Depressive Menschen kannst du an ihrer Sprache erkennen

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Psyche und Gesundheit

Depressive Menschen kannst du an ihrer Sprache erkennen

Wer Depressionen hat, redet und schreibt anders. Der britische Psychologe Mohammed Al-Mosaiwi beschreibt, welche Wörter und welchen Stil Depressive besonders häufig nutzen.

Profilbild von von Mohammed Al-Mosaiwi, Großbritannien

Depressionen verändern fast alles: wie du dich bewegst, wie du schläfst, wie du mit Menschen um dich herum umgehst. Dass du depressiv bist, merkt man sogar an der Art und Weise, wie du sprichst und schreibst. Manchmal kann diese „Sprache der Depression“ einen starken Einfluss auf andere haben. Man denke nur an die Wirkung der Gedichte und Songtexte von Sylvia Plath und Kurt Cobain, die sich beide nach einer Depression umbrachten.

Wissenschaftler haben lange Zeit versucht, den genauen Zusammenhang zwischen Depression und Sprache herauszufinden. Heute hilft uns moderne Technik dabei, dem vollständigen Bild näherzukommen. In unserer neuen Studie – veröffentlicht in Clinical Psychological Science – haben wir jetzt eine Gruppe von Wörtern entdeckt, mit denen wir genau vorhersagen können, ob jemand an Depressionen leidet.

Traditionell führen Forscher in diesem Bereich linguistische Analysen durch, indem sie lesen und sich Notizen machen. Computergestützte Textanalyseverfahren ermöglichen heute die Verarbeitung extrem großer Datensätze in Minutenschnelle. Dies kann helfen, sprachliche Merkmale zu erkennen, die der Mensch übersehen hat. Der Computer berechnet in Windeseile die prozentuale Häufigkeit von Wörtern und Wortklassen, die lexikalische Vielfalt – also, wie umfangreich der Wortschatz ist –, die durchschnittliche Satzlänge, grammatikalische Muster und viele andere Metriken.

Bisher waren persönliche Essays und Tagebucheinträge von depressiven Menschen ebenso nützlich wie die Arbeiten von bekannten Künstlern wie Cobain und Plath. Für das gesprochene Wort haben auch Ausschnitte aus der natürlichen Sprache von Menschen mit Depressionen Einblicke gegeben. Zusammengenommen zeigen die Ergebnisse dieser Forschung deutliche und stabile Unterschiede in der Sprache zwischen Menschen mit und ohne Depressionssymptomen.

Der Inhalt vermittelt negative Emotionen

Sprache kann in zwei Komponenten unterteilt werden: Inhalt und Stil. Der Inhalt ist das, was wir ausdrücken wollen – was bedeutet ein Satz und worauf bezieht er sich? Es wird niemanden überraschen, dass Menschen mit Depressionssymptomen übermäßig viele Wörter verwenden, die negative Emotionen vermitteln, insbesondere negative Adjektive und Adverbien - wie einsam, traurig oder unglücklich.

Interessanter ist die Verwendung von Pronomen. Menschen mit Symptomen einer Depression verwenden deutlich mehr Fürwörter, erste Person Singular – also ich, mir und mich – und deutlich weniger Pronomen der zweiten und dritten Person – wie sie, ihnen oder ihr. Dieses Muster deutet darauf hin, dass Menschen mit Depressionen sich mehr auf sich selbst konzentrieren und weniger mit anderen verbunden sind. Forscher haben entdeckt, dass Pronomen tatsächlich zuverlässiger bei der Identifizierung von Depressionen sind als Wörter, die negative Emotionen beschreiben.

Wir wissen, dass das sogenannte Wiederkäuen (Verweilen bei persönlichen Problemen) und die soziale Isolation gemeinsame Merkmale von Depressionen sind. Wir wissen aber nicht, ob diese Ergebnisse Unterschiede in der Wahrnehmung oder im Denkstil widerspiegeln. Sind Depressionen daran schuld, dass Menschen sich auf sich selbst konzentrieren, oder bekommen Menschen, die sich auf sich selbst konzentrieren, die Symptome von Depressionen?

Das Schwarz-Weiß-Denken prägt den Stil

Der Stil der Sprache bezieht sich darauf, wie wir uns ausdrücken und nicht auf den Inhalt, den wir vermitteln wollen. Unser Labor hat vor kurzem eine große Datentextanalyse von 64 verschiedenen Online-Foren zur psychischen Gesundheit durchgeführt und dabei über 6.400 Mitglieder untersucht. Dabei ging es um „absolutistische Wörter“, die für Schwarz-Weiß-Denken typisch sind. Dabei zeigte sich: Wörter, die absolute Größen oder Wahrscheinlichkeiten wie immer, nichts oder komplett vermitteln, haben sich als bessere Marker für psychische Gesundheitsforen herausgestellt als Pronomen oder Wörter für negative Emotionen.

