LSD bei Brustkrebs: „Mein eigener Tod erschien mir plötzlich gar nicht mehr so bedeutsam“

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Psyche und Gesundheit

LSD bei Brustkrebs: „Mein eigener Tod erschien mir plötzlich gar nicht mehr so bedeutsam“

Alice* hat vor zwei Jahren die Diagnose bekommen: Brustkrebs. Ob sie überlebt, ist noch unklar. Sie hat drei kleine Kinder und bekommt Angst vor dem Tod, nichts scheint dagegen zu helfen. Bis sie einen LSD-Trip macht.

Profilbild von Protokoll von Marie Fetzer

Wenn ich sterbe, bin ich halt tot – weg, einfach nicht mehr da. Das war immer meine Vorstellung. Nicht schön, für niemanden. Aber besonders nicht, wenn man drei kleine Kinder hat. Vor zwei Jahren bin ich an Brustkrebs erkrankt. Daraufhin ging es los: Chemotherapie, Brustentfernung, Bestrahlung. Meine Kinder sind alle noch im Kindergartenalter. Ob ich überleben werde, wird sich erst in den nächsten fünf Jahren herausstellen. Ganz lange war das unfassbar schlimm für mich: Diese Vorstellung, dass durch den Tod alles aufhört – also auch die Liebe zu meinen Kindern – das hat mich fertiggemacht. Aber worin sollte ich auch Hoffnung sehen? Der Mensch stirbt und ist dann eben weg, das ist Wissenschaft, Biologie.

Ich bin Anfang dreißig, habe drei kleine Kinder und sterbe vielleicht. Wie soll man damit gut umgehen?

Einen Glauben hatte ich noch nie. Ich war immer schon sehr rational und wissenschaftlich orientiert. Spirituelle Menschen habe ich eher belächelt. Generell erschien mir dieses ganze Glaubensszeug wie Hokuspokus. Nach meiner Diagnose begann das Gedankenkarussell in meinem Kopf: Vielleicht sehe ich meine Kinder niemals aufwachsen, weil ich vorher sterbe. Sehe nicht, wie sie später aussehen. Sehe nicht, welche Personen aus ihnen mal werden. Der Gedanke daran wurde irgendwann unaushaltbar. Also habe ich mich auf die Suche gemacht. Ich bin in Kirchen gegangen, habe mir verschiedene buddhistische Zentren angeschaut. Aber geholfen hat es mir nicht. Nie habe ich etwas gefunden, woran ich glauben konnte. Glauben ist eben keine Sache des Verstandes, man muss ihn fühlen. Und ich habe nichts gefühlt.

Ich habe versucht, meine Angst mit anderen Mitteln in den Griff zu bekommen:

Ich habe Beruhigungsmittel geschluckt, bin zu einer Psychoonkologin gegangen, die krebskranke Patient:innen psychologisch betreut. Mit ihr wollte ich Techniken entwickeln, um besser mit der Angst umzugehen. Aber mal ehrlich: Ich bin Anfang dreißig, habe drei kleine Kinder und sterbe vielleicht. Wie soll man denn damit gut umgehen? Ich bin auch nicht gut im Verdrängen. Deshalb habe ich versucht, etwas zu finden, woran ich mich halten kann. Ich habe gesucht und gesucht. Und fand einfach: nichts. Bis vor einem Jahr.

Da bin ich auf Peter Gasser gestoßen. Der Schweizer Therapeut bietet für Krebskranke Therapien mit LSD an. Er hat dafür eine Sondergenehmigung bekommen. Sein Ziel ist es, dass die Patienten:innen ihre Angst vor dem Tod ein Stück weit reduzieren können.

Sich selbst mit Drogen therapieren, gilt als gefährlich

Ich war fasziniert! Und habe weiter recherchiert. Ich habe gemerkt: Es gibt unheimlich viele Studien, nicht nur zu LSD, auch zu Psylocybin, also dem Wirkstoff von sogenannten „Magic Mushrooms“. Das sind Pilze, die eine halluzinogene Wirkung haben und Denkmuster offenbar langfristig verändern können.

