Etwas mehr als ein Jahr bevor das Weltfinanzsystem an den Rande des Zusammenbruchs kam, verkündete der damalige US-Finanzminister Hank Paulson, dass die Immobilienkrise in seinem Land kein „ernsthaftes Problem“ werden würde. Im Herbst 2008 kam schließlich der Schock: Pleite der Investmentbank Lehman Brothers, bange Wochen, in denen Politiker die Implosion des Systems verhindern konnten. Auslöser: die Immobilienkrise.
Die Lehre daraus? Wer Prognosen macht, sollte sich besser sicher sein – sonst steht er ganz dumm da oder wird zehn Jahre später als warnendes Beispiel für einen Texteinstieg verwendet. Ich beherzige diese Lehre hier nicht.
Dieser Beitrag wird (fast) nur aus Prognosen über die Folgen der Corona-Epidemie bestehen, sie sind unsicher, sie sind spekulativ, sie können aber auch wertvoll sein: allererste Anhaltspunkte, um zu verstehen, was gerade in der Welt passiert. Wer Spekulationen nicht mag, sollte jetzt aufhören zu lesen.
Welche Folgen hat die Corona-Pandemie für Politik und Wirtschaft? Wo wirkt sie wie ein Durchlauferhitzer für Dinge, die eh schon da waren? Zehn kleine Trends habe ich gefunden, sie reichen vom Schicksal der Populisten über den Niedergang einer der verhasstesten Industrien der Welt bis zum Grundeinkommen und Urlaub auf Rügen.
Du kannst diesen Text in zehn Jahren gerne als warnendes Beispiel verwenden, sollte ich komplett daneben liegen.
1. Trump, Bolsonaro, Xi Jinping – Populisten und Autokraten müssen um ihre Zukunft bangen
Jedem Staat der Welt liegt ein Deal zwischen Bürger:innen und Regierung zugrunde: Ihr habt die Macht, dafür schützt ihr uns. Das scheint der „Autor“ des Buches „The Art of the Deal“, US-Präsident Donald Trump, vergessen zu haben. Sein Krisenmanagement zeichnet sich bisher durch Ignoranz, Narzissmus und offen opportunistische Wahlkampfaktionen aus. Die Corona-erkrankten Passagiere eines Kreuzfahrtschiffs wollte er nicht in die USA lassen, weil ihm die aktuell niedrigen Fallzahlen „gefallen“. Er sagte, es gebe genug Corona-Tests im ganzen Land während die Regierungen der Bundesstaaten das Gegenteil belegen konnten. Seine Regierungsansprache Anfang März hat die Unsicherheit vergrößert, ablesbar daran, dass die Börsen am Tag darauf Rekordverluste verzeichneten. Es entsteht der Eindruck, dass Trump mehr an sich denke als an das Wohl seiner Bürger.
Das merkt gerade auch seine Basis. Vergangenen Montag hat der bei Trump-Wählern beliebte Fernsehmoderator Tucker Carlson den Präsidenten live vor Millionen Zuschauern kritisiert: Anders als Trump behaupte, sei Corona ein „ernstes Problem“. Wenn Trump wirklich Stärke zeigen wolle, solle er die Wahrheit sagen.
Gleichzeitig gefährden nicht nur seine Lügen den US-Präsidenten. Immer und immer wieder hatte er in den vergangenen Jahren die wirtschaftliche Lage der USA als seinen größten Erfolg verkauft. Er gab mit den niedrigen Arbeitslosenzahlen an – und mit immer neuen Höchstständen des Dow Jones, einem Aktienindex, in dem die größten Unternehmen der USA zusammengefasst werden. Der Index hat seit seinem Allzeithoch 30 Prozent verloren, und dass die US-Wirtschaft ab Sommer wieder in den Turbomodus der Vorkrisenzeit umschaltet, glauben nur noch wenige. Die Investmentbank Goldman Sachs sagt, dass das Wirtschaftswachstum einer der „Schlüssel“ sei, um den Wahlerfolg vorherzusagen. Wer nicht liefert, fliegt. Das bekam George W. Bush (senior) zu spüren, der nach einer Amtszeit im Jahr 1992 gegen den damals relativ unbekannten Bill Clinton verlor.
