Ein altes Foto des DDR-Oppositionellen Michael Kleim. Das Foto ist Schwarz-Weiß und Kleim raucht.

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Politik und Macht

Widerstand lohnt sich – auch wenn sich erstmal nichts ändert

Diese drei Deutschen protestierten schon früh gegen die DDR-Diktatur. Ihre Geschichten zeigen, dass es so etwas wie eine aussichtslose Situation gar nicht gibt.

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Reporter für Macht und Demokratie

Kaum etwas bedeutet Birgit Krüger so viel wie eine Türklinke. Schließlich hat sie zu viel Zeit in Zellen verbracht, die keine hatten. Sie wurde inhaftiert, weil sie sich dem SED-Regime auf eine Weise widersetzte, an die heute kaum jemand denkt: mit radikalem Gehorsam. Krüger versuchte, die DDR dazu zu bringen, sich an ihre eigenen Gesetze zu halten. Ihre Geschichte ist nur ein Beispiel, wie kreativ Widerstand sein kann und warum er sich lohnt, auch wenn er zunächst aussichtslos erscheint.

Überall auf der Welt sind die Anti-Demokraten auf dem Vormarsch. Nur noch acht Prozent der Weltbevölkerung leben laut dem Demokratie-Index des britischen Analysedienstes Economist Intelligence Unit in einer „vollen Demokratie“. Manchmal wirkt es, als sei der Siegeszug der autoritären Kräfte nicht mehr aufzuhalten. Immer wieder erreichen uns deshalb Mails, in denen Leser:innen uns fragen: Was kann ich überhaupt noch für die Demokratie tun? Warum kämpfen, wenn die Lage so aussichtslos erscheint?

Ich habe DDR-Oppositionelle getroffen, die sich schon ab den 1960er und 1970er Jahren gegen das Regime einsetzten – also zu einer Zeit, als es noch völlig abwegig war, dass sich die DDR verändern oder gar zusammenbrechen würde. Sie haben mir erzählt, wie sie die Kraft gefunden haben, sich immer und immer wieder zu widersetzen.

Ihr Widerstand funktionierte auf eine ganz andere Art, als wir es heute von politischem Engagement kennen. Deshalb ist es gerade jetzt wichtig, von ihnen für die Gegenwart zu lernen. Ihre Geschichten zeigen, dass es sowas wie eine „aussichtslose Situation“ gar nicht gibt.

Niemand muss das Gesetz brechen, um sich Autokratien zu widersetzen

Birgit Krüger, eine ältere Dame mit kurzen grauen Haaren und Brille, steht auf einem Balkon und lächelt in die Kamera.

Kaum etwas bedeutet Birgit Krüger so viel wie eine Türklinke. © Benjamin Hindrichs

Die Zellen im Stasi-Gefängnis Pankow und im Frauengefängnis Hoheneck konnten nur von außen geöffnet werden. Drinnen saß Birgit Krüger, getrennt von ihrem Partner und den beiden Kindern.

Heute lebt sie in einer Wohnung in Berlin Reinickendorf. „Schön ruhig, angenehmer Mitbewohner“, sagt sie und gießt Kaffee ein. Bis heute trägt Krüger einen Kurzhaarschnitt, wie schon damals, auf den Verhaftungsfotos der Staatssicherheit. Vor ihr liegt ein Gedicht, die „Ballade der Frau von Hoheneck“. Darin stehe alles, was man über den Frauenknast in der DDR wissen müsse, sagt sie, und liest die erste Strophe vor: „Dunkle Jacke, dunkle Hose, bleich wie eine weiße Rose, allenfalls der letzte Dreck, dies ist die Frau von Hoheneck.“

Geboren wurde Krüger in Zeitz im heutigen Sachsen-Anhalt. Sie war 16 Jahre alt, als die Mauer gebaut wurde. Später arbeitete sie als Chemielaborantin in einem Gaswerk in Berlin. „Das hat gepufft und gezischt“, sagt sie, „du hast jeden Moment gedacht, das fliegt dir um die Ohren.“

Krüger ging es in der DDR nicht schlecht. Sie war zufrieden mit ihrem Job und ihr Mann hatte als Taxifahrer gute Beziehungen, die ihnen das Leben erleichterten: „Taxifahrer hatten damals die tollsten Schallplatten und wir kamen sogar ins Bowlingcenter rein“, sagt sie. Die erste Bowlingbahn der DDR eröffnete 1971 am Berliner Alexanderplatz und war für die meisten Bürger:innen ein Sehnsuchtsort. Nur durch Beziehungen gelangte man hinein. Die hatte Krügers Mann durch seinen Job, genau wie die begehrten Devisen: „Ich hatte Westmark, Pfund, Schilling, Dollars“, sagt Krüger. Trotzdem nahm ihr Frust über das System mit der Zeit zu.

