„Schnelltests sind die großen Verlierer der letzten 15 Jahre“
Psyche und Gesundheit

Interview: „Schnelltests sind die großen Verlierer der letzten 15 Jahre“

Pedro Alonso hat 30 Jahre Erfahrung im öffentlichen Gesundheitswesen. Seit Mitte 2014 leitet der Spanier das Globale Malaria-Programm der Weltgesundheitsorganisation in Genf. Wir sprachen mit dem Arzt über Schnelldiagnosetests.

Profilbild von Interview von Ainhoa Iriberri

Im Büro von Pedro Alonso hängt ein Plakat mit chinesischen Schriftzeichen. Als der Fotograf die Beleuchtung verbessern will, zeigt Alonso auf das Poster und sagt: „Das da ist wirklich wichtig.“ Er übersetzt: „Malaria ist nicht irgendeine Aufgabe, die gemacht werden muss; sie ist ein Problem, das gelöst werden muss.“

Welche Rolle spielen diese Tests im Kampf gegen Malaria?

Die Tests sind die großen Verlierer der letzten 15 Jahre. Wenn wir über die großen Erfolge bei Malaria sprechen, zeigen wir auf die mit Insektizid imprägnierten Moskitonetze, die in der Tat ein Schlüssel waren. Hinzu kommen die Moskito-Kontrolle, neue Medikamente gegen Malaria, Artemisinin-Derivate – dafür gab es einen Nobelpreis - aber wir vergessen immer, dass die Diagnose der Krankheit einer der großen Meilensteine war.

Wie war die Situation, bevor es diese Tests gab?

Früher brauchte man für die Diagnose Lichtmikroskope. Aber wie viele Menschen kennen einen Spezialisten, der sich mit Mikroskopie auskennt; wer hat Zugang zu einem funktionierenden Mikroskop; zu jemanden, der die Proben anfärben und richtig auswerten kann? Ich sage Ihnen, in Afrika ist das nur ein geringer Anteil der Bevölkerung.

Und wie kam es überhaupt zu Schnelltests?

Die Frage ist nicht so sehr, wie es dazu kam, sondern warum dies nicht eher passiert ist. Denn das Prinzip ist dasselbe wie bei Schwangerschaftstests. Obwohl es viele Versuche gab, so etwas zu entwickeln, wurde es zunächst bei Malaria nicht genutzt…

Was hat sich verändert?

Wir haben jetzt einen diagnostischen Test, der in weniger als einer Minute zu einem Ergebnis führt. Und der auch von nicht spezialisiertem Personal in den entlegensten Orten der Welt eingesetzt werden kann, auch ohne Strom. Die Tests können selbst auf der Straße gemacht werden, in dem, was wir Point of Care nennen. Im vergangenen Jahr wurden 200 Millionen Testsets verteilt, also 200 Millionen Diagnosen erstellt (oder verworfen), die es andernfalls nicht gegeben hätte.

Wie wurde Malaria früher ohne Mikroskope oder Technik vor Ort diagnostiziert?

Bis vor ein paar Jahren war die wichtigste Strategie bei der Behandlung die reine Vermutung. Wenn jemand in einem Endemiegebiet Fieber hatte oder sich nicht wohlfühlte, wurde er einfach direkt gegen die Krankheit behandelt. Die Schnelltests machen es uns jetzt möglich, nur echte Malariafälle zu behandeln. Sie sind eines der zentralen Werkzeuge gegen diese Krankheit.

Sind alle Schnelltests zuverlässig?

Die WHO unterstützt sogenannte vorqualifizierte Tests. Wir unterziehen alle Tests Qualitätskontrollen und nur diejenigen, die die Kriterien erfüllen, werden ausgewählt. Es gibt etwa 60 Marken.

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Arbeiten sie alle nach dem gleichen Prinzip?

Nein. Es gibt zwei Mechanismen. Die meisten arbeiten so, dass sie ein sogenanntes Antigen HRP II erkennen. Der Rest ortet das Enzym pLDH. Unter den letztgenannten finden wir den PMA-Test, der gleichzeitig zwei Parasiten erkennt - Plasmodium vivax und Plasmodium falciparum. Diese beiden Erreger verursachen die schwersten Verläufe der Krankheit.

Allerdings scheint es mit den zuerst genannten Tests ein Problem zu geben…

Nein. Es wäre zu früh, von einem Problem zu sprechen. Wir untersuchen gerade einige Fälle, in denen es Fehler mit Tests gegeben hat, die HRP II nachweisen. Wir haben die ersten Nachrichten darüber vom Gesundheitsministerium in Eritrea bekommen. Dort gab es Fälle von Malaria, die negativ auf Schnelltests, aber positiv bei Lichtmikroskopie ansprachen.

Was hat das Programm, dessen Chef Sie sind, dann gemacht?

