Warum es keine Beweise gibt, dass Homöopathie nicht wirkt

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Psyche und Gesundheit

Warum es keine Beweise gibt, dass Homöopathie nicht wirkt

Ein Kommentar und drei Texte, die mir geholfen haben, die Debatte zu entwirren.

Profilbild von Eine Autorenpost von Silke Jäger

Das war so ja nicht geplant, aber wir machen es heute nochmal. Über Homöopathie und Krankenkassen reden, meine ich. Denn als ob ich es letzte Woche, als ich meinen Newsletter schrieb, hätte ahnen können, wird derzeit ziemlich intensiv über Krankenkassen ohne Homöopathie diskutiert. Denn Frankreich hat inzwischen entschieden, dass die Krankenkassen dort keine Homöopathika mehr bezahlen. Es gibt sogar einen Hashtag auf Twitter (#KrankenkassenOhneHomöopathie). Ich wollte das Thema aber sowieso noch mal aufgreifen, weil ich Post bekommen habe dazu: Fragen und Hinweise.

Was war jetzt noch mal der Binnenkonsens?

Ich fange mal mit einer Klarstellung bzw. Korrektur an. Zum Glück liest hier ein ausgewiesener Experte in Sachen Homöopathie mit: Udo Endruscheit. Udo betreibt ein eigenes Blog und ist Mitglied im Informationsnetzwerk Homöopathie. Udo hat mich darauf hingewiesen, dass in diesem Satz: „Freiwillige Satzungsleistungen sind möglich, weil es den sogenannten Binnenkonsens gibt. Demnach dürfen Behandlungsmaßnahmen, bei denen nicht klar ist, wie und ob sie wirken, dennoch von den Kassen erstattet werden“ Dinge miteinander vermischt werden und er deshalb so nicht stimmt.

Udo sagt: „Der Binnenkonsens, seit 1978 Teil des deutschen Arzneimittelgesetzes, schafft den Schutzraum einer Suspendierung von objektiven wissenschaftlichen Wirkungsnachweisen für die Homöopathie (und die anderen Therapieeinrichtungen). Das gehört zum Rechtskreis ‚Arzneimittelrecht‘. Die Erstattungsfähigkeit über die Satzungsleistungen in der GKV gehört zum Rechtskreis ‚Sozialrecht‘ und verbindet sich nicht direkt mit dem Binnenkonsens. Die Satzungsleistungen wurden durch das Dritte GKV-Versorgungsstrukturgesetz ab 1.1.2012 ins Recht der Sozialversicherung eingeführt und eröffneten erst ab diesem Zeitpunkt die Aufnahme der Homöopathie in den ‚Bauchladen‘ (wie ich immer zu sagen pflege) der freiwilligen Leistungen der GKV-Kassen. In all den Jahren von 1978 bis 2012 gab es so etwas nicht. Allein daran ist sichtbar, dass Binnenkonsens und Erstattungsfähigkeit in keinem direkten Zusammenhang stehen.“

Gut, das ist jetzt nicht ganz leicht zu verstehen. Kein Wunder, wir haben es mit Rechtsfragen zu tun: Arzneimittel- und Sozialrecht. Aber wir haben Glück, denn die Wissenschafts-Vloggerin Mai Thi Nguyen-Kim erklärt in diesem YouTube-Video sehr unterhaltsam – und ja, auch mit Spitzen in Richtung Homöopathie –, was dahintersteckt und warum es so ein Spezialfall ist, den sich die deutsche Gesundheitspolitik da erlaubt.

Es lohnt sich jedenfalls, dass wir uns mit dieser ziemlich komplexen Materie beschäftigen, denn sonst fällt es schwer nachzuvollziehen, worum es bei der Diskussion über die Erstattung von Homöopathika durch Krankenkassen geht. Nämlich um die Frage, warum es Ausnahmeregeln bei der Zulassung von Mitteln gibt, die als Arzneimittel geführt und als solche verkauft werden. Das ist doch sehr interessant.

Diese Regeln sind nämlich nach dem Contergan-Skandal mit gutem Grund eingeführt worden, und als ich das zum ersten Mal verstanden habe, hatte ich eine kleine Gänsehaut. Ich bin mehr als froh, dass wir in Deutschland und Europa so strenge Regeln haben. Und es besorgt mich, wenn wir von diesen sinnvollen Regeln abweichen – aus welchem Grund auch immer und egal für welche Mittel.

Kann man beweisen, dass Homöopathie nicht wirkt?

