Bis das Coronavirus kam, trank ich fast nie Alkohol, ich vertrage ihn einfach nicht. Aber gestern schenkte ich mir mittags ein Glas Rotwein ein, denn ich hatte gerade eine halbe Stunde in meiner Facebook-Timeline verbracht. Es war, als hätte ich eine halbe Stunde lang einen Fingernagel über eine Tafel kratzen hören. Was mir an die Nieren ging (viel zu sehr eigentlich für jemanden mit meinem Job), waren die vielen Posts von Menschen, die ein sofortiges Ende der Ausgangsbeschränkungen forderten, die Videos von YouTube-Ärzten teilten und Vermutungen darüber, dass das Coronavirus in wahlweise den USA oder China im Labor gezüchtet worden war. Immer wieder kam die Aufforderung, nicht den „Massenmedien“ zu trauen.
Natürlich nehme ich pauschales Misstrauen gegenüber den Medien etwas persönlich, ich bin ja Journalistin. Gleichzeitig kann ich es verstehen: Ja, Medien generieren nicht selten Aufmerksamkeit, indem sie Angst erzeugen (hier ein Text von uns dazu) und es ist ein guter Impuls, dass man sich dagegen wehren will. Soziale Medien wie Facebook tun das auch, aber deren Mechanismen haben leider viele Nutzer:innen noch nicht durchschaut (hier ist ein Artikel, der sie erklärt). Gerade in der Corona-Berichterstattung haben in den letzten Wochen viele Medien davon profitiert, dass die Menschen sich Sorgen machen, Angst haben und alles über das Virus erfahren wollen.
Viele trauen Informationen von Menschen, die sie kennen – auch falschen
Das gilt auch für Krautreporter: In den letzten Wochen hat sich die Zahl der Besucher:innen auf der Seite immer wieder vervielfacht – nämlich dann, wenn wir einen neuen Artikel über das Coronavirus gebracht haben. Es kamen nicht nur mehr Leser:innen, sie blieben auch doppelt so lang. Ein Grund dafür war allerdings auch, dass wir Corona-Artikel mit direkten Infos zu Sicherheit und Gesundheit in dieser Zeit ohne Bezahlschranke veröffentlichen – es kann sie also jede:r lesen.
Für mich ist es immer wieder schmerzhaft, dass manche meiner Freund:innen und Bekannten in den sozialen Medien einem Video eines einzelnen Experten oder auch nur irgendeines Typen mit Arztkittel mehr zu trauen scheinen, als der Arbeit von Journalist:innen, deren täglicher Job es ist, Informationen zusammenzutragen, zu hinterfragen und zu prüfen. Natürlich machen wir dabei auch Fehler, so wie jeder Mensch in jedem Job. Und Menschen haben über Jahrhunderte und Jahrtausende Klischees über die Vertrauenswürdigkeit von Mediziner:innen aufgebaut – und wahrscheinlich kein einziges über Journalist:innen.
Aber die eigentliche Antwort ist wahrscheinlich, dass wir tendenziell eher Informationen trauen, die von Personen kommen, die wir kennen und schätzen. Das ist ein wichtiger Grund dafür, dass eine Sprachnachricht per Whatsapp, die die Familie herumschickt, oder ein Meme, das eine Influencerin teilt, glaubwürdiger wirken können als ein Bericht der Tagesschau. Es gibt Untersuchungen, die diesen Zusammenhang zeigen: Zum Beispiel diese Studie, eine gute Zusammenfassung ist hier.
Ich verhalte mich gar nicht so anders als meine Freund:innen auf Facebook
Ich dachte darüber nach, dass die Methoden, nach denen Journalist:innen arbeiten, zu wenig bekannt sind und es sehr schwer ist, das zu ändern. (Wie man vertrauenswürdige Medien erkennt, hat mein Kollege Rico Grimm schon vor Jahren hier beschrieben, die Regeln gelten noch immer). Ich dachte an meine Kolleg:innen und daran, wie viel unsichtbare Arbeit und Sorgfalt sie in ihre Texte stecken, wie viel in der kleinen Zeile steckt, die wir unter unsere Artikel schreiben, meistens sieht sie so aus: Redaktion: Philipp Daum, Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Martin Gommel.
Dann wurde mir etwas klar: Auch für mich hat das Vertrauen in Informationen mit Personen zu tun. Zwar kenne ich journalistische Methoden und habe deswegen ein gewisses Grundvertrauen in bestimmte Medien. Vor allem aber kenne ich Menschen, die Journalist:innen sind. Ich weiß aus nächster Nähe, wie meine Kolleg:innen arbeiten.
Ein Beispiel: Ein wesentlicher Grund für mich, die Corona-Krise wirklich ernst zu nehmen, war der Punkt, als unsere Gesundheitsreporterin Silke Jäger umschwenkte: In ihrem ersten Artikel hatte sie noch Corona-Panik kritisiert, dann erkannte sie, was auf uns zukommen würde und begann, vor der Pandemie zu warnen.
Ich sehe Silke zur Zeit jeden Morgen in der KR-Videokonferenz aus unseren Homeoffices, an ihrem Gesicht kann ich die Nachrichtenlage sehen. Ich weiß, dass Silke ständig in Kontakt mit Intensivmediziner:innen, Pfleger:innen und anderen Gesundheitsexpert:innen ist. Ich weiß, dass sie versteht, wie man Statistiken beurteilt und wie sie Zahlen infrage stellt – und vor allem sich selbst und ihre Gewissheiten, immer wieder.
Für mich war das eine wichtige Erkenntnis: Ich verhalte mich gar nicht so anders als meine Freund:innen und Bekannten auf Facebook. Mein Vertrauen in den Journalismus beruht nicht nur auf den Methoden, denen guter Journalismus folgt, sondern auch den Menschen, die diesen Job machen und die ich schätze.
Und genau deswegen bin ich jetzt doppelt froh, dass wir bei Krautreporter sehr viel in Kontakt mit unseren Leser:innen sind. Weil wir und unsere Arbeit so weniger weit weg sind, und damit hoffentlich auch vertrauenswürdiger. Weil wir nachfragen können, welche Themen unseren Mitgliedern wichtig sind und mit den Expert:innen in der Community darüber reden können. Und weil wir sicher sein können, dass unsere Mitglieder uns auf die Finger schauen – wenn wir Fehler machen oder Dinge übersehen.
Dieser Gedanke brachte mir letztlich viel mehr Frieden als der Rotwein. Der brachte mir vor allem einen starken Drang nach Mittagsschlaf.
Redaktion und Schlussredaktion: Bent Freiwald; Bildredaktion: Martin Gommel.