Diese verdammte Hitze!

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Psyche und Gesundheit

Diese verdammte Hitze!

Menschen wie ich leiden unter heißem Wetter, dafür werden wir gerne belächelt. Dabei kann Hitze sogar töten: und zwar auf 27 verschiedene Weisen.

Profilbild von Silke Jäger
Reporterin für Kopf und Körper

„Wann wird’s mal wieder richtig Sommer?“ dudelte es aus dem Radio. Als ich noch klein war, hatte es Rudi Carrell mit seinem ultimativen Sommerhit raus, wie man uns Mitteleuropäer so richtig quälen kann. Viel zu viele Sommer lang, die meisten davon verregnet, wurden wir daran erinnert, dass wir zur falschen Zeit leben. Weil: Die tollen Sommer waren da längst vorbei. 40 Grad im Schatten passé und der Spaß gleich mit.

Die Sehnsucht nach einem „richtigen“ Sommer war gigantisch. Um mich herum fuhren sie nach Italien, Spanien und in die Türkei. Da gab es sie, die Hitze, die das wahre Sommergefühl ausmachte. Nur ich blieb zu Hause. Kam höchstens ab und zu mal nach Norden. Denn Hitze war das Letzte, das ich mir wünschte. Sonne? Ja (wenn es genügend Schatten gibt). Aber Hitze? Auf keinen Fall!

Strandurlaub, Relaxen am Meer, sportliche Bräune? Nein, nein und nochmals nein. Meine Haut ruft wechselweise Assoziationen an Kalkeimer und Feuerwanzen hervor. So ist das nun mal. Und damit gibts für mich kein „Heeey, ab in den Sühüden!“

Mein Traumurlaub entsprach noch nie demjenigen der Mehrheit. Ich reise am liebsten im September. Nach Norden, ans Meer oder auf die britischen Inseln. Ansonsten sitze ich unter einem Baum, wenn ich nicht arbeiten muss. Und lege meine Füße hoch. Denn Hitze macht, dass meine Beine schmerzen, weil meine Eltern meinten, ich komme nicht nur mit blasser Haut klar, sondern auch noch mit einer Venenschwäche.

Inzwischen habe ich das gute Gefühl, zu einer rapide wachsenden Gemeinschaft Gleichgesinnter zu gehören, die ihren Körper nicht länger mit Grillgut verwechseln: Die Stars in Hollywood sind jedenfalls dabei und meine Oma natürlich auch. Sie meinte immer schon: „Bleib drin, wenns so heiß ist. Oder geh in den Schatten.“ Aber ich wollte damals eigentlich lieber das machen, was alle anderen tun: die Sonne anbeten und mich braun brennen lassen.

Doch jetzt wird alles anders: Sonne und Hitze verlieren ziemlich rasant ihr glamouröses Image. Unsere Welt steuert auf eine Durchschnittstemperatur zu, die im Jahr 2100 bis zu 3,5 Grad Celsius über dem vorindustriellen Mittel liegen könnte, wenn die klimaschädlichen Emissionen nicht sofort drastisch gesenkt werden. Darauf weisen die aktuellen Berichte des Weltklimararats hin (hier eine Zusammenfassung der Ergebnisse auf Deutsch).

Ich gehöre bald nicht mehr einer Minderheit an. Wo früher die Älteren und Kleinkinder zusammensaßen – unter Sonnenschirmen, Bäumen und Pagoden – wirds schon eng. Wer setzt sich denn bitte noch direkt in die brüllende Sonne?

Für den Sinneswandel gibt es auch gute Gründe. Denn Hitze ist tödlich. Ich übertreibe nicht, tut mir leid. Hitzewellen können uns umbringen. Auf 27 verschiedene Arten. So viele Wege des Hitzetods haben Wissenschaftler:innen in einer Studie aus dem Jahr 2017 gezählt.

In Deutschland sind Menschen nicht an extreme Hitze gewöhnt. Es fehlen kulturelle Prägungen, mit hohen Temperaturen umzugehen. Die Siesta, eine längere Mittagspause, wie sie in südlichen Regionen Europas im Sommer dazugehört, ist hier zum Beispiel nicht üblich. Dabei sind solche Anpassungsstrategien sehr sinnvoll, wenn es über längere Zeit sehr heiß ist.

