„Sie wäre sowieso gestorben”
Psyche und Gesundheit

„Sie wäre sowieso gestorben”

Rumäniens bekanntester Arzt hat jahrelang Versuche an Kindern gemacht. Kollegen schauten weg. Medien wollten es nicht glauben. Über ein Jahr lang haben unsere Kollegen von Casa Jurnalistului recherchiert und einen Skandal aufgedeckt, der ein ganzes Land erschüttert. Zweiter Teil.

Profilbild von von Luiza Vasiliu, Bukarest

18. Dezember 2013. Doktor Burnei hat das Fernsehen in die Klinik bestellt: Während des Eingriffs an einem Mädchen, das an einer Rückgratverkrümmung leidet, setzt er eine Technik ein, die so noch nie ein Chirurg in Rumänien angewendet hat. Die Achtjährige stirbt noch auf dem OP-Tisch. Der Fernsehbericht fällt aus.

Das Implantat, das Burnei verwendete, war für die Skoliose, die mit Andreeas Beschwerden einhergeht, nicht empfohlen. Die neue Technik, sie hätte die Hüfte des Mädchens kein bisschen weniger krumm gemacht, sagen Ärzte, die Einsicht in die Krankenakte hatten. Während der Operation waren Fettpartikel aus dem Knochenmark in die Blutbahn des Mädchens gelangt, was zum Tod führte. Außerdem hatte Burnei aus Versehen eine Schraube in ihr Rückenmark gedreht.

„Sie wäre sowieso gestorben”, sagt der Arzt zur Mutter. Das Mädchen hatte eine schwere neuromuskuläre Erkrankung – aber sie hätte noch Jahre, wenn nicht Jahrzehnte leben können, sagen andere Ärzte. „So ist das Leben. Sie sind jung, Sie können nochmal ein Baby haben”, sagt Burnei.

Es kommt noch schlimmer: Andreea ist kein Einzelfall. Amira, die eine ausgerenkte Hüfte hatte, kann nach elf Operationen kaum mehr laufen. Casa Jurnalistului liegen mittlerweile Hunderte weitere Aussagen von Opfern oder Angehörigen von Opfern Burneis und anderer rumänischer Ärzte vor.

Tod durch Fahrlässigkeit

Der Körper der kleinen Andreea wurde zur Autopsie ins Institut für Medizinische Forensik gebracht. Im Autopsie-Bericht ist von einem riskanten und unergiebigen Verfahren die Rede: „Das Verhältnis der Vor- und Nachteile war eindeutig ungünstig für den Patienten.”

Ein Arzt im Marie-Curie-Hospital, der mit dem Fall vertraut ist, sagte uns unverblümt: „Andreea ist ein Kind, das aus Fahrlässigkeit getötet wurde.“

Ein Gerichtsmediziner des Forensik-Instituts wurde sogar noch deutlicher: „Das Verfahren ist von allen Standpunkten aus extrem, aggressiv und sehr risikoreich. Die Vorteile für den Patienten waren von Anfang an gleich Null.” Der Gerichtsmediziner wies auch darauf hin, dass die Operation nicht nur „absolut sinnlos” war, sondern schlicht und ergreifend auch falsch. Burnei rutschte eine Schraube ins Rückenmark, die zum Absterben ihrer spinalen Nerven und letztlich zur Lähmung geführt hätte.

Andreea litt unter einer nicht heilbaren degenerativen Erkrankung des motorischen Nervensystems. Das Verfahren „wird in diesem Fall von Muskelschwund nicht empfohlen, heißt es in der medizinischen Literatur“, bestätigte uns Alexandru Thiery. Er ist Spezialist für Wirbelsäulenchirurgie und Mitglied im pädiatrischen Orthopädie-Komitee des Gesundheitsministeriums.

„Abscheuliche Experimente an Menschen“

Doktor Burnei wurde vor einigen Tagen unter Hausarrest gestellt. Im Haftbefehl heißt es, dass er „chirurgische Verfahren anwendet, auch wenn der medizinische Status oder das Alter des Kindes die Notwendigkeit solcher Verfahren nicht anerkennt. Auch verwendet er Methoden und Prothesen, die unnötig sind, oder er setzt das Implantat in einer falschen Weise ein“.

Der Orthopäde Roman Marchitan, der während seiner medizinischen Ausbildung unter der Aufsicht von Burnei arbeitete und derzeit in Frankreich praktiziert, behauptet, dass „Burnei eine Art Parallel-Medizin erfunden hat, die jeglicher modernen Logik widerspricht, die auf Kosten seiner Patienten geht, ohne dabei auch nur den geringsten Ansatz eines schlechten Gewissens zu haben”. Marchitan spricht von „abscheulichen Experimenten an Menschen”.

