Wie unsere Mitglieder im Ausland die Corona-Krise erleben

© Frank Veit

Psyche und Gesundheit

Wie unsere Mitglieder im Ausland die Corona-Krise erleben

Fantastische Ausblicke im Homeoffice, schlechte Internetverbindungen auf dem Land und Sorgen um eine zukünftige Katastrophe. KR-Mitglieder aus 25 Ländern erzählen von ihren Erfahrungen in der Corona-Pandemie.

Profilbild von Tarek Barkouni
Reporter für das digitale Leben

Die Corona-Krise beherrscht die gesamte Berichterstattung. Jede Veränderung der Fallzahlen wird gemeldet, über jede neue Verordnung wird berichtet. Wir wissen alles darüber, wie sich die Ausgangsbeschränkungen gerade in Bayern auswirken, sehen auf Social Media Fotos von leeren Supermärkten in Schleswig-Holstein. Aber wie läuft es gerade in den anderen Ländern der Welt? Da, wo die Corona-Krise schon weiter fortgeschritten ist und auch da, wo sie noch nicht so ausgeprägt ist? Wir haben die KR-Mitglieder in der ganzen Welt gefragt, wie es gerade bei ihnen aussieht und wie sich ihr Leben seit Ausbruch der Krise verändert hat. Und wir haben sie gebeten, uns Fotos zu schicken.

Die Antworten waren so unterschiedlich wie die Länder, aus denen sie kamen. Bei Barbara in Griechenland werden anstatt des Klopapiers die Bohnen knapp, in Simbabwe, wo Ute lebt, könnte fehlende soziale Distanz zu einer Katastrophe führen und Kirstens Kollege hat schon einen Strafzettel bekommen, weil er am Strand war, um Bier zu trinken.

Das öffentliche Leben liegt lahm

In Deutschland ist das öffentliche Leben weitestgehend runtergefahren. Die Straßen sind leer, die Geschäfte größtenteils geschlossen. Den meisten KR-Mitgliedern in den anderen Teilen der Welt geht es genauso. Für manche ist die Isolation sogar noch schärfer. So schreibt Philipp aus Südtirol in Italien: „Seit ungefähr einer Woche sind soziale Kontakte streng verboten. Ich gehe jeden Morgen mit meiner Freundin im Wald spazieren. Die Polizei hat gesagt, dass sie im Wald keine Kontrollen durchführen. Ansonsten spielt sich das ganze Leben in der Wohnung ab.“ Einkaufen kann Philipp aber trotzdem. Auch das schränkt er aber ein.

Kein öffentliches Leben heißt für Philipp aber auch, dass seine Kinder nicht in die Schule gehen können. Auch das haben mir viele Mitglieder geschrieben: Entweder gibt es gar keine Schule oder Fernunterricht. Während in Südtirol die Kinder wenigstens einmal am Tag mit der Lehrerin in einer Videokonferenz sitzen, haben andere größere Schwierigkeiten, den Job und gleichzeitig die Kinder zuhause zu organisieren. Teresa aus Oslo erzählt: „Für das Home-Schooling konzentriere ich mich ganz auf die Kinder (auch um nebenbei den 4-Jährigen mit Aufgaben zu beschäftigen).“

„Die Griechen horten Bohnen“

Für andere ändert sich trotz Corona-Krise fast gar nichts. So berichtet Barbara von der Insel Lesbos in Griechenland: „Ich bin Pensionärin und lebe mit Hunden und Katze allein. Am Strand leben 23 Menschen, man sieht sich sowieso wenig und hält jetzt Abstand. Kein Kaffeetrinken im Nachbarhaus mehr. Spaziergänge sind noch problemlos möglich.“ Aber wie schaut es aus mit denen, die auf Lesbos noch arbeiten müssen? „Ich lebe in einer ländlichen Gegend. Da müssen die Männer aus dem Haus, um ihre Tiere zu versorgen, das machen sie auch weiter. Man fährt auch zu Arbeiten in die Olivenhaine, Tierfutter wird ausgeliefert, es wird gefischt“, schreibt Barbara. Und natürlich gibt es auch Hamsterkäufe in Griechenland. Dort aber kein Klopapier: „Die Griechen horten wohl Bohnen.“