Man sieht ein Stück Papier in einer Glassichtfolie mit der Überschrift "Entlassungsschein". Darauf ist ein Foto von Birgit Krüger.

Den Entlassungsschein hat Birgit Krüger bis heute aufgehoben. © Benjamin Hindrichs

Da waren die Kleidungsvorschriften in der Schule ihrer Kinder. Der Gruppenzwang bei den Pionieren. Die Feindseligkeit einer systemtreuen Lehrerin, die ihnen den seltenen Urlaub vermiesen wollte. Die begrenzten Möglichkeiten, einen Beruf zu erlernen. Die Männer, die vor der Tür standen, wenn sie nicht wählen ging. Die 52-Quadratmeter-Wohnung, in der sie mit vier Personen leben mussten – trotz zahlloser Anträge auf größeren Wohnraum. Irgendwann war ihr klar: Es wird nicht besser. Sie wollte nicht, dass ihre Kinder in einem solchen System groß werden. Ohne Zukunftschancen. Als Arbeitsmaterial für die DDR.

Einfach abhauen wollte sie aber auch nicht. Krüger hatte zu viel Angst um ihre Kinder. Flucht stand nicht zur Debatte. Dann trat die DDR am 18. September 1973 den Vereinten Nationen bei und erkannte die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte an. Darin steht in Artikel 13: „Jeder hat das Recht, jedes Land, einschließlich seines eigenen, zu verlassen und in sein Land zurückzukehren.“ Den Paragraphen zitiert Krüger bis heute aus dem Kopf. Denn er veränderte ihr Leben. „Auf einmal sah ich einen legalen Weg, meinen Widerstand auszudrücken“, sagt sie.

Sie las die UN-Charta und die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte und lernte wichtige Paragraphen auswendig. Jedes Mal, wenn sie Zeit hatte – am Wochenende, nach der Arbeit, an Feiertagen – setzte sie sich fortan hin und verfasste Ausreiseanträge, die sie mit dem von der DDR anerkannten Völkerrecht begründete.

Die Stasi begann, sie zu beobachten. Jede Woche musste sie ins Büro ihres Werkleiters, um sich vor einem Parteisekretär, dem Laborleiter und einem Stasi-Mitarbeiter zu rechtfertigen. „Denen habe ich gesagt: Ihr habt doch noch nicht mal Wohnraum für uns, warum lasst ihr uns nicht gehen?“ Irgendwann fügte sie in einem Ausreiseantrag hinzu: „Was wir wollen, ist nichts anderes als unser Recht und wenn Sie dem nicht nachgehen, gehen wir in die Öffentlichkeit.“ Krüger und ihr Mann wurden verhaftet. Der Vorwurf: staatsfeindliche Hetze, Staatsverleumdung, staatsfeindliche Verbindungsaufnahme. Am Montag darauf wurden ihre Kinder beim Appell in der Schule vor die gesamte Schülerschaft gestellt und ihnen wurde vorgeworfen, dass ihre Eltern Staatsverbrecher seien.

Krügers Widerstand folgte immer einer klaren Linie: Sie machte nie etwas Illegales, provozierte nicht, beleidigte nicht. Stattdessen forderte sie bloß, dass der Staat sein eigenes, geltendes Recht einhielt. Krüger tat, was der Historiker Benjamin Nathans in seinem Buch „To The Success of Our Hopeless Cause“ auch als zentrales Wesensmerkmal der sowjetischen Dissidenzbewegung beschreibt. Während Menschen in Demokratien oft zivilen Ungehorsam praktizieren, setzten viele Oppositionelle in der Sowjetunion auf das Gegenteil: radikalen Gehorsam. Anstatt Gesetze zu brechen oder Reformen zu fordern, verlangten sie lediglich die Einhaltung der bestehenden Gesetze, verwiesen auf Vorschriften und Paragraphen. Aus Angst vor der Repression des Staates.