Nach Andreeas Tod gab es Ermittlungen. Es entstand ein Strafregister, doch die Strafverfolgung verzögert sich. Denn für die Verhandlung ist das Fachwissen von Burneis Kollegen nötig. Aber er war der Leiter des für Kunstfehler zuständigen Komitees. Der Vorsitzende des Komitees, Gheorghe Borcean, verteidigte Burneis Vorgehen bereits und nannte ihn „einen Pionier in der Medizin“.

Wirbelsäule gerade, Patient tot

Einen Monat nach ihrem Tod machte Ana Maria Găman, Andreeas Mutter, die Reise von Braşov nach Bukarest, um den Entlassungsbericht ihres Kindes abzuholen. Sie wurde in das Büro des Arztes gerufen. Die Frau erinnert sich daran, was Burnei sagte, nachdem er den Anästhesisten für den Tod des Mädchens verantwortlich gemacht hatte:

Haben Sie gesehen, wie gerade sie war?

„Er war rücksichtsvoll genug, mir zu sagen, wie er ihre Wirbelsäule aufgerichtet hatte. Ja, sie war gerade wie ein Pfeil in ihrem Sarg, gut so, sonst hätten sie sie im Himmel abgelehnt.“

Hunderte von Kommentaren, die ähnliche Szenen beschreiben: wie Burnei Eltern und Patienten behandelt.

Hunderte von Kommentaren, die ähnliche Szenen beschreiben: wie Burnei Eltern und Patienten behandelt.

Zurück zum Dezember 2013. Andreea besucht die zweite Klasse der Schule gegenüber von ihrem Haus. Sie kennt „eins, zwei, drei” und andere Wörter auf Deutsch, sie ist zum Schreien komisch, lacht viel und bringt auch andere zum Lachen. Ihre Großmutter erzählt:

„Wir saßen hier, in der Küche, wir hatten gerade Hausaufgaben gemacht. Ich war am Spülbecken, bereitete das Abendessen vor, und sie schaute fern. Und sie war so gesprächig … Ich sagte ihr: ‚ Lass uns einen Wettbewerb machen: Wer kann fünf Minuten lang den Mund halten?‘

‚Oma, aber warum machen wir diesen Wettbewerb? Oma, aber warum ich?‘ Sie war richtiggehend erschüttert. Sie saß da und schaute Cartoons an. Ich wartete auf ihren Kommentar. Plötzlich fiel mir die Stille im Raum auf. Mehr nicht, an meinem Spülbecken, denn genau in diesem Moment sagt Andreea, mit dem Blick auf den Fernseher:

Oma, ich will nicht sterben.

Ich war wie betäubt. ‚Andreea, ach mein, du, Omas Freude, aber du bist so eine kleine Heldin, eine tapfere Seele, ach du … aber glaubst du, es gibt jemanden auf dieser Erde, der dich tot sehen will? Sie werden dich betäuben, Andreea, und du wirst schlafen, und wenn du aufwachst, ist die Operation aus und vorbei‘.”

Am Morgen, kurz vor der Operation, kamen die TV-Leute herein. Sie fragten Andreea, ob sie Angst hat, und ihre Antwort war: „Ich habe keine Angst, Mama hat Angst, weil sie ein Hosenscheißer ist.“

Die Reporter lachten. Mama auch.

Der Professor leitet die Operation. Ein Dirigent, der nach Schrauben, Stäben, kleinen Hämmern fragt. Er kann als einziger der Ärzte im Operationssaal die Reaktion des Körpers auf die heiklen Manöver spüren. Seine Hände gehen in den Körper des betäubten Patienten, messen die Krümmung der Wirbelsäule, richten sie auf und montieren die Schrauben in die Wirbel. Insgesamt sind 13 Schrauben mit höchster Präzision anzubringen, damit sie die Stangen stützen.

„Wissenschaft, Kunst, Vorhersage“, so sieht Burnei die Orthopädie, sein Spezialgebiet seit den 80er Jahren. Wissenschaft und Kunst verschmelzen, als er die Schrauben einzeln in Andreeas Wirbel einführt.

