Eltern und Lehrer kennen das Problem nur zu gut: Man kann einen Teenager kaum dazu bringen, sich auf etwas zu konzentrieren, das man selbst für wichtig hält. Sogar Bestechungsgeld oder Drohungen beeindrucken Jugendliche kaum.
Eine neue Studie, die in Nature Communications erschienen ist, zeigt nun, was der tiefere Grund für dieses Verhalten sein könnte – die Art und Weise nämlich, wie das jugendliche Gehirn verkabelt ist. Weil das Hirn in einem Reifeprozess ist, haben Teenager Schwierigkeiten zu verstehen, welche Handlungen wirklich wichtig sind und wie sie sich entsprechend verhalten sollen.
Als Adoleszenz bezeichnen wir den Lebensabschnitt, der mit den biologischen Veränderungen der Pubertät beginnt und endet, wenn das Individuum eine stabile, unabhängige Rolle in der Gesellschaft erlangt hat (auch wenn einige Leser die zweite Hälfte dieser Definition sicher infrage stellen würden). Wir wissen inzwischen, dass in dieser Zeit eine gewaltige Neuorganisation des Gehirns stattfindet, deren Bedeutung wir gerade erst zu begreifen beginnen.
Die graue Substanz des Gehirns, die seit der Geburt stark gewachsen ist, wird in dieser Zeit wieder dünner. Was wahrscheinlich darauf zurückzuführen ist, dass die Anzahl der Synapsen reduziert wird, das Gehirn also von unnötigen Verbindungen der Nervenzellen befreit wird. Die Folge ist eine gesteigerte neuronale Effizienz – das Hirn funktioniert besser.
Die Verbindungen werden von hinten nach vorne ausgedünnt, wobei ein Teil des Frontallappens der Großhirnrinde – der präfrontale Cortex, der für Funktionen wie kognitive Kontrolle und Entscheidungsfindung zuständig ist – als letzter aufgeräumt wird. Im Klartext bedeutet dies, dass ausgerechnet die Bereiche zuletzt drankommen, die für die geistigen Funktionen zuständig sind, mit denen Menschen das eigene Verhalten in ihrer Umwelt steuern.
Mit diesem Reifeprozess gehen auch „Upgrades” wichtiger struktureller und funktionaler Netzwerke einher – die Verlagerung lokaler Verbindungen zu umfassenderen globalen Verbindungen zwischen verschiedenen Teilen des Gehirns.
Teenager können schlechter abschätzen, ob eine Sache sich lohnt
Man muss kein Neurowissenschaftler sein, um zu wissen, dass die Pubertät auch eine Zeit ist, in der die Triebkraft stark erhöht ist und die Lust wächst, Sensationen zu erleben und Risiken einzugehen.
Ein Aspekt des risikobereiten Verhaltens von Jugendlichen scheint die Tatsache zu sein, dass sie offensichtlich unfähig sind, ihr Verhalten daran zu orientieren, welche Belohnungen (oder Strafen) dieses wahrscheinlich mit sich bringen wird.
Ein erwachsenes Gehirn kann ziemlich gut abschätzen, wie die richtige Balance zwischen Anstrengung und Belohnung aussehen sollte. Das passiert durch Verknüpfungen zwischen den kognitiven Kontrollsystemen, die sich im hoch entwickelten präfrontalen Cortex befinden, und den Belohnungsschaltkreisen, die aus evolutionär älteren Strukturen bestehen, und die unsere Motivation und das „Wollen” steuern. Dazu gehören das Striatum und der anteriore cinguläre Cortex.
Psychologen sprechen von der Fähigkeit, die geistige Leistungsfähigkeit den Anforderungen der Umwelt anzupassen. Business-Gurus bezeichnen das als „Kosten-Nutzen-Analyse”. Umgangssprachlich sagt man, wir können entscheiden, ob sich eine Sache lohnt oder nicht.
Könnte es also sein, dass die Hirnorganisation der Heranwachsenden diese Abwägung noch nicht schafft? Schuld daran wäre dann ein einfaches Belohnungssystem, das noch nicht durch ein konservativeres, vorausschauendes System kontrolliert wird, das aus Erfahrungen gelernt hat.