Aber nicht nur die Autorität von Donald Trump ist angeschlagen. China scheint das erste Corona-Epidemie-Hoch hinter sich gebracht zu haben, richtig zufrieden wird die herrschende Kommunistische Partei und Staatschef Xi Jinping damit aber nicht sein. Auch wenn China vom Ausland für seine schnelle Reaktion gefeiert wird; einige Chinesen blicken anders darauf: „Der Gesellschaftsvertrag der Kommunistischen Partei mit dem Volk – Wohlergehen sichern und für immer größeren wirtschaftlichen Wohlstand sorgen – wird auf eine Weise belastet, die ich in den vergangenen Jahrzehnten noch nicht gesehen habe“, schreibt der China-Experte Bill Bishop in seinem Newsletter „Sinocism“. Gerade der Tod des Arztes und Corona-Whistleblowers Li Wenliang hat das Land in Aufruhr versetzt. Um die Zensur zu umgehen, nutzen chinesische Bürger „Besprechungen“ der erfolgreichen Fernsehserie „Tschernobyl“, um ihre Kritik deutlich zu machen. Zentrales Thema der Serie: Wie die sowjetische Regierung nach dem Reaktorunglück im Frühjahr 1986 mit Lügen und Halbwahrheiten die Gesundheit ihrer Bürger gefährdete. Dazu passt, dass im Schnitt in Demokratien, egal, wie reich diese sind, weniger Menschen in Epidemien sterben, wie der Economist herausgefunden hat.
In Brasilien gerät Staatschef Jair Bolsonaro unter Druck, weil er die Eindämmungsmaßnahmen als „Hysterie“ bezeichnet und noch am Wochenende eine große Demonstration veranstaltete – inklusive Bad in der Menge. Im Umfeld von Bolsonaro sind mehrere bestätigte Corona-Fälle gemeldet worden. Dieses Verhalten hat den seit Beginn seiner Amtszeit kursierenden Forderungen nach einer Amtsenthebung neue Nahrung gegeben. Der zentrale Grund dafür könnte sein: Gefährdung der öffentlichen Gesundheit.
Allen drei Fällen gemeinsam ist eine Frage: Kann dieser Staatschef mich im Notfall schützen? Die Amerikaner können diese Frage im Herbst bei den Wahlen für sich beantworten. Bei den Brasilianern dauert es noch, und die Chinesen? Sie können nicht frei wählen, aber Vertrauen ist ein rares Gut. Einmal weg, kommt es selten wieder. Die Populisten und Autokraten der Welt wackeln. Einige werden über die Corona-Epidemie stürzen.
2. Kollektive Institutionen werden gestärkt
Sie schienen in den vergangenen Jahren etwas in Vergessenheit geraten zu sein: die Menschen, die den Bürgern helfen, wenn es ihnen schlecht geht. Sie arbeiten in Krankenhäusern, bei der Polizei, in Feuerwehren und Behörden. Im Grunde verkündeten die Medien in den letzten Jahren aus diesen Bereichen nur Schreckensmeldungen: Budgetkürzungen, kleine Skandale. Jetzt ist es andersherum. Ein paar Beispiele:
- In Graz hängen die Ultras des lokalen Fußballclubs ein großes Banner über die Straßen:
https://twitter.com/Kollektiv1909/status/1239192588420349952
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Bundeskanzlerin Angela Merkel verspricht, dass getan werde, was nötig sei und „am Ende“ schaue man erst, „was das für unseren Haushalt bedeutet.“
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In Österreich mobilisiert die Regierung jeden, der in den vergangenen fünf Jahren Zivildienst geleistet hat.
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In Italien haben sich die Bürger am Wochenende auf ihren Balkonen versammelt, um den Menschen in den Kliniken und Praxen für ihre Arbeit zu applaudieren.
