Diesen Text wollte ich ursprünglich gar nicht schreiben. Doch dann wurde mir klar, dass wir ein altes Problem mit dem neuen Coronavirus haben. Eines, das wir aus vielen früheren Seuchenausbrüchen schon kennen: Panik.
Im Internet kursieren die krudesten Mythen darüber, wie du dich mit dem Virus anstecken könntest und was du am besten tun solltest, um dich zu schützen. Das reicht von Knoblauch essen über keine Pakete aus China mehr annehmen bis Rauch einatmen. Einige dieser falschen Ratschläge sind nur fragwürdig, andere gesundheitsschädlich. Alle heizen die Panik weiter an.
Das Virus selbst ist mit einiger Wahrscheinlichkeit nicht unser Hauptproblem. Die soziale Infektion ist es. Wir haben vergessen, was wir aus früheren Pandemien bereits gelernt haben. Wir müssten alles dafür tun, dass sich echtes Wissen über ein neues Virus schneller ausbreitet als das Virus selbst. Panik hilft uns dabei nicht. Im Gegenteil.
Erste Maßnahme gegen die Panik ist: die Eigenschaften des Virus studieren. Das ist bei neuen Viren am Anfang schwer, aber inzwischen wissen wir einiges über SARS-CoV-2 (so nennen Wissenschaftler:innen das neue Coronavirus). Das Wichtigste:
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Wenn sich jemand mit dem Virus infiziert, kann es bis zu 14 Tage dauern bis erste Symptome sichtbar werden. Dieser Zeitraum heißt Inkubationszeit.
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Die Ansteckung geschieht wahrscheinlich ausschließlich über Tröpfcheninfektion (nicht über Schmierinfektionen; Anm. vom 11.02.2020).
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Wahrscheinlich kann ein infizierter Mensch schon vor den ersten Symptomen andere anstecken. Die große Frage ist: Kann er das 14 Tage lang tun oder nur 3? Für beide Zeiträume gibt es Berichte.
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Die Leitsymptome sind Fieber, trockener Husten, Atemnot, Muskelschmerzen, Schlappheit. (Schnupfen und Halsschmerzen gehören nicht dazu!)
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Die Krankheit verläuft sehr unterschiedlich. Es gibt viele milde Verläufe und einige tödliche. Die Krankheit verläuft seltener tödlich als SARS, ebenfalls eine Atemwegserkrankung, die durch Coronaviren ausgelöst wird und 2002 zum ersten Mal auftrat.
Wir erlebten die Panik schon bei SARS. Im Rückblick sehen wir allerdings, dass die Ausbreitung des Virus relativ schnell eingedämmt und schließlich gestoppt wurde.
Auch bei einem anderen Virus schlug Angst schnell in Massenpanik um. Bei HIV dauerte das Ringen um wirksame Behandlungen zwar etliche Jahre, aber es war zumindest relativ bald klar, wie man sich vor einer Infektion schützen kann. Trotzdem musste erst Prinzessin Diana einem an Aids erkrankten Mann die Hand schütteln, bis sich die Erkenntnis durchsetzte, dass alltägliche Kontakte mit infizierten Menschen kein Problem sind (und die Krankheit erst recht keine Strafe Gottes für Freizügigkeit). Seitdem lassen schlimmste Stigmatisierungen und Diskriminierungen – vor allem für Angehörige der LGBTQ-Community – nach. Aber verschwunden sind sie noch immer nicht.
Wir wissen längst: Menschen zu bekämpfen statt das Virus macht einen Seuchenausbruch schlimmer.
Was nährt die Panik?
Ein neues Virus macht Angst. Mythen und Legenden treiben jedoch die Angst vor Ansteckungen in schwindelnde Höhen. Machten vor der Jahrtausendwende vor allem die Boulevardzeitungen ein Geschäft mit der Angst, können wir das Ganze nun selbst erledigen: Über Social-Media-Plattformen verbreiten sich gefährliche Falschinformationen noch schneller.
