Ich habe Fieber – warum bekomme ich trotzdem keinen Corona-Test?

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Psyche und Gesundheit

Ich habe Fieber – warum bekomme ich trotzdem keinen Corona-Test?

In Deutschland machen viele Menschen gerade eine sehr frustrierende Erfahrung, wenn sie sich testen lassen möchten. So lange kein begründeter Verdacht auf eine Infektion besteht, werden sie wieder weggeschickt. Woran liegt das?

Profilbild von Silke Jäger
Reporterin für Kopf und Körper

Vor Kurzem habe ich einen Text darüber geschrieben, was du tun kannst, wenn du den Verdacht hast, dich mit dem SARS-CoV-2-Erreger angesteckt zu haben. Und bereits kurze Zeit später erreichten mich viele Nachrichten, die zeigten: Viele Menschen wollen sich testen lassen, werden aber wieder weggeschickt, weil es „keinen begründeten Verdacht“ gibt, dass sie sich angesteckt haben könnten. Oder sie sollen den Test selbst zahlen. Das kostet zwischen 120 und 200 Euro.

Diese Situation belastet die Menschen. Sie haben Angst, sich selbst angesteckt zu haben und dadurch andere zu gefährden. Weil man in den ersten Tagen nach einer Ansteckung nicht merkt, dass man das Virus bereits an andere weitergeben könnte, wirkt jede körperliche Nähe wie russisches Roulette: Niemand weiß, welcher Kontakt harmlos ist und welcher schon nicht mehr. Denn längst verbreitet sich das Virus in vielen Regionen ungehindert in unserer Gesellschaft, das zeigen die Zahlen der bestätigten Neu-Infizierten.

Dabei wollen viele Menschen genau das tun, wozu Bundeskanzlerin Angela Merkel aufgerufen hat und was die Länder inzwischen als Kontakteinschränkungen vorgeben: die Regeln befolgen. Abstand zu anderen halten, nicht ausgehen, Familientreffen meiden – und sich testen lassen, wenn ein begründeter Corona-Verdacht besteht. Warum ist das mit den Tests so schwierig?

Die Probleme mit den Corona-Tests sind vielschichtig, ich kann nicht alle Aspekte in diesem Text unterbringen. Hier konzentriere ich mich auf die Frage, die oben drüber steht: „Ich habe Fieber – warum bekomme ich trotzdem keinen Corona-Test?“

Vier Gründe habe ich gefunden, warum du bei Symptomen, die auf eine Corona-Infektion hindeuten könnten, nicht automatisch einen Test bekommst. Sie helfen dir bei der Beantwortung dieser drängenden Frage.

Eine Anmerkung vorweg: Wenn ich diese Gründe hier beschreibe, heißt das nicht, dass ich dieses Vorgehen für richtig halte. Ich versuche zu erklären, warum nicht jede:r gleich getestet wird, die oder der Sorge hat, infiziert zu sein. So kannst du dir hoffentlich einen besseren Reim darauf machen, warum die Testsituation in Deutschland so ist, wie sie ist.

Grund 1: Der Test ist nicht unfehlbar

Die Sache mit den medizinischen Tests ist ziemlich komplex. In einer idealen Welt können sie mit 100-prozentiger Sicherheit Infizierte von Nicht-Infizierten unterscheiden. Das heißt, sie erklären niemanden für gesund, der krank ist und niemanden für krank, der gesund ist. In der Realität kann das kein einziger Test. Aber es gibt welche, die sehr nah ans Ideal ran kommen. Das sind die, die diese Unterscheidung in 99 Komma irgendwas der Fälle richtig machen. Viele Tests haben aber eine deutlich niedrigere Trefferquote in die eine oder in die andere Richtung.

So auch der Corona-Test. Er findet Infizierte unterschiedlich gut, je nachdem, wie der Abstrich gemacht wurde. In Deutschland wird in der Regel ein Wattebausch über den hinteren Rachenbereich gestrichen oder ein Nasenabstrich genommen. Allerdings ist bei dieser Technik der Test nicht so zuverlässig, wie man es sich wünschen würde. Das zeigen Daten aus China. Es könnte also sein, dass er nicht anschlägt, obwohl du Träger bist. Für sich genommen suggeriert er eine Sicherheit, die es nicht gibt.

