Ich arbeite in einer Apotheke und frage meine Kunden immer: „Wissen Sie, wie Sie das Mittel einnehmen sollen? Kennen Sie sich damit aus?“ Ich erkläre ein paar Details, und der Satz, den ich mit Abstand am häufigsten höre, ist: „Das hat mir noch nie jemand gesagt!“
Wie kann es sein, dass Patienten jahrelang ein Arzneimittel einnehmen und nicht über wichtige Wechselwirkungen aufgeklärt sind, zum Beispiel darüber, was passiert, wenn sie Grapefruit essen oder Grapefruitsaft trinken, während sie bestimmte Mittel zur Blutdruck- oder Cholesterinsenkung nehmen? Warum hat nie jemand den Patienten gesagt, dass sowas ziemlich gefährlich werden kann?
Als Apotheker ist es mein Job, den Menschen genau das zu erklären. Ich mache das gerne und will es auch gut machen. Mir liegt daran, dass sich Patienten mit ihren Arzneimitteln auskennen. Ich will, dass sie die Fakten kennen. Aber jeden Tag stelle ich fest: Das ist gar nicht so einfach.
Kein Wunder, dass Patienten verwirrt sind
Oft kommen Menschen in die Apotheke und wollen irgendwas kaufen, was sie in einem Klatschblatt oder im Internet gesehen haben. Da steht nur leider oft Unsinn. Außerdem lassen sich schlechte Informationen nicht ganz leicht von guten unterscheiden. Viele Leute sind da zu leichtgläubig. Den Firmen fällt es dadurch leichter, wirkungslose Produkte zu verkaufen.
Kunden sagen mir dann: „Ich kann das ja mal ausprobieren.“ Und ich antworte: „Sie können sich das Geld aber auch einfach sparen.“
Als Apotheker muss ich natürlich auch ans Verkaufen denken, aber in erster Linie bin ich Fachmann. Wenn das Produkt keine Wirkung hat, die über den Placeboeffekt hinausgeht, dann sage ich das den Leuten, auch wenn sie dann gehen, ohne etwas gekauft zu haben. Das ist okay. Dafür wissen sie beim nächsten Mal, dass ich ehrlich zu ihnen bin. Viele kommen genau deshalb wieder. Unterm Strich sehe ich darin keinen Verlust – ganz im Gegenteil.
Ich finde einiges absurd am Medizinbetrieb: Sei es das, was die Krankenkassen machen, oder das, was man bei Ärzten erlebt. Mein Problem ist: Das müssen vor allem wir Apotheker ausbaden. Wir erklären den Leuten dann, was man eigentlich nicht verstehen kann.
Von solchen Kundengespräche erzähle ich manchmal bei Twitter. Ich freue mich, wie gut meine Geschichten da ankommen. Viele finden es offenbar ziemlich spannend, einen Blick hinter die Kulissen der Apotheke zu werfen.
https://twitter.com/ApothekerDer/status/1118810765903978498?s=20
Leider komme ich nicht immer durch mit meinen Aufklärungsversuchen. Viele Menschen reagieren ablehnend, manche sogar aggressiv. Einige sind auch deshalb skeptisch, weil sie in Apothekern den verlängerten Arm der Pharmaindustrie sehen: „Apotheker sind gekauft!“, heißt es da. Oft zählt das, was die Freundin der Nachbarin erzählt hat, mehr als das Wissen eines Fachmanns, der fünf Jahre studiert hat. Das nervt natürlich. Aber schlimmer ist, dass man an mehreren Fronten kämpft: gegen die Krankenkassen, gegen Ärzte, gegen Kollegen und leider sogar gegen Kunden …
https://twitter.com/ApothekerDer/status/1122173827327430656?s=20
Ich erinnere mich an einen Fall: Ein Arzt verschrieb ein Medikament, das die Nebenwirkung eines anderen Arzneimittels abmildern sollte. Leider wurde dadurch aber auch die Hauptwirkung abgemildert. Daraufhin erhöhte der Arzt die Dosis des ersten Medikaments, und der Patient nahm logischerweise mehr von dem Mittel ein, das die Nebenwirkung abmilderte, weil die sich ja auch wieder verstärkt hatte. Ich musste den Patienten natürlich darüber aufklären und das Problem mit dem Arzt besprechen. Sowas sorgt nicht unbedingt für gute Stimmung.
