Woran merke ich, dass meine Angst stärker ist als die anderer Menschen?
Entscheidend ist, ob die Angst übersteigert ist, also nicht zur Situation passt. Wenn man sich etwa häufig viel mehr Sorgen macht, als nötig wäre. Vor allem aber geht es um die Frage, ob mich die Angst in meinem Leben beeinträchtigt. „Wenn ich eine Phobie vor Elefanten habe, beeinträchtigt mich das normalerweise in Europa nicht, aber eine Taubenphobie schon“, sagt Ströhle. Was aber nicht heißt, dass alles in Butter ist, wenn man alle angstauslösenden Situationen einfach vermeidet. „Es kann passieren, dass ich aufgrund dieser Angst vor immer mehr Situationen Angst bekomme.“ Es ist also immer besser, sich seiner Angst zu stellen. Nicht mit einer militärischen Entschlossenheit, sondern in dem Bewusstsein, dass es nicht gut ist, von Angst kontrolliert zu werden. Dabei kann man sich Hilfe suchen. Wie, steht weiter unten („Wie gehe ich mit unbegründeten Angstzuständen um“)
Menschen aus reichen Ländern scheinen mehr Angst zu haben als Menschen aus armen Ländern. Ist das wirklich so?
Angststörungen kommen universell vor, in Schweden genauso wie im Libanon. Es gibt aber tatsächlich große Unterschiede darin, wie viele Angststörungen in Ländern diagnostiziert werden. Laut WHO nehmen hier die USA die Spitze ein. 19 Prozent der Amerikaner erkranken demnach innerhalb eines Jahres an einer Angststörung. Auch Frankreich steht weit oben in der Statistik, hier liegt die Zahl bei 13,7 Prozent. Die Deutschen liegen bei den Industrieländern im Mittelfeld, in der WHO-Statistik sind es 8,3 Prozent (allerdings schwanken auch diese Zahlen je nach Quelle - das Robert-Koch-Institut nennt für den gleichen Zeitraum etwa 16 Prozent). In Israel wiederum haben nur 3,6 Prozent dieses Problem, in China 3 Prozent. Allein an dieser Auflistung lässt sich erkennen, dass die Zahlen allein nur bedingt Auskunft darüber können, ob Menschen in armen Ländern mehr Angst haben. Kulturen können Ängste unterschiedlich stark gewichten und akzeptieren, das wirkt sich auf die Diagnosen aus. Und Angststörungen zeigen sich auf mehreren Ebenen. In China etwa betrachtet man hauptsächliche die körperliche Komponente (zum Beispiel Herzrasen, Zittern, Mundtrockenheit) und lässt die psychischen Aspekte beiseite. In Ländern, in denen der psychische Aspekt eine hohe Rolle spielt, sind die Zahlen viel höher.
In den Industrieländern nehmen die Menschen auch viel mehr Antidepressiva (die gegen Angststörungen verschrieben werden). Was wiederum, meinen Experten, damit zusammenhängt, dass diese Medikamente hier mehr akzeptiert und verschrieben werden. Also nicht daran, dass Menschen in Island (Spitzenreiter im Antidepressiva-Konsum) unbedingt unglücklicher sind als in Chile.
Die OECD allerdings führt den zunehmenden Verbrauch in Europa auch auf die Auswirkungen der Finanzkrise zurück. Der Konsum ist seitdem schnell gewachsen.
Wie kann man jemandem helfen, der darunter leidet?
