Wie Menschen mit HIV und Aids im Alter gut leben können
Psyche und Gesundheit

Wie Menschen mit HIV und Aids im Alter gut leben können

Aids ist schon lange kein Todesurteil mehr. Deswegen gibt es plötzlich, was viele vor 30 Jahren nie für möglich gehalten haben: alte Menschen mit HIV und Aids. Und deswegen braucht es auch Ideen, wie das Altern mit dieser Diagnose gelingen kann. Unsere Autorin Allison Webel, Dozentin für Krankenpflege in den USA, hat untersucht, was hilft.

Profilbild von von Allison Webel, Cleveland

Noch vor einer Generation wäre das ein schlechter Scherz gewesen: eine Liste mit Tipps für ein erfülltes Altern mit Aids. Sie wäre auch nicht sinnvoll gewesen. Denn als das Virus 1984 entdeckt wurde, hatten die Infizierten nach der Diagnose oft nur noch wenige Monate zu leben.

Heute jedoch feiern wir den Welt-Aids-Tag zum 30. Mal, und viele HIV-Infizierte werden trotz des Virus genau so alt wie die Allgemeinbevölkerung. Eine Frage bleibt trotzdem für sie bestehen: Wie können sie gut altern? Neue Erkenntnisse deuten darauf hin, dass es tatsächlich mehrere einfache, aber lebenswichtige Strategien gibt, die dazu beitragen können, die Chancen auf ein würdiges Altwerden zu erhöhen.

Als Krankenschwester und Wissenschaftlerin untersuche ich wirkungsvolle Strategien beim Selbstmanagement. Dabei habe ich entdeckt, welchen Unterschied solche Strategien bei Erwachsenen machen, die mit dem HI-Virus alt werden.

Stehen wir nicht kurz davor, Aids zu heilen?

Ich will zunächst einmal an das Ausmaß der HIV-Infektionen erinnern: Es gibt auf der Welt schätzungsweise 36,7 Millionen Menschen, die das Virus in sich tragen. Obwohl der Erreger erst 1984 identifiziert wurde, sind inzwischen mehr als 35 Millionen Menschen an HIV oder Aids gestorben. Wir sprechen also von einer der verheerendsten Pandemien seit Menschengedenken.

Aufgrund der hochwirksamen HIV-Medikamente starben 2014 in den USA weniger als 7.000 Menschen an den Folgen einer HIV-Infektion. Das bedeutet, dass die Menschen, die mit HIV leben, älter werden. In den Vereinigten Staaten sind 45 Prozent aller Menschen, die heute mit HIV leben, 50 Jahre oder älter. Weltweit sind etwa 10 Prozent 50 Jahre oder älter. Wahrscheinlich wird dieser Prozentsatz steigen - vorausgesetzt, die Medikamente stehen weiterhin zur Verfügung.

In der Tat haben wir in den vergangenen Jahren bemerkenswerte Fortschritte auf dem Weg zur Aids-Heilung gemacht. Sehr wichtig waren dabei die Erkenntnisse aus dem Fall Timothy Ray Brown – dem einzigen Menschen, der jemals von einer HIV-Infektion geheilt wurde (und zwar durch eine Stammzellentransplantation, wie sie bei Leukämie angewandt wird). Noch gelten die Ergebnisse der Studien als sehr vorläufig: Wissenschaftler fanden Behandlungsmethoden, die das HIV-Reservoir drastisch reduzieren (also die Zellen, in denen sich das Virus im Körper ansammelt) und die alle Virusaktivitäten in den infizierten Zellen stoppen konnten. Auch haben sie die letzte unbekannte HIV-Proteinstruktur visualisiert, was uns helfen wird, das HI-Virus besser zu bekämpfen.

Darüber hinaus hat die Kampagne „Undetectable Equals Untransmittable” („Nicht nachweisbar bedeutet auch nicht übertragbar”) das dringend nötige öffentliche Bewusstsein dafür geschaffen, dass HIV-Infizierte den Erreger nicht sexuell übertragen können, wenn das Virus mit Medikamenten unterdrückt wird.

Doch trotz all dieser Fortschritte glauben viele Wissenschaftler, dass wir noch Jahrzehnte von einer wirklichen Heilung einer HIV-Infektion entfernt sind. Während die Forschungsarbeit weitergeht, werden mehr als 36 Millionen HIV-infizierte Menschen weiter altern und nach Strategien suchen, die es ihnen ermöglichen, ihr Leben in vollem Umfang zu genießen.

Warum das Altwerden mit Aids schwierig ist

Altern ist für keinen von uns einfach. Unsere Körper sind nicht mehr ganz so schnell wie bisher, die Genesungszeit ist länger, weil die Zellen sich nicht mehr so schnell erneuern wie in jüngeren Jahren, und wir haben mehr Schmerzen als früher.

Ist es also tatsächlich schwieriger für Menschen, die mit HIV leben, in Würde zu altern? Die Forscher sagen ja. Konkret bedeutet das für die die Infizierten:

  • Sie haben ein erhöhtes Risiko, mit mehr als einer unerwünschten Krankheit („Multimorbidität”) gleichzeitig leben zu müssen, einschließlich Hepatitis C, Bluthochdruck, kognitiver Dysfunktion wie Demenz und Gebrechlichkeit.