Mein „Lieblingsthema“ ist die Homöopathie
An der Homöopathie kann man sehr gut sehen, woran unser Gesundheitssystem krankt. Wenn jemand bei mir Globuli kaufen will, frage ich meistens, ob er weiß, was Homöopathie überhaupt ist. Viele wissen das nicht. Sie haben Homöopathie empfohlen bekommen – von Freunden, der Familie oder von Kollegen. Viele haben auch nur darüber gelesen. Ich kläre sie dann auf, dass Homöopathika keine Wirkung haben, die über den Placeboeffekt hinausgeht. „Globuli sind letztendlich nur überteuerter Zucker. Sie können sich das Geld sparen.“
https://twitter.com/ApothekerDer/status/1126816773930717184?s=20
Kunden kommen auch mit Empfehlungen oder Verordnungen von Heilpraktikern. Da frage ich mich, warum es überhaupt Heilpraktiker bei uns gibt? Wozu brauchen wir sie? Heilpraktiker müssen nicht medizinisch ausgebildet sein und nur eine einzige kurze Prüfung ablegen. Praxiserfahrung ist nicht vorgeschrieben. Trotzdem dürfen sie Menschen behandeln. Ziemlich weitgehend sogar.
Die Leute vertrauen ihnen sogar oft mehr als ihrem Arzt oder Apotheker. Weil sie meinen (ja, das haben Umfragen ergeben), ein Heilpraktiker sei so eine Art Arzt mit Zusatzausbildung. Ernsthaft. Aber auch: Weil viele Leute so eine Anti-Haltung mit sich herumtragen. Sie haben Vorbehalte gegen „richtige“ wissenschaftliche Medizin, gegen „Chemie“ (alles ist Chemie) und pauschal gegen „die Pharmaindustrie“. Aber: Die meisten Heilpraktiker bedienen genau das, was wissenschaftlich widerlegt ist. Sie nennen es Alternativmedizin. Aber wie heißt der Spruch so schön: „Es gibt keine Alternativmedizin, wenn es wirken würde, wäre es Medizin.“
Leider gibt es auch einige Ärzte, die Homöopathie verordnen. Am häufigsten Kinderärzte, weil die Krankenkassen Kindern Globuli bezahlen. Genaugenommen bezahlen wir Versicherten die wirkungslosen Kügelchen für andere. Ich bin mir sicher, dass die meisten Ärzte, die Homöopathie verordnen, ebenfalls daran glauben – obwohl sie es besser wissen müssten. Manchmal mag es zwar sinnvoll sein, Placebo zu geben, aber dafür gibt es richtige Placebotabletten. Man muss nicht Homöopathie nehmen, die sich mit der Aura von „Medizin“ umgibt, ohne es zu sein.
Viele Patienten denken ja, dass die Krankenkassen nur Arzneimittel bezahlen, die wirken. Wenn aber Homöopathika bezahlt werden, werden sie automatisch mit wirksamen Arzneimitteln auf eine Stufe gehoben. Gleichzeitig sind die Krankenkassen bei anderen Medikamenten, die echt wichtig wären, oft sehr zurückhaltend (vorsichtig ausgedrückt). Wer wirkungslose Kügelchen will, soll sie selbst bezahlen. Und wichtige Medikamente, die der Patient wirklich braucht, sollten anders herum von der Kasse auch übernommen werden.
Daran sieht man, dass die Krankenkassenpolitik das eigentliche Problem ist. An der einen Stelle wird streng gespart, an der anderen unnötig Geld verschwendet.
Krankenkassen müssen Homöopathie nämlich nicht erstatten! Der Gesetzgeber hat nur die Möglichkeit dazu geschaffen. Aber auch das verstehe ich schon nicht. Ich finde, Homöopathie hat in Apotheken nichts zu suchen. Ich hoffe, dass Gesetzgeber und Kassen das auch bald verstehen.
Doch manchmal empfehlen auch Apotheker selbst Homöopathie – es gibt leider auch unter uns einige, die daran glauben, obwohl sie es besser wissen müssten. Das ist für mich inakzeptabel. Das darf nicht passieren. Wer mit einem echten Problem in die Apotheke kommt, muss ernst genommen werden. Da ist es fehl am Platz, ein Scheinmedikament zu empfehlen. Ich sage den Patienten die Wahrheit, ob sie die hören wollen oder nicht!
Über Twitter höre ich immer wieder von Leuten, denen etwas empfohlen und verkauft wurde, das sich später als homöopathisches „Arzneimittel“ herausstellte. Ich als Kunde wäre ziemlich sauer und würde dort nicht mehr hingehen und würde das auch weitererzählen. Als Apotheker tue ich also auch meiner Apotheke einen Gefallen, wenn ich meine Kunden ordentlich aufkläre.