Der extreme Eingriff, den der Arzt gewählt hat, löst Fettpartikel aus dem Operationsbereich und schleust sie in den Blutkreislauf ein. Gegen Ende des Eingriffs vermurkst der Professor einen Versuch am Wirbelknochen und steckt eine Schraube in das Rückenmark. Die Operation wird bis zur letzten Schraube fortgesetzt.

Erstes Shilla-Implantat in Rumänien

Inzwischen hat das Fett Andreeas Lunge erreicht und blockiert die Blutgefäße, die sie versorgen. Sie bekommt eine Lungenembolie. Kurz darauf hört das Herz auf zu schlagen. Wiederbelebungsversuche beginnen.

Fast eine Stunde später: Der Todeszeitpunkt wird bestimmt. Der Anästhesist kommt weinend heraus.

Auf den Entlassungspapieren steht: „Exitus 15.10 Uhr.“

Andreea ist tot.

Seit dieses kleine Mädchen weg ist, ist auch alles andere fort.

Oma und Ana Maria, Andreeas Mutter, sitzen am Tisch in der Küche und blicken zurück: Hier saß Andreea auf ihrem kleinen Hocker; hier hat sie ihre Hausaufgaben gemacht; dort haben wir beide geschlafen. Sie hatte einen Mörder-Humor. Sie erzählte einen Witz so, dass unsere Bäuche vor Lachen weh taten. Das war einmal.

„Mama, ich liebe dich, pflegte sie zu mir zu sagen, und ich machte das auch, zwanzigtausendmal am Tag, egal wo wir waren, auf der Straße oder in einem Geschäft. Wir hatten eine ganz besondere Beziehung; vielleicht hat ihre Krankheit dazu beigetragen. Wenn sie ein gesundes Kind gewesen wäre und unser Leben normal verlaufen wäre, hätte ich vielleicht nicht eine solche Abhängigkeit von ihr entwickelt.“

Muskelschwund und Wirbelsäulenverkrümmung

Andreea kam mit spinaler Muskelatrophie auf die Welt, einer Krankheit, die das normale Wachstum der Muskeln verhindert. Du kannst nicht gehen, du kannst dich im Bett nicht auf die andere Seite drehen, und du brauchst eine Rückenlehne oder ein Kissen, um aufrecht zu stehen. Mit dieser Krankheit bist du immer auf die Menschen um dich herum angewiesen.

Ana Maria erfuhr von der Diagnose im Obregia-Krankenhaus in Bukarest, als ihre Tochter eineinhalb Jahre alt war. „Das einzige, was Sie machen können, ist Physiotherapie”, sagte der Arzt zu ihr.

Mutter und Großmutter suchten verzweifelt nach Lösungen, um Andreea gesund zu machen. Sie verkauften ihre Wohnung, zogen in eine Mietswohnung und brachten sie zu einer Stammzellentherapie nach China, aber ohne Erfolg. Andreea entwickelte eine Skoliose, ein häufiger Nebeneffekt des Muskelschwunds.

Muskelatrophie ist nicht behandelbar, aber eine Skoliose kann korrigiert werden.

Ein Onkel von Ana Maria, selbst im Bereich Orthopädie tätig, kannte jemanden vom Queen-Mary-Krankenhaus in Cluj-Napoca. Er sagte ihr: Ein sehr bekannter Arzt hält dort Sprechstunden ab. Ich frage mich, wie es kommt, dass du nie von ihm gehört hast, Professor Burnei.

In der grauen Welt der rumänischen Medizin ist Gheorge Burnei ein seltsamer Heiliger. Die Medien nennen ihn „den magischen Orthopäden”. Er ist „der Lebensretter”, „der Wunder-Erfinder”, einer, der eine spezielle Verbindung zu Gott hat, weltberühmt, der „das Skalpell wie einen Zauberstab führt” und Angebote für zehntausende Euro abgelehnt hat, „um rumänischen Kindern zu helfen, die ihn brauchen”.

Er beansprucht, der Erfinder von 90 neuen Operationstechniken in seiner 30-jährigen Karriere zu sein. Andreea war eine solche Premiere.

Termin bei der Koryphäe

Mitte August 2013 schafften es Ana Maria und Andreea in die Sprechstunde des „Professors“ im Queen-Mary-Krankenhaus. „90 Euro für zwei Minuten seiner Zeit. Ich brachte sie auf ihrem kleinen Stühlchen rein, er zog ihr T-Shirt hoch, ja, er sah ihre Skoliose, eine Operation ist nötig, kommen Sie zum genannten Termin ins Marie-Curie-Hospital, gute Reise”, erinnert sich Ana Maria.

