Am Strand in Brighton stehen eine Menge Menschen in einer Schlange vor einem Kiosk, andere laufen eng nebeneinander über die Promenade. Mundschutz trägt dabei niemand, der oder die zu sehen ist.

© Getty Images / Bryn Lennon

Psyche und Gesundheit

Wie gefährlich ist in Corona-Zeiten ein Tag am Strand wirklich?

Kein Artikel, kein Fernsehbeitrag über potenzielle Corona-Hotspots, der ohne Bilder von vollen Stränden und Stehpartys in Parks und Straßen auskommt. Dabei ist dort die Gefahr der Ansteckung vergleichsweise gering. Warum sehen wir nicht mehr Bilder von Orten, an denen wir uns viel leichter anstecken können?

Profilbild von Silke Jäger
Reporterin für Kopf und Körper

Hast du Angst, dass du dich am Strand, bei Gartenpartys oder in einer vollen Fußgängerzone mit dem Coronavirus anstecken könntest? Wenn ja, könnte es damit zu tun haben, dass viele Medien Bilder von all diesen Orten zeigen, wenn sie über eine erhöhte Ansteckungsgefahr oder Corona-Hotspots berichten. Dabei besteht ausgerechnet da, nämlich im Freien, ein recht geringes Risiko, sich das Virus einzufangen. Bilder von solchen Orten helfen uns nicht, zu verstehen, wo das Ansteckungsrisiko hoch ist – und wo nicht. Im Gegenteil: Sie verunsichern uns.

Bilder von Stränden gaukeln hohe Ansteckungsgefahr vor, wo kaum eine ist

Jüngstes Beispiel: Die Tagesschau berichtet auf ihrer Website am 21. Juli 2020 über die Situation in Spanien. Der Beitrag ist bebildert mit einem vollen Strand. In Spanien ist die Zahl der Corona-Neuinfektionen zuletzt stark angestiegen. Ende Juni steckten sich pro Tag etwa 560 Menschen neu an, am 6. Juli waren es schon mehr als doppelt so viele. Bis zum 20. Juli verdoppelte sich die Zahl noch zweimal; die Behörden meldeten 4.081 neue Fälle. Beunruhigend.

Spanien war immer wieder in den Schlagzeilen, weil Tourist:innen auf Mallorca Abstandsregeln bei Stehpartys im Freien nicht eingehalten hatten und beim Feiern auch keine Masken trugen. Daraufhin wurden die Lokale einer beliebten Partymeile auf der Insel geschlossen und die Maskenpflicht ausgeweitet.

Wer den Artikel der Tagesschau liest, findet das Wort Strand aber erst wieder im letzten Satz, in einem Aufruf: „Dass es so weit nicht kommt (die Rede ist von neuen Ausgangssperren), haben die Menschen in Spanien weitgehend selbst in der Hand: Weniger Strand und Party, mehr Maske.“ Der Rest des Textes beschreibt die Situation in Spanien und die Gründe, die es für die Zunahme der Neuansteckungen gibt. Dort steht: „Etwa die Hälfte der aktuell gut 200 Corona-Ausbruchsherde führen die spanischen Gesundheitsbehörden auf Familienfeiern oder Partys im Nachtleben zurück, bei denen oft viel Alkohol fließt und wenig auf Hygiene geachtet wird.“ Achso. Und was ist jetzt mit den Stränden? Berichte von Ausbruchsherden, die auf Strandbesuche zurückgeführt werden können, habe ich nicht gefunden. Ich frage mich: Warum ist der Beitrag denn nicht mit Fotos von Partys bebildert, wenn sie die Ursache für die besorgniserregende Entwicklung sein sollen?

Das Ansteckungsrisiko ist woanders viel höher

Das ist wie gesagt nur ein Beispiel von vielen. Nicht nur der Tagesschau passiert das. Ich sehe Strandbilder dauernd, zum Beispiel beim Rundfunk Berlin-Brandenburg, und auch in englischsprachigen Medien wie in der New York Times und der Washington Post. Die Botschaft: „Tststs, was sind die Menschen leichtsinnig geworden. Jetzt gehen sie schon an den Strand. Nicht auszudenken, wohin das führen kann!“

Ja, wohin kann es denn führen, wenn die Menschen ans Meer gehen und sich im Freien entspannen? Wie gefährlich ist es, draußen Menschen zu treffen, wenn man den Abstand von anderthalb Metern dabei überwiegend einhalten kann?

Was Wissenschaftler:innen dazu sagen, zeigt diese Grafik. Sie basiert auf der Arbeit von drei US-amerikanischen Expert:innen, die an verschiedenen Universitäten und Instituten arbeiten und Kommunen dabei beraten, wie sie Einrichtungen nach dem Lockdown sicher öffnen können.

Balkengrafik, die das Ansteckungsrisiko von verschiedenen Aktivitäten für das Coronavirus zeigt: niedrig, niedrig bis mittel, mittel, mittel bis hoch, hoch. Von Radfahren über Einkaufen und Besuch beim Arzt, im Restaurant und beim Gottesdienst.

Infografik: Bent Freiwald,Krautreporter

Am Strand zu liegen ist vergleichbar mit einem Picknick oder einem Spaziergang. Diese Situationen kann man ganz links eingruppieren, im grünen Feld mit der Überschrift: niedrig. Das Risiko, sich dabei mit dem Coronavirus anzustecken, ist gering. Am Strand zu sein ist ungefähr so gefährlich wie zu Hause zu bleiben – vorausgesetzt, der Abstand zu anderen ist groß genug. Virusbelastete Luft wird vom Wind verweht, und wenn das Sars-CoV-2-Virus auf UV-Strahlung ähnlich empfindlich reagiert, wie das für andere Coronaviren bereits bekannt ist und diese Studie nahelegt, ist ein Sonnenbad am Strand keine riskante Aktion.