Manche Apotheker halten sich nicht ans Gesetz
„In der anderen Apotheke bekomme ich das aber immer.“ Das höre ich öfter, wenn es Probleme mit einem Rezept gibt. Warum ist das so? Ich kann Kunden nur das Medikament geben, das uns die Krankenkasse auch erstattet. Die Kassen schließen Verträge mit Medikamentenherstellern ab. Die Medikamente werden für die Krankenkasse dann billiger, weil sie nur diejenigen Medikamente erstattet, für die sie zuvor Rabatte mit den Herstellern ausgehandelt hat.
Schreibt der Arzt zum Beispiel Ibuprofen 600 mg der Marke „1A Pharma“ auf, kann es gut sein, dass ich diese Firma gar nicht abgeben darf – es sei denn, das Arzneimittel ist für die Kasse rabattiert. Andere Möglichkeit: Der Arzt hat „aut idem“ ausgeschlossen. „Aut idem“ bedeutet: oder das Gleiche. Dafür muss er auf dem Rezept das aut-idem-Feld durchkreuzen. Viele Patienten wollen natürlich immer genau das vom Arzt verordnete Medikament, weil sie denken, dass der Arzt aus einem bestimmten, medizinisch wichtigen Grund genau diese Firma ausgewählt hat. Bei unserem Beispiel „1A Pharma“ kann es aber auch daran liegen, dass es in der alphabetischen Liste ganz oben steht. Das führt nicht selten zu ziemlich schlechter Laune bei Kunden, die „ihre Firma“ wollen.
Manche Kollegen geben ein anderes Arzneimittel ab, als sie anschließend aufs Rezept drucken. Das Rezept weist dann ein Arzneimittel aus, das die Kasse erstattet, aber der Kunde hat das bekommen, was er wollte. Ist das okay? Nein. Das ist Betrug, also illegal. Ich kann zwar die Motivation dahinter verstehen, weil der Aufwand für diese ganzen kassenabhängigen Rabattsachen wirklich gigantisch ist. Aber wir haben uns nun mal an die Gesetze zu halten, ob wir sie gut finden oder nicht. Wir ehrlichen Apotheker haben durch solches Verhalten einen großen Nachteil, denn die Kunden gehen natürlich am liebsten in die Apotheke, in der sie bekommen, was sie wollen.
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Bei den kritischen Medikamenten werden Ausnahmen vom Rabattvertrag gemacht. Sie stehen auf der sogenannte Substitutionsausschlussliste. Zum Beispiel L-Thyroxin, das Schilddrüsenhormon. Dafür muss seit 2014 kein aut-idem-Kreuz mehr aufs Rezept. Welcher Patient versteht denn das: Wann muss die Apotheke nun den Rabattvertrag berücksichtigen und wann nicht? Da kann es schon mal ein bisschen länger dauern, wenn man mit einem Rezept in die Apotheke geht. Wir gucken nicht aus Lust und Laune so lange im Computer nach. Wir müssen immer einiges überprüfen.
Durch die Rabattverträge sind die Menschen ziemlich verunsichert, vor allem die älteren Patienten. Plötzlich bekommen sie ihre gewohnten Tabletten nicht mehr, und die neuen haben eine andere Form oder eine andere Farbe, nur weil die Krankenkasse einen neuen Rabattvertrag mit einem anderen Hersteller geschlossen hat. Das ist gesundheitlich meist kein Problem. Aber viele geben an, nur ihre gewohnten Tabletten zu vertragen.
Das ist nach meiner Meinung ein ernsthaftes Problem, denn damit wird die Compliance, die „Therapietreue“ der Patienten, oft gefährdet. Viele nehmen ihre Tabletten dann einfach unregelmäßig oder gar nicht. Die mangelnde Compliance ist eh schon ein großes Problem im Gesundheitswesen. Der Chef einer großen Kasse schätzte die Verluste wegen mangelnder Therapietreue auf Milliarden. Ob der ganze Rabattkram das alles wirklich rechtfertigt?
Ich würde gerne viel öfter die Dinge ordentlich erklären. Ich denke, den meisten Kollegen geht es so. Aber man kommt auch schnell an Grenzen: Alle leiden unter Zeitmangel, auch die Patienten. Das scheint mir sowieso das zu sein, wovon wir im Gesundheitswesen dringend mehr brauchen: Genug Zeit zum Reden.
Redaktion: Philipp Daum; Schlussredaktion: Vera Fröhlich; Bildredaktion: Martin Gommel, Audioversion: Christian Melchert