27 Wege zum Hitzetod

Die Wissenschaftler:innen der Studie zum Hitzetod hatten 2017 medizinische Datenbanken nach den Stichworten Pathologie, hitzekrank, Hitzschlag und Hitzestress durchsucht und dabei fünf physiologische Mechanismen gefunden, die den Körper bei Hitze dekompensieren lassen und sieben Organe, die betroffen sein können. Sie zählten 27 Beschreibungen für die Auswirkungen der unterschiedlichen Kombinationen von Mechanismus und Organ.

Wenn der Körper Hitze ausgesetzt ist, sorgt eine Drüse im Gehirn, der Hypothalamus, dafür, dass das Herz-Kreislauf-System auf Kühlung stellt: Die Gefäße in den Beinen und Armen weiten sich, um mehr Wärme nach außen abgeben zu können. Dadurch kann aber die Durchblutung wichtiger innerer Organe so stark abnehmen, dass sie einen Sauerstoffmangel erleiden. Dieser Sauerstoffmangel in den inneren Organen wird nicht nur durch weitgestellte Gefäße in der Peripherie gefördert, sondern auch dadurch, dass das Sauerstoff- und Stickstoffverhältnis im Blut durcheinandergerät. Die Folge: zu wenig Sauerstoff, zu viel Stickstoff. Das kann die Zellwände schädigen.

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Wirken zusätzlich noch Temperatureffekte auf die Zellen ein, steigt also die Hitze über das Maß an, das Zellwände verkraften können, können sie durchlässiger für Krankheitserreger und ungünstige Stoffwechselprodukte werden. Oder sie brechen ganz zusammen und die Zelle stirbt. Beide Mechanismen – Durchblutungsstörungen und Zellschäden – wirken zusammen. Kommen dann noch Elektrolytungleichgewichte hinzu, zum Beispiel, weil die Niere aufgibt und deswegen zu viel Kalium durch die Adern fließt, kann es für weitere Organe ernst werden. Dann kann beispielsweise der Herzmuskel so stark gestresst werden, dass das Herz versagt.

Herzversagen = Tod.

Durch die normale Hitzeregulation des Körpers schwitzen wir bei Hitze mehr. Das kann dazu führen, dass das Blut dicker wird. Das wiederum erhöht die Gefahr für Herz- und Schlaganfälle weiter: Das Blut fließt langsamer und kann so enge Stellen in Gefäßen leichter verstopfen. Langsam fließendes Blut und kollabierende Zellwände erhöhen die Gefahr für Entzündungen, weil mehr Krankheitserreger in Organzellen eindringen können. Besonders anfällig dafür ist unsere Bauchspeicheldrüse, besonders bei langanhaltender Hitze.

Bauchspeicheldrüsenversagen = Tod.

Erhöhte Bakterien- oder Virenlast im Körper kann aber auch zu einer Blutvergiftung führen.

Blutvergiftung = Tod.

Systematische Entzündungen und durch Hitze geschädigte Gefäßwände können auch einen anderen Mechanismus in Gang setzen, bei dem sich die Blutgerinnung erhöht. Eiweiße, die die Blutgerinnung steuern, können überaktiv werden und Blutgerinnsel hervorrufen. Wenn diese in engen Gefäßen stecken bleiben, können sie jede Menge Schaden anrichten, zum Beispiel Herzinfarkte, Lungenembolien, Schlaganfälle, tiefe Beinvenenthrombosen oder andere Organversagen.

Verstopfte Adern = Behinderung oder Tod.

Durch zu viel Hitze können alle Arten von Zellen leiden, auch die Muskelzellen. Gehen zu viele von ihnen kaputt, sorgen die Abbauprodukte der Muskelfaserzellen für einen Angriff auf die Nieren. Das weitverzweigte feine Geflecht an Nierengängen kann dadurch verstopfen und die Niere gibt auf.

Nierenversagen = Tod.

