Während ihrer Schwangerschaft vor fünf Jahren musste sich Sandra Röpe einer Chemotherapie unterziehen. Auf Krautreporter hat sie darüber berichtet, wie es sich anfühlt, schwanger zu sein und Krebs zu haben – und mitten während der Therapie ein Kind zur Welt zu bringen. Viele Leser:innen haben uns gefragt, wie es Sandra heute geht. Ich habe mit ihr gesprochen.
Als mir Anfang März klar wurde, dass ich vergessen hatte, einen Kontrolltermin für Januar bei der Mammographie abzustimmen, setzte mein Herz kurz aus. Wie konnte mir das passieren? Das Thema Krebs ist für mich noch immer allgegenwärtig und normalerweise plagen mich schon Tage vor diesen Terminen Bauchschmerzen, ich kann an nichts anderes denken. Trotzdem war mir wohl mein eigentlich sehr glückliches, wenn auch etwas chaotisches Leben dazwischengekommen.
Heute kann ich mich nur noch sehr schwer in diese Zeit hineinfühlen, als mir die Haare ausfielen und ich jeden Tag um mein ungeborenes Baby fürchtete. Ich war in der 20. Woche schwanger, als man mir – ausgerechnet am Weltkrebstag – die Diagnose verkündete, eine aggressive Form von Brustkrebs und Metastasen in der Leber zu haben. Für die meisten Frauen ist die Schwangerschaft voller Vorfreude und Babypartys. Sie müssen sich um keine schlimmeren Substanzen sorgen als Alkohol und Aspirin, die dem Baby schaden könnten. Ich dagegen musste eine Chemotherapie beginnen. Die Ärzte machten mir deutlich, dass meine Kinder – mein erster Sohn Matthis war damals zwei Jahre alt – sonst keine Chance gehabt hätten, mit ihrer Mutter aufzuwachsen. Die Plazenta würde die giftigen Stoffe der Chemo herausfiltern, bevor sie meinem ungeborenen Kind schaden könnten. Irgendwann hatte ich beschlossen zu vertrauen. Jeder Tritt des Kleinen schien zu signalisieren: „Ich bin hier. Mir geht es gut.“ Und so war es. Nach der Geburt haben mich und den kerngesunden kleinen Noah nicht nur meine Freunde und Familie im Krankenhaus besucht, sondern auch die Pfleger:innen aus der Onkologie nebenan.
Ich werde nie als geheilt gelten
Die Lebermetastasen schrumpften unter der Chemo und Anfang 2018 beschloss ich, mir die noch im MRT sichtbaren Reste operativ entfernen zu lassen. Während der Chemo litt ich stark unter den Nebenwirkungen, sogar heute noch habe ich davon Taubheitsgefühle in Händen und Füßen. Als meine Ärzt:innen hörten, wie schlecht es mir ging, erließen sie mir die letzten beiden Termine. Denn die Therapie und vielleicht auch meine eiserne Zuversicht hatten ihren Zweck schon erfüllt: Der Krebs war weg. Meine Brust konnte ich behalten.
Als geheilt werde ich trotzdem nie gelten, obwohl derzeit in meinem Körper keine aktiven Krebszellen mehr sind. Aber genau weiß man das leider nie. Trotzdem: Damit das so bleibt, fahre ich alle drei Wochen für eine Antikörpertherapie in das mir inzwischen so vertraute Krankenhaus in Rotenburg. Wenn ich an der Geburtsstation vorbei durch die hellen Flure zur Onkologie gehe, grüßt mich nicht selten ein Pfleger mit den Worten: „Ach, hallo Sandra, schön dich zu sehen!“ Ich fühle mich dort nicht wie Patientin Nummer 312, sondern als Mensch wahrgenommen. Die Ärzt:innen und das Pflegepersonal kennen mich seit Jahren, und ich fühle mich wohl. Ich bin mir sicher, dass auch das zu meiner Gesundheit beiträgt.
Eine Antikörpertherapie dauert etwa zweieinhalb Stunden. Für meine Chemo wurde mir damals ein Portkatheter, also ein dauerhafter Zugang zum Blutkreislauf, knapp unterhalb des rechten Schlüsselbeins gelegt. Durch genau den gleichen Port werden mir jetzt die zwei Antikörperarten per Infusion zugeführt. Sie blockieren die Signale der Krebszellen und verhindern so, dass sich wieder neue Krebszellen entwickeln. Schmerzen habe ich dabei keine und im Alltag fällt mir der Port nicht weiter auf – es sei denn, einer meiner Jungs springt beim Spielen dagegen. Nur Nebenwirkungen tauchen manchmal auf, wie Schwindel, Kopfschmerzen oder Wortfindungsstörungen.
Der Krebs könnte jederzeit zurückkommen
Die Onkologie hat mehrere Räume. Ich sitze also seit über fünf Jahren alle drei Wochen, meistens in Raum Nr. 2 mit fünf oder sechs anderen Frauen zusammen, die ein ähnliches Schicksal teilen, oder noch mittendrin sind im Alptraum. Seit der Corona-Zeit sind wir höchstens zu dritt. Einige trifft man immer wieder, andere nur einmal. Ich habe ein ziemlich gutes Gespür für den Umgang mit diesen Frauen entwickelt. Manchmal machen wir Scherze – wie sehr ich schon gelacht habe in diesem Zimmer! An anderen Tagen hängen alle ihren eigenen Gedanken nach oder arbeiten am Laptop. Aber oft tauschen wir uns intensiv über unsere Sorgen aus.