Das ist ein Balanceakt. Erst einmal kann man die Person darin unterstützen, sich professionelle Hilfe zu suchen. Bei einem Psychiater und/oder einem Therapeuten, meistens behandelt man Angstkranke mit Verhaltenstherapie. Denn Angstkranke tendieren dazu, Situationen zu vermeiden, die bei ihnen Angst auslösen. Das kann man natürlich sehr gut verstehen. Wenn ein Angstkranker sich vor seiner Angst fürchtet, kann das zum Teufelskreis werden. Es ist deshalb wichtig, dass sie sich nicht zu sehr verkriechen und bewusst und schrittweise in diese Situationen gehen. Das müssen sie nicht allein tun, man kann sie dabei auch als Freund begleiten. Eine Therapie ist das noch nicht, aber ein Angstlerntraining. „Man hat zwar den Impuls, Menschen Dinge abzunehmen, vor denen sie Angst haben, aber das hilft nicht - oder höchstens am Anfang. Es ist nicht einfach, den Mittelweg zu finden - einerseits zu unterstützen, andererseits zu konfrontieren“, sagt Ströhle.
Und noch ein Tipp: Sport kann helfen. Eine Trainingseinheit von 30 Minuten kann helfen, Angst zu reduzieren. Unmittelbar danach ist die Angst vielleicht sogar stärker, aber später setzt eine positive Wirkung ein.
Wie kann man trotz Angst erfolgreich sein?
„Ein Mensch mit Angststörung ist bei adäquater Behandlung nicht weniger leistungsfähig als andere“, sagt Ströhle. Manche Forscher glauben sogar, dass intelligente Menschen oft ängstlicher sind als der Durchschnitt (was aber nicht heißt, dass es keine gelassenen Genies geben kann oder dass weniger schlaue Menschen immer entspannter sind). Ängstliche Menschen sind manchen Studien zufolge außerdem besonders effizient, weil sie sehr genau arbeiten. Für Ströhle ist entscheidend, dass man wirklich in Behandlung geht, wenn man krankhaft ängstlich ist. „Ohne diese kann die Erkrankung aber zu einer deutlichen Beeinträchtigung führen.“
Wie lässt sich Angst Partnern Freunden vermitteln, ohne dass dies zu dramatisch klingt oder man mich nicht ernst nimmt?
Ströhle findet in einer solchen Situation Selbsthilfebücher gut. Die kann man seinen Angehörigen geben, und das ist oft leichter, als seine Probleme selbst zu erklären. Aus den Büchern geht auch hervor, dass diese Störung nicht nur übertriebene Empfindlichkeit ist, sondern wie beeinträchtigend sie sein.
Wenn man verstehen will, wie sich ein Angstkranker fühlt, kann man kann versuchen, sich an eine Situation zu erinnern, in der man große Angst hatte. Eine Angststörung haben heißt, sich ständig so zu fühlen: genauso bedroht, nur ohne eine Bedrohung zu haben. Das Warnsystem ist hochaktiv, das geht bis hin zu Todesangst. „Es mag für manche komisch klingen, wenn Menschen mit einer Agoraphobie Probleme haben, in einer Schlange zu stehen oder einen Fahrstuhl zu benutzen. Aber diese Menschen haben ein überaktives Alarmsystem, das da anspringt, wo es das bei anderen nicht tut. Man kann sagen, ihre Alarmanlage ist schärfer eingestellt. Und wenn die Alarmanlage die ganze Nacht aktiv ist, bin ich danach auch nicht erholt“, sagt Ströhle.
Lässt sich bei einer „Angstattacke“ physiologische / neurologische Aktivität im Gehirn ausmachen?
Ja. Durch die Angst werden bestimmte Gehirnregionen aktiviert. Man schaut sich in der Forschung dafür das limbische System an, den Mandelkern, den Gedächtnisspeicher, den Hippocampus, frontale Regionen sowie Hirnstamm und vegetative Regionen.
Man kann auch sehen, welche Veränderungen durch Therapien im Gehirn bewirkt werden. Forscher versuchen heute sogar herauszufinden, wie man anhand bildgebender Verfahren am Gehirn sehen kann, welche Therapie für den Besitzer des Gehirns am besten geeignet ist. „So weit sind wir aber noch nicht, und es wird auch keine 100-prozentige Vorhersage geben“, sagt Ströhle.