Niemand kann sagen, ob diese Aufmerksamkeit von Dauer ist. Nur: Wer kann sich vorstellen, dass die Corona-Pandemie nicht verändert, wie die Menschen auf ihr Gesundheitssystem und andere sogenannte kritische Infrastrukturen schauen? Das würde in einen Mega-Trend passen, der sich gerade in der Welt der Ökonomie abzeichnet: Nach Jahren, in denen Sparen, schlankem Staat und schwarzer Null gehuldigt wurden, setzen sich immer mehr führende Ökonomen dafür ein, dass der Staat wieder mehr Geld ausgibt für Straßen, Krankenhäuser oder Zugverkehr, für genau jene Dinge also, die allen Bürgern eines Landes auf eine gewisse Weise gehören – und die im Notfall unverzichtbar sind.
3. „Geld waschen“ oder das Ende des Bargelds
Vor wenigen Wochen wies die Chinesische Zentralbank die Banken Chinas an, Geld zu waschen, wortwörtlich. Die Scheine waren in Verdacht geraten, das Corona-Virus zu übertragen. In Südkorea ging die Zentralbank noch radikaler vor, sie verbrannte große Mengen Bargeld. Schon vor der Coronakrise sagten die Experten voraus, das im Jahr 2020 zum ersten Mal mehr Südkoreaner mit Karte als mit Bargeld zahlen werden. Dieser Trend dürfte sich überall in der Welt beschleunigt haben. Selbst im Bargeld-verrückten Deutschland schauen die Menschen die Scheine und Münzen in ihren Kassensystemen und Portemonnaies nun mit anderen Augen an. Diesen Aushang habe ich an einem Restaurant neben unserer Redaktion gesehen:
Kollegen berichten mir, dass nun auch endlich Bäcker Kartenzahlung für Kleinstbeträge nicht nur akzeptieren, sondern einfordern.
Ein Bild und eine Anekdote machen noch keinen Trend, aber auch die Suchanfragen bei Google sind eindeutig: Die Menschen bekommen gerade etwas Angst vor Bargeld. Dabei ist es auch egal, ob Bargeld nun die Corona-Viren übertragen kann oder nicht (eher nicht, sagt das Robert-Koch-Institut). Der Zweifel ist gesät, alternative Technologien wie Kreditkarte oder Apple Pay wird bald jeder in der Tasche haben.
4. Alles aus der Ferne
Inzwischen weiß es der Nachbar und sein Hund: Home Office wird in Deutschland gerade zum Trend. Davon profitieren die Unternehmen, die Videokonferenz-Software herstellen (der Wert einer Aktie der Firma Zoom ist seit Krisenbeginn in China um 60 Prozent gestiegen), aber auch die Elektronikhersteller. Denn plötzlich brauchen zehntausende Menschen Laptops und Computer, eingerichtet mit den Programmen, die die Firma verlangt. Nur hat die Corona-Pandemie die globalen Lieferketten auseinandergezogen und manchmal zerrissen. Wichtige Chips aus China, kleine Steuereinheiten aus Südkorea – solche Dinge fehlen und damit auch die fertigen Produkte. Apple hat schon vermeldet, dass es Engpässe bei Ersatz-I-Phones gibt. Händler in Deutschland können im Moment mit den Bestellungen nicht mehr Schritt halten. Die spannendere Frage ist eigentlich: Welche richtig guten Argumente haben Firmen mit Präsenzkultur noch, ihre Mitarbeiter tagtäglich ins Büro zu zwingen, wenn nach der Corona-Krise so viele nagelneue Firmen-Laptops in den frisch eingerichteten Arbeitszimmern stehen?
5. Alles ganz nah
Begleitet wird die Fernarbeit von mehr Heimarbeit, quasi spiegelverkehrt. Das gilt zunächst für die Unternehmen. Für manche von ihnen war der Corona-Ausbruch in China ein Schock. Das Land war und ist ihre verlängerte Werkbank, und plötzlich stellte diese von einem Tag auf den anderen die Arbeit fast komplett ein. Den Unternehmen waren nun selbst die Hände gebunden, sie mussten die Produktion herunterfahren. Für manche aber dürfte die Corona-Epidemie (zunächst) ein Segen gewesen sein, für jene Firmen nämlich, deren Lieferketten besser über den Globus verteilt waren und die deswegen weiter wie bisher liefern konnten. Dazu passt, dass Amazon gerade nach 100.000 neuen Mitarbeitern sucht, um die neuen Corona-bedingten Bestellungen abarbeiten zu können. Im Umkehrschluss bedeutet das vermutlich, dass einige der kleinen Ladengeschäfte, die gerade zugemacht haben, nie wieder öffnen werden.
