Aktualisiert am 09.09.2020
Wenn es um Verhütung geht, werden viele Frauen spätestens dann sauer oder schwermütig, wenn sie ihr zweites Glas getrunken haben. Es ist ja auch unfair. 47 Prozent, also fast die Hälfte aller Frauen zwischen 18 und 49 Jahren nimmt die Pille. Die Zahl geht zwar zurück, aber es sind immer noch wahnsinnig viele. Und erweckt den Eindruck, als wären Frauen viel stärker dafür verantwortlich, ob beim Sex ein Baby entsteht oder nicht. Männern hingegen wird vorgeworfen, dass sie sich nach wie vor nicht genug für Verhütung interessieren.
Das kann man aber auch anders sehen. Denn immerhin 46 Prozent der Männer verwenden Kondome. Und andere Möglichkeiten haben sie gar nicht – außer, sie lassen sich sterilisieren. Frauen hingegen haben immerhin die Wahl zwischen Cremes, Verhütungsfilm, Schwamm, Zäpfchen, Pessar, Spirale, Femidom und Hormonen in Form von Spritzen, Implantaten, Pflastern, Ringen… – lauter Mittel, die ausschließlich für Frauenkörper funktionieren. Auch das ist unfair. Wären Schwangerschaften wie Kopfschmerzen, wäre allen klar, wie seltsam es ist, dass Frauen viel mehr Möglichkeiten haben, sie zu verhindern.
Von Verhütungsgerechtigkeit kann unter diesen Umständen natürlich keine Rede sein. Von Frauen wird quasi automatisch erwartet, dass sie ab Einsetzen der Pubertät künstliche Hormone nehmen, da ja nichts einfacher und effizienter Babys verhindert. Und noch dazu positive Nebenwirkungen hat: Die Pille lässt – Brüste schwellen! Haare glänzen! Klärt die Haut! – mit solchen Versprechen konkurrieren die Herstellerfirmen um Kundinnen.
Aber natürlich sind Geschlechtshormone keine Smarties. Sie gehören zu den stärksten Stoffen, die ein Mensch sich zuführen kann, wie jeder weiß, der schon mal in der Pubertät war. Im Gegensatz zu den erwünschten Effekten werden die negativen Nebenwirkungen meistens heruntergespielt. Die meisten Frauen wissen aber, dass es sehr schwierig sein wird, ein Mittel zu finden, dass weder depressiv noch fett macht noch die Libido lahmlegt. Für Männer wiederum ist die pillenlose Situation unfair, weil sie ein solches Mittel noch nicht einmal benutzen könnten, wenn sie es wollten. Wenn sie also weder Gummis benutzen (unpopulär beiden Geschlechtern) noch ihre Samenleiter durchtrennen wollen (macht man nur dann, wenn man wirklich, wirklich keine Babys will), sind sie darauf angewiesen, dass ihre Partnerin sich kümmert.
Das ist absurd. Wir schreiben das Jahr 2020. Die Wissenschaft hat unglaubliche Dinge erreicht: Es gibt Autos, die ohne Fahrer unterwegs sein können, und schon längst ist es möglich, Quallen-Gene in Kartoffeln einzubauen. Aber es gibt keine Pille für den Mann. Dabei hat schon in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts die WHO erklärt, dass auch Männer hormonell verhüten könnten. Es ist bekannt, dass eine hormonelle Kombination aus Testosteron und Gestagen Spermien lahmlegt. Und tatsächlich blitzen jedes Jahr ein paar Meldungen in den Medien auf, die verkünden, der Durchbruch in Sachen Männerpille sei schon fast da. Aber das Medikament gibt es immer noch nicht. Warum nur?
In Studien machten Hormone manche Männer depressiv und dick – den Effekt kennen Frauen schon lange
Ein Problem bei der hormonellen Verhütung sind die Nebenwirkungen. Zehn Prozent der Männer, die bei Tests Hormone bekamen, wurden depressiv, nahmen zu und bekamen Hautprobleme. Will man Spermien mechanisch blockieren, liegt die Schwierigkeit wiederum in der Quantität: Männer produzieren Unmengen an Spermien – etwa 1.000 pro Sekunde – von denen jedes einzelne aufgehalten werden muss, damit ganz sicher keine Befruchtung passiert. Bei Frauen hingegen muss nur ein einziges Ei im Monat gestoppt werden.