Dieses Foto hat Barbara aus Griechenland von der Insel Lesbos geschickt

Dieses Foto hat Barbara aus Griechenland von der Insel Lesbos geschickt

Eines berichten fast alle, die mir geschrieben haben: Sie tauschen sich sehr viel mehr auf digitalen Wegen aus. Und manche begreifen es auch als Chance, sich wieder mit alten Bekannten neu zu vernetzen. Es ist schwer vorstellbar, wie diese Krise ohne die Digitalisierung ablaufen würde.

Aber es gibt ja auch die Länder, in denen die Corona-Krise noch nicht angekommen ist – oder in denen zumindest so getan wird, als ob sie es nicht wäre. Das wirkt dann manchmal wie ein Blick in die Vergangenheit. Ute schreibt aus Harare in Simbabwe. Sie ist Augenärztin und hatte bisher in ihrer Klinik täglich über 200 Menschen auf kleinstem Raum behandelt. Selbstständig hat sie ihre Praxis jetzt auf einen Notbetrieb umgestellt. Gezwungen hat sie niemand dazu. Im Gegenteil. „Ich stieß auf ungläubiges Erstaunen allerorten.“ Denn: In Simbabwe wurde erst am Dienstag überhaupt Social Distancing und Hygiene empfohlen. Und das trotz steigender Fallzahlen in den Nachbarländern. „Die Menschen wissen ein wenig um die Gefahr, aber geben sich dennoch weiterhin die Hand. Für die meisten geht hier alles weiter wie bisher.“ Das liegt aber auch daran, dass über das Virus viele falsche Informationen kursieren. So berichtet Ute von dem Gerücht, dass Schwarze immun gegen das Virus seien. Und: „Die Verteidigungsministerin sagte öffentlich noch am letzten Samstag, Covid-19 sei die Strafe Gottes für die westlichen Länder, die Sanktionen gegen Simbabwe verhängt haben.“

Dass ein eingestelltes öffentliches Leben auch seine gute Seiten haben kann, schreibt mir Nils aus Oslo. Weil die öffentlichen Verkehrsmittel so weit wie möglich gemieden werden sollen, hat er Pläne fürs Wochenende entwickelt: „Ich werde mal ein wenig ohne Ziel durch die Stadt wandern und auf alle möglichen Details im Stadtbild achten. Ich habe die Stadt nämlich eigentlich noch gar nicht so richtig kennengelernt.“ Eine Entdeckung hat er bereits gemacht: Corona bedeutet nicht nur, dass weniger Menschen auf den Straßen sind, sondern auch, dass neue Bilder an den Wänden auftauchen.

Nils hat dieses neue Graffiti entdeckt. Das Bild hat er „Alles Corona“ genannt

Nils hat dieses neue Graffiti entdeckt. Das Bild hat er „Alles Corona“ genannt

Das Homeoffice bietet ungeahnte Ausblicke

Eigentlich kann man nur eines dazu sagen: Ich würde mit vielen der KR-Leser:innen das Homeoffice sofort tauschen. Einige haben Fotos mit Aussichten geschickt oder von Ferienhäusern auf dem Land geschrieben, von denen aus sie jetzt arbeiten. Andere wieder richten sich im Homeoffice ganz gemütlich ein. Nils schreibt aus Oslo: „Ich arbeite jetzt von zuhause aus und genieße ein wenig, dass ich den Tag so einteilen kann, wie ich möchte. Ich stehe spät auf, gehe hier und da mal raus und hole mir einen Kaffee oder gehe Joggen.“

In Rotterdam hat Franca einen neuen Universitätsalltag vor ihrem Rechner mit dem Videokonferenz-Programm Zoom. „In Rotterdam wurden von einem Tag auf den anderen alle Face-to-Face-Vorlesungen abgesagt. Danach wurde in kürzester Zeit eine Alternative gefunden und organisiert, nämlich das Abhandeln der Kurse über Zoom-Meetings. „Nun sind wir seit einer Woche online, es gibt Online-Abgaben und heute habe ich zwei Präsentationen abgehalten – also alles läuft online einfach normal weiter.“ Es ist spannend zu sehen, wie schnell die Umstellung läuft – und wie gut sie für einige auch funktioniert.