Zu viele falsche Informationen und haltlose Spekulationen führen inzwischen dazu, dass immer mehr Menschen ihre Angst vor Ansteckung als Alibi für rassistische Anfeindungen missbrauchen. Leute, die aussehen als ob sie aus China stammen könnten, werden immer häufiger per se als ansteckend erklärt. Unter dem Hashtag #JeNeSuisPasUnVirus berichten viele von ihren Erlebnissen.
Asiatische Deutsche und Asiat:innen erzählen, dass solche Übergriffe zugenommen haben, seit es auch in Deutschland die ersten Corona-Fälle gibt. Beispiel: Eine aus Vietnam stammende Ärztin bekommt zu hören: „Ich möchte nicht von der chinesischen Ärztin behandelt werden!“. Auch Kinder von Angestellten des bayerischen Autozulieferers Webasto – dessen Mitarbeiter die ersten in Deutschland infizierten Menschen waren – sollen in der Kita ausgegrenzt worden sein.
Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat eine Aufklärungskampagne gestartet, in der Mythen und Legenden auseinandergenommen werden. Facebook hat angekündigt, alle Posts löschen zu wollen, die von Gesundheitsinstitutionen als gefährlich eingestuft wurden. Und Google schaltet vor die reguläre Trefferliste beim Suchwort „Corona“ Links, die zu verlässlichen Infos über das Virus führen, zum Beispiel von der Weltgesundheitsorganisation.
Je mehr falsche Informationen über das Virus, die Ausbreitung und die Gegenmaßnahmen kursieren, desto schwieriger wird es für Behörden und Gesundheitssysteme, wichtige Informationen unter die Leute zu bekommen. Es wird dann zu aufwändig für die Bevölkerung, aus dem vielen Informationsmüll die wertvollen Teile herauszupicken. Damit schwindet jedoch unsere beste Chance, den Vorsprung, den ein neues Virus immer hat, einzuholen.
Was wir vergessen haben
Aus früheren Seuchenausbrüchen wissen wir, dass es wichtig ist, ein neues Virus zu isolieren, damit es sich nicht weiter „radikalisiert“. Wir wissen auch, wie man diese Isolierung gut genug organisiert: Menschen, die sich nachweislich infiziert haben oder bei denen ein begründeter Verdacht für eine Infektion besteht, müssen in Quarantäne.
Expert:innen haben jedoch Zweifel daran, dass die Abschottung ganzer Landstriche sinnvoll ist. Der Nachschub an Medizin und Nahrung wird dadurch schwieriger, was dem Virus womöglich hilft, sich zu verbreiten. Das Immunsystem hungernder und medizinisch unterversorgter Menschen leidet und kann Erreger schlechter abwehren. Menschen, die medizinische Hilfe brauchen, erreichen sie schlechter, wenn Busse und Bahnen nicht fahren. Das spricht dagegen, eine ganze Region zur Sperrzone zu erklären.
Die chinesischen Behörden haben sich trotzdem für eine flächendeckende Quarantäne entschieden – auch, um den Informationsfluss besser kontrollieren zu können. Doch Informationen und vor allem verlässliche Daten können entscheidend sein. Viele fragen sich, wie vertrauenswürdig die Informationen sind, die aus China kommen. Dabei gilt das größte Misstrauen den Behörden, nicht den chinesischen Mediziner:innen und Forscher:innen.
Aus früheren Ausbrüchen wissen wir, dass das Vertrauen in lokale Gesundheitseinrichtungen ein entscheidender Faktor ist – vermutlich der entscheidende. Dass Menschen das Vertrauen haben, zu Hausärztin oder Hausarzt zu gehen oder das regionale Gesundheitsamt zu informieren, ist enorm wichtig, damit die Informationskette nach oben funktioniert. Die für Seuchenbekämpfung zuständige Institution – in Deutschland das Robert-Koch-Institut – hat dabei eine wichtige Koordinierungsfunktion. Sie muss nationale und internationale Notfallpläne aktivieren, wenn die Bedrohungslage zu groß wird und das Virus außer Kontrolle geraten könnte.