Kurz vor der Corona-Zeit saß eine Frau mittleren Alters mir gegenüber, der man im Gesicht ablesen konnte, dass sie emotional völlig am Ende war. Ihre Therapie begann und es schien ihr schlagartig schlechter zu gehen – und plötzlich sackte sie in sich zusammen. Die Pfleger:innen kamen sofort und gaben ihr eine Spritze. Die Frau hatte einen anaphylaktischen Schock erlitten, also eine Überreaktion des Immunsystems auf die ihr verabreichten Mittel. Nachdem sie medizinisch versorgt war, habe ich sie eine Weile angesehen und schließlich gefragt, ob ich sie umarmen dürfe. Sie nickte, ich nahm meinen Tropf, ging zu ihr und drückte sie fest an mich, bis die Tränen nur so flossen. Sie erzählte mir, dass sie bereits vor 15 Jahren an Krebs erkrankt war und gerade erfahren hatte, dass er zurückgekommen sei.
Die Angst davor, dass es mir irgendwann auch so gehen könnte, verschwindet nie ganz. Vor ein paar Wochen traf sie mich besonders stark. Am Abend vor jeder Antikörpertherapie telefoniere ich mit meiner Ärztin, um abzuklären, wie ich mich fühle. An diesem Tag hatte ich eine Magen-Darm-Grippe und ich sagte ihr, dass der Termin verschoben werden müsse. Ich glaube, die Ärztin wollte mir die Sorge davor nehmen, aber ihre Worte trafen mich wie ein Schlag in den Bauch: „Frau Röpe, machen Sie sich mal keinen Kopf, das macht nichts. Sie haben es so weit geschafft. Damals hätten wir uns das nicht träumen lassen können.“ Ich wusste sofort, was sie meinte: Sie hätte damals nicht gedacht, dass ich überleben würde. So hatte ich es tatsächlich nie gesehen – es nicht zu schaffen, das war für mich nie eine Option.
Der Austausch mit den Frauen in der Onkologie gibt mir besonders nach solchen Momenten unendlich viel Kraft. Ich verarbeite meine Sorgen mit ihnen und vielen kann ich wiederum mit meiner Geschichte Mut machen. Ich habe eigens dafür sogar eine Whatsapp-Gruppe gegründet, die ich „Mutmacher“ genannt habe. In der sind nur Frauen, die wie ich Metastasen haben oder hatten und in Dauerbehandlung sind. Auch über Facebook habe ich nach Frauen mit genau meinem Krankheitsbild gesucht und sie auch gefunden. Anfang 2016 verlor ich eine gute Freundin an Krebs, ich kannte sie gerade mal ein halbes Jahr. Seitdem tue ich mich schwer damit, mich eng zu befreunden. Es tut zu weh, wenn eine es nicht schafft. Und trotzdem schließe ich immer noch einige Mädels in mein Herz.
Meinen Kindern habe ich nichts von meiner Krankheit erzählt
Wenn Freund:innen oder Bekannte mich heute fragen, wie es mir geht, habe ich mir angewöhnt, nicht zu weit auszuholen. Mein Mann Christian ist dafür immer für mich da. Gleichzeitig enden viele Gespräche über meine Ängste mit den Worten „Aber zum Glück ist doch alles gut.“ Ich glaube, er braucht diese Versicherung manchmal sogar mehr als ich. Meine Söhne sind noch zu jung, um das Thema zu verstehen. Der Kleine weiß nichts von meiner Krankheit, dem Großen habe ich zwar gesagt, dass „Mamas Brust mal krank war“, aber wenn ich das heute anspreche, merke ich, dass er Angst bekommt. Er wird dann ganz anhänglich. Deswegen denke ich mir alle drei Wochen etwas anderes dafür aus, wo ich hingehe. Zur Arbeit, zum Einkaufen, meinen Zeh überprüfen lassen, den ich mir mal gebrochen hatte. Das ist für uns alle einfacher. Wie und wann ich die beiden darüber aufklären soll, dass ich chronisch krank bin und ohne die Antikörpertherapie der Krebs wiederkommen könnte, weiß ich nicht. Ich bin mir nicht mal sicher, ob mich die Vorstellung, irgendwann offen mit den Jungs darüber reden zu können mehr erleichtert oder bedrückt.
Wenn ich darüber nachdenke, wie ich mich durch die Krankheit verändert habe, fallen mir ansonsten nur positive Dinge ein. Es mag ein Klischee sein, aber ich genieße mein Leben und die kleinen Momente viel intensiver. Ich habe angefangen zu meditieren und eine Reiki-Ausbildung gemacht. Ich lästere nicht mehr über andere und verurteile niemanden. Dieses Gerede hinter dem Rücken – ich kann es einfach nicht mehr ab. Das mag aus der Zeit kommen, da ich krank war und andere über meinen Zustand spekuliert haben, ohne mich einfach selbst zu fragen.
Vor ein paar Tagen habe ich meine Söhne bei ihrer Oma geparkt und bin ins Krankenhaus gefahren, um den verpassten Mammographie-Termin nachzuholen. Das Ergebnis kam sofort: alles unauffällig. Und mir fällt ein weiterer Brocken vom Herzen, denn auch wenn der Befund seit Jahren der gleiche ist – Gesundheit ist für mich keine Selbstverständlichkeit mehr.
In unserer Serie „Was ich wirklich denke“ lassen wir Menschen sprechen, die interessante Berufe haben, die in herausfordernden oder besonderen Lebenssituationen stecken oder die etwas Ungewöhnliches erlebt haben. Trifft das auf dich zu und willst du davon erzählen? Dann melde dich unter: theresa@krautreporter.de
Redaktion: Theresa Bäuerlein, Schlussredaktion: Susan Mücke, Fotoredaktion: Martin Gommel