Für andere, gerade aus ländlichen Regionen, bringt die Arbeit online auch Schwierigkeiten mit sich. Alexa berichtet aus Kanada, wo sie seit Februar ein Forschungssemester absolviert und Irland, wo ihre Heimatuniversität ist. An den Unis in Toronto und Dublin ist durch die Umstellung vieles schwerer geworden. „Viele unserer Studierenden, die nach dem Schließen der Wohnheime heim aufs Land gezogen sind, haben schlechte Internetverbindungen. Unsere ausländischen Studierenden sind jetzt in anderen Zeitzonen. Andere haben kleine Kinder oder jüngere Geschwister und gerade in Dublin sind die Wohnungen winzig und aufgrund der Wohnungskrise gerne auch mal überfüllt. Das macht es sowohl für die Lehrenden als auch für die Lernenden nicht leicht, sich zu konzentrieren.“

In Taipei wird hingegen noch normal gearbeitet – was auch immer normal in Corona-Zeiten heißt. Ilka schreibt von dort: „Ich bin Hochschullehrerin, meine Uni hatte zwei Wochen länger Semesterferien. Wir müssen bestimmte Verhaltensregeln befolgen: Strenges Gesundheitsmonitoring, Fieber messen beim Betreten der Uni und Mundschutz ist Pflicht, sonst kommt man nicht rein.“

Eine Aufnahme vom Homeoffice mit Aussicht auf die Berner Berge hat mir Adrian geschickt

Eine Aufnahme vom Homeoffice mit Aussicht auf die Berner Berge hat mir Adrian geschickt

Strafzettel fürs Biertrinken am Strand

Klar, Ausgangsbeschränkungen gibt es inzwischen in vielen Ländern. Mal werden sie schärfer durchgesetzt, mal weniger. Die Franzosen müssen inzwischen eine Strafe von 135 Euro zahlen, wenn man sie ohne triftigen Grund draußen erwischt. In Argentinien ist sogar das Militär auf den Straßen unterwegs und kontrolliert die Ausgangssperre. So erzählt es Julia aus Buenos Aires. Was in Deutschland vollkommen unmöglich klingt, ist andernorts schon Realität. Wobei vor Kurzem Bundeswehrsoldaten bei einem Riesenstau an der deutsch-polnischen Grenze schon geholfen haben.

Dagobert schreibt, dass die Franzosen eine Erklärung ausdrucken und bei sich tragen müssen, wenn sie unterwegs sind. Wer sie nicht dabeihat, wird bestraft, so wie ein Kollege von Kirsten, die ebenfalls in Frankreich lebt. Sie schreibt: „Ein Kollege, der sich für die Zeit der Ausgangssperre an die Küste abgesetzt hat, musste bereits eine Strafe in Höhe von 135 Euro zahlen, weil er abends mit Freunden am Strand Bier trinken war.“

Nicht nur in in Deutschland gibt es das Problem, dass sich vor allem viele Jüngere nicht mit den Ausgangsbeschränkungen abfinden wollen. In Ländern, in denen Sonnentage selten sind, fällt die Corona-Krise in eine besonders schlimme Zeit. Gerald in Dublin fürchtet, dass das regnerische Klima von Irland dafür sorgen könnte, dass junge Menschen beim ersten Sonnenschein sofort die Ausgangssperre brechen werden. „In einem Land, in dem es gefühlte neun Monate im Jahr kalt und regnerisch ist, wird niemand die Kinder und Teenager aufhalten können, sollte es an Ostern warm werden“, schreibt er.