Gehirnscans bei Videospielen
Die neue Studie zeigt, dass diese Annahme sich tatsächlich bestätigt, wenn man die Gehirne von Jugendlichen im Alter von 13 bis 20 Jahren betrachtet. Dafür sammelten die Wissenschaftler Daten aus der MRT (funktionelle Magnetresonanztomographie), mit der sich Hirnaktivitäten indirekt messen lassen. Oder einfacher gesagt: Sie haben beobachtet, wie der Blutfluss in den Hirnen der Studien-Teilnehmer sich verändert hat, während diese mit einem Videospiel beschäftigt waren. Dabei mussten die Spieler Bilder von Planeten sortieren und erhielten dafür kleinere oder größere Geldbeträge – konnten das Geld aber auch wieder verlieren.
Bei dieser Art von Aufgabe würde man eigentlich eine bessere Leistung erwarten, wenn es um höhere Einsätze geht. Die Studie zeigte jedoch, dass dies nur bei älteren Teilnehmern (19 bis 20 Jahre alt) funktionierte. Sie konnten ihre Herangehensweise anpassen und strengten sich stärker an, wenn es um mehr ging.
Jüngere Spieler waren weniger erfolgreich bei der Aufgabe, und zwar egal, ob die Einsätze hoch oder niedrig waren. Das entscheidende Merkmal der Hirnaktivität bei den erfolgreicheren Spielern: Sie nutzten verstärkt die präfrontalen Bereiche und hatten, das gab vielleicht den Ausschlag, stärkere Verbindungen zwischen dem präfrontalen Cortex und den subkortikalen Striatalbereichen.
Die Studie zeigt, dass ein leistungsfähigeres, „kühleres” kognitives Kontrollsystem ein „heißes” Motivationsbewertungssystem abschwächen kann. So entsteht ein angemessenes Gleichgewicht zwischen den angebotenen Belohnungen und den Maßnahmen, die zur Maximierung der Leistung erforderlich sind.
Die Feinabstimmung klappt bei Jugendlichen nicht
Wenn dein Gehirn jünger ist, fällt genau diese Abwägung schwer: Was kann ich gewinnen, wenn ich es richtig mache – oder was verliere ich, wenn ich es falsch mache? Dies ist tatsächlich ein Beweis dafür, dass es den Jugendlichen an der notwendigen Feinabstimmung des Belohnungssystems mangelt. Das gibt sich aber (zum Glück) mit zunehmendem Alter.
Aus den Ergebnissen der Studie ergibt sich eine wichtige Möglichkeit für die Aus– und Weiterbildung von Jugendlichen. Wir wissen also, dass man einen Teenager nicht dazu bringt, etwas zu tun, indem man nur die Belohnung erhöht. Eher lohnt es sich, den Jugendlichen so viele Informationen wie möglich über eine anstehende Entscheidung zu geben – das könnte dazu beitragen, das Ungleichgewicht zwischen Erkenntnis und Motivation zu beheben.
Anstatt also etwa Teenagern verzweifelt Belohnungen zu versprechen, damit sie sich an einer bestimmten Universität bewerben, könnte es sich lohnen, mehrmals an Tagen der offenen Tür dort hinzufahren und so ihr Interesse zu wecken. Probleme lassen sich auch damit nicht vollständig vermeiden: Es kann sein, dass man dann mit einem anderen Aspekt pubertären Verhaltens konfrontiert wird – der Weigerung, Ratschläge von Erwachsenen anzunehmen.
Wir müssen aber auch anerkennen, dass ein solches Verhalten nicht immer schlecht ist. Die Entwicklungsgeschichte hat gezeigt, dass ein Mensch auf dem Weg zum Erwachsensein mit jugendlichem Enthusiasmus und Elan Risiken eingehen muss, und zwar frei von der geistigen Kontrolle Erwachsener. Wie sagte schon der Schriftsteller William Faulkner: „Du kannst den Ozean nicht überqueren, wenn du nicht den Mut hast, die Küste aus den Augen zu verlieren.”
Diesen Artikel hat auf Englisch The Conversation veröffentlicht. Hier könnt ihr den Originalartikel lesen. Übersetzt hat den Text Vera Fröhlich. Das Aufmacherbild hat Martin Gommel ausgesucht (Unsplash / Kristopher Roller).