Wie Rechtsextreme die Corona-Krise ausnutzen

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Psyche und Gesundheit

Wie Rechtsextreme die Corona-Krise ausnutzen

So wie sie es in Krisen immer wieder tun.

Profilbild von Tarek Barkouni
Reporter für das digitale Leben

Ausgerechnet in Thüringen zeigte sich der Tabubruch am deutlichsten. Als in ganz Deutschland Menschen gegen die Corona-Verordnungen auf die Straße gehen, entscheidet sich dort der ehemalige Kurzzeit-Ministerpräsident Thomas Kemmerich (FDP) dazu, einer Einladung zu so einer Demonstration zu folgen. Und landet direkt neben bekannten Rechtsextremist:innen. Für die ist das kein Glücksfall, sondern Ergebnis ihrer gelungenen Strategie.

Denn Rechtsextremist:innen nutzen Krisen aus, um gezielt neue, oft ahnungslose Anhänger:innen zu manipulieren und für sich zu gewinnen. Die Corona-Demonstrationen sind genau das, worauf sie gewartet haben. Nun stehen stramme Rechtsradikale neben Menschen, die ihren Job verloren haben. Nun verabschieden sich in Vernetzungsgruppen für solche Demonstrationen auf Telegram Neonazis mit „patriotischen Grüßen“ und posten Videos mit Verschwörungsideologien.

Schon Anfang April warnte der Verfassungsschutz vor einer Vereinnahmung der Corona-Krise durch Rechtsextreme: Sie würden Verschwörungsideologien einsetzen und ein Untergangsszenario entwerfen. Man könnte es so beschreiben: Rechtsextremist:innen erklären die Welt für kaputt und korrumpiert, weil – und hier setzt der Verschwörungsmythos ein – versteckte Mächte dafür gesorgt haben.

An der Corona-Krise und den Demonstrationen gegen die Verordnungen kann man es besonders gut erkennen. Die Verordnungen und die Bemühungen, einen Impfstoff zu finden, werden von Rechtsextremist:innen interpretiert als die schrittweise Errichtung einer Diktatur in Deutschland, in der Menschen gezwungen werden, sich impfen zu lassen. Es ist diese Interpretation, auf die Rechtsextremist:innen mit ihrer Propaganda setzen. So wie sie bei Krisen bisher immer getan haben.

Dabei setzen die Akteure darauf, dass ihre Ideologie, besonders von Journalist:innen, verbreitet wird. Dazu möchte ich nicht gehören, weswegen ich so weit wie möglich versuche, diese Ideologien aus diesem Text fernzuhalten. Denn je öfter eine Geschichte gehört wird, desto eher wird sie auch geglaubt.

Verschwörungsideologien bieten einfache Erklärungen für verunsicherte Menschen

Silke Ötsch ist Soziologin und hat bereits zur Finanzkrise festgestellt, dass Verschwörungsideologien in der Krise häufiger verbreitet werden: „Zum einen, weil die Menschen das Gefühl haben, die Kontrolle verloren zu haben. Und dann versprechen Verschwörungsideologien der Person, dass sie irgendwie einzigartig ist und Dinge erkennt.“ Wenn plötzlich der eigene Arbeitsplatz bedroht oder sogar schon weggefallen ist, wenn immer neue Katastrophenmeldungen auf die Menschen einprasseln, bekommen sie Angst und fühlen sich abgewertet. Sie blenden Informationen eher aus, wenn diese negative Konsequenzen nach sich ziehen würden.

Wie sehr Menschen die aktuelle Krise belastet, konnte man in einem Spiegel-TV-Beitrag sehen. Eine ältere Teilnehmerin der Corona-Demonstrationen in Berlin wird befragt. Mit Tränen in den Augen vergleicht sie die aktuelle Situation mit der Zeit in der DDR. Sie sagt zum Kameramann gewandt: „Mir blutet das Herz, dass sie das noch durchmachen müssen.“ Dass sie ein solches Interview in der DDR niemals hätte geben können, kommt ihr nicht in den Sinn. Verschiedene Studien haben gezeigt, dass Ausnahmesituationen, persönliche oder gesellschaftliche, Menschen dazu bringen, eher an Verschwörungsideologien zu glauben.

Diese Verunsicherung nutzen Rechtsextremist:innen gezielt aus und bieten Erklärungen, die vermeintlich helfen, die Kontrolle über das Leben zurückzuerlangen – das eigene und das der Gesellschaft. Die Kontrolle muss dabei nicht real sein, es reicht das Wissen, dass eine subjektiv wahrgenommene Ordnung wiederhergestellt wird und dass sie nicht selbst für die Situation verantwortlich sind. Für die Frau ist es entsprechend einfacher zu denken, es gäbe eine Verschwörung gegen die Bevölkerung, als dass ein Virus sie vermeintlich ins Chaos stürzen könnte.