Der Psychotherapeut Stanislav Grof hat ein ganzes Buch (PDF) über die Behandlung von Krebspatienten:innen mit LSD geschrieben. Das habe ich auch gelesen und wusste: Das will ich ausprobieren. Das ist aber gar nicht so leicht. Immerhin ist LSD eine illegale Droge. Sich selbst mit Drogen therapieren: Das ist gesellschaftlich verpönt und wird als gefährlich angesehen.

Das Ganze für mich zu sortieren, war das eine. Mit anderen darüber zu sprechen das andere. Meine Freunde konnten es überhaupt nicht verstehen. „Das ist eine Droge und mit Drogen macht man doch nichts besser“, sagten sie mir. Mein Mann war anfangs ebenfalls sehr skeptisch. Drogen verband er eher mit Bahnhofsklo nicht mit sinnvoller Therapie. Natürlich ist das Set und Setting wichtig – also meine psychische Verfassung und die äußeren Umstände, unter denen ich die Substanz dann einnehme. Auch ist es wichtig zu schauen, ob es Psychosen in der Familie gibt. Das ist bei mir nicht der Fall. Ich kam zum Schluss: Die Risiken sind überschaubar.

Ich fand heraus, dass das Abhängigkeitspotential von LSD quasi nicht vorhanden ist und dass nicht die Möglichkeit einer tödlichen Überdosis besteht. Drogen wie Alkohol oder Zigaretten können da meiner Meinung nach wesentlich schwerwiegendere Folgen haben. Ich habe verschiedene Bücher dazu gelesen und selber viel zu dem Thema recherchiert.

Gleichzeitig wusste ich aber nicht, wie ich an LSD kommen sollte, da ich keine Kontakte in die Szene hatte. Also habe ich erstmal was im Internet bestellt, ein Derivat, also eine Substanz mit etwas anderer chemische Zusammensetzung, die aber genau gleich wirken sollen. Da die chemische Verbindung nicht dem verbotenen LSD entspricht, fällt sie nicht unter das Betäubungsmittelgesetz. Ich habe dann im Internet danach gesucht, mich in Foren angemeldet und Erfahrungsberichte gelesen. Letztlich habe ich es einfach bestellt, für 15 Euro gibt es den Trip.

Der erste Trip: Auf dem Sofa sitzen und warten

Eine Freundin von mir hat schon mal Erfahrungen mit LSD gemacht. Ich hab sie gebeten, bei meinem ersten Trip dabei zu sein. Ich dachte: Wer weiß, was passiert, vielleicht will ich aus dem Fenster springen, drehe irgendwie durch? Wir sind dann zu ihr nach Hause gefahren. Ich ließ mich in ihrem Wohnzimmer auf die Couch sinken und nahm das LSD in Form eines Blättchens ein. Sie hat solange die Wohnung geputzt, Wäsche zusammengelegt. Aus dem Fenster wollte ich nicht springen. Stattdessen saß ich einfach auf dem Sofa. Für einen Außenstehenden wird es wie der unspektakulärste Trip überhaupt gewirkt haben: Da sitzt ein Mensch einfach drei Stunden auf dem Sofa rum. Ich hatte keine krassen Halluzinationen. Vielleicht reagiere ich ungewöhnlich schwach auf LSD. Ich habe einfach nur ein wenig Musik gehört. Und nachgedacht.

Dabei habe ich mir die gleichen Fragen gestellt, die mich in den letzten Monaten so zermürbten, vor allem: Was kommt nach dem Tod? Auf dem Trip war die Antwort für mich auf einmal eine andere. Genauer gesagt: Die Frage stellte sich gar nicht mehr. Mein eigener Tod, vor dem ich so eine große Angst hatte, erschien mir plötzlich gar nicht mehr so bedeutsam. Das war krass! Ich sah mich wie einen kleinen Stein auf der Welt und kam mir einfach nicht mehr so wichtig vor. Die zentrale Erkenntnis für mich war, dass mein Bewusstsein nicht untrennbar mit meinem Körper verbunden ist. Dass also mein Bewusstsein weiterlebt, wenn mein Körper stirbt. Auf einmal war das für mich ganz selbstverständlich.

Ich weiß zwar immer noch nicht, was nach dem Tod kommt, in dieser Hinsicht hat mich der Trip etwas enttäuscht. Aber die Frage ist nicht mehr so wichtig. Heute finde ich es so merkwürdig, dass ich sie mir überhaupt einmal gestellt habe.