Dazu kommt, dass ein Test immer nur eine Momentaufnahme ist. Wenn du dich heute testen lässt und das Ergebnis erst drei Tage später bekommst, weißt du nur, wie die Situation vor drei Tagen war. Wenn du nicht infiziert, aber in der Zwischenzeit unterwegs warst und Menschen getroffen hast, kannst du dich angesteckt haben, denkst aber, du seist nicht infiziert. Du würdest also vielleicht erst recht das Virus verbreiten – weil du aufhörst, vorsichtig zu sein. Dass der Test eine Infektion anzeigt, die du nicht hast, ist hingegen eher unwahrscheinlich.

Wichtig: Ich will damit nicht sagen, dass Tests im Allgemeinen und der Corona-Test im Besonderen sinnlos sind. Du solltest dir aber Folgendes bewusst machen: Es ist nicht leicht, Testergebnisse korrekt zu interpretieren.

Dieser kleine Satz hat ziemlich große Auswirkungen auf die Beurteilung der Lage. Und ist einer der Gründe dafür, warum Wissenschaftler:innen immer wieder betonen, dass wir noch zu wenig über die Eigenschaften des Virus wissen. Dazu gehört auch, dass wir nicht sicher sagen können, wie weit das Virus sich bereits verbreitet hat. Alle Expert:innen gehen davon aus, dass die Zahl der tatsächlich Infizierten größer ist als gemeldet. Wie viel größer, dazu gibt es unterschiedliche Einschätzungen.

Ein weiterer Grund, warum der Test nicht unfehlbar ist: Wir müssen zwischen Infizierten und Erkrankten unterscheiden. Das berücksichtigen Journalisten-Kollegen im Moment zu wenig und das sorgt für weitere Verwirrung: eine Infektion ist noch keine Krankheit. Der Test kann dir nur sagen, ob du mit dem Erreger infiziert bist. Ob du eine schwere Verlaufsform der Lungenkrankheit Covid-19 bekommst, darüber sagt der Test nichts.

Deshalb lautet der Rat immer – egal, ob du den Erreger in dir trägst oder nicht: Bleib zu Hause. Das ist sinnvoll, gerade wenn man sich klar macht, in welcher Phase der Pandemie wir uns inzwischen befinden.


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Grund 2: Das Virus ist da und geht nicht mehr weg

Pandemien werden in verschiedene Phasen unterteilt und damit auch die Maßnahmen, die in den jeweiligen Phasen sinnvoll sind. Am Anfang, wenn es nur wenige Fälle gibt, versucht man, das Virus auszuhungern. Das heißt, man versucht, es von Wirtszellen fernzuhalten, die das Virus zur Vervielfältigung nutzt. Denn allein kann ein Virus so gut wie nichts und wenn es keinen Wirt findet, verschwindet es wieder. Das hat man in China versucht und auch anfangs in Deutschland. Dabei ist es wichtig, dass man so früh wie möglich testet, die Infizierten isoliert, die Kontaktketten dokumentiert und die direkten Kontakte ebenfalls isoliert.

Auf diese Weise bekommt man ein gutes Bild davon, wo sich sogenannte Cluster bilden – Virusherde, die den Erreger schnell überregional verteilen können. Einen solchen Cluster hatten wir am Anfang in Bayern. Bei diesem hat das Aushungern nach allem was man weiß geklappt. Bei anderen Clustern, unter anderem dem im Kreis Heinsberg, leider nicht. Inzwischen ist das Bild in Deutschland gemischt. In einigen Regionen kann man noch von Virus-Clustern sprechen, in anderen Regionen haben sich diese Cluster so stark vergrößert, dass man von einer flächendeckenden Verbreitung redet.

Wenn die Infiziertenzahlen in einer Region über ein bestimmtes Maß steigen oder die Verbreitung zu schnell geschieht, ist es kaum noch möglich, jeden Infizierten früh genug zu finden und die Kontaktketten nachzuverfolgen, um andere Infizierte ebenfalls zu isolieren. Dann greift die Suche nach asymptomatischen Patient:innen nicht mehr. Diesen Punkt haben wir in Deutschland inzwischen in einigen Regionen erreicht.