Diese Mechanismen können einzeln oder auch kombiniert auftreten und unterschiedliche Organe betreffen. In der Systematik der Wissenschaftler:innen sieht das dann so aus:

Das Robert Koch-Institut geht davon aus, dass circa 500 Menschen in Berlin und 750 in Hessen im Sommer 2018 aufgrund von Hitzeeinwirkung gestorben sind. Das hat vor allem Menschen getroffen, die zu einer Risikogruppe gehörten. Sie verkraften die beschriebenen Abwärtsspiralen natürlich weniger gut. Aber auch, wenn du gesund bist, treten diese Effekte auf. Besonders dann, wenn du Hitze unterschätzt und dich nicht ausreichend schützt, bist du gefährdet.

Natürlich MUSS es nicht so dramatisch kommen. Trotzdem leiden viele Menschen unter Hitze, ohne gleich in Lebensgefahr zu sein. Sie bekommen Muskelkrämpfe, Kopfschmerzen, Übelkeit und Ohnmacht. Oder sind anfällig für einen Sonnenstich.

Wenn du denkst, nur Ältere, Kleinkinder, Schwangere und kranke Menschen seien gefährdet, muss ich widersprechen. Auch wenn du nicht zu einer sogenannten Risikogruppe gehörst, gilt: Hitze kann tödlich sein.

Deutschland ist nicht gut auf Hitzewellen vorbereitet

Hitzewellen treten immer häufiger auf, auch in Deutschland. Die Durchschnittstemperatur steigt beständig an, auch in Deutschland, wie diese Zeitreihe der Lufttemperatur in Deutschland zeigt. Es muss uns klar werden: Nicht nur nahe des Äquators, auch in Europa gehen in einer heißeren Welt die Temperaturen in die Extreme und brechen immer neue Rekorde. Erlebt haben wir das bereits: Zum Beispiel in Spanien im Juli 2017: 47 Grad Celsius, in Italien im August 2017: 45 Grad Celsius und in der Türkei im Juli 2012: 48 Grad Celsius. In Indien und Pakistan werden im April 2022 Werte über 50 Grad Celsius erwartet, über Tage hinweg. Zu einer Zeit, in der Hitzewellen überhaupt nicht üblich sind: im Frühjahr.

In der Medizin findet das Thema deshalb auch immer mehr Beachtung. Die Deutsche Allianz für Klima und Gesundheit setzt sich dafür ein, dass das Wissen über die gesundheitsschädlichen Auswirkungen des Klimawandels wächst und in der Praxis ankommt. Auf ihrer Website bietet die Allianz einen Überblick zu den Folgen von Hitze an. Die Allianz empfiehlt, dass sich nicht nur das Gesundheitswesen auf Hitzestress vorbereitet, sondern auch Städte und Landkreise. Es braucht Inseln in den Städten, die Schutz bieten und es braucht Konzepte, wie man besonders verletzlichen Menschen in einer Hitzewelle hilft. Schön, dass meine Zipperlein jetzt vielleicht auch ernster genommen werden …

Wenn das Worst-Case-Szenario eintritt und die Durchschnittstemperatur tatsächlich um circa drei Grad Celsius bis zum Ende des Jahrhunderts steigt, könnten bis zu 30 Hitzeperioden im Jahr auch in Deutschland zum Normalzustand werden. Krankenhäuser, Pflegeheime und Arztpraxen müssen sich auf mehr Menschen vorbereiten, die wegen Hitzestress medizinische Unterstützung brauchen. Deutschland ist für eine tagelang anhaltende Hitzeperiode mit Extremtemperaturen im Moment nicht gewappnet, wie die Ärztin Laura Jung in diesem Interview bei Krautreporter erklärt.

Nicht nur nahe des Äquators, auch in Europa gehen die Temperaturen in die Extreme und brechen immer neue Rekorde. Zum Beispiel in Spanien im Juli 2021: 47,2 Grad Celsius, in Italien im August 2021: 48,8 Grad Celsius und in der Türkei im Juli 2012: 48 Grad Celsius.

Und ausgerechnet diese drei Länder gehören zu den beliebtesten Reisezielen der Deutschen. Daran hat sich in all den Jahren nichts geändert. Auch in unseren Extremsommern.

Ernsthaft? Ihr fahrt im Sommer noch dahin? Aber gut, diese Frage habe ich auch schon vor dreißig Jahren gestellt …


Redaktion: Thembi Wolf, Philipp Daum; Schlussredaktion: Susan Mücke; Bildredaktion: Martin Gommel