Über ihre Lieferketten machen sich gerade auch Millionen Deutsche Sorgen, vornehmlich über die Lieferketten von Toilettenpapier, wie es scheint. Aber mit der Zeit werden die Menschen feststellen, dass die Supermärkte immer noch offen sind und es genug zu essen gibt, und sie werden anfangen, zu kochen. Es wird Frühling, der Garten könnte auch mal wieder etwas Liebe vertragen. Die Corona-Quarantäne-Wochen könnten für diejenigen, die Glück haben und alles unbeschadet überstehen, zur ekstatischen Spitze des heimeligen Hygge-Landlust-Trends werden, der das Land schon seit Jahren beherrscht – und bei dem man sich nie ganz sicher sein konnte, ob er nicht mehr in den Magazinen als tatsächlich in der eigenen Küche, dem eigenen Garten und Häuschen gelebt wurde. Das wird sich nun zwangsläufig ändern.
6. Die Bürger der Eurozone werden eine Überweisung der Europäischen Zentralbank bekommen – das Grundeinkommen rückt einen Mini-Schritt näher
Wenn ein Abschwung droht, reagieren die Zentralbanken der Welt oft gleich: Sie senken die Leitzinsen. So sollen mehr Kredite in den Markt fließen können, mit denen Unternehmen neue Maschinen finanzieren können, Häuser gebaut werden oder, ja, auch Handys, Autos und Playstations angeschafft werden. Alle großen Zentralbanken der Welt haben wegen der Corona-Epidemie ihre Leitzinsen gesenkt.
Das Problem ist: So eine Maßnahme hilft nur, wenn die Menschen zu unsicher sind, ihr Geld auszugeben, weil sie sich Sorgen um die Zukunft machen. In der Corona-Krise ist die Nachfrage allerdings nur ein Teil des Problems. Der billigste Kredit hilft nichts, wenn sie nicht kaufen können, was sie brauchen. Bei diesem sogenannten Angebotsschock sind Zentralbanken (fast) machtlos.
Irgendwann könnte sich das wieder geben, wenn die Corona-Epidemien abschwächen. Dann machen die Fabriken wieder auf, genauso wie die Geschäfte. Nur, gehen die Menschen dann wieder einkaufen? Es droht ein Abschwung in Deutschland (fast) sicher, in China sehr sicher, in den USA wahrscheinlich, zumindest in der ersten Hälfte des Jahres. Im Sommer also müssten die Zentralbanken die Zinsen weiter senken, um den dann vielleicht beginnenden Aufschwung zu unterstützen – in der Theorie. Praktisch haben sie so gut wie keinen Spielraum mehr. Der Zinssatz in der Eurozone ist negativ, in den USA liegt er seit Sonntagabend bei Null. Was also können die Notenbanken noch tun?
Ein Blick nach Hongkong ist da interessant. Der Stadtstaat hat wegen der Proteste im vergangenen Jahr erlebt, was gerade die ganze Welt durchmacht: fast völliger Stillstand des öffentlichen und wirtschaftlichen Lebens. Darauf hat die dortige Zentralbank mit einer Weltpremiere reagiert: Sie hat Geld regnen lassen, also virtuell versteht sich. Jede:r volljährige Bürger:in der Stadt hat gut 1.000 Euro geschenkt bekommen. Die Maßnahme heißt in Fachkreisen „Helikopter-Geld“ und wird aktuell immer wahrscheinlicher, schlicht weil die Zentralbanken keine andere Wahl mehr haben.
In Australien zahlt die Regierung 750 Dollar einmalig an alle Menschen, die von Sozialleistungen in der einen oder anderen Form leben. Die amerikanische Regierung will jedem Bürger 1000 US-Dollar überweisen und in Deutschland setzt sich die Gewerkschaft Verdi dafür ein.