Was hilft, die Bedrohungslage realistisch einzuschätzen
Was dringend zu tun ist, fällt ausgerechnet den Menschen schwer, denen es am meisten helfen könnte: Denjenigen, die in Panik geraten sind. Sie vor allem müssen mehr vertrauen. Und zwar den Expert:innen. Ja, Expert:innen sind auch nur Menschen und können Fehler machen. Ja, ein neues Virus können auch sie nur schwer einschätzen. Und ja, Kontrolle an andere abzugeben, fällt uns allen schwer.
Aber: Wir sollten uns klarmachen, dass die meisten von uns nicht qualifiziert sind, Informationen über dieses Virus aus der freien Wildbahn korrekt einzuordnen. Dazu braucht es ein jahrelanges Studium und Forschung oder die Mitarbeit in einer Gesundheitsbehörde oder internationalen Organisation. Uns Laien bleibt nicht viel anderes übrig, als uns auf die Expert:innen zu verlassen. Sobald uns das klar wird, fällt Vertrauen fassen leichter.
Trotzdem ist es wichtig, dass jede:r einschätzen kann, wie wahrscheinlich er oder sie sich angesteckt hat. Die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin empfiehlt: „Eine Erkrankung sollte abgeklärt werden, wenn Sie Atemwegs- oder Allgemeinbeschwerden (zum Beispiel starke Abgeschlagenheit) haben UND bis maximal 14 Tage vor Erkrankungsbeginn entweder in einem Risikogebiet waren (China, insbesondere Provinz Hubei mit ihrer Hauptstadt Wuhan) oder Kontakt zu einem bestätigten COVID-19-Fall hatten. Melden Sie sich in diesem Fall sofort telefonisch bei dem nächstgelegenen Gesundheitsamt (die oft Hotlines eingerichtet haben. Gesundheitsamt-Suche nach Postleitzahlen) oder bei Ihrer Hausärztin oder Ihrem Hausarzt.“
Das für dich zuständige Gesundheitsamt meldet Verdachtsfälle ans Robert-Koch-Institut, das sich mit der Task-Force im Bundesministerium für Gesundheit und den zuständigen Landesbehörden abstimmt. Vor allem dieser Informationskette sollten wir Vertrauen schenken. Weniger der, die auf Social-Media-Plattformen und in Boulevard-Zeitungen gesponnen wird – zumindest, wenn nicht klar ist, woher die Information ursprünglich stammt.
Gute Informationen über Ansteckungsgefahr und Schutzmaßnahmen findest du beim Robert-Koch-Institut und der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Gute Artikel findest du zum Beispiel bei der Zeit und bei Spektrum. In meiner Autorenpost schreibe auch ich seit dem Ausbruch regelmäßig über die wichtigsten neuen Entwicklungen, was man über das Virus sicher weiß und was nicht.
Du kannst dir merken: Vor Ansteckung schützt du dich und andere am besten durch
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regelmäßiges Händewaschen mit Seife oder einem alkoholischen Gel
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durch Husten und Niesen in die Ellenbeuge oder ein Wegwerf-Taschentuch, das du danach wirklich sofort in einen Mülleimer tust, am besten einen mit Deckel
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das Meiden erkrankter Menschen.
Hoffentlich fragen wir uns bald nicht mehr, ob ein Paket aus China das Virus transportiert haben könnte (Unwahrscheinlich!) oder ob ein asiatisch aussehender Mensch zum Tragen einer Mundschutzmaske verpflichtet werden sollte oder am besten ganz zu Hause bleiben muss – auch wenn er oder sie keine Krankheitssymptome hat (Nein! und Nein!). Und wenn doch, ist das ein Zeichen dafür, dass wir uns mit einem anderen gefährlichen Virus angesteckt haben, dass sich nicht so leicht isolieren lässt: mit dem Panik-Virus.
Redaktion: Theresa Bäuerlein; Schlussredaktion: Vera Fröhlich; Bildredaktion: Verena Meyer.