Verschwörungsideologien funktionieren im rechtsextremen Denken sehr gut

Ötsch hat bei der Finanzkrise 2009 beobachtet, dass besonders die Neuen Rechten Verschwörungsideologien verbreiten. Auch eine Studie zu Fake News im letzten Bundestagswahlkampf zeigt, dass sieben von zehn Falschmeldungen am stärksten von Anhängern der AfD verbreitet wurden. Warum ist das so?

„Im verschwörungstheoretischen Denken wird die Welt aus einer Handlungsperspektive betrachtet. Das heißt, es gibt jemanden der handelt und der damit auch verantwortlich ist“, erklärt Ötsch. Diese Personen oder Gruppen könne man moralisch bewerten, in gut und böse einteilen, und – sozusagen als Lösung aller Probleme – einfach austauschen. Strukturen hinter den moralisch als böse wahrgenommenen Personen spielen weniger eine Rolle. In der Krise bietet das die schnelle Lösung, die sich verunsicherte Menschen dann oft wünschen. Oft trifft das Politiker:innen wie Angela Merkel, die von „Merkel muss weg!“-grölenden Rechtsextremist:innen als das absolut Böse wahrgenommen wird.

Fragt man Hedwig Richter, spielt noch etwas anderes eine Rolle. Richter lehrt Neuere und Neueste Geschichte an der Bundeswehruniversität in München. Sie erklärt: „Im rechtsextremen Denken gibt es ja ein ganz grundsätzliches Misstrauen gegenüber der sozialen und liberalen Demokratie und ein fundamentales Problem mit den Grundwerten unserer Gesellschaft und dem repräsentativen System.“

Ein System, das sie als im Untergang beschreiben. Dieses Szenario, das sich immer wieder in Verschwörungsideologien wiederfindet, lässt sich gleich doppelt in rechtsextremistisches Denken einbinden. Erstens, wird mit einem drohenden Untergang der Gesellschaft eine diffuse Angst erzeugt. Die wiederum macht die Menschen anfälliger für Verschwörungstheorien. Und zweitens können sich Rechtsextremist:innen dann als Retter inszenieren. Pegida hat genau das getan. Mit der vermeintlichen drohenden Islamisierung haben die Pegida-Anhänger ein Bild aufgebaut, das sich heute in der Rede vom sogenannten großen Austausch der Bevölkerung wiederfindet, einer frei erfundenen und teilweise im Bundestag wiederholten Verschwörungstheorie. Gleichzeitig inszenieren sich die Demonstranten als diejenigen, die Deutschland genau davor bewahren können. Befindet sich eine Gesellschaft in einer Krise, zeigen sich eventuell tatsächlich Anzeichen für Probleme, die dann als Untergangszeichen gedeutet werden.

Der Soziologe Matthias Quent schreibt in seinem Buch „Deutschland rechts außen“, dass das Schüren von Angst ein wichtiges Instrument totalitärer Herrschaft ist, weil sie Rechtfertigung für jede politische Maßnahme bietet.

Dazu gehört gegebenenfalls auch Gewalt, wie die „Widerstand“-Brüller bei Demonstrationen immer wieder zeigen. Und auch der rechtsextreme, norwegische Terrorist Anders Breivik sah sich im Sommer 2011 im Recht, 77 Menschen zu töten und mehrere hundert zu verletzen.

Rechtsextremist:innen greifen Entscheidungen an, die unter Krisenbedingungen getroffen werden mussten

Als Angela Merkel sich 2015 entschied, die deutschen Außengrenzen nicht zu schließen, war das die Folge einer massiven Handlungsnot. Aus der Krise folgte eine weitere Krise. Was es bedeutet, im ständigen Krisenmodus zu handeln und Entscheidungen für mindestens 82 Millionen Menschen zu treffen, ist für die meisten Menschen kaum vorstellbar. Es bedeutet nämlich einerseits, unterschiedliche, sich oft widersprechende Interessensgruppen hinter sich zu haben und andererseits, möglichst schnell handeln zu müssen.

Das nutzen Rechtextremist:innen aus. Besonders deutlich sieht man das an der AfD. War es zu Beginn der Corona-Krise noch still um die Partei, wurde sie später umso lauter. Innerhalb der Partei gab es aber schon früh Politiker:innen, die Verschwörungsideologien zum Virus verbreiteten und versuchten, Geflüchtete für die Verbreitung verantwortlich zu machen.