Krügers Geschichte zeigt: Niemand muss das Gesetz brechen, um Widerstand zu leisten. Es gibt zahlreiche andere Möglichkeiten.

Krüger verbrachte letztlich knapp ein Jahr in Haft. Eines Morgens lag sie verkatert im Bett, als sie plötzlich abgeholt wurde. Am Abend zuvor hatten die Frauen ihrer Gemeinschaftszelle selbstgebrauten Schnaps getrunken, aus Pflaumenkompott, Brotresten und Zucker. Versteckt in der Kiste mit den Monatsbinden. Man brachte sie nach Chemnitz, wo sie drei Wochen in Abschiebehaft saß und ausgebürgert wurde. Anschließend setzte man sie in einen Bus in den Westen, in dem sie ihren Mann das erste Mal wiedersah. Die Kinder mussten vorerst bei ihren Großeltern in der DDR bleiben.

Auf der anderen Seite der Grenze wurden die beiden von Anwälten aus West-Berlin empfangen. Krüger ging auf die Toilette und öffnete zum ersten Mal seit Monaten selbstbestimmt eine Tür. „Ich bin zu meinem Mann gerannt und habe gebrüllt“, erinnert sie sich, „ich konnte es kaum fassen.“

Selbst Menschen, die ihre Ruhe wollen, sind irgendwann von einer Autokratie genervt

Erhard Neubert habe eine „Geistesschwäche“, eine Neigung zu „impulsiven und unüberlegten Handlungen“. So steht es in seiner Stasi-Akte. Deshalb werde er niemals seinen Wehrdienst bei der Nationalen Volksarmee (NVA) ableisten. An einem sonnigen Vormittag sitzt er an seinem Wohnzimmertisch und blättert durch einen roten Schnellhefter. Darin befinden sich neben seiner Ausbürgerung auch Überwachungsberichte und die Namen seiner Beschatter. „Die waren so blöd“, sagt er und lacht. Fünf Leute haben ihn jahrelang beschattet, aber nicht einmal mitbekommen, dass er schwul ist.

Erhard Neubert sitzt auf einem Stuhl vor seinem Haus. Hinter ihm ist ein Busch. Neubert trägt Jeans und einen grauen Pullover und eine Brille.

Erhard Neubert war kein Feind des Sozialismus. Doch das System machte ihn zu seinem Gegner. © Benjamin Hindrichs

Neubert ist heute 79 Jahre alt und lebt in einer Doppelhaushälfte in einer Kleinstadt in Brandenburg. Im Wandschrank steht Porzellangeschirr, daneben Miniaturfiguren von Jazz-Musikern. Er wuchs in Suhl auf, im Süden Thüringens. Sein Vater war SPD-Mitglied und überlebte die Konzentrationslager der Nazis. „Hat er aber nie darüber gesprochen“, sagt Neubert. Nach dem Krieg eröffnete der Vater ein Bäckerei- und Konditoreigeschäft, ein Lebenstraum. Doch Eigenbetriebe waren der DDR ein Dorn im Auge, weil sie kein Volkseigentum waren.

Sein Vater wurde enteignet – und ging daran zugrunde. „Alkoholsucht“, sagt Neubert. „Ich habe erlebt, was das System mit ihm gemacht hat, das hat mich fürchterlich aufgebracht.“ Eigentlich habe er immer seine Ruhe von der Politik haben wollen, sagt er. Aber nach dem, was er in der Familie mitbekommen hatte, ging das nicht mehr.

Neubert verließ die Schule nach der neunten Klasse. Als Kind hatte er davon geträumt, zur See zu fahren und auf einem Passagierschiff zu arbeiten. Doch in der DDR durfte er sich als Kind eines Klassenfeindes nicht aussuchen, was er studieren wollte. Also machte er eine Ausbildung zum Konditor und suchte sich Arbeit.