In diesen Regionen muss nicht nur die Test-Strategie geändert werden, auch die anderen Maßnahmen müssen angepasst werden. Dann gibt es im Grunde zwei Möglichkeiten: Man nimmt in Kauf, dass das Virus dort heimisch wird – die Mediziner:innen nennen das „endemisch“ – oder aber, man greift zu wirklich radikalen Maßnahmen wie Hausarrest. Bei sehr tödlichen Seuchen wie Ebola wird das (in Afrika) zum Beispiel so gemacht.

Da es zum jetzigen Zeitpunkt der Epidemie mit einigen Clustern und einigen Flächen sehr schwer ist, tatsächlich Infizierte von möglicherweise Infizierten zu unterscheiden, war es klug, die Sichtweise zu wechseln. Jede:r sollte so tun, als ob sie oder er bereits infiziert ist.

Ich schreibe mit Absicht tun. Es kommt nämlich auf dein Verhalten an. Denn entscheidend ist bei diesem Virus am Anfang nicht, ob du es tatsächlich hast, sondern ob du es weitergeben könntest. Deshalb sollte ab jetzt jede:r – und ich meine das wörtlich: wir alle! – so tun, als ob wir bereits andere anstecken könnten. Denn für einen Teil von uns wird das tatsächlich zutreffen, ohne dass wir es wissen. Das bedeutet: Zuhause bleiben und unnötige Kontakte auf das absolute Minimum beschränken. Am besten auf Null.

Da wir gerade am Übergang zwischen zwei unterschiedlichen Pandemiephasen stehen, ist es schwer, eine Verhaltensregel zu definieren, die sich für jede:n von uns stimmig anfühlt. In den Regionen mit Clustern sind Tests sinnvoller als in denjenigen, in denen die Zahlen bereits zu schnell steigen. Auch da sind natürlich Tests weiterhin sinnvoll, aber nicht unbedingt als Richtschnur für das eigene Verhalten oder um die Angst zu reduzieren, angesteckt zu sein. Sie sind es eher aus epidemiologischer Sicht.

Grund 3: Der Test hat wenig Relevanz für die Behandlung

Die Krankheitsverläufe bei einer Corona-Infektion unterscheiden sich. Wie hoch die Wahrscheinlichkeit für welchen Verlauf ist, kann niemand wirklich sagen. Wir müssen mit den Zahlen arbeiten, die wir aus dem bisherigen Pandemiegeschehen haben. Und die sind leider verwirrend, weil sie sich stark von Land zu Land unterscheiden.

Als grobe Richtschnur gilt eine Grafik, die du in diesem Text findest. Merken kannst du dir, dass schwere Verläufe wahrscheinlicher werden, je mehr Vorerkrankungen du bereits hast, wie zum Beispiel Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Atemwegserkrankungen. Alle Menschen, auf die das nicht zutrifft, können ihre Wahrscheinlichkeit für einen schweren Covid-19-Verlauf nur sehr schwer abschätzen. Auch junge Menschen können schwer erkranken.

Bei der Risikobewertung, wie schwer krank du durch den SARS-CoV-2-Erreger werden könntest, hilft dir leider auch ein Test wenig. So lange es keine heilende Therapie oder eine Impfung gibt, ist es wichtiger, sich und andere vor Ansteckung zu schützen. Das ist die Situation mit der jede:r Einzelne von uns jetzt lernen muss umzugehen, weil es bedeutet, dass wir Abstand halten müssen.

Grund 4: Die Teststrategie in Deutschland ist zum Teil überholt

Das Gesundheitswesen muss Prioritäten setzen. In Deutschland sind die niedergelassenen Ärzt:innen eine Hauptanlaufstelle für Tests, wenn es keine zentralen Teststationen gibt, zu denen das Gesundheitsamt dich lotsen kann. Die Ärzt:innen sollten bisher nur Menschen bei einem begründeten Verdacht zum Test schicken, inzwischen können auch Tests veranlasst werden, wenn typische Symptome auf eine Corona-Infektion deuten.