Der Vorteil: Wer nicht an der Regierung beteiligt ist, muss sich nicht rechtfertigen oder Folgen abschätzen. So können Rechtsextremist:innen mit Verschwörungsideologien jede Handlung des demokratischen Systems angreifen. „Sie wissen alles anders und sie wissen alles besser. Sie stellen grundsätzlich die Demokratie in Frage“, erklärt Hedwig Richter von der Bundeswehruniversität München.

Die Frontfiguren der Rechtsextremen und Verschwörungsideolog:innen „waren häufig Personen, die früher mal wichtig waren, aber jetzt weniger Anhänger haben oder beruflich abgestiegen sind, dann jedoch gemerkt haben, dass sie so Publikum bekommen“, sagt Silke Ötsch. Dieses breite Publikum versuchen Rechtsextremist:innen nun, weiter an sich zu binden.

In Krisenzeiten gerät die Wirtschaft in Probleme und findet in den Rechtsextremist:innen Verbündete

Wenn Thomas Kemmerich neben Rechtsextremist:innen eine schnelle Lockerung der Einschränkungen fordert, dann macht er das höchstwahrscheinlich nicht aus rechtsextremen Gründen. Er fordert das für die Wirtschaft, die maßgeblich unter der Krise leidet. Damit zeigt er aber auch, dass wirtschaftliche Akteure bereit sind, sich mit Rechtsextremist:innen zu verbünden. Es wäre auch nicht das erste Mal.

So beschreibt der Journalist Christian Fuchs, wie mittelständische Unternehmen Vorfeldorganisationen der Neuen Rechten finanzieren, weil sie befürchten, ihre Privilegien zu verlieren. Ähnliches sagt Silke Ötsch: „In Amerika wurden systematisch Think-Tanks aufgebaut, die den Klimawandel leugnen sollten.“ Das sei bislang ein eher amerikanisches Phänomen gewesen. „Aber inzwischen gibt es Strukturen, die mit zivilgesellschaftlichem Anstrich rechts-libertäres Gedankengut verbreiten.“ Ein Beispiel für einen solchen Akteur ist der „Verein zur Erhaltung der Rechtsstaatlichkeit und bürgerlichen Freiheiten e.V.“, der wiederum vom Milliardär August von Finck finanziert wird.

Und so profitieren Rechtsextremist:innen in der Krise gleich mehrfach: Ihre Verschwörungsideologien verfangen in einer verunsicherten Bevölkerung. Und gleichzeitig werden sie von Unternehmen gefördert, die Veränderungen verhindern wollen, die nicht in ihrem Sinne sind.

Rechtsextremist:innen versprechen, die Zeit zurückzudrehen

Szenenwechsel: Der Spitzenpolitiker Andreas Kalbitz, ehemals Mitglied der AfD, sitzt mit Schüler:innen zusammen, als er sich nicht mehr halten kann und seiner Wut freien Lauf lässt. Greta Thunberg sei ein „zopfgesichtiges Mondgesichtmädchen“, ein anwesender Schüler von der Schule „dauerrotlichtbestrahlt“. Kalbitz, ein 47-jähriger Mann, lebt in einer Welt, die sich nicht so verändert, wie er das will. Darüber ist er sehr wütend.

Hedwig Richter weiß, woher diese massive Wut kommt: „Wenn man sich diese Männer mit Glatze und geballter Faust auf den Straßen anschaut, dann ist das total nachvollziehbar. Deren Welt ist am Ende!“ Was sie meint: Es gibt keine klaren Hierarchien mehr, der soziale und gesellschaftliche Wandel schreitet enorm schnell voran. Auf einmal soll es also böse sein, ein Dieselauto zu fahren? Richter gibt ein Beispiel: „Vor 15 Jahren konnte Barack Obama keinen Wahlkampf mit der Homo-Ehe machen, sie war schlicht zu umstritten. Heute ist sie in den meisten westlichen Demokratien mehrheitlich akzeptiert.“

Für Rechtsextremist:innen ist das ein Problem und eine Chance. Einerseits verlieren sie tatsächlich an Einfluss, wenn marginalisierte Gruppen Mitspracherecht bekommen. Gleichzeitig lässt sich aber auch in Nicht-Krisenzeiten beobachten, dass es Abwehrreaktionen gibt, die in Verschwörungsideologien münden. „Als in den USA das Wahlrecht für schwarze Männer eingeführt werden sollte, gab es eine starke Bewegung gegen das gesamte demokratische System. Und auch der Nationalsozialismus war teilweise eine Reaktion auf die Demokratisierungswelle nach dem Ersten Weltkrieg“, erklärt Richter.