Parallel nimmt gerade eine Online-Petition Fahrt auf, die ein „krisenbedingtes Grundeinkommen“ fordert.
Beide Ideen, Helikopter-Geld und Grundeinkommen, sind verwandt: den Bürgern einfach Geld geben. Und wenn der Geist einmal aus der Flasche ist, wird es für die Regierungen und Zentralbanken schwer, ihn wieder zurückzustopfen. Im Guten wie im Negativen: Es könnte auch sein, dass so ein Schritt das Vertrauen in unser Geldsystem untergräbt.
7. Boom or Bust? Für die amerikanische Ölindustrie definitiv Bust – fürs Klima sehr gut
Es geht komplett unter: Die Welt befindet sich gerade auch in einem Ölpreiskrieg, ausgelöst von Russland, das sich nicht an OPEC-Absprachen zu den Fördermengen halten wollte. Als Reaktion darauf hat Saudi-Arabien angekündigt, so viel zu fördern, wie seine Quellen hergeben. Als das bekannt wurde, brach der Ölpreis ein: 30 Prozent runter, so etwas hat es seit dem Golfkrieg nicht mehr gegeben. Aber schon in den Wochen vorher hatte der Preis nachgegeben, denn, ausgelöst durch Corona, wird weniger Öl nachgefragt.
Für Länder wie Saudi-Arabien und Russland ist das langfristig ein Problem, weil ihr Staatshaushalt eng an den Ölpreis gekoppelt ist. Aber kurzfristig könnten sie es durchstehen. Wer es nicht durchstehen kann: große Teile der amerikanischen Fracking-Industrie. Fracking ist eine besondere und besonders schmutzige Ölfördermethode, die die USA in den letzten Monaten zum größten Ölproduzenten der Erde gemacht haben. Allerdings haben die Fracking-Firmen den Ausbau ihrer Fördermengen vor allem auf Pump finanziert. Nun wird eine Pleitewelle durch die Branche rollen. Manche Firmen haben bis zu siebenmal so viele Schulden allein in den nächsten drei Jahren zurückzuzahlen, wie sie überhaupt im Jahr verdienen. Ein Kartenhaus.
Vor mehr als vier Jahren standen die Fracker schon einmal vor einer ähnlichen Situation; damals haben bessere Fördertechniken und Übernahmen sie aus der Krise gerettet. Das wird dieses Mal nicht klappen. Nur wenige Firmen werden übrig bleiben. Banken sind schon länger nicht mehr gewillt, Fracking-Firmen ungesehen Kredite zu geben, Stichwort Klimakrise. Von allen Ölfördermethoden ist Fracking die potentiell schlimmste für Natur und Klima. Die Pleite der Fracker wäre eine gute Nachricht in der Klimakrise.
8. Urlaub auf Rügen, yeah!
21,3 Monate. So lange dauert es laut „World Travel and Tourism Council“ bis die Touristenzahlen nach einer Pandemie wieder anziehen. Was passiert, wenn die ganze Welt Ort dieser Pandemie ist, muss ich nicht ausbuchstabieren. Dazu kommt, dass Corona nicht nur nicht örtlich begrenzt ist, sondern auch niemand weiß, wie lange es eine Pandemie bleiben wird. Virologen gehen davon aus, dass wir mehrere Wellen erleben werden. Im für die Weltentdecker und Tourismus-Branche schlimmsten Fall wechseln die Krisenherde immer wieder. Das wären dann 21,3 Monate plus x für jeden Ort.
Die Konsequenz daraus? Natürlich Rügen. Oder die Saarschleife, das Alte Land, die Sächsische Schweiz, Berlin (bitte benimm dich hier!), das Alpenvorland oder der famose Bodensee. Urlaub wird, wenn er nicht zwangsläufig diesen Sommer auf Balkonien stattfindet, erstmal regional begrenzter. Aber, wer weiß? Das Klimajahr 2019 hat viele Menschen sowieso schon zweifeln lassen, ob es die Instagram-Fotos aus dem Starbucks in Rio de Janeiro wirklich wert sind, sein ganzes Jahresbudget an CO-2-Ausstoß mit diesen Langstreckenflügen zu verpulvern. Dieses Jahr könnte den kleinen Trend zum regionalen Urlaub verstärken.
