Wie eine gute Corona-Teststrategie aussehen kann

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Psyche und Gesundheit

Wie eine gute Corona-Teststrategie aussehen kann

In Bayern sollen sich bald alle testen lassen können, die das wollen. Das ist teuer, verwirrt und schafft falsche Sicherheiten. Wenn die Fallzahlen wieder steigen, brauchen wir eine klügere Teststrategie.

Profilbild von Silke Jäger
Reporterin für Kopf und Körper

Die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt allen Ländern, mehr zu testen. Logisch: Um herauszufinden, wo sich das Coronavirus verbreitet, muss viel getestet werden. Aber muss Deutschland wirklich mehr testen, oder einfach ganz anders?

Bayern setzt auf Masse. Der Landtag beschloss am 30. Juni 2020, dass sich alle Menschen testen lassen können, die das möchten. 60 Prozent der Menschen in Deutschland finden das gut, ergab eine repräsentative Umfrage. Sollten die übrigen Bundesländer jetzt also dem Vorbild Bayerns folgen? Und sollten sich sogar diejenigen testen lassen können, die das negative Testergebnis nur für ihren Sommerurlaub in Österreich brauchen?

Der Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hält nicht viel (CDU) von Bayerns Idee. Und auch das Robert Koch-Institut hat von Anfang an gesagt, dass solche Massentests nicht sinnvoll sind. Warum ist das so?

Das hat vier Gründe:

  1. Tests können falsch sein.
  2. Testergebnisse können falsch gedeutet werden.
  3. Das Organisieren der Tests kann scheitern.
  4. Die Teststrategie kann zu kurz greifen.

Auf Punkt eins und zwei hat die Politik keinen Einfluss. Auch Markus Söder (CSU) nicht. Trotzdem sollte auch der bayerische Ministerpräsident wissen, was dahintersteckt. Schon allein, um bei Punkt drei und vier möglichst kluge Entscheidungen treffen zu können. In diesem Artikel erkläre ich, warum du nicht jedem Testergebnis blind vertrauen solltest und wie die Politik trotz diverser Fallstricke eine kluge Teststrategie entwickeln kann.

Testergebnisse können falsch sein

Um herauszufinden, wer das Virus gerade in sich trägt, werden sogenannte PCR-Tests eingesetzt. Dabei wird mit einem Wattebausch eine Probe aus dem Rachenbereich der Test-Person entnommen – entweder durch die Nase oder den Mund. Ein Labor prüft dann, ob aktive Coronaviren in der Probe vorhanden sind. Wichtig zu wissen: Die Wahrscheinlichkeit, das Virus so zu finden, ist unterschiedlich groß – je nachdem, wie der Test gemacht wird und wann er erfolgt (Quelle).

Ein positives Testergebnis ist ein bis zwei Tage vor den ersten Symptomen und vier bis fünf Tage nach den ersten Symptomen am wahrscheinlichsten. Damit der Befund verlässlich ist, muss der Wattebausch tief in den Rachen eingeführt werden. Das ist ziemlich unangenehm. Die meisten Menschen müssen dabei würgen.

So ein Test kann falsche Ergebnisse zeigen. Das hängt meistens mit einem falschen Timing oder einem schlecht genommenen Abstrich zusammen. Bei Menschen, die nicht infiziert sind, ist der Test zuverlässiger (wenn er richtig gemacht wird), als bei Infizierten.

Der PCR-Test kann Infizierte übersehen.

Um herauszufinden, wer bereits Kontakt mit dem Virus hatte, werden sogenannte Antikörper-Suchtests gemacht. Dazu braucht man eine kleine Blutprobe. Das Immunsystem bildet Antikörper, um Erreger zu markieren. So können andere Immunzellen sie erkennen und unschädlich machen. Es gibt drei Antikörper-Arten, nach denen gesucht werden kann: sogenannte IgA-Antikörper, IgM-Antikörper und IgG-Antikörper. Das Immunsystem bildet die einzelnen Antikörper-Typen zu unterschiedlichen Zeiten, sodass auch bei einem negativen Antikörper-Test Unsicherheiten bleiben.

Ein positives Testergebnis ist zwei bis drei Wochen nach den ersten Symptomen am wahrscheinlichsten. Die IgG-Antikörper werden später gebildet als die anderen beiden Typen, sind dafür aber auch länger nachweisbar, zum Teil bis zu fünf Wochen nach den ersten Symptomen. Wird der Test nicht in den entsprechenden Zeitfenstern gemacht, steigt das Risiko, das Testergebnis falsch zu deuten.

Antikörper-Tests können also helfen, Menschen zu finden, die Kontakt zum Virus hatten, infiziert sind und trotzdem einen negativen Test hatten. Allerdings ist nicht klar, wie zuverlässig die Tests sind, wenn die ersten Symptome mehr als vier Wochen zurückliegen oder wenn die Infizierten entweder nur milde oder keine Symptome hatten – was auf die Mehrheit der Infizierten zutrifft.

Wie verlässlich die Antikörper-Tests insgesamt sind, lässt sich im Moment schwer sagen (das hält diese Übersichtsarbeit fest). Außerdem geben die Tests noch keine sichere Antwort auf die Frage, wie lange jemand immun ist, der infiziert war.

Tests können falsch gedeutet werden

Nicht nur das Testergebnis an sich kann falsch sein, es kann auch falsch gedeutet werden. Denn Tests gaukeln Eindeutigkeit nur vor. Sie sind entweder positiv oder negativ. Das heißt aber noch nicht, dass klar ist, dass jemand infiziert – oder auch nicht infiziert – ist. Ich gebe zu: Das ist nicht leicht zu verstehen.