Von Anfang an haben wir erwartet, dass Menschen mit Depressionen eher eine Schwarz-Weiß-Sicht auf die Welt haben werden, und dass sich dies in ihrem Sprachstil manifestieren wird. Im Vergleich zu 19 verschiedenen Kontrollforen (zum Beispiel Mumsnet und StudentRoom) ist die Häufigkeit absolutistischer Wörter in Angst- und Depressionsforen um etwa 50 Prozent und in Selbstmordgedankenforen um rund 80 Prozent höher.

In den Foren hatten Fürwörter ein ähnliches Verteilungsmuster wie absolutistische Wörter, aber der Effekt war kleiner. Im Gegensatz dazu waren Wörter für negative Emotionen in Foren, in denen potenzielle Selbstmörder Hilfe finden, paradoxerweise weniger verbreitet als in Angst- und Depressionsforen.

Unsere Forschung umfasste auch Foren, in denen Mitglieder, die sich von einer depressiven Episode erholt haben, positive und ermutigende Beiträge über ihre Genesung schreiben. Hier fanden wir heraus, dass negative Emotionswörter in vergleichbarer Menge verwendet wurden wie in Kontrollforen. Dagegen nahmen Wörter, die positive Emotionen ausdrücken, um etwa 70 Prozent zu. Dennoch blieb die Häufigkeit absolutistischer Wörter deutlich höher als bei den Kontrollen, aber etwas niedriger als in Angst- und Depressionsforen.

Entscheidend ist dabei, dass Menschen, die schon einmal depressive Symptome hatten, diese eher wiederbekommen. Daher ist ihre stärkere Tendenz zum absolutistischen Denken, auch wenn es derzeit keine Symptome einer Depression gibt, ein Zeichen dafür, dass dieses Schwarz-Weiß-Denken eine Rolle bei der Entstehung depressiver Schübe spielen kann. Den gleichen Effekt haben wir bei der Verwendung von Pronomen entdeckt, aber nicht bei den Wörtern für negative Emotionen.

Die Forschung kann helfen, Selbstmorde zu verhindern

Das Verstehen dieser Sprache der Depression kann uns helfen, die Art und Weise zu verstehen, wie Menschen mit depressiven Symptomen denken. Aber es hat auch praktische Auswirkungen. Forscher kombinieren automatisierte Textanalyse mit maschinellem Lernen (also mit Computern, die aus Erfahrung lernen können), um eine Vielzahl von psychischen Gesundheitszuständen anhand von Textbeispielen in natürlicher Sprache, wie zum Beispiel Blogeinträge, zu klassifizieren.

Diese Klassifizierung übertrifft bereits die von ausgebildeten Therapeuten geleistete Arbeit auf diesem Gebiet. Wichtig ist, dass die Klassifizierung durch maschinelles Lernen nur verbessert wird, wenn mehr Daten zur Verfügung stehen und ausgefeiltere Algorithmen entwickelt werden. Dies geht über die bereits beschriebenen breiten Muster von Absolutismus, Negativität und Pronomen hinaus. Die Arbeit unter Verwendung von Computern hat begonnen, um immer spezifischere Unterkategorien von psychischen Problemen – wie Perfektionismus, Selbstwertgefühl und soziale Ängste – genau zu identifizieren.

Natürlich ist es möglich, eine mit Depressionen verbundene Sprache zu verwenden, ohne wirklich depressiv zu sein. Letztendlich ist es die Art und Weise, wie du dich im Laufe der Zeit fühlst, die darüber entscheidet, ob du leidest. Aber die Weltgesundheitsorganisation schätzt, dass mehr als 300 Millionen Menschen weltweit mit Depressionen leben, ein Anstieg von mehr als 18 Prozent seit 2005. Deshalb sind mehr Instrumente, um die Krankheit zu erkennen, sicherlich wichtig, um die Gesundheit zu verbessern und tragische Selbstmorde wie die von Plath und Cobain zu verhindern.


Mohammed Al-Mosaiwi ist Pharmakologe und Psychologe, mit Abschlüssen in beiden Bereichen. Zurzeit promoviert er in Psychologie und untersucht die Rolle des absolutistischen Denkens (Schwarz-Weiß-Denkens) bei Angst, Depression und Selbstmordgedanken. Al-Mosaiwi forscht an der Universität von Reading (liegt zwischen London und Oxford).

Seinen Artikel veröffentlichte in Englisch The Conversation. Hier könnt ihr den Originalartikel lesen.

Übersetzung: Vera Fröhlich. Schlussredaktion: Rico Grimm. Bildredaktion: Martin Gommel (Aufmacherfoto: unsplash / Brennan Martinez) Audioversion: Iris Hochberger.

Dieser Text soll keinesfalls Suizid als Weg zur Bewältigung von Problemen aufzeigen. Hier geht es um Forschung. Bitte sprecht mit anderen Menschen darüber, wenn ihr an Selbstmord denkt. Hier gibt es Hilfsangebote, ihr könnt anonym bleiben. Ruft dort an, schreibt eine E-Mail oder nutzt die Möglichkeit zum Chat oder zum persönlichen Gespräch.

The Conversation

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