An Weihnachten bringen sich mehr Menschen um als sonst. Stimmt das?
Psyche und Gesundheit

An Weihnachten bringen sich mehr Menschen um als sonst. Stimmt das?

Einer weit verbreiteten Meinung nach bringen sich zum Jahresende mehr Menschen als zu anderen Zeiten um. Sie fühlten sich rund um das Fest der Liebe besonders einsam und deprimiert. Aber stimmt das wirklich? Eine Antwort in drei Infografiken.

Profilbild von Susan Mücke
Reporterin für Leben und Alltag / Chefin vom Dienst

Hartnäckig hält sich der Mythos, dass die Suizidrate am Jahresende am höchsten ist. Der Dezember ist dunkel und kalt. Und von denjenigen Menschen, die die Feiertage unfreiwillig allein verbringen oder Schicksalsschläge zu verkraften haben, begingen rund um das Fest der Familie mehr Selbstmord. Ich habe mir die Statistiken dazu einmal genauer angesehen. Und erstaunlicherweise ist genau das Gegenteil richtig. Die meisten Suizide ereignen sich in der hellen, warmen Zeit des Jahres. Und die Zahl sinkt in den Wintermonaten zum Teil deutlich.

Im Jahr 2013 etwa war der April mit 969 Selbsttötungen zahlenmäßig der stärkste Monat und der Dezember mit 720 der schwächste. Im Jahr zuvor begingen die meisten Menschen im August Suizid (932), fast 200 mehr als im Dezember. Selbst im nördlichen Finnland, wo im Dezember nur sechs Stunden Tageslicht herrscht, die Winter hart und lang sind, ist die Selbstmordrate im Juli am höchsten. Auf der Südhalbkugel folgt sie übrigens dem gleichen saisonalen Muster und steigt im November und Dezember an.

Die Gründe dafür sind vielfältig: Nach Ansicht von Psychologen wirken gerade die vielfältigen Verpflichtungen in der Adventszeit, von der Firmenweihnachtsfeier bis zum Weihnachtskegeln im Verein, präventiv. Hinzu kommen Annahmen, dass der Serotonin-Spiegel im Frühling und Sommer abfällt, der impulsives und (auto-)aggressives Verhalten dämpft. Damit zusammenhängend treten die meisten Depressionen in dieser Zeit auf, die häufig für einen Suizid ursächlich sind.

Die Schweizer Chronobiologen Verena Lacoste und Anna Wirz-Justice haben schon vor einigen Jahren gezeigt, dass im Frühjahr Nervosität und psychosomatische Beschwerden zunehmen, was für einen hohen Erregungszustand des vegetativen Nervensystems spricht. Die dunklere Jahreszeit empfinden gefährdete Menschen womöglich als natürlich, da sie ihrem Gemütszustand entspricht. Thomas Bronisch vom Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München stellte im Interview mit dem „Kompetenznetz Depression, Suizidalität“ jedoch fest, dass es für die saisonale Variation, die seit langem bekannt ist, bislang noch keine stichhaltige Erklärung gebe.

Sowohl bei den Männern als auch bei den Frauen ist die relative Häufigkeit des Suizids ähnlich verteilt. Sie ist in den Frühlings- und Sommermonaten deutlich höher als in Herbst und Winter. Der Anteil im Dezember ist bei beiden Geschlechtern gleich.

Schaut man sich den Vergleich der Bundesländer an, begingen gemessen an der Gesamtbevölkerung mehr Menschen als irgendwo sonst in Sachsen-Anhalt Suizid. Gut 16 Sterbefälle je 100.000 Einwohner gehen hier bezogen auf das gesamte Jahr auf Selbstmord zurück, während es in Nordrhein-Westfalen knapp 10 waren.

Auch wenn es nicht stimmt, dass sich mehr Männer und Frauen im Dezember umbringen als sonst: Habt ein Auge auf eure Mitmenschen. Einsamkeit und Trauer sind für viele gerade in diesen Tagen ein stiller Begleiter.


Bitte sprich mit anderen Menschen darüber, wenn du an Selbstmord denkst. Hier gibt es Hilfsangebote, du kannst anonym bleiben. Ruf dort an, schreibe eine E-Mail oder nutze die Möglichkeit zum Chat oder zum persönlichen Gespräch.

Aufmacherbild: Snowflakes (Flickr, D Sharon Pruitt, CC BY 2.0)