„Also gingen wir ins Marie-Curie-Hospital, und ich blieb dort eine Woche lang, während der ich in einem dieser Babybetten mit Gittern schlief, ich und sie im gleichen Bett. Ich fühlte mich wie in einem Zoo. Unmenschliche Bedingungen. All das nur dafür, um eine Woche später festzustellen, dass Andreea eine Kernspintomografie benötigt.” Sie gaben ihr die Adresse einer privaten Einrichtung und sagten ihr, dass sie einen Termin ausmachen solle. Der erste freie Termin war im November.

Andreea und Ana Maria blieben vom 18. November bis zum 18. Dezember im Marie-Curie-Hospital. Ana Maria erinnert sich, dass der Professor eine Woche, nachdem sie aufgenommen worden war, die Krankenstation besuchte, Andreea kurz ansah und sagte: Wir werden Shilla einsetzen. Wir müssen ein Telefonat führen und eine Bestellung machen.

Shilla?, fragte einer der anderen Ärzte erschrocken. Ja, ja, antwortete der Professor. Und damit war das erledigt.

Das von Burnei montierte Shilla-Implantat

Das von Burnei montierte Shilla-Implantat

Das Shilla-Implantat besteht aus zwei Stangen, die mit Schrauben an der Wirbelsäule befestigt werden. Ein Arzt aus Arkansas hat es sich patentieren lassen. Zum Zeitpunkt von Andreeas Operation hatten es nur eine Handvoll Ärzte aus Großbritannien und Polen eingesetzt. In den USA war es noch nicht zugelassen. Der Vorteil gegenüber bestehenden Implantaten ist, dass keine nachfolgenden Operationen nötig sind, da es zusammen mit der Wirbelsäule wächst.

Allerdings bestätigten uns mehrere medizinische Quellen, dass das Implantat nicht für Patienten mit spinaler Muskelatrophie geeignet ist. Shilla hätte nur die Wirbelsäule des Mädchens betroffen, während ihr Becken gekippt geblieben wäre und sich aufgrund des neuromuskulären Zustands nicht hätte aufrichten können. Das Implantat war deswegen nutzlos.

Ich zeigte Andreeas Röntgenbilder dem auf Wirbelsäulen-Operationen spezialisierten Kinder-Orthopäden Alexandru Thiery und fragte ihn, was in ihrem Fall die geeignete Therapie wäre. „Ich hätte gewartet, bis Andreea zehn Jahre alt ist. Dann wäre bei ihr eine herkömmliche Wirbelsäulenversteifung möglich gewesen”, sagt Thiery. Zur Verringerung der Skoliose des Mädchens hätte es noch andere Möglichkeiten gegeben: „Dual Growing Rod” ist derzeit eine Standard-Technik.

Burnei verlangte von Ana Maria, einen Teil der Kosten für das Shilla-Implantat zu übernehmen. „Mein Anteil lag zwischen 10.000 und 11.000 Euro, zusätzlich musste ich Burnei natürlich auch noch bezahlen … Der Vater eines Klassenkameraden von Andreea hat mir geholfen, das Geld aufzutreiben. Als er erfuhr, dass sie bei der OP gestorben ist, fiel er vor mir auf die Knie, mitten auf der Straße. Er sagte, es sei seine Schuld. Andreea wäre nie operiert worden, wäre nicht gestorben, hätte er mir kein Geld gegeben.”

Quellen aus dem Krankenhaus sagen, nach dem Tod seien die Kosten für das Implantat von der Nationalen Gesundheitsbehörde erstattet worden. Die Mutter hätte nie einen Cent dafür bezahlen müssen.

„Es sollte keine Probleme geben“

Ana Maria versuchte vor der Operation mehrfach, Genaueres über den Eingriff zu erfahren. Doch statt mit dem Chirurgen konnte sie nur mit dem Anästhesisten reden, der sie auch nur über die Risiken aufklären konnte, die die Narkose betrafen. Es war dieser Arzt, der ihr die Erklärung, dass sie die Risiken des Eingriffs belehrt worden sein, zum Unterzeichnen gegeben hatte.

„Ich versuchte wieder und wieder, Burnei zu erreichen, um ihn zu fragen, um was es genau geht. Aber er war immer in Eile. Schließlich bestellte er mich in einen Aufenthaltsraum für Assistenzärzte. Alles, was er sagte, war: Die Wirbelsäule muss gerichtet werden.”

„Ist es riskant?”, fragte ich.

„Der Eingriff ist relativ kompliziert, aber es sollte keine Probleme geben.”