Mit der Zeit wurde seine Gegnerschaft zur DDR immer größer. 1968 trat Neubert aus dem Freien Deutschen Gewerkschaftsbund aus, einem Machtinstrument der herrschenden SED. Der Grund: Die Staaten des Warschauer Pakts schickten Panzer in die Tschechoslowakei, um den Prager Frühling niederzuschlagen. „Ich wollte mich nicht schuldig machen“, sagt er.

Neubert versuchte, über die grüne Grenze zu fliehen, wurde geschnappt und zu einem Jahr und acht Monaten Knast verurteilt. „In einer Zelle mit 50 Mann, kannst du dir ja vorstellen, wie das war.“ Später fand er eine Arbeit in einem Hotel in Potsdam, stellte Ausreiseanträge, wurde wieder inhaftiert, freigelassen und nervte die Staatssicherheit so lange mit Ausreiseanträgen, bis sie ihn 1974 ausreisen ließen.

Er war kein Feind des Sozialismus, im Gegenteil. Die Idee einer gleichen und gerechten Gesellschaft fand er gut. Aber die inneren Widersprüche der DDR nervten ihn so sehr, dass er irgendwann keine andere Option mehr sah, als sich querzustellen, seine Meinung offen zu sagen und schließlich abzuhauen. Die begrenzten Möglichkeiten, die Einschränkungen, das Gefühl, immer vorsichtig sein zu müssen, das war ihm zu viel. „Ich wurde zu einem Systemgegner gemacht“, sagt er heute.

Ähnliches berichten andere Oppositionelle, mit denen ich gesprochen habe. Sie wollten nicht politisch sein, aber ihre Interessen ausleben: per Anhalter fahren, freie Debatten führen, Bücher aus dem Westen lesen. Als sie merkten, dass das nicht ging, dass der Staat immer mit Repressionen reagierte, wurden sie Systemgegner:innen.

In anderen Worten: Autokratien nerven und bringen selbst solche Menschen gegen sich auf, die eigentlich mit Politik nicht viel zu tun haben wollen.

Widerstand lohnt sich – auch, wenn man nicht daran glaubt, das System verändern zu können

Mit dem Ende der SED-Diktatur rechnete Michael Kleim selbst 1989 nicht, obwohl er schon seit Jahren darauf hingearbeitet hatte. Kleim wuchs als Sohn einer alleinerziehenden Lehrerin auf. Er war ein Mitläufer, lernte von klein auf, unauffällig und angepasst zu sein. Das lief gut. In der Schule hatte er wenig Probleme, später war er bei den Pionieren. Dann kamen die 68er und jede Menge neue Musik, Filme und Bücher, die ihn faszinierten. Kleim las Allen Ginsberg und Jack Kerouac. Damit fing alles an.

Auf dem Schwarz-Weiß-Foto sieht man Michael Kleim in jungen Jahren, wie er raucht.

Kleim glaubte nicht daran, dass sich das System der DDR verändern würde. Er machte aus anderen Gründen Opposition. © privat

Kleim schloss sich der Tramper-Bewegung an. „In einer spießigen Gesellschaft, in der alles getaktet und vorgeschrieben war, war das eine Form von Freiheit“, sagt er. „Mich einfach mal an die Straße zu stellen und zu gucken, was kommt.“ Kleim fuhr per Anhalter nach Dresden oder an die Ostsee, wollte seine Freiheit genießen. Aber dem Staat war das zu ausgefallen und individualistisch. Leute aus seinem Umfeld wurden von der Schule geworfen und verhaftet. „Das war der Moment, in dem wir politisch wurden“, sagt er. „Wir sahen: Die DDR hatte nichts mehr mit der ursprünglichen Utopie einer gerechten Gesellschaft zu tun.“

Als Tramper wurde Kleim zum Kritiker der DDR. Durch den verpflichtenden Armeedienst wurde er zu ihrem Gegner. „Dort wurden Menschen schikaniert, es gab Hitlerfeiern, rechtsradikale Nummern“, erinnert er sich. „Der Rechtsradikalismus war bei den bewaffneten Organen der DDR sehr präsent.“

Ihm wurde klar: Hier kann er nicht einmal mehr kritisch mitlaufen. Eine Entscheidung musste her. Er begann ein Theologiestudium an der Kirchlichen Hochschule in Naumburg und schloss sich der Opposition an. Er machte bei Protesten gegen die Todesstrafe mit, forderte mehr Rede- und Meinungsfreiheit, machte Erinnerungsarbeit zum Stalinismus und pflegte Kontakt zu anderen osteuropäischen Oppositionsgruppen.