Deshalb ein Beispiel: Stell dir mal vor, du suchst nach Molekülen, die sich im Wasser eines Schwimmbeckens befinden. Für die Suche hast du einen Eimer, mit dem du eine Wasserprobe nehmen kannst und Lackmuspapier. Das Lackmuspapier färbt sich, wenn sich zehn Moleküle in deinem 5-Liter-Eimer befinden. Wenn in deinem Schwimmbecken aber nur insgesamt 20 Moleküle schwimmen, kommt es nicht nur darauf an, dass das Lackmus-Papier empfindlich genug ist, sondern auch, wie viel Glück du beim Wasserschöpfen hast. Denn wie oft wird sich in dieser Situation dein Lackmus-Papier wohl färben? Und wie oft dann, wenn statt 20 Molekülen in einem Schwimmbecken, 5.000 Moleküle in einer Badewanne schwimmen?

Ungefähr so ist die Situation mit dem Coronavirus, wenn alle Menschen, die einen Test machen möchten, auch einen machen können. Weil sich insgesamt bisher nur ein kleiner Teil der Bevölkerung angesteckt hat, ist die Wahrscheinlichkeit, dass all diese Menschen zum jeweils richtigen Zeitpunkt den richtigen Test machen, viel kleiner, als wenn man solche Tests gezielt einsetzt. Zum Beispiel in Krankenhäusern mit einer Corona-Isolierstation oder in einem Kindergarten, in dem eine Erzieherin infiziert ist. Das trifft umso mehr zu, wenn man bedenkt, dass sich Menschen mit milden Symptomen vielleicht zu spät testen lassen und später wahrscheinlich von einem Antikörper-Test nicht als „immun“ identifiziert werden können. Wie soll man diese Menschen von denen unterscheiden, die gar nicht infiziert sind?

Um Testergebnisse richtig deuten zu können, muss man die sogenannte Vortestwahrscheinlichkeit kennen. Also: Wie wahrscheinlich ist es, dass die Person überhaupt infiziert ist? Hat sie mit Infizierten Kontakt gehabt? Hat sie Symptome (gehabt)? Solche Infos sind wichtig, um zu beurteilen, wie gut man sich auf das Testergebnis verlassen kann.

Tests können falsch organisiert werden

Für sogenannte Stichprobenstudien können Massentests sehr sinnvoll sein. Das Robert Koch-Institut macht genau das gerade unter anderem im Kreis Rosenheim und das Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung startet eine bundesweite Antikörper-Studie in Reutlingen. Studien in acht weiteren Kommunen sollen folgen. Vor allem, wenn man die Vortestwahrscheinlichkeit der einzelnen Proben eingrenzen kann, lässt sich durch solche Untersuchungen Wichtiges über das Infektionsgeschehen und die Dunkelziffer herausfinden. Doch solche Studien sind aufwendig und müssen gut geplant werden.

Was Bayern vorhat, ist etwas ganz anderes. Geplant wird dort erstmal gar nichts.

Gerade am Anfang der Pandemie hatten viele Menschen Probleme, an einen Test zu kommen. Testzentren mussten erst aufgebaut werden, Labore mussten sich erst ausreichend ausstatten, Gesundheitsämter erst eine Test-Infrastruktur aufbauen. Dass es Probleme gab, ist wenig verwunderlich, hat aber viele Menschen verärgert. Bayern versucht nun offenbar, diesen Ärger abzumildern. Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) kommentiert diesen Versuch so: „Es ist auch eine Kostenfrage, die Bayern haben immer mehr Geld.“ Dass solche Alleingänge möglich sind, ist Teil des Problems.

Die deutsche Teststrategie greift zu kurz

Das Robert Koch-Institut hat inzwischen seine Empfehlungen für Tests angepasst und Gesundheitsminister Spahn hat dafür gesorgt, dass Krankenkassen auch Tests bezahlen, wenn jemand keinen direkten Kontakt zu einem bestätigten Corona-Fall hatte. Nicht nur Bayern, auch Krankenhäuser, Altenheime und Betriebe entscheiden meist selbst, ob und wie sie ihre Belegschaft testen lassen.

Das ist so, weil es keine einheitliche Teststrategie gibt, sondern ungefähr so viele wie es Landkreise gibt.

Wenn Deutschland intelligent testen will, muss es aber klare Kriterien geben: Wann können Menschen getestet werden? Das sollte das Robert Koch-Institut festlegen können. Wer testet? Das sollten die Landkreise zusammen mit den Gesundheitsämtern und Kassenärztlichen Vereinigungen entscheiden. Wer bezahlt die Tests unter welchen Bedingungen? Das sollte der Bund zusammen mit den Krankenkassen und den Ländern regeln. Wann soll es Massentestungen geben, wer macht sie und braucht es dafür eine schnelle Eingreiftruppe? Das sollte das Robert Koch-Institut zusammen mit den Landesgesundheitsämtern definieren.

Bei solchen Fragen, so habe ich den Eindruck, fehlt eine Koordinierungsstelle. Gut möglich, dass wir am Ende auch mit einem Konzept durchkommen, hinter dem keine nationale Teststrategie steht. So lange es regionale und begrenzte Infektionsherde gibt, haben wir damit ganz gute Chancen. Aber sollte es wieder einen exponentiellen, flächendeckenden Ausbruch geben, laufen wir ohne eine einheitliche Strategie Gefahr, die Pandemie kaum noch kontrollieren zu können – zumindest nicht, ohne wieder allgemeine Kontakteinschränkungen aushalten zu müssen.

Dabei will doch gerade das niemand ein zweites Mal erleben.


Redaktion: Bent Freiwald, Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Martin Gommel