssen darüber sprechen, was gute Pflege ist

Ob wir Pflegearbeit in die Kategorie der sogenannten wichtigen, leistungsstarken Arbeit einordnen, hängt auch von unserem Verständnis von Pflegearbeit ab: also davon, was die Arbeit der Pflegefachkräfte für unsere Gesellschaft und auch die Politik bedeutet. Der Pflegeberuf in Deutschland würde immerzu mit Adjektiven wie „hingebungsvoll“ und „aufopferungsvoll“ beschrieben, kritisiert die Pflegewissenschaftlerin Hasseler. Auch die Pflegefachfrau Kathrin Hüster stört sich an dem Bild von Pflegearbeit in der Gesellschaft. In ihrem Podcast Srunbequem, was für „Schwester Unbequem“ steht, sagt sie: „Wir machen das nicht aus Berufung, nicht aus Barmherzigkeit, sondern weil wir damit Rechnungen bezahlen müssen.“

Die ersten Kategorien, also hingebungs- und aufopferungsvoll, Berufung und Barmherzigkeit, stehen dabei in der Nähe einer natürlichen Begabung und Neigung, und verschleiern, dass es sich um einen Beruf handelt, der Wissen und Fachlichkeit verlangt. Außerdem schreiben Hipp und Kelle in ihrer Studie: „Selbst bei Hilfstätigkeiten handelt es sich um Arbeiten mit hohen emotionalen und kognitiven Ansprüchen und keinesfalls um Arbeit, die jeder kann.“ Hier geht es also um das Bild von Pflege, das in unseren Köpfen verankert ist – und darum, wie viel Bezahlung eine solche Tätigkeit „verdient“ hat. Die unterschiedlichen Auffassungen davon, was Pflege bedeutet, macht die gelernte Pflegefachfrau Piechotta-Henze an folgendem Beispiel deutlich: „Wer Nahrung reicht und bei der Nahrungsaufnahme unterstützt, vielleicht Schlucktraining damit verbindet, aktiviert pflegerisch und sieht den aktiven Part bei dem zu pflegenden Menschen; dieser schmeckt und schluckt aktiv, hält inne, wenn er satt ist und so weiter.“

Kurzum: Es gibt Einiges, das getan werden kann, um Pflegearbeit besser zu bezahlen. Wenn sich mehr Pflegefachkräfte organisieren, können sie besser für einen höheren Lohn kämpfen; gleichzeitig muss die Pflege aber auch strukturell mehr Gewicht im Gesundheitssystem bekommen. Damit wieder mehr Einrichtungen in öffentlicher Hand sind, müssen wir bereit sein, mehr Geld in den Sektor zu stecken. Das sind wir eher, wenn sich das Bild von Pflegearbeit in unseren Köpfen wandelt. Dafür können wir Pflegefachleute höher qualifizieren und ihnen gegenüber Ärzt:innen mehr Verantwortung und Eigenständigkeit geben. Und wir müssen darüber sprechen, was gute Pflegearbeit ist und welchen Mehrwert sie für uns hat.

All das ist wichtig, damit es auch in Zukunft ausreichend geeignetes Personal gibt, das sich um uns kümmern kann. Dann, wenn wir besonders darauf angewiesen sind, nämlich wenn wir krank oder alt sind. Die meisten von uns werden sich einmal in einer solchen Situation befinden.


Redaktion: Rico Grimm, Schlussredaktion: Susan Mücke, Fotoredaktion: Martin Gommel