An einem Freitag kehrte Ana Maria heim. Was gerade passiert war, verstand sie nicht.

„Am Anfang kann man es einfach nicht realisieren … die Tage der Totenwache und während der Beerdigung mussten sie mich mit Tabletten ruhigstellen. Ich sah sie da liegen und verstand nicht, dass sie es war.”

„Ich fühlte mich schuldig, hatte Panikattacken, ich konnte nicht allein schlafen, ich nässte ein, ich hatte Erstickungsanfälle.”

„Etwa einen Monat, nachdem Andreea gestorben ist, fiel ich in eine tiefe Depression. Ich spürte ihren Verlust, ein, zwei, drei Tage … dann öffnete ich einen Schrank und Bäm!, da waren ihre Klamotten … und ich fiel zurück in die Zeit, als ich ihr diese kleine Bluse gekauft hatte, wie sehr sie sich über dieses Kleidchen freute, stolperte über den kleinen Wagen, auf dem sie so oft saß, ihre Schreibhefte, ihren Schulranzen …”

„Es sind die kleinen Dinge, Mensch, die einen richtig fertigmachen. Sie konnte sich nicht allein im Bett drehen oder zudecken. ‚Mami, dreh mich, Mami, mir ist warm, mir ist kalt, mein Fuß ist taub‘ – so sahen meine Nächte aus. Ich war die meiste Zeit wach, aber ich gewöhnte mich daran. Manchmal sagte sie im Traum zu mir, Mami, weck mich auf und ich wachte auf, instinktiv, nur … jetzt war da niemand mehr. Ich war allein im Bett. Dann setzte der Schmerz ein und ich begann zu weinen. Ich stand auf und rannte in das Zimmer meiner Mutter, legte mich neben sie ins Bett, und sie wusste schon bescheid, was los war. ‚Hast du wieder von ihr geträumt?‘”

Ich hatte Angst einzuschlafen.

Ungefähr einen Monat nach der Beerdigung wurde sich Ana Maria bewusst, dass sie das Krankenhaus ohne ein einziges Papier in der Hand verlassen hatte. Kein Entlassungsschein, keine Krankenakte, keine Rechnung, mit keinem einzigen Dokument konnte sie beweisen, dass ihre Tochter jemals einen Fuß in die Marie-Curie-Klinik gesetzt hatte.

Also musste sie dorthin zurück.

„Ich betrat das Krankenhaus, versuchte meine Schritte nachzuvollziehen, und mit jedem Schritt wurde ich zurückversetzt in die Zeit, die ich mit Andreea hier verbracht habe …

Als er mich sah, wurde er bleich im Gesicht, er kapierte nicht, was ich hier wollte. Er rief mich in sein Büro, nur mich, mein Vater und meine Patentochter mussten draußen bleiben.”

Ana Maria erinnert sich, wie Burnei ihr in Anwesenheit des Krankenhaus-Psychologen erklärte, „dass er alles chirurgisch Mögliche getan hatte, dass es die Schuld des Anästhesisten war, dass dieser versäumt hatte, zusätzliche Bluttests zu machen, dass mein kleines Mädchen ein Problem mit ihrem Blut hatte und dass sie starb, weil ihr Körper die Bluttransfusion abstieß”.

Auf dem Flur hielt er sie noch einmal an, „um mir noch einmal einzuprägen, dass ich zum Staatsanwalt gehen sollte (die Staatsanwaltschaft ermittelte bereits von Amts wegen, d. Red.), um ihm zu sagen, dass ich wüsste, was passiert ist, dass er es mir erklärt habe, und dass ich die Sache ruhen lassen sollte. ‚Gehen Sie gleich.‘ Er trichterte mir ein, was ich tun sollte und ich sagte: ‚Ja, Herr Doktor, natürlich‘, aber für mich dachte ich:

„Bleib du nur ganz ruhig dort, wo du bist, aber das wird anders laufen, als du denkst. Gott verdammt, wir reden hier über mein Kind, nicht über ein Auto!”

Burnei schiebt Schuld auf Narkosearzt

In einem Statement im rumänischen Fernsehen verwies Burnei ebenfalls auf einen vermeintlichen Fehler des Narkose-Arztes: „Die Anästhesisten konnten wahrscheinlich den Blutverlust nicht ersetzen.” Das ist auch, was Ana Maria zwei Jahre lang glauben sollte, bis sie den Bericht des Gerichtsmediziners las. Darin stand, dass die Operation nie hätte durchgeführt werden sollen, dass schwere chirurgische Fehler gemacht worden waren, allen voran das Einführen einer Schraube in das Rückenmark.