Den strahlend blauen Himmel und die leeren Straßen von Cork hat mir Holger geschickt

Den strahlend blauen Himmel und die leeren Straßen von Cork hat mir Holger geschickt

Neun Beatmungsgeräte für zwei Millionen Einwohner in Santa Cruz

Auch in Deutschland mit einem der besten Gesundheitssysteme der Welt und eigentlich gut ausgerüsteten Krankenhäusern, befürchten Fachleute Probleme bei der Versorgung von Corona-Patienten, sollte sich die Pandemie auch hier ausweiten, so wie es in Italien und China geschehen ist.

Wie sieht es dann erst in ärmeren Ländern aus? Ute, die Augenärztin in Simbabwe, macht sich keine Illusionen: „Es ist ein Tanz auf dem Vulkan. Wenn es richtig losgeht, dann werden hier viele Leute sterben. Die Bevölkerung ist schlecht ernährt, viele haben HIV, Tuberkulose und andere Krankheiten. Und es gibt eben keinerlei Gesundheitsversorgung.“ Nachdem erst im Januar ein viermonatiger Ärztestreik zu Ende ging, laufen die Kliniken wegen fehlender Medikamente und Materialien nur im Notbetrieb. Und auch sonst ist Simbabwe nicht auf die Pandemie vorbereitet: „In Harare gibt es vier Beatmungsgeräte. Die einzige Isolationsklinik für Covid-Fälle hat sieben Betten, kein Intensivbett, keine Beatmungsoption.“

Ähnlich geht es Sabine in Bolivien. Das Land gilt als das ärmste Südamerikas. Noch gibt es dort unter 100 bestätigte Corona-Fälle. Aber auch in Bolivien würde ein stärkerer Ausbruch eine Katastrophe bedeuten. Ein Ausgehverbot gilt erst ab 18 Uhr und vormittags gehen die Menschen normal arbeiten. „Uns hilft hier niemand. Es gibt in Santa Cruz de la Sierra auf zwei Millionen Einwohner neun Beatmungsgeräte.“

Sabine wird in Bolivien mit vielen Plakaten zu Hygiene aufgerufen

Sabine wird in Bolivien mit vielen Plakaten zu Hygiene aufgerufen

Die im Ausland leben, haben Angst um die Eltern in der Heimat

„Ich vermisse die Möglichkeit, theoretisch jederzeit mit Ryanair von Kerry nach Hahn fliegen zu können, um in Deutschland die Familie zu sehen oder Arztbesuche zu machen“, schreibt Franz, der auf Valentia Island vor Irland lebt. Zwar sind innereuropäische Reisen zurzeit nicht grundsätzlich verboten, viele Länder haben aber ihre Grenzen zeitweise geschlossen. Und die meisten Fluggesellschaften haben ihren Betrieb weitestgehend eingestellt. Das macht die Situation für Menschen im Ausland doppelt schwer, die Verwandte hier haben. Sie können nicht einmal im Notfall nach Deutschland kommen, geschweige denn für ältere Familienmitglieder Einkäufe erledigen.

Niklas schreibt aus Kalifornien über die Sorge um seine Eltern: „Einfach, weil sie aufgrund ihres Alters in der Risikogruppe sind. Ich bekomme Panik, wenn ich daran denke, dass ich im schlimmsten Fall vielleicht nicht mehr zu ihnen reisen kann, weil es keine Flugverbindungen mehr gibt.“

Und auch Christine aus Großbritannien schreibt: „Ich habe Angst, dass meine Eltern in Deutschland krank werden und ich nicht helfen kann. Sie sind über 80 und ich kann sie jetzt nicht besuchen.“


Danke an alle 113 Mitglieder aus aller Welt, die an meiner Umfrage teilgenommen haben. Eure Antworten waren alle sehr spannend und haben mich zum Nachdenken gebracht. Bleibt gesund!

Redaktion: Theresa Bäuerlein; Schlussredaktion: Susan Mücke; Fotoredaktion: Martin Gommel.