Der wichtigste Grund aber lautet wohl: Es ist einfach nicht klar, ob sich Geld mit Anti-Baby-Mitteln für Männer verdienen lässt. Weswegen Forscher, die eine Lösung entwickeln wollen, nicht genug finanzielle Unterstützung bekommen. Bayer-Schering, weltweit Marktführer für die Pille für Frauen, gab die Entwicklung einer Hormonspritze für Männer vor Jahren auf, weil klargeworden war, dass das Produkt kein Verkaufsschlager sein würde – der Nebenwirkungen und Darreichungsform wegen (es piekt), aber auch, weil die Pille für Frauen seit Jahrzehnten ein bezahlbares, zuverlässiges und deshalb extrem erfolgreiches Produkt ist. Klar, irgendwie: Ein Unternehmen, das marktwirtschaftlich denkt, wird kaum ein Konkurrenzprodukt auf den Markt bringen, das nicht besser ist, als das bereits bekannte, und das die Kundinnen bereits massenweise bereitwillig schlucken, Nebenwirkungen hin- oder her.
Die Pille für Frauen ist das Standard-Verhütungsmittel, so sehr, dass Krankenkassen sie jungen Frauen unter zwanzig bezahlen. Und die meisten Frauenärzte verwandeln ihre Gesichter in ratlose Fragezeichen, wenn eine Patientin die Pille nicht will. Die Pille ist eines der erfolgreichsten Pharmaprodukte, die es je gab, und das beliebteste aller Verhütungsmittel. Fast die Hälfte der Frauen im zeugungsfähigen Alter nehmen sie. Und zwar nicht nur, weil sie von ihren Männern dazu gedrängt werden. Sondern weil die Pille auch Kontrolle bedeutet. Frauen erleben die Konsequenzen schlechter Verhütung unmittelbar an ihrem eigenen Körper. Klar, dass sie sich lieber auf sich selbst verlassen.
Solange es aber kein größeres Interesse an Pillen, Spritzen oder Implantaten für Männer gibt beziehungsweise keine größere Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Kunden sie auch kaufen, passiert zu wenig. Die Situation ist paradox: Es gibt kaum Verhütungsmittel für Männer, und daher wird Verhütung als Frauensache wahrgenommen. Entsprechend werden Verhütungsmittel für Männer nicht nachgefragt und Unternehmen sehen keinen Grund, sie zu produzieren. Darum gibt es keine Verhütungsmittel für Männer…
Spermien vertragen keine Hitze. In den 80er Jahren hat deshalb die Gruppe der „Zürcher Hodenbader“ ihre Hoden wochenlang immer wieder in heißem Wasser gebadet. Dadurch wurden sie vorübergehend unfruchtbar. Das klingt lustig, hatte aber einen politischen Hintergrund: „Wir haben uns überlegt, was wir konkret zur Gleichstellung von Mann und Frau beitragen können. Politische Diskussionsgruppen und auch der Druck der Freundinnen haben uns zur Machbarkeitsstudie des Badens geführt“, erklärt ein Ehemaliger. Mehr zu dieser Geschichte hier.
Forscher denken deswegen schon länger darüber nach, dass man vielleicht größere Anreize für Männer schaffen müsste, damit sie bereit wären, neue Mittel auszuprobieren. Diese müssten also mehr können, als nur Babys verhindern. Zukünftige Verhütungsmittel für Männer müssten, überlegte 2011 der Scientific American, nicht nur Schwangerschaften verhindern, sondern zusätzliche Anreize bieten: Nebenwirkungen wie Muskelzuwachs, Fettabnahme oder Vorbeugung gegen Haarausfall.
Ob das jemals klappen wird, ist fraglich. Das nächste große Ding in Sachen Verhütung für Männer ist allerdings schon in Aussicht: Gerade wir das Vasalgel getestet, ein Gel, das in den Samenleiter gespritzt wird und sich dort festsetzt. Spermien, die an dieser Gelblockade vorbei wollen, sterben ab. De facto ist der Mann dann steril, allerdings kann das wieder rückgängig gemacht werden. Bei Affen und Hasen funktioniert es schon. Ob Männer sich das Gel wirklich spritzen lassen werden wollen – das ist eine Frage, auf die wir erst in einigen Jahren eine Antwort erhalten werden.
Das Aufmacher-Foto hat Martin Gommel ausgesucht (iStock / Altayb)