Das nutzen Rechtsextremist:innen mit Verschwörungsideologien aus. So wird aus der Klimaaktivistin Greta Thunberg plötzlich die junge Frau, die allen das Reisen, das Autofahren und am Ende sogar noch das Fleisch verbieten will. Die Aussagen sind meist die gleichen: „Die wollen dir etwas wegnehmen. Nur wir beschützen dich!“

Rechtsextremist:innen eignen sich häufig die Probleme anderer Milieus an

Dafür gehen Rechtsextremist:innen auch Bündnisse ein, oft mit Milieus, die sowieso schon offener für Verschwörungsideologien sind: „Es gibt schon lange Versuche der Neuen Rechten, die Esoteriker-Szene zu unterwandern“, erzählt Silke Ötsch. Hinzugekommen seien in den letzten Jahren Teile der Gaming-Szene, der Prepper- und Reichsbürger-Szene. Im letzten „Wochenbotschaft“-Newsletter des Naturkosthandels „Rapunzel“ behauptet dessen Gründer und Geschäftsführer Joseph Wilhelm, dass Menschen zum Impfen gezwungen werden sollen (was niemals jemand behauptet hat), dass Ältere „natürlich ausgelesen werden würden“ (was menschenverachtend ist) und agitiert gegen Abtreibungsmöglichkeiten für Frauen. Die Themen, die ihn beschäftigen, greift die rechtsextremistische Szene genauso auf, beispielsweise, wenn sie auf dem sogenannten Marsch für das Leben gegen Abtreibungsmöglichkeiten mitdemonstriert.

In Leipzig konnte man das bei den Corona-Demonstrationen tatsächlich beobachten. Da standen Mütter in bunten Haremshosen neben Männern mit kahlgeschorenen Köpfen und Thor-Steinar-T-Shirts, einer Bekleidungsmarke aus dem rechtsextremen Milieu. Die einen sprachen davon, dass das Virus durch „Freude“ besiegt werden könne, die anderen kurz danach über Bill Gates, der Menschen zu Impfungen zwingen würde und die „400 reichsten Familien der Welt“, die eigentlich die Welt beherrschen würden. „Solche Zweckbündnisse müssen nicht immer halten, aber teilweise wurden soziale und politische Bewegungen dann von rechts vereinnahmt“, erklärt Ötsch. So seien in der Tea-Party-Bewegung, die 2009 in den USA entstanden war, zu Beginn durchaus emanzipatorische Elemente vorhanden gewesen. Die seien mit der Zeit aber komplett verdrängt worden.

Noch erreichen ihre Erzählungen eine Minderheit

Ist die Demokratie also in Gefahr? Es kommt darauf an, wen man fragt. Hedwig Richter findet, dass sich gerade in der Corona-Krise die Demokratie von ihrer guten Seite zeigt: „Natürlich gab es Streit, aber das ist in einer Demokratie doch wichtig.“ Gleichzeitig sei ein großer Teil der Bevölkerung bereit, die Einschränkungen zu tragen. Verschwörungsideologien, wie sie Rechtsextremist:innen verbreiten, seien zwar ein grundlegender Angriff auf die Demokratie, aber zum Glück aktuell noch ein Minderheiten-Phänomen.

Das sieht Silke Ötsch etwas anders: „An der Klimakrise erkennt man, wie solche Prozesse funktionieren. Während früher die Mehrheit der Amerikaner überzeugt war, der Klimawandel sei menschengemacht, denken viele das inzwischen nicht mehr. Da wurde mit der Zeit und mit rechten und an spezifischen Wirtschaftsinteressen ausgerichteten Kampagnen die öffentliche Meinung manipuliert.“ Gerade, weil sich Menschen heute immer mehr über Social Media informieren würden, wo eher emotionale als informelle Bedürfnisse befriedigt werden, sei die Gefahr in Zukunft eher größer als kleiner. „Dazu kommt die Unsicherheit und eine Art Dauerkrisenmodus durch die ökologische Krise, durch Prekarisierung von Arbeit und zunehmende Ungleichheiten“, sagt sie.

Denn Rechtsextremist:innen werden jede weitere Krise, genau wie die Corona- und die Wirtschaftskrise nutzen, um ihre Erzählung weiterzuspinnen. Dafür werden sie weiter auf Verschwörungsideologien setzen, die klare Feindbilder schaffen. Sie werden weiter den Untergang der Welt prophezeien, auch wenn er nicht eintritt. In der Krise fällt ihnen das leichter als sonst. Weil die Krise die Menschen angreifbar macht.


Redaktion: Rico Grimm, Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Martin Gommel