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Der Preis dafür war hoch: Er konnte nicht mehr ausreisen, wurde überwacht. Die Staatssicherheit infiltrierte Oppositionskreise und säte dort Konflikte. Ob er Angst hatte? „Ein großer Vorteil war, dass ich keine Familie hatte“, sagt er heute. Er war damals nur für sich selbst verantwortlich. Das half. Und er sei sich bewusst gewesen, dass er einen Preis für seine Freiheit zahlen müsse. Damals habe er immer damit gerechnet, verhaftet zu werden. Kleim machte deshalb Trainings, um sich darauf vorzubereiten und in Drucksituationen oder bei Verhören nicht einzuknicken. Er wollte einfach tun, was er für richtig hielt. „Das war es mir wert“, sagt er und zitiert den tschechischen Schriftsteller Václav Havel: „Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat, egal wie es ausgeht.“

Kleim glaubte damals nicht daran, dass sich das System der DDR verändern würde. Aber darum ging es ihm auch nicht. „Ich habe Opposition gemacht, weil ich es einfach für richtig hielt“, sagt er. Sein Umfeld und er verfolgten eine Doppelstrategie im Widerstand. Sie protestierten gegen Missstände: „Wir wollten zeigen, dass wir nicht einverstanden waren, obwohl wir nicht wirklich glaubten, dass das etwas verändern würde.“

Zusätzlich forderten sie nicht nur Freiheiten, sondern nahmen sie sich einfach. „Wir haben nicht gewartet, bis der Staat eine Oppositionsszeitung erlaubt“, sagt er, „wir haben sie einfach gemacht und Lesungen organisiert.“ In anderen Worten: „Wir haben nicht gewartet, bis die Freiheit uns zugestanden wurde, sondern wir haben angefangen, sie schon zu leben.“ Das habe einfach Spaß gemacht, niemand wollte auf diese Freiheit später noch verzichten. „Das, was ich da entdeckt hatte, das wollte ich nicht mehr hergeben“, sagt er.

Ähnliches berichtet auch KR-Mitglied Matthias, mit dem ich für diesen Text telefoniert habe. Er lebt heute in der Schweiz und engagierte sich als Jugendlicher bei der Freien Deutschen Jugend (FDJ), bis er merkte, dass er dort nicht frei debattieren konnte. Für ihn bedeutete die Oppositionsarbeit mehr als nur Politik: „Wir waren eine eingeschworene Gemeinschaft“, sagt er. „Wir haben nicht nur Diskussionen organisiert oder Flugblätter verteilt, sondern auch Geburtstage miteinander gefeiert, Ausflüge und Picknicks im Wald gemacht, oder einfach Tee oder billigen Wein getrunken und uns über das Leben unterhalten.“ Er fand in der Opposition zur Diktatur Zusammenhalt und Zugehörigkeit bei Menschen, die ähnliche Werte vertreten. Ein gutes Gefühl.

Was sich daraus ableiten lässt, ist vielleicht am Wichtigsten: Es lohnt sich, für eine gerechte und freie Gesellschaft zu kämpfen – auch wenn es aussichtslos scheint. Es macht Spaß. Es bietet Zugehörigkeit. Und manchmal entfaltet sich die Wirkung erst Jahre später.

Diese Lektion ist Michael Kleim auch für die kommenden Jahre wichtig. „Wir sollten nicht wie die Mäuse auf die Flamme gucken“, fordert er. Es sei lähmend zu denken: „Jetzt kommt die autoritäre Epoche, wir können nichts machen.“ Man wisse nicht, wie es kommt, sagt er und verweist darauf, dass niemand aus der Opposition 1989 ernsthaft damit gerechnet habe, dass die Mauer fallen könnte. Er sagt: „Es ist immer alles möglich.“


Redaktion: Isolde Ruhdorfer, Schlussredaktion: Susan Mücke, Audioversion: Christian Melchert

Widerstand lohnt sich – auch wenn sich erstmal nichts ändert

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