In dem Statement, das Burnei während der Ermittlung gab, die nach dem Tod des Mädchens eingeleitet worden war, erklärte er, die Mutter über alle eventuellen Risiken aufgeklärt zu haben, und dass es das Ziel der Operation gewesen sei, Andreeas Leben zu verlängern, „zum obersten Limit der Überlebensfähigkeit, unter Anbetracht ihrer Krankheit”. Der Gerichtsmediziner sagt, dass die OP keinen Unterschied gemacht hätte.

In einem Interview, das Burnei uns im September gegeben hat, sagte er: „Der Tod des kleinen Mädchens war die Folge einer Komplikation, die während jedes anderen Eingriffs auch vorkommen kann. Denn der Einsatz eines Implantats, das zum ersten Mal verwendet wird, was nichts mit chirurgischer Technik zu tun hat, kann zu einer Situation führen, die ebenfalls die erste ihrer Art ist.”

„Aber das ist nicht das Wichtigste an der Sache: Fakt ist, dass es zu einem Vorfall kam, der überall hätte vorkommen können. Ich meine, das ist keine Situation, wo man sagen, dieses passierte, weil jenes passierte.”

„Während Ihrer gesamten Karriere, haben Sie jemals einen Fehler gemacht?”

„”Nein.”

Ein paar Monate nach dem Tod von Andreea berichteten die Medien erneut von einer medizinischen Premiere: Zum ersten Mal werde eine Shilla in Rumänien transplantiert.

Ana Maria flippte aus, als sie den Nachrichtenbeitrag sah. Sie rief alle TV-Sender an, um ihnen zu sagen, dass es schon einmal so eine Premiere gegeben habe - und nun sei ihre Tochter tot. Es hat so gut wie niemanden interessiert.

Nach dem Tod des Mädchens transplantierte Burnei noch zwei weitere Shilla. Aus medizinischen Quellen heißt es, dass bei dem dritten Patienten Schrauben im ganzen Körper gefunden wurden.

„Ich bin mit ihr gestorben“

Ana Maria schloss die Schwesternschule ab, die sie begonnen hatte, um Andreeas Krankheit zu verstehen. Letztlich hat ihr die Schule geholfen, denn die Nachtschichten in der Notaufnahme lenkten sie vom Schicksal ihres kleinen Mädchens ab.

„Ich bin völlig in die Arbeit in der Notaufnahme untergetaucht; ich habe in meinen Arbeitssachen geschlafen. Wenn einer meiner Kollegen einen Tag frei haben wollte, wusste er: Ana Maria wird für ihn übernehmen. Zu Hause fühlte ich mich nicht wohl. Denn dort stand ihr Stühlchen, ein Holzstühlchen, extra angefertigt mit einem kleinen Tisch.

Um eines klarzustellen: Ich lebe nicht. Ich habe aufgehört zu leben. Ich krieche. Ich bin mit ihr gestorben.”

Ana Maria schaut auf ihre Entscheidung zurück, Andreea nach Bukarest zu bringen. Sie fragt sich, ob sie das, irgendwie, hätte verhindern können, ob es da nicht ein Zeichen gegeben habe, das sie vor der drohenden Katastrophe hätte warnen können.

Es gab Träume … bis heute schwebt einer dieser Träume über dem Bett, in dem Andreea und Ana Maria jede Nacht gemeinsam eingeschlafen sind:

„Oma, ich habe vergangene Nacht geträumt, dass ein Krokodil meine linke Hand herausgerissen hat und dass es sehr wehgetan hat und ich weinte und Gott kam und hat die Hand wieder drangesteckt und mich gesund gemacht.”


Dies ist eine Recherche des unabhängigen Journalistenkolletivs Casa Jurnalistului. Er ist erstmals am 13. Dezember 2016 auf Rumänisch erschienen. Casa Jurnalistului liegen mittlerweile Hunderte weitere Aussagen von Opfern oder Angehörigen von Opfern Burneis und anderer rumänischer Ärzte vor.

Fotos: Horia Petrascu (in Amiras Haus), Vlad Petri (im Krankenhaus). Redaktion: Vlad Ursulean, Ștefan Mako. Übersetzung: Victor Bitiușcă, Christian Gesellmann u. a. Lektorat: Șerban Anghene; Vera Fröhlich. Vielen Dank: RISE Project, Cătălin Tolontan. Englischsprachige Version, rumänischsprachiges Original.