9. Corona und die Klimakrise
Was sich erkennen lässt: Die Klimakrise ist komplett aus den Medien und damit auch aus den Köpfen vieler Menschen verschwunden. Dieser Artikel ist Beweisstück A. Denn normalerweise bin ich nicht „Reporter für Laien-Futorologie“, sondern „Reporter für die Klimakrise“. Nur wer kann, wer will sich gerade wirklich mit Dürren, Überschwemmungen und verschwindenden Stränden beschäftigen? Beweisstück B: wiederum Google Trends. Die Zahl der Suchanfragen nach Stichwörtern wie „Klimakrise“, „Klimawandel“, „Erderwärmung“ hat sich ungefähr halbiert im Vergleich zum letzten Jahr.
Rauszoomen hilft aber für die Perspektive: Im Vergleich zu, sagen wir mal, vor fünf Jahren ist der Trend ungebrochen, auch jetzt noch. Aufwärts. Die Klimakrise setzt sich fest und vielleicht hilft uns die Corona-Pandemie, einige Dinge klarer zu sehen. Denn sie und die Klimakrise sind sich sehr ähnlich. Eine hervorragende Übersicht hat Science Alert. Ich zitiere:
- Corona-Pandemie wie Klimakrise sind gekennzeichnet von einer sich verschlimmernden Katastrophen-Situation.
- Um jedes dieser beiden Probleme zu lösen, müssen wir unseren Lebensstil verändern.
- In beiden Fällen gibt es ein Koordinations-Problem: Was ein Mensch allein tut, wird nicht reichen, um das Risiko zu senken – wenn nicht auch andere mitmachen.
Niemand in der Corona-Krise vertraut darauf, dass „der Markt“ schon alles löst. Ist es völlig abwegig zu glauben, dass diese zu oft als rational-nüchternes Argument getarnte Ausrede auch in der Klimakrise nicht mehr zieht? Dazu kommt: Die Regierungen der Welt zeigen gerade, wozu sie fähig sind, wenn sie wirklich müssen. Sie sind dabei, gemessen an der Pandemie, oft viel zu langsam, aber gemessen an allem, was wir in den letzten Jahren in der Politik gesehen haben, in einem aberwitzigen Tempo unterwegs – und alle Bürger sehen, dass es gehen kann.
10. Eine überschießende Krise
Die Corona-Epidemie war ein Problem in der chinesischen Provinz Hubei, bald auch für einige Firmen und ihre Lieferketten, wuchs sich dann zu einem Problem ganz Chinas aus, das – als klar wurde, dass es zu einem Problem der ganzen Welt werden wird – die Finanzmärkte in Aufruhr versetzte und einen in dieser Geschwindigkeit noch nie gesehenen Abverkauf aller Anlageklassen (ja, auch Gold) in Gang setzte, der nur bedeuten kann, dass gerade sehr viele Menschen ganz schnell an Geld kommen müssen. (Warum sie das müssen, versuche ich in meinem nächsten Text zu beschreiben. Bitte mache mit bei meiner Umfrage weiter unten.)
Niemand kann im Moment mit Sicherheit sagen, was daraus werden wird. Vielleicht kommt es zu einer rasanten Erholung nach der Pandemie, vielleicht aber hat sich irgendwo im weitverzweigten Finanzsystem ein Schräubchen gelöst und eine Kettenreaktion in Gang gesetzt, die mit dem Anlass Corona-Pandemie eigentlich nicht mehr viel zu tun hat. Die Wahrscheinlichkeit einer neuen Finanzkrise ist gestiegen.
Vielen Dank an Markus, Nadia, Yvonne, Marianne und Carlo aus der KR-Community, die mir im Vorfeld dieses Textes wertvolle Anregungen und Hinweise zukommen lassen haben.
Redaktion: Philipp Daum. Schlussredaktion: Susan Mücke. Fotoredaktion: Martin Gommel