Es gibt jedoch ein dickes Aber. Vier Dinge können das Strandleben gefährlicher machen, und das Ansteckungsrisiko in den orangefarbenen Bereich katapultieren (mehr dazu steht hier): Der Weg zum Strand in vollen öffentlichen Verkehrsmitteln. Lange Schlangen an Strandeingängen, Kiosken und Klos, vor denen viele Menschen ohne Maske und Abstand anstehen, wie die FAZ hier korrekt zeigt. Kinder aus verschiedenen Haushalten, die in engem Kontakt miteinander im Sand spielen. Und das, was nach dem Strandbesuch in nahegelegenen Bars passiert, vor allem, wenn die Menschen in schlecht belüfteten, geschlossenen Räumen feiern, bei lauter Musik und ohne Maske.

Insbesondere diese vier Dinge können Behörden dazu veranlassen, Strände zu schließen, wenn sie zu beliebt sind. Viele Strandbäder versuchen mithilfe von Ampelsystemen und Apps, die Menschen besser zu verteilen – oft mit mäßigem Erfolg.

Bilder von Hochrisikosituationen sind sinnvoller

Der Tagesschau-Bericht vermittelt auf den ersten Blick das Bild, der Strand an sich sei gefährlich. Erst, wenn man sich die Mühe macht und den Text liest, wird klar, was wirklich gefährlich ist: Partys mit viel Alkohol, in denen der Abstand nicht eingehalten wird. Vor allem, wenn laut gesungen oder gesprochen wird, wie in Discos, die ebenfalls als eine Ursache für die steigenden Infektionszahlen angesehen werden. In diesen Situationen entstehen besonders viele Aerosole, die inzwischen als ein Hauptübertragungsweg gelten.

Aerosole sind winzig kleine Tröpfchen (kleiner als fünf Mikrometer, hier nachzulesen), die wir beim Atmen und Sprechen ausstoßen. Sie können mit Viren belastet sein. Auch dann, wenn man selbst noch nicht weiß, dass man sich angesteckt hat. Denn das Virus Sars-Cov-2 verbreitet sich schon ein bis zwei Tage, bevor die ersten Symptome auftreten.

Aerosole können sich lange in der Raumluft halten, anders als Tröpfchen, die schwerer sind und nach ein bis zwei Metern zu Boden sinken. Deshalb kann mit dem Virus belastete Raumluft bereits ansteckend sein – sogar, wenn sich die Menschen an die Abstandsregeln halten. Ein Grund, warum es sinnvoll ist, in Räumen mit anderen Menschen immer einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen. Situationen dieser Art sind besonders problematisch. Das zeigt die Grafik ganz rechts, im roten Feld mit der Überschrift: hoch. Hohes Ansteckungsrisiko.

Warum das so ist, erklären sich Wissenschaftler:innen mit dem sogenannten k-Wert (den findest du in dieser Studie, sie wurde zum Teil bereits wissenschaftlich begutachtet). Er sagt etwas über die Art und Weise aus, wie sich das Virus verbreitet. Sars-Cov-2 wird demnach nur von einem Teil der Infizierten an andere weitergegeben, die meisten Infizierten stecken niemanden an. Das hat zu einem Teil mit den Eigenschaften des Virus zu tun, aber den größeren Anteil hat die Situation, in der infizierte Menschen zu anderen Kontakt haben. Und das sind vor allem solche, in denen viel virusbelastetes Aerosol für längere Zeit im Raum schwebt. So ähnlich wie eine Parfümwolke.

Es wäre naheliegend, dass wir viel mehr Bilder zu sehen bekommen, die genau solche Situationen zeigen, wenn über steigende Infektionszahlen berichtet wird: vollbesetzte Bars, Busse und Sportstätten, Kirchen und Theatersäle.

Bilder, die das wahre Risiko transportieren, sind rar

Ich verstehe die Bildredaktionen ja. Es ist nicht so leicht, ein passendes Foto zu Nachrichten aus Urlaubsregionen zu bekommen, in denen die Infektionszahlen steigen. In Bars stehen die Tische weit entfernt, die Kellner:innen tragen Masken. In Sportstätten finden nur Geisterspiele statt, also ohne Publikum. Theater und Kinos sind nur sporadisch besucht. Kirchen haben dieses Problem schon länger. Und auch in Bussen und Bahnen bleiben viele Sitze leer.

Aber die Bilder bleiben haften. Sehen wir immerzu Strandbilder, wenn von steigenden Coronazahlen die Rede ist, assoziieren wir einen ungefährlichen Ort mit einem hohen Ansteckungsrisiko.

Es ist Sommer. Die Menschen sind draußen und treffen sich dort mit anderen. Weil sie wissen, dass die Ansteckungsgefahr im Freien vergleichsweise gering ist. Aber auch, weil es im Moment kaum andere Gelegenheiten gibt, mit Menschen zusammen zu sein.

Wenn wir uns darin einig sind, so viele Ansteckungen wie möglich zu verhindern, dann helfen uns Bilder nicht, die fast ungefährliche Situationen zeigen. Texte über Hochrisikosituationen sollten Hochrisikosituationen zeigen und am besten dazu sagen, welches Verhalten besser ist. Dann müsste der Aufruf am Ende des Tagesschau-Bericht so lauten: „Dass es so weit nicht kommt, haben die Menschen in Spanien weitgehend selbst in der Hand: Weniger Party, mehr Maske.“ Das könnten wir dann lesen, während wir uns am Strand oder im Park vom Corona-Stress erholen.


Redaktion: Philipp Daum; Schlussredaktion: Belinda Grasnick; Grafik: Bent Freiwald; Bildredaktion: Verena Meyer