Die WHO führte eine Untersuchung durch. Wir schickten unsere beste Expertin nach Eritrea. Sie entdeckte, dass es in dem Land in der Tat Gegenden gibt, wo ein großer Teil der Parasiten dieses Protein nicht oder nicht mehr haben, was eher ein Anlass zu Sorge wäre. Wir fangen an, Daten in anderen Teilen Afrikas zu erheben, wo sich etwas Ähnliches abzeichnet.

Was gilt im Moment als gesichert?

Noch ist unklar, ob es sich um Einzelfälle handelt, aber es scheint sich zu einem echten Problem zu entwickeln. Bevor wir wissenschaftliche Arbeiten zu diesem Thema veröffentlichen, wollen wir vorankommen. Wir müssen Botschaft vermitteln, dass Schnelltests weiter zuverlässig sind, sie nicht in Frage gestellt und natürlich auch weiter verwendet werden. Die WHO wird mit allen Ergebnissen transparent umgehen.

Aber wenn dieser Befund bestätigt wird und verallgemeinert werden kann, gibt es einen Plan B?

Ja. Weil es nur diejenigen Tests betrifft, die das Protein HRP II nachweisen. Wir hätten als Backup die Tests, die mit dem pLDH-Enzym arbeiten. Allerdings gibt es weltweit nur zwei Produzenten mit Tests, die Qualitätskontrollen bestanden haben. Das könnte zu einem bestimmten Zeitpunkt zu einem Versorgungsengpass führen. In jedem Fall gibt es noch zu viel Ungewissheit. Wir wollen Ruhe haben im Hinblick auf die am häufigsten verwendeten Schnelltests.

Trotz der 200 Millionen Schnelltests, die in Afrika verteilt wurden, ist die Malaria-Diagnose nach wie vor ein Problem?

Ja. Es ist eine unserer großen Herausforderungen. Wir haben jedes Jahr immer noch 200 Millionen klinische Malaria-Fälle und 438.000 Todesfälle jährlich. Das sind, technisch gesehen, 438.000 Fehlschläge, denn niemand sollte an Malaria sterben. Es ist eine weitgehend vermeidbare und vollkommen heilbare Krankheit, wenn sie früh erkannt wird. Diese Fehlschläge gibt es, weil wir etwas nicht richtigmachen, nicht nur im Hinblick auf die Prävention, sondern auch in Bezug auf die Diagnose und Behandlung.

Und was läuft schief bei der Diagnose?

Es ist ein klares Problem des Zugangs. Obwohl Schnelltests fast überall eingesetzt werden können, gibt es viele Orte in Afrika ohne Zugang zu einem Minimum an Gesundheitsversorgung, und sei es nur eine Hütte, zu der einmal pro Woche eine Krankenschwester kommt. Und natürlich gibt es ein Kommunikationsproblem. Es ist nicht das gleiche, 20 Kilometer von Madrid entfernt zu sein, oder die gleiche Strecke in Mosambik bewältigen zu müssen, wo Sie drei Flüsse überqueren und zu Fuß gehen müssen. Es gibt auch das Problem der Unkenntnis. Aber ich würde sagen, das ist nicht das wichtigste. Obwohl man wissen muss, dass man mit einem kranken Kind einen Schnelltest machen und nicht den örtlichen Heiler aufsuchen sollte.

Sind die Kosten für die Tests ein Problem?

Die meisten kosten weniger als einen Dollar. Die Kosten tragen teilweise die Länder selbst oder der Global Fund to Fight AIDS, Tuberkulose und Malaria. Der wiederum wird weitgehend aus öffentlichen Mitteln gespeist, als Teil der internationalen Zusammenarbeit.

Wenn Sie alle Maßnahmen zur Malaria-Kontrolle einstufen sollten, wo würden da die Schnelltests rangieren?

Im September haben wir einen Bericht über die globale Malaria-Lage veröffentlicht. Darin versuchen wir den Anteil der verschiedenen Maßnahmen am Fortschritt in den letzten 15 Jahren zu beschreiben. Eigentlich ist es eine Frage, deren Antwort keine große Analyse erfordert, aber wir machen es zur eigenen Beruhigung. Was wir gefunden haben, weiß jeder Student: Prävention ist wichtiger als Heilung. Danach führt die Analyse mehr als 60 Prozent der Verbesserung auf mit Insektiziden imprägnierte Moskitonetze zurück. Der Rest teilt sich zwischen besseren Medikamente und besserer Diagnose auf, wobei Schnelltests eine wichtige Rolle spielen.


Aufmacherbild: Pedro Alonso; Foto: Rodrigo Carrizo Couto.

Dieser Beitrag ist das Ergebnis einer Zusammenarbeit mit unseren spanischen Kollegen von El Español. Die viermonatige Recherche wurde ermöglicht mit 9.500 Euro aus dem „Innovation in Development Reporting Grant Programme“ (IDR) des European Journalism Centre (EJC) mit Unterstützung der Bill & Melinda Gates Foundation. Weitere Kooperationspartner sind Quartz , Radio Ambulante und Efecto Cocuyo ¡Muchas gracias!