Wird Angst wirklich als Schwäche wahrgenommen?
Wir akzeptieren Angst bei anderen Menschen gesellschaftlich schon viel mehr als früher. Dennoch empfiehlt Ströhle, nicht immer allen davon zu erzählen (wie auch bei anderen Erkrankungen). „Es gibt Situationen, bei denen Menschen aus gutem Grund zurückhaltend sind, zum Beispiel, weil ihnen dadurch Nachteile bei der Arbeit entstehen können.“
Wie geht man mit unbegründeten Angstzuständen um?
Wenn das öfter passiert und du darunter leidest - hol dir Hilfe. Sprich mit anderen Menschen, aber nicht mit irgendwem, sondern mit Freunden, denen du vertraust, oder geh in eine Angstambulanz. Viele Menschen leiden jahrelang unter Angst, bevor sie sich Hilfe suchen. Das ist wirklich nicht nötig.
Wenn man sich gegen Angst behandeln lässt, bedeutet das auch nicht zwingend, dass man Tabletten nehmen muss. Eine Verhaltenstherapie kann reichen. Die Krankenkasse bezahlt das. Weil es wichtig ist, dass die Chemie zwischen Therapeut und Klient stimmt, kann man erst einmal ein paar Probesitzungen haben. Dabei stellt der Therapeut auch fest, ob die Behandlung überhaupt sinnvoll ist. Erst dann stellt er den Antrag für eine längere Behandlung an die Kasse. Therapeuten können auch Methoden zeigen, mit denen man sich selbst helfen kann, wenn man Angst hat - zum Beispiel mit Atemtechniken
Wo man Hilfe findet:
- In Notfällen: In Angstambulanzen
- Auf der Homepage der kassenärztlichen Vereinigung gibt es Therapeutenlisten
- Ein Selbsthilfeportal für Menschen mit Angst ist hier
Wenn man keinen Therapeuten mit freien Plätzen findet, gibt Ströhle den Tipp, sich an Institute zu wenden, an denen Psychologen ausgebildet werden. Die Wartelisten sind dort häufig kürzer, die Therapie aber deswegen nicht schlechter, denn die angehenden Psychologen stehen unter engmaschiger Supervision.
Kann man Angst nicht auch als gesundes Frühwarnsystem betrachten, statt sie zu pathologisieren?
Absolut. Angst an sich ist nicht falsch. Sie ist einfach die Reaktion auf eine potenzielle Bedrohung. Sie ist dazu da, sich der Bedrohung bewusst zu sein und mit der möglichen Gefahr richtig umzugehen. Eine solche Angst beeinträchtigt mich auch nicht unnötig. „Wenn ich nicht klettern kann und deshalb Angst vor dem Klettern habe, sollte ich auch nicht ungesichert einen Klettersteig hochgehen“, sagt Ströhle.
„Es gibt viele Situationen, wo das Gefühl ein kurzer Hinweis dafür ist, dass es nicht gut wäre, etwas zu machen. Das ist die Angst für einen gesunden Menschen.“ Zum Problem und zur Störung wird Angst, wenn sie übersteigert ist, nicht zur Situation passt und mich ernsthaft einschränkt.
Ist Zukunftsangst ein verbreitetes Phänomen bei „Midtwenties“?
Das fühlt sich vielleicht so an, aber wenn man die generalisierte Angststörung betrachtet - die unspezifische anhaltende Angst - ist es nicht so. Generalisierte Angststörungen treten vor allem bei Menschen im mittleren und höheren Alter stärker auf.
Spezifische Phobien - Angst vor Spinnen, Bakterien oder ähnlichem - entwickeln sich oft in der Jugendzeit. Ausgeprägte Ängste in sozialen Situationen, beginnen schon ab Anfang 20, ab etwa 26 zeigen sich mehr Panikstörungen.
Das Aufmacher-Foto hat Martin Gommel ausgesucht (iStock / NikolaBarbutov)