Das ist die eine Seite der Debatte. Die andere Seite dreht sich um die wissenschaftlichen Nachweise. Dazu hat mich Knut gefragt: „Was sagt denn die Wissenschaft (genau) zu Homöopathie? Mir ist nicht bekannt, dass ‚die Wissenschaft‘ Beweise für die Nichtwirksamkeit von Homöopathie hat – habe mich aber darum auch noch nicht gekümmert, deswegen frage ich dich. Ich selbst habe genügend praktische Erfahrungen mit Homöopathie, sodass ich ihre Wirksamkeit befürchte.“

Ich sage es gleich: Diese Frage ist zu groß, um sie in diesem Newsletter so zu beantworten, dass die Zusammenhänge alle klar werden. Deshalb verlinke ich gleich einige Texte dazu. Als Quintessenz sei gesagt: Man kann mit statistischen Methoden nicht die Nicht-Existenz von etwas „beweisen“. Was man machen kann, ist, eine Hypothese zu überprüfen. Bei Arzneimittelstudien heißt die meist: Wirkt dieses Medikament bei Krankheit bzw. Symptom xy besser oder gleich gut oder schlechter als die Standardtherapie oder als ein Placebo?

Damit dieser Vergleich wirklich fair ist, müssen einige Voraussetzungen erfüllt sein. Zum Beispiel dürfen weder Behandler:innen noch Patient:innen wissen, welche Mittel wer bekommen hat. Das nennt sich Doppelblindstudie. Außerdem müssen die Vergleichsgruppen möglichst gleich groß und möglichst ähnlich zusammengesetzt sein. Also gleich viele Frauen wie Männer, gleich viele Ältere wie Jüngere etc. Und die Zuteilung zu den Gruppen muss zufällig geschehen. Studien, die diese Merkmale erfüllen, nennt man randomisiert kontrollierte Studien. Die Zulassungsbehörden setzen solche Studien bei neuen Arzneimitteln voraus. Und diese Behörden sagen, dass ihnen keine Studien bekannt sind, die diese Voraussetzungen erfüllen und die ergeben haben, dass Homöopathika besser wirken als Placebo.

Die Homöopathie-Debatte entwirren

Es geht also nicht primär um die Frage: Können Homöopathika überhaupt wirken oder ist da zu wenig Wirkstoff drin? Sondern bei der Bewertung von Arzneimitteln geht es primär um den Nutzen und Schaden, den sie bei einer Krankheit haben. Und da zeigt keine Studie einen ausreichend großen Nutzen, der rechtfertigen würde, dass Homöopathika nach den strengen Zulassungsbedingungen als Arzneimittel durchgehen. Sie sollten meiner Meinung nach deshalb auch nicht als solche gehandelt werden.

Wichtig ist mir noch: Solche Studien sagen nichts darüber aus, wie die Wirksamkeit von Homöopathika im Einzelfall empfunden wird. Sie geben Wahrscheinlichkeiten an, mit denen man eine Wirksamkeit erwarten kann.

Hier noch die versprochenen Links zu Texten, die sich mit Homöopathie-Studien beschäftigen:

  • Eine vierteilige Serie zur Kritik an der Homöopathiekritik des Informationsnetzwerks Homöopathie: 1, 2, 3, 4
  • Die australischen Gesundheitsbehörden haben auf dieser Plattform Studien zu Homöopathie und ihre Ergebnisse zusammengetragen
  • Und Udo Endruscheit hat sich in diesem Blogbeitrag auch noch einmal die Mühe gemacht und die international verfügbare Literatur zu der Frage gesammelt.

Mir fällt auf, dass in Homöopathie-Debatten häufig viel vermischt wird und dass sich die Diskussionen sehr oft darum drehen, dem Gegenüber ein Statement zu entlocken nach der Art: „Ich gebe dir Recht: Dieses Argument überzeugt mich! Ich ändere meine Meinung und nehme ab jetzt an, dass Homöopathie wirkt bzw. nicht wirkt.“ Das passiert aber so gut wie nie. Wissenschaftler:innen erklären sich genau wie Homöopathie-Anhänger:innen meist einen Wolf, ohne dass dieser Satz jemals fällt.

Ich glaube, darin liegt auch gar nicht die Lösung. Wahrscheinlich geht es eher darum, einen „Waffenstillstand“ zu erreichen, ein Nebeneinander zuzulassen, auszuhalten, zu respektieren. Verschiedene Interpretationen des Begriffs „Heilkunst“ zu tolerieren. Aber das darf nicht heißen, dass bewährte Standards im Arzneimittelrecht und der klinischen Forschung aufgeweicht werden sollten.


Redaktion: Vera Fröhlich; Bildredaktion: Martin Gommel.