Mein Mann hat mich dann abgeholt und wir sind mit dem Auto nach Hause gefahren. Er hat sich über einen anderen Autofahrer aufgeregt, der drängelte, ist ganz rot geworden und seine Adern standen hervor. Ich dachte nur: Wow, der hat ja ganz hohen Blutdruck! Ich war erschrocken und konnte gar nicht verstehen, dass er sich über so etwas Banales aufregt. Und genau das Gefühl hält bei mir bis heute an. Ich betrachte Dinge jetzt relativierter, in einem größeren Kontext.

Die krasseste Erfahrung meines Lebens

Ich bin keine Atheistin mehr, sondern ein Mensch, der an irgendetwas glaubt. Ich glaube, dass alles einen Sinn hat. Und dass ich mich nicht in Luft auflöse, wenn ich von dieser Welt gehe. Jetzt kann ich mit vielen spirituellen Büchern etwas anfangen. Zum Beispiel „Siddhartha“ von Hermann Hesse. Vor meinem Trip fand ich das Buch komisch. Heute lese ich es und denke: Alter, da steckt ja Wahrheit drin!

Der Trip war für mich vielleicht die krasseste Erfahrung meines Lebens. Auf jeden Fall hätte ich mir therapeutische Unterstützung gewünscht. Das ist aber momentan nicht möglich. Dafür hätte ich versuchen müssen, in der Schweiz in eine der Studien reinzukommen. Das ist blöd für mich, denn ich möchte mich wirklich ungern in illegale Felder begeben. Ich glaube, das ist auch für viele andere Betroffene eine große Hemmschwelle. Die denken: Das ist doch illegal, das ist verboten – das macht man eben nicht.

Bevor ich es mit Drogen probiert habe, habe ich mich intensiv mit meiner Psyche auseinandergesetzt, mit Gesprächstherapien, Meditation. Und ich habe viele Fachbücher gelesen. Nichts hat dazu beigetragen, meine Angst zu reduzieren. Und das LSD-Derivat hat es einfach so geschafft. Diese Erfahrung würde ich gerne an andere Kranke weitergeben. Aber da stoße ich leider meistens auf großes Unverständnis. Für mich habe ich gemerkt: Es gibt nicht die eine Wahrheit. Wir leben hier auf der Welt und denken, dass alles, was wir sehen, die einzige Realität ist, die es gibt. Dann bist du auf so einem LSD-Trip und stellst fest: Das ist ja totaler Quatsch! Es gibt auch eine erweiterte Realität. Ich habe versucht darüber mit meiner Psychoonkologin zu sprechen. Sie meinte dann: Sie waren ja in einem Rauschzustand, das ist nicht echt.

Klar, die Erfahrungen, die ich auf LSD mache, entsprechen vielleicht nicht der Realität, aber sie fühlen sich wahr an. Wieso sollte diese andere Realität, die sich genauso wahr anfühlt, nicht wahr sein?

Ich hab mich überhaupt nicht fremdgesteuert gefühlt. Deshalb finde ich auch den Begriff „Rausch“ nicht sehr treffend, weil er impliziert, dass etwas vernebelt wird. Für mich war es eher, als würde ich ein wenig klarer sehen. Oder zumindest aus einem anderen Blickwinkel auf die Welt blicken, mit mehr Abstand. Ich erhebe keinen Anspruch darauf, dass meine Wahrheit die ultimative ist. Aber es ist die, die sich für mich richtig anfühlt.

Ich kenne viele Menschen, die an Krebs gestorben sind. Viele, die ohne Hoffnung gestorben sind, die dachten: Es ist scheiße, jetzt ist alles zu Ende. Und einen Sinn in dem Ganzen gab es nicht. Das tut mir total leid. Ich wollte so niemals werden: so verbittert oder ohne Hoffnung. Also habe ich irgendwas gesucht, das mir diese Hoffnung gibt. Und habe es gefunden.

*Name von der Redaktion geändert


Redaktion: Theresa Bäuerlein; Schlussredaktion: Susan Mücke; Bildredaktion: Martin Gommel.