  • Sie erfahren Stigmatisierung sowohl durch HIV-Infektion als auch durch Alterung. Zu den negativen Vorurteilen über das Altern – ältere Menschen gelten als hilfsbedürftig, senil und weniger nützlich als jüngere Menschen – kommen die negativen Vorurteile gegen Aids-Kranke und die offene Diskriminierung von HIV-Infizierten hinzu. Stigmata können zu vermehrten Symptomen und verminderter Lebensqualität führen. Wir alle können helfen, diese negativen Stereotypen abzubauen, indem wir die Fakten über HIV und das Altern lernen, diese Bevölkerungsgruppe respektieren und Hoffnung und Selbstbestimmung unter älteren Erwachsenen mit HIV fördern.

  • Erhöhte Belastung mit Symptomen wie Müdigkeit, Schmerzen und Depressionen, möglicherweise stärker bei HIV-positiven Frauen. Dies wirkt sich negativ aus auf alle Bereiche des täglichen Lebens.

  • Fokussierung auf HIV-bezogene Gesundheitsfragen, zu kurz kommen die davon unabhängige Gesundheitsförderung und Krankheitsprävention.

Wie man gut mit einer HIV-Infektion lebt

Es gibt keine Wunderwaffe für ein erfülltes Altern, ganz gleich, welchen Gesundheitszustand man hat. Jeder Mensch muss seine Medikamente vorschriftsmäßig einnehmen, gut schlafen, Stress bewältigen und regelmäßig einen Arzt aufsuchen. Es gibt jedoch neue Erkenntnisse, die darauf hindeuten, dass drei vielversprechende, nicht-pharmakologische Strategien Erwachsenen mit HIV helfen können.

  • Erhöhung der Menge, Intensität und Häufigkeit der körperlichen Aktivität. Bei HIV-positiven Erwachsenen kann körperliche Aktivität die Herz-Kreislauf-Gesundheit verbessern, belastende Symptome wie Müdigkeit verringern und die Wahrnehmungsfähigkeit verbessern. In der Allgemeinbevölkerung reduziert Aktivität alle Arten von chronischen Krankheiten, einschließlich Bluthochdruck, Diabetes und Depressionen. Aber die Wirkung auf den Gesundheitszustand von älteren Erwachsenen mit HIV ist noch nicht in einer großen klinischen Studie getestet worden. Wir wissen allerdings, dass die meisten HIV-positiven Erwachsenen sich nicht regelmäßig und intensiv körperlich betätigen.

  • Eine nahrhafte und ausgewogene Ernährung kann die chronischen Gesundheitsprobleme verringern, ebenso wie die Belastung mit Symptomen. Aber seit die HIV-Infektion zu einer chronischen Krankheit geworden ist, gibt es weniger Forschung dazu. Was wir wissen, ist, dass es wichtig ist, dass alternde, HIV-positive Menschen wenig Alkohol trinken.

  • Positive soziale Interaktionen können die Einhaltung der HIV-Therapie und viele Aspekte der Lebensqualität verbessern sowie die Belastungen durch die Krankheit verringern. Während Forscher sich nicht sicher sind, welche Arten von Interaktionen die besten sind, gibt es immer mehr Belege dafür, dass eine regelmäßige, bezahlte Beschäftigung von Vorteil sein kann. Mein Forschungsteam entdeckte auch, dass Freiwilligenarbeit, Engagement und die Einbindung in eine spirituelle Gemeinschaft sehr hilfreich für soziale Interaktionen sein können.

Doch gerade für eine in der Vergangenheit marginalisierte Bevölkerung, die sich zum ersten Mal mit dem Thema Alterung auseinandersetzt, können diese Strategien zur Lebensbewältigung schwierig sein. Mehrere Forscher, darunter auch mein Team, untersuchen neue Wege, um dieser Bevölkerungsgruppe zu helfen.

In den zurückliegenden drei Jahren führte meine Forschungsgruppe eine klinische Studie mit 109 HIV-positiven Erwachsenen durch, um zu sehen, ob eine Gruppentherapie die Fitness und Ernährung der Betroffenen verbessern würde. Im November konnten wir auf einer Fachtagung (American Heart Association Scientific Sessions) berichten, dass die Gruppentherapie tatsächlich zu einem verringerten Konsum von Getränken führte, die mit Zucker gesüßt waren. Allerdings haben wir es nicht geschafft, die körperliche Aktivität bei älteren Erwachsenen mit HIV zu verbessern. Kollegen berichteten uns von ähnlichen Schwierigkeiten. Sie schlagen deshalb vor, einen neuen, personalisierten Ansatz zur Aktivierung und Erhaltung der körperlichen Aktivität für diese Bevölkerungsgruppe zu finden.

Durchbrüche in diesem Bereich können zu neuen Behandlungsstrategien führen, die nicht nur HIV-positiven Erwachsenen helfen, gut zu altern, sondern auch anderen, die mit vielschichtigen chronischen Erkrankungen leben.

Natürlich konzentrieren wir uns auf die Heilung von HIV-Infektionen. Aber wir müssen uns auch eingestehen, dass eine Heilung wahrscheinlich erst in mehreren Jahrzehnten möglich sein wird. In der Zwischenzeit kämpfen Millionen von Menschen darum, mit HIV besser alt zu werden. Dafür müssen wir aber noch innovative und maßgeschneiderte Strategien finden.


Allison Webel ist Dozentin für Krankenpflege an der Case Western Reserve University in Cleveland, Ohio. Ihren Artikel veröffentlichte in Englisch The Conversation. Hier könnt ihr den Originalartikel lesen. Übersetzt hat ihn Vera Fröhlich, gegengelesen Esther Göbel. Martin Gommel hat das Aufmacherbild ausgesucht (iStock / shironosov).

The Conversation