Viele Expert:innen denken, es wäre sinnvoll, Massentests zu machen. Dafür würde man die Leute aber gezielt auswählen, damit sie ein möglichst gutes Bild der ganzen Gesellschaft abgeben. Oder man geht davon aus, dass das Virus bereits weit verbreitet ist, testet zum Beispiel nur noch Krankenhauspatient:innen und -personal und versucht, die Risikogruppen so gut es geht zu schützen.

Die Testkapazitäten sind nämlich begrenzt. Sie werden zwar laufend ausgebaut, aber es gibt erste Berichte, wonach ein wichtiger Grundstoff knapp wird, je nachdem woher das Labor ihn bezieht. In der vergangenen Woche sind nach Angaben des Robert-Koch-Instituts 160.000 Tests von niedergelassenen Ärzten veranlasst worden, aber wie viel insgesamt getestet wird, ist unklar.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn sagt: „Wir können und schaffen es nicht, hunderttausende Bundesbürger jeden Tag zu testen.“ Man müsse sich „auf die konzentrieren, wo es tatsächlich auch sinnvoll ist.“

Für die Statistik der Infektionsschutzbehörden und der Weltgesundheitsorganisation WHO ist es wichtig, dass viel getestet wird. Denn Zahlen sind eine unverzichtbare Basis für Entscheidungen. Das ist auch absolut berechtigt. Aber Statistiken haben es in sich. Vor allem, wenn unterschiedlich gemessen wird. Und wir lesen alle gerade sehr viele Statistiken, ohne mit den Tücken unbedingt vertraut zu sein. Das kann zu falschen Schlüssen und Gerüchten führen, zum Beispiel über die Wahrscheinlichkeit, an den Folgen der Viruserkrankung zu sterben. Ein Beispiel, nämlich das Testen von Verstorbenen, beschreibe ich in der Anmerkung.

Tests sind in manchen Bereichen unverzichtbar. Es muss klar sein, ob medizinisches Personal infiziert ist oder nicht, denn es ist überlebenswichtig für schwer erkrankte Patient:innen – egal mit welcher Krankheit – und dürfen weder ausfallen, noch Patient:innen gefährden. Wer schwer an Covid-19 erkrankt, braucht das Intensivbett drei bis vier Wochen. Eine enorme Herausforderung, da jetzt schon qualifizierte Kräfte fehlen. Um ihre Arbeitskraft zu erhalten, müssten sie fortlaufend auf das Coronavirus getestet werden. Das ist bisher nicht vorgesehen.

Fazit: Es gibt ein Test-Dilemma

Einerseits soll laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) so viel getestet werden, wie es nur geht, andererseits sind die Kräfte des Gesundheitswesens und der Labore begrenzt. Noch dazu gibt es in unserem Gesundheitswesen einige Spezialfallen, die in Situationen wie diesen zuschnappen. Etwa, dass es von den Beteiligten selbst verwaltet wird: von Krankenkassen, Ärztevertreter:innen, Krankenhausgesellschaften und anderen Fachverbänden. Und die sind grundsätzlich erst mal unterschiedlicher Meinung, wie die Dinge zu regeln sind. Deshalb ist es gut, wenn das Robert Koch-Institut die Strategie festlegt. Über die Strategie kann man trotzdem unterschiedlicher Meinung sein.

Die bisherige Strategie der Behörden war darauf ausgelegt, das Virus auszuhungern. In der ersten Phase der Pandemie gilt es, die unentdeckten Infizierten zu „jagen“, indem man viel testet. Das Ziel in der nächsten Phase ist es, das Gesundheitswesen stabil zu halten. Dafür wird es wichtiger, gezielt zu testen. Vor allem, weil die Covid-19-Symptome von anderen saisonalen Viruskrankheiten am Anfang schwer zu unterscheiden sind.

In Deutschland haben die Behörden diesen Strategiewechsel von Anfang an mitgedacht. Damit die Umstellung möglichst gut gelingt, müssen sie aber jeden einzelnen Schritt der Planänderung gut erklären. Das ist eine Herausforderung – denn ständiges Ändern der Strategie führt natürlich zu Verwirrung bei denjenigen, auf die es ankommt: bei uns. Die zuständigen Behörden könnten mehr dafür tun, dass die Menschen die Änderungen in Strategie und Verhaltensempfehlungen besser verstehen.


Redaktion: